“Winklers Traum vom Wasser” von Anthony DOERR

Was für ein Buch! Was für ein Schriftsteller!

Vor ca. zwei Jahren begeisterte mich ein Buch über das Schicksal eines blinden Mädchens unter dem Nazi-Regime. Ihr Vater hatte sie auf die anstehende Trennung von ihm dadurch vorbereitet, dass er ihr ein detailgetreues Modell des Ortes gebaut hat, in dem sie den Krieg überstehen sollte. Sie konnte sich – nach entsprechendem Training – auf dieser Basis auch alleine orientieren und so letztlich überleben.
Eine irre Idee, ein gewaltiges und extrem bewegendes Buch (“Alles Licht, das wir nicht sehen”). Der Autor: Anthony Doerr.
Damals schrieb ich noch keine Rezensionen.

Ich weiß nicht, warum es so lange gedauert hat, mich einem anderen Werk des Autors zuzuwenden. Jedenfalls ist mir jetzt klar geworden: Ich werde alles von diesem Menschen lesen! Der Mensch ist für mich ein Genie!

Jetzt endlich zum Buch:
Der Roman über den Hydrologen (also Wasser- und Wetterwissenschaftler) David Winkler erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte seines Erwachsenen-Lebens (mit kleinen Ausflügen in die Kindheit).
Er – und so auch das Buch – kommt von dem Thema “Wasser“ nicht los. Wasser ist das verbindende Element des Buches und seiner Geschichten über etwas mehr als eine handvoll Personen, deren Leben kunstvoll miteinander verwoben werden.
Wasser in all seinen Aggregatzuständen (bevorzugt auch als Schnee), und Wasser in all seinen Funktionen: von der Quelle des Lebens in jeder Körperzelle bis zur vernichtenden Flut.

Winkler ist ein Sonderling. Er geht ungewöhnliche Wege, trifft ausgefallene Entscheidungen, die er dann mit einer befremdlichen Konsequenz verfolgt. Er lässt sich auf eine manchmal autistisch wirkende Art kompromisslos ein – manchmal bis zur Grenze der Selbstvernichtung.
Für Winkler verschwimmen (Achtung Wortspiel, es geht immer um Wasser) immer wieder mal die Grenzen zwischen Realität und Traum. Bestimmte Bilder verfolgen ihn viele Jahre, ohne dass er sicher ist, welche Welt die Quelle darstellt. Winkler macht schon früh die Erfahrung, dass seine Träume plötzlich zur schrecklichen Realität werden können. Das könnte enorme Gefahren beinhalten…

Warum sollte uns das sehr besonders verlaufende Leben dieses David Winkler interessieren?
Nun, weil es in diesem Buch nicht nur um Wasser, sondern auch um Menschen geht. Insbesondere um familiäre Beziehungen, um deren Entstehen, deren Verlust und die nie endenden Sehnsucht, wieder in sie zurückzufließen.

Winklers Leben verläuft in Extremen, überspannt fast den gesamten Globus. Er scheint zwischendurch sein Ziel aus dem Auge zu verlieren. Aber er macht nur Pause. 25 Jahre….

Sprachlich ist dieser Roman ein Leckerbissen, ein Juwel.
Man wird geradezu gezwungen, sich dem Tempo der Geschichte und ihrer Figuren anzupassen. Man kann nicht hinweghüpfen über die Situationen und Bilder. Man muss eintauchen. Man wird festgehalten, wie von einem Sog. Es geht in die Tiefe, in die Intensität.
Es schneit nicht einfach, Schneekristalle werden zu individuellen Kunstwerken deren Struktur es zu entschlüsseln und festzuhalten gilt.
Es gibt einen Handlungsfaden – aber wer dieses Buch nur liest, um zu erfahren wie es ausgeht, hat es gründlich verpasst.
Wenn es diesen Titel nicht schon seit Jahrzehnten gäbe, könnte das Buch auch “Die Entdeckung der Langsamkeit“ heißen.

Sich auf dieses Buch einzulassen, verspricht ein echtes Erlebnis. Vielleicht mit ein paar Stellen, die Ungeduld auslösen. Weil die Detailverliebtheit überschwappt – bei Winkler oder bei Doerr.

Aber ich verspreche ein großes Lesevergnügen und einen langfristigen Gewinn. Man will dieses Buch nicht nicht gelesen haben. (Oder gehört. Das Hörbuch ist sehr zu empfehlen).

(Übrigens: Das Buch kommt fast vollständig ohne Sex and Crime aus.)

“Quest” von Andreas ESCHBACH

Bisher  bin ich weitgehend nach der Regel verfahren: „Einmal Eschbach, immer Eschbach“ (z.B. Ausgebrannt oder NSA). Diesmal war das ein Fehler.

Das will ich kurz begründen.

Das Buch “Quest” stellt eine Mischung zwischen klassischer Fantasy-Literatur und Science-Fiction dar. So wie ich finde, eine gründlich misslungene Mischung.

Eschbach versetzt seine Leser in eine ferne Zukunft, in der unvorstellbare Entfernungen mit Hilfe völlig neuer, den Prinzipien unserer Physik widersprechenden Antriebstechnologien überwunden werden können. Große Bereiche des Universums sind durch raumfahrende Wesen erforscht und zum Teil auch besiedelt worden. Da alles Leben im Weltall einen gemeinsamen Ursprung hat, hat es sich auch erstaunlich gleichförmig entwickelt. Vieles, was da kreucht und fleucht, ist ziemlich menschenähnlich.

Soweit, so gut! Das könnte ja eine Ausgangsbasis für interessante Geschichten darstellen.

Doch was fällt dem sonst so kreativen Eschbach dazu ein: Billige Versatzstücke irgendwelcher Heldenepen. Novizen, die in einem monströsen Tempel die Wissensschätze der Menschheit bewachen und später große Bedeutung erlangen (dabei natürlich auch kurz die Freuden der Liebe kosten dürfen). Sternenkaiser, die die Macht über das gesamte Universum erobern (oder verteidigen) wollen. Einsame edle Kämpfer, verdammt zur Unsterblichkeit – und damit leider nicht zu echter Liebe fähig. Vorbildliche Heilerinnen, die auf dem Weg zu von anderen missachteten Patienten von der Leiter fallen.
Wenn es nicht so traurig und trostlos wäre, könnte man wenigstens lachen.

Welches Gesellschaftsmodell hat sich diese technisch so unglaublich überlegene Kultur wohl ausgesucht? Man mag es kaum glauben: Ein Kastensystem, in dem die – qua Geburt – Edlen herrschen, ein kleiner Mittelbau durch Leistung zumindest ein wenig glänzen kann und eine große Mehrheit Niederer in Unfreiheit und Perspektivlosigkeit gehalten wird.
Tolle Aussichten.

Und was machen die Tausende von Niederen auf einem Hyper-Super-Riesen-Raumschiff den ganzen Tag? Jedes Schulkind würde sich schämen, so etwas zu schreiben: Sie sind Reinigungskräfte, Mechaniker, Bedienungspersonal. Willkommen in einer fernen Zukunft!

Es geht so unglaublich und fantasielos weiter: Was tut man, wenn eines der galaktischen Antriebssysteme Schaden gelitten hat? Man bastelt per Handarbeit (tatsächlich mit dem Werkzeug von Klempnern) aus zwei kleinen ein großes neues Hyper-Maschinchen. Und wenn es nicht ganz passt, dass gibt’s noch ein mit dem Hämmerchen…

Natürlich muss dieser Nonsens noch spirituell-philosophisch aufgeladen werden. Es geht um die großen letzten Fragen. Gibt es einen Gott und was hat er sich wohl dabei gedacht? Was ist mit dem Sinn von ALLEM?

Meine Antwort: Dieses Buch ist jedenfalls grober Unsinn! Lieblos zusammengezimmert. Fast eine Unverschämtheit. Wer ein Zukunftsbuch schreibt und sich dabei weniger Gedanken über Roboter oder künstliche Intelligenz als über die diplomatischen Umgangsformen zwischen Edlen macht, hat wohl mehr als das Thema verfehlt.
Wer das klassische Fantasy-Publikum bedienen will, sollte sich vielleicht nicht so weit in die Zukunft vorwagen.

Eigentlich gibt es nur eine Erklärung: Eschbach hat seinen Namen verkauft und jemand anderes hat dieses Buch geschrieben. Mit dieser Erklärung könnte ich am ehesten leben.
Wo der Mann (der echte Eschbach) doch so tolle Bücher schreiben kann ….