“Blutige Nachrichten” von Stephen KING

Zum Glück habe ich eine KING-Begeisterte in meinem Nahumfeld – so brauche ich nie zu entscheiden, ob ich für diesen sehr besonderen Erzähler mein Geld investiere. Zeit zu investieren, fällt mir – trotz großer Ambivalenz und sehr unterschiedlicher Erfahrungen – meistens nicht schwer. In der Regel siegt meine Neugier (wenn nicht gerade ein blutrünstiger Horror-Roman angekündigt wird).

KING legt ein Buch mit vier Geschichten vor, die alle vom Umfang deutlich über das Kurzgeschichten-Format hinausgehen. Während drei Stories ganz für sich alleine stehen, wird in der titelgebenden Erzählung ein früherer Roman (“Der Outsider”) weitergesponnen. Auch diese Geschichte lässt sich natürlich losgelöst von der Vorgeschichte lesen und verstehen.

Für mich boten die drei neuen Geschichten ein großes Lese- bzw. Hörvergnügen. Die erzählerischen Fähigkeiten des Erfolgs-Autors kommen voll zur Geltung, ohne durch exzessive bzw. sadistische Gewaltdarstellung oