“Quichotte” von Salman RUSHDIE

Ich bin schon so etwas wie ein Fan dieses Autors, auch wenn seine Bücher alles andere als eine leichte Lektüre darstellen. Im Gegenteil: Sie sind stets eine Herausforderung.
Das liegt vor allem daran, dass RUSHDIE so etwas wie ein “Welt-Intellektueller” ist. Er ist gleich in mehreren Kulturen so verankert, wie das ansonsten sehr belesene und gebildete Menschen mal gerade in einer (ihrer) Kultur schaffen. Er spielt mit dieser kulturellen Vielfalt und springt wie ein Tausendsassa und mit einer scheinbar nie endenden quirligen Energie zwischen den Welten hin und her.
Manchmal bleibt da auch ein wohlmeinender und motivierter Leser auf der Strecke, weil ihm die Luft ausgeht…

Der aktuelle Roman QUICHOTTE ist in gewisser Weise ein Extrembeispiel für diese Art zu schreiben. Um es schon mal vorweg zu sagen: Auch ich bin diesmal nur noch widerwillig bis zum Ende gefolgt.
Ich will kurz darlegen, warum ich mich so schwer getan habe.

Der Plot des Romans ist schon extrem verschachtelt: Der Autor schreibt über einen Autor, der einen Helden schafft (Quichotte), der wiederum selbst teilweise in einer realen und daneben in einer Fantasiewelt agiert. Er (die Kunstfigur des Autors) schafft dann in seiner Vorstellung eine Person (seinen Sohn), der im Laufe des Romans zu einer echten (realen) Person mutiert.
Man könnte auch sagen: Er arbeitet mit Meta-Meta-Ebenen.
Erzählt wird eine Reise von Quichotte quer durch die USA, die das Ziel hat, einen angebeteten TV-Star zu erobern.
Das soll reichen, weil es auf die Handlung wirklich nicht ankommt.

Was ist nun der Sinn von dem Ganzen?

Augenscheinlich geht es RUSHDIE wohl darum, bestimmte Perversionen der amerikanischen Gesellschaft, speziell der Medien-Kultur zu entlarven. Dabei werden auch Themen wie der Promi-Kult, der Medikamenten-Missbrauch und die Suche nach Alternativ-Welten angesichts eines bevorstehenden Weltuntergangs berührt.
Man könnte auch kurz sagen: “Die spinnen, die Amis!”

Doch dieser Roman lebt letztlich weder von der Handlung noch von der Botschaft. Er lebt von der Vernetzung.
RUSHDIE macht, was er am besten kann: Er spielt virtuos mit unglaublich vielen Bezügen auf alle denkbaren kulturellen Inhalte – von der klassischen Weltliteratur (worauf ja schon der Titel hinweist) bis auf die aktuelle Netflix-Serien-Sucht. Der Autor lässt seine Assoziationen sprießen und der Leser versucht mitzuhalten.
Es wirkt wie ein Spiel: Sag mir, wie gut du dich auskennst – und ich zeige dir, wie sehr du von meinem Buch profitieren kannst!
Um es anderes zu sagen: Der Genuss, den RUSHDIE seinen (bestimmten) Lesern bietet, besteht darin, dass sie ihm weiter folgen können als andere. Je vielfältiger kulturell gebildet ein Leser ist (von der Antike bis zum Silicon-Valley), desto mehr Anspielungen versteht er, desto besser fühlt er sich und gehört damit in die RUSHDIE-Welt der intellektuellen Kosmopoliten.
Alle anderen fühlen sich – mehr oder weniger – ausgeschlossen und fragen sich, was das Ganze denn nun soll.

Ich empfehle diese Buch nicht.
Vermutlich, weil ich mich zu oft ausgeschlossen fühlte. Vielleicht hat es mich auch gestört, dass diese Art der Selbstdarstellung (“was ich alles weiß”) in diesem Roman ein wenig zu sehr zum Selbstzweck wird.
Natürlich ist dieser Mann ein Genie. Sein Gehirn muss zum Platzen voll sein mit Wissen und Ideen. Absolut beeindruckend.
Aber dieses Buch muss man trotzdem nicht lesen (oder hören).
Nehmt lieber den vorherigen Roman.

