02.04.2020

Ein echter Aufreger: Wer soll demnächst bevorzugt (bzw. benachteiligt) werden, wenn die Beatmungsgeräte knapp werden?

In der Theorie ist diese Frage eine tolle Spielwiese für Theologen, Moral-Philosophen, Medizin-Ethiker oder Verfassungsjuristen. Ich der Praxis geht es schlichtweg um Leben und Tod – durchaus mit einiger Wahrscheinlichkeit demnächst auch in Deutschlands Kliniken.

Was man nicht alles ins Feld führen könnte: Abstrakte Prinzipien (die sich durchaus widersprechen können), medizinischer Pragmatismus (der im Einzelfall als willkürlich hinterfragt werden könnte), den gesunden Menschenverstand (der oft hilfreich, manchmal aber auch gefährlich sein kann)…

Weil man sich vor lauter Widersprüchen, einem Ethik-Fundamentalismus und einer (potentiellen) juristischen Angreifbarkeit letztlich nicht traut, überhaupt eine Position zu beziehen, wird von einigen das Losverfahren vorgeschlagen.
Kann das richtig sein?!

Was würde das bedeuten? Weil man z.B. das Kriterium „Alter“ nicht anwenden dürfte (grundgesetzwidrig?), könnte der Konflikt zwischen zwei Patienten mit „vergleichbarer Prognose“ durchaus zu Gunsten eines 80-jährigen und zu Ungunsten eines 50-jährigen ausgehen – weil das Los so entschieden hat. Will man das? Will das eine Gesellschaft? Will das der 85-jährige?

Natürlich hoffen wir alle, dass es so weit nicht kommen wird. Aber das ist wirklich nur eine Hoffnung.
Habe ich denn einen Vorschlag, der besser ist als das Los?

Nun, ich bin absolut dafür, den Heilungschancen eine große Bedeutung einzuräumen. Es wäre unverantwortlich, wenn aus Angst vor Entscheidungen letztlich mit intensivmedizinischem Aufwand das Sterben von schwerkranken und sehr betagten Menschen verlängert würde und gleichzeitig Menschen mit Aussichten auf ein langes gesundes Leben dafür den Preis bezahlen müssten.

Meine Hoffnung: Vielleicht wird es ja überraschend viele Menschen geben, die bei einem dramatischen Engpass von Behandlungsmöglichkeiten selbst eine Entscheidung fällen. Was  spräche dagegen, dass diejenigen, die zu solchen Überlegungen noch fähig sind, ihre Patientenverfügungen in diesem Sinne aktualisieren? Will wirklich jeder vorerkrankte Mensch 80+, der das Pech einer Corona-Infektion und dadurch eine schwere Lungenentzündung hat, um jeden Preis eine extrem belastende mehrwöchige intensivmedizinische Beatmung in Anspruch nehmen? Selbst wenn im Zweifelsfall z.B. ein 20 Jahre jüngerer Mensch dafür sterben müsste? Sollte man sie nicht vorher fragen, Ihnen Selbstbestimmung zutrauen?

Darüber wird unsere Gesellschaft vielleicht in einigen Wochen (oder Monaten) sprechen müssen. Ich hoffe, das passiert auch. Besser Tabus brechen als unvorbereitet auf eine Tragödie zulaufen.

(Falls jemand denkt, ich weiß nicht wovon ich rede und stelle mir grundsätzlich das Leben von alten Menschen als nicht lebenswert vor: Meine Mutter ist 94 geworden und hat die überwiegende Zeit jenseits der 80 noch genossen).

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Eine Antwort auf „02.04.2020“

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