“Jäger, Hirten, Kritiker” von Richard David PRECHT

Ich sage es gleich vorweg: Ja, ich bin ein PRECHT-Fan! Und ich schäme mich noch nicht einmal dafür.
Ich finde es außerordentlich positiv, dass man in diesem unserem Lande tatsächlich auch als Intellektueller – und gar als Philosoph – ein echter Promi werden kann. Wie erholsam und hoffnungsvoll, dass dies nicht ausschließlich irgendwelchen Sportlern oder Serien-Stars vorbehalten bleibt…

Aber unabhängig von meiner Freude über die – oft vermisste – Wertschätzung geistiger Leistungen bin ich auch inhaltlich meist ganz auf der Seite Von PRECHT. Er hat einfach – meiner bescheidenden Meinung nach – meistens recht. Das “recht” ist sozusagen bei Precht schon eingebaut….

Na gut, sympathisch finde ich ihn auch noch. Wer traut sich denn am Ende des zweiten Jahrzehnts dieses Jahrtausends noch, als Mann lange Haare zu tragen…

Okay, ich werde langsam ernst. Das soll ja schließlich eine Rezension werden.

Ich bin ein wenig enttäuscht von diesem Buch!
Nicht, weil Precht diesmal inhaltlich daneben läge, sondern weil ich mir etwas anderes gewünscht und versprochen hatte. Ich hatte auf eine digitale Utopie gehofft. Auf ein Gegenmodell sowohl zum naiven Daten- und Vernetzungsfetischismus des Silicon-Valley als auch zur allgemeinen Katastrophisierung der digitalen Zukunftswelt durch die ewigen Bedenkenträger.

Was PRECHT liefert, ist mir – bezogen auf diesen Spannungsbogen – zu einseitig und zu kurz gegriffen. Für ihn besteht die positive Utopie hauptsächlich darin, die von vielen gefürchtete Vernichtung von Millionen von Arbeitsplätzen durch die digitale Revolution (positiv) umzudeuten.
Wenn dieser Trend schon nicht vermeidbar ist, dann sollte man doch bitte auch die Vorteile sehen. Die lägen nämlich darin, dass die von eher stupider Arbeit befreiten Menschen sich Tätigkeiten zuwenden könnten, die nicht durch Maschinen zu ersetzen wären oder die schlichtweg ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprächen und vor allem im besten Sinne “menschlich” bleiben.

Damit dieses Modell funktionieren kann, bedarf es weitreichender gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Anpassungsprozesse. Im Hauptteil des Buches beschreibt PRECHT genau diese notwendige Umsteuerung bei der Verteilung des gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtums (Steuern auf alle Finanztransaktionen, bedingungsloses Grundeinkommen) und in der Bildung, die in Zukunft ja auf ein sinnstiftendes Leben auch ohne lückenlose Erwerbsbiografie vorbereiten müsste.

Das ist alles logisch und plausibel. Aber es läuft fast durchweg nach dem Motto: “Die Digitalisierung schafft Probleme und Risiken – wir müssen neue und kreative Lösungen finden und die schlimmsten Auswüchse durch demokratische Kontrollen verhindern.”
Was mir fehlt, ist schlichtweg ein wenig Begeisterung für bestimmte Aspekte der neuen Technologien. Bestimmte Fortschritte und Möglichkeiten werden zwar pflichtgemäß genannt (z.B. effizientere Steuerung von Verkehr oder Energieverbrauch, verbesserte medizinische Möglichkeiten, Zugang zu Informationen) – aber das alles klingt doch sehr verhalten gegenüber den Erfordernissen der Kontrolle und Einschränkung.
Was ist das für eine Utopie, die hauptsächlich defensiv ausgerichtet ist?

Gut folgen kann ich PRECHT, wenn er Forderungen nach einer gesellschaftlichen Grundversorgung bzgl. der digitalen Infrastruktur formuliert. Natürlich können und dürfen zentrale Elemente unseres zukünftigen gesellschaftlichen Seins nicht in der Hand von immer monopolistischeren US-Megakonzernen bleiben.

Schwieriger – übertrieben zurückhaltend – finde ich seine Gedanken zu den moralischen Aspekten der heranwachsenden künstlichen Intelligenzen in unserer Umwelt. PRECHTS Vorschlag, in keinem Fall moralisch-ethische Abwägungen zu agorithmisieren – also in Maschinen oder Roboter zu integrieren – erscheint mir fast fundamentalistisch: Warum sollte es nicht möglich sein – vielleicht sogar vorteilhaft sein – anerkannte moralische Prinzipien/Normen zu programmieren? Wäre es wirklich so unakzeptabel, wenn ein Mensch durch die autonome “Entscheidung” eines Roboters oder eines selbstfahrenden Autos zu Tode käme, wenn gleichzeitig 10 oder 100 Menschenleben dadurch gerettet würden, dass “menschliches Versagen” als Fehlerquelle ausgeschaltet wäre?
An solchen Punkten habe ich einfach das Gefühl, das PRECHT sich weigert, weiterzudenken. Er will – und das ist ohne Zweifel sympathisch und lobenswert – möglichst viel “Humanität” bewahren und gegen die digitalen “Monster” verteidigen.
Zu einer Utopie würde es – meiner Meinung nach – aber auch gehören, mal ein wenig “herumzuspinnen” und mal Szenarien auszumalen, in denen unsere Zukunft vielleicht gerade durch die Digitalisierung – möglicherweise auf eine neue Art – humaner (gerechter, friedlicher, …) werden könnte.

Vielleicht muss jemand anderes diese digitale Utopie entwerfen bzw. ich muss einer bereits vorhandenen begegnen.
Bis dahin empfehle ich auch dieses Buch von PRECHT all denen, die seine Grundthesen nicht sowieso schon aus Web, Funk und Fernsehen zu Genüge kennen.

“Die Tyrannei des Schmetterlings…” von Frank SCHÄTZING

Ich bin ein wenig aufgeregt. Wage ich mich doch an die Rezension eines aktuellen Mega-Bestsellers eines der unbestrittenen Star-Autoren in unserem Lande. Ja, es geht um SCHÄTZING. Ja, es geht um das Trend-Thema „KI“ (Künstliche Intelligenz).
In den Buchhandlungen liegt sein dicker Roman auf Sonder-Tischen. Reicht das nicht als Empfehlung? Können so viele Leser irren?

Um es vorweg zu nehmen: Ich mag dieses Buch nicht! Es hat mich enttäuscht und zwischenzeitlich auch geärgert. Ich finde sogar, dass es ein schlechtes Buch ist: nicht empfehlenswert! (Und ich habe es sogar schon verschenkt…).
Dieses harte Urteil bedarf einer Begründung.

Wer SCHÄTZING kennt, weiß, dass er in seinen ausladenden Romanen in der Regel zwei Stränge miteinander vermischt: Er nimmt sich ein Hype-Thema in der Grauzone zwischen aktueller Wissenschaft und Science-Fiction vor und erzählt auf diesem Hintergrund eine auf Spannung getrimmte Geschichte von realen Personen.
Dagegen ist erstmal nichts einzuwenden. Allerdings würde ich mir wünschen, dass bei dieser Mischung das Thema – in diesem Falle die aus dem Ruder gelaufene Künstliche Intelligenz eines Super-Computers – im Mittelpunkt stände. Die Geschichte hätte dann die Funktion, eine Rahmenhandlung für die Auseinandersetzung mit dem Thema zu bilden und damit die Botschaft („Achtung: Das könnte gefährlich werden“) unterhaltsam zu vermitteln. Weil man z.B. gerade keine Lust auf ein Sachbuch hat.

SCHÄTZINGs Buch erweckt bei mir den umgekehrten Eindruck: Im Vordergrund steht der alte Konflikt „Gut gegen Böse“, es geht um Macht, um actionreiche Kämpfe, um spektakuläre Szenarien (bei denen man schon an die Verfilmungs-Rechte denkt), um Liebe, Loyalität und menschliche Hybris. Es geht um Waffen, um Gewalt, um Gruseleffekte, um Schneller, Größer, Raffinierter. Und als Spielfeld für all das dient eben diesmal die digitale Zukunft – weil es gerade mal dran ist.
Für mich stimmt die Gewichtung nicht. Ich brauche all diese endlose Action nicht und hätte gerne mehr über KI erfahren.

Vielleicht sollte ich mal erwähnen, dass es in dem Buch nicht einfach nur um super-intelligente Computer geht. Die haben nämlich schon ordentlich vor sich hin digitalisiert und algorithmisiert und haben insbesondere auf zwei Ebenen Besonderes geleistet: Sie haben Insekten aller Art zu biologisch-digitalen Wunderwaffen gemacht (daher die Schmetterlinge im Titel) und sie haben den Zugang zu beliebig vielen Paralleluniversen geschaffen. Diese kann man bereisen und dort noch fortgeschrittenere Technik mopsen. Das führt zu einer Menge weiterer Verwicklungen, die mit dem Thema KI erstmal gar nichts zu tun haben.
Aber das schadet ja nichts: Hauptsache es passieren (vermeintlich) spannende Dinge!

Doch jetzt mal zu den – in leicht verdaulichen Portionen eingestreuten – Botschaften des Buches:
Ja, es gibt tatsächlich lesenswerte Überlegungen u.a. zu folgenden Fragen:

  • Was könnte passieren, wenn selbstlernende Computersysteme die von der (biologisch determinierten) menschlichen Intelligenz ersonnenen Begrenzungen überschreiten?
  • Könnte es nicht sein, dass ab einer bestimmten Komplexitätsstufe die digitalen Netze und Systeme ein vorher nicht eingeplantes und einprogrammiertes Eigenleben entwickeln und tatsächlich so etwas wie Bewusstsein, eigenen Willen und eigene Ziele entwickeln?
  • Läge vielleicht in der Vermischung von biologischen und digitalen Elementen ein besonderes Risiko, weil sich die Potentiale beider Systeme in einer völlig neuen Art gegenseitig aufschaukeln?
  • Ist das alles wirklich prinzipiell beherrschbar? Zumal der Mensch ja auch naturgegeben zu Missbrauch und Gier neigt und selbst die bescheidenen Sicherungen noch außer Kraft setzen kann?

(Die Sache mit den Paralleluniversen ist zwar auch spektakulär; hier lohnt aber aus meiner Sicht keine ernsthafte Beschäftigung. Das ist eher was für Nerds der theoretischen Astro-Physik.)

Zurück zur Bewertung:
Wie gesagt – diese Überlegungen zu solchen digitalen Zukunftsszenarien sind wirklich anregend und machen Lust auf mehr. Was man bekommt, ist aber ein mehr an Hin-und-Her-Fliegereien, überraschenden Wendungen (wer ist nun der Ober-Böse?) und banalem Kampfgetöse – mit und ohne Waffen, mit und ohne Horror-Insekten. Für mich eher langweilig….

Ach – fast hätte ich es vergessen: die Sprache!
Der Schreibstil ist – kurz gesagt – eine echte Zumutung, geradezu unerträglich.
Hier wollte jemand um jeden Preis nahezu jeden einzelnen Satz bis zum Bersten aufladen mit Sprachgewalt – bzw. mit dem, was der Autor sich darunter offensichtlich vorstellt. Am laufenden Meter gibt es künstlich geschwurbelte Satzkonstruktionen, die mit möglichst starken und spektakulären Adjektiven und Adverben vollgepumpt sind – oft so grotesk, dass nur (unfreiwillige) Komik übrigbleibt.
Warum macht man sowas? Stand da jemand mit einem geladenen Revolver neben Herrn SCHÄTZING – oder gar mit einem angriffsbereiten Killer-Insekt? Wie kann man ein ganzes Buch dauernd auf dem höchst-möglichen Sprach-Steigerungs-Level halten?

Okay. Ich will mich nicht hineinsteigern. Gerne bekomme ich von den Lesern dieser Rezension anderslautende Rückmeldungen.
Ich werde jetzt, nachdem ich diesen Text geschrieben und gepostet habe, mal in andere Kritiken dieses Romans hineinschauen. Vielleicht verstehe ich ja dann den Sinn von allem…
(Falls das so sein sollte; werde ich dies demnächst an dieser Stelle kundtun).

Bin immer noch ein bisschen aufgeregt. Wenn nun alle anderen das Buch super finden…???

“Verzerrte Welt” von Andrew E. Kaufmann

Dieses Buch habe ich aufgrund einer persönlichen Empfehlung gelesen; von alleine wäre ich vermutlich nie darauf gestoßen. Ein Grund dafür ist, dass ich eher selten “Thriller” lese – und genau diese Bezeichnung steht auf dem Cover.

Es geht um die Welt der forensischen Psychologie. Der Ich-Erzähler, als Psychologe angestellt in einer Spezial-Einrichtung für  kranke Straftäter, bekommt den Auftrag, einen als Serienkiller von jungen Mädchen verdächtigten Mann auf seine Schuldfähigkeit zu begutachten.

Es stellt sich heraus, dass diese beiden Hauptpersonen eine Gemeinsamkeit haben, nämlich einen schizophren-gewalttätigen Vater. Dies – und die offensichtlich fast grenzenlose Manipulationsfähigkeit des Angeklagten – führt zu immer extremeren Verwicklungen, in deren Verlauf die bisher geordnete “heile” Welt des Psychologen völlig aus der Bahn gerät.

Die sehr genau beschriebene Entwicklung hin zu der Auflösung aller bis dahin als sicher geglaubten beruflichen und privaten Gewissheiten des Protagonisten machte mich beim Lesen sehr schnell ungeduldig und zunehmend ärgerlich. Es erschien einfach nicht plausibel und glaubhaft, dass dieser Verlauf tatsächlich so stattfinden könnte.

Nun ist besteht die Kunst des Rezensierens auch darin, den Clou einer Geschichte nicht vorweg zu nehmen. Das schränkt jetzt meine Möglichkeiten deutlich ein. Vielleicht istdie Anmerkung erlaubt, dass nicht alles ist, wie es scheint.

Unter dem Strich bleibt die Frage, ob in der Gesamtsicht – nach der Auflösung aller Zusammenhänge – eine spannende und/oder lehrreiche Lektüre hinter mir liegt.
Ich bin bzgl. dieser Bewertung ambivalent. Ich muss zugeben, dass ich während der überwiegenden Lesezeit eher wenig angetan und motiviert war.
Zwar gibt es im Nachhinein einen anderen Bewertungsmaßstab – aber für mich macht das allein dieses Buch nicht zu einer echten Empfehlung.
Natürlich lernt man etwas über das mögliche Erleben einer psychotischen Störung, natürlich gelingt es dem Autor, falsche Fährten zu legen.

Aber richtig überzeugt hat mich dieser Roman trotzdem nicht.
Vielleicht bin ich einfach nicht der richtige Thriller-Leser…