Das Geschenk der ewigen Jugend

THE WHO veröffentlichen ein neues Album

In meiner Generation entwickelte die Illusion von der nie endenden Jugendlichkeit eine nie gekannte Attraktivität. Sowohl die von den 68igern eingeleiteten gesellschaftliche Wende als auch die Beat- und Popkultur, die vor 50 Jahren in Woodstock ihren Höhepunkt fand, ließen die Grenzen zwischen der Jugend- und Erwachsenenwelt zunehmend verschwimmen. Die Schönheitsindustrie und die Werbewelt weiß das bis heute kommerziell zu nutzen.
Die später in den Wortschatz eingehenden Begriffe “Berufsjugendlicher” oder “Alt-Hippie” weisen exemplarisch auf diesen Trend. Ebenso der verzweifelte Kampf der Kids, sich in den sozialen Medien immer wieder neue, exklusive Plattformen zu schaffen – bevor die Elterngeneration auch in diese Welt erbarmungslos eindringt (wie inzwischen bei Facebook oder Instagram geschehen).

Wer gerne irgendwie jung bleiben möchte und gleichzeitig musik-affin geprägt wurde, lebt aktuell geradezu unter paradiesischen Bedingungen. Wer in unserem Land in einer Metropole oder auch im Ruhrgebiet lebt, kann mindestens zweimal pro Woche auf ein Konzert von Künstlern (bzw. deren Cover-Bands) gehen, deren Namen seit einem halben Jahrhundert geläufig sind. Zusammen mit mehreren Spezial-Musikzeitschriften für die Zeit zwischen 1960 und 1980 und den unglaublich zahlreichen Neuausgaben bzw. De-Luxe-Zusammenstellungen auf CD und Vinyl entsteht geradezu ein eigenes Musikuniversum. Ein bisschen so, als wäre die Welt stehen geblieben…

Meine mit 11 Jahren entdeckte (und seitdem identitätsstiftende) Gruppe THE WHO (bzw. ihre beiden Rest-Mitglieder) gehören – zusammen mit den ROLLING STONES – zu den Musikern, die das Feeling der ewigen Jugend – auf höchstem Bekanntheits- und Qualitätsniveau zelebrieren. Sie touren noch immer (immer wieder) erfolgreich durch die Stadien der Welt und spielen – natürlich – ihre Hits, die in das Weltkulturerbe des 20. Jahrhunderts eingegangen sind.

Auf diesem Hintergrund lässt eine Neuerscheinung der Veteranen (alle in den mittleren 70igern) natürlich aufhorchen: Das neue Album der WHO wird auch in den Mainstream-Medien wohlwollend erwähnt und durchweg positiv bewertet.
Für mich persönlich beinhaltete einen besonderen Jugendlichkeits-Kick: Konnte ich mich doch noch einmal als richtiger Fan fühlen, gespannt die Vorankündigungen in der Presse verfolgen und nachts um 0 Uhr auf die Freischaltung bei Spotify warten. Kurz danach ein erster Austausch mit meinem Jugend-Freund (Meinolf) – zeitgemäß über WhatsApp.
Mehr aktualisierte Nostalgie geht kaum! Danke an Pete Townshend und Roger Daltrey!

Als ich 1965 “My Generation” in meinem Nordmende-Transistor-Radio hörte (in diesem Jahr waren “Satisfaction” und “Help” meine anderen Favoriten), lag der Gedanke, dass ich 2019 als frisch gebackener Rentner eine neues WHO-Album hören würde, eher fern.
Von mir aus müssen die musikalischen Helden meiner Jugend nicht aufhören.
Ich lebe – zum Glück – nicht überwiegend in einer Vergangenheits-Blase. Eher im Gegenteil. Aber ich möchte diesen Aspekt meiner Gesamt-Identität nicht missen.

Vielleicht wartet ihr ja auf eine Aussage zum Album selbst?
Ja, es ist tatsächlich gute WHO-Musik. Überwiegend klingt es wie früher – mit ein paar kleinen Ausflügen in andere Stilrichtungen. Hörenswert. Deutlich besser als der letzte Versuch von 2006 (Endless Wire).

Wer sich motiviert fühlt, sich einen kleinen, journalistisch aufbereiteten Einblick in die WHO-Welt zu gönnen: Das Magazin ttt hat am 08.12.19 einen Beitrag gesendet. Er wird noch eine Weil hier abrufbar sein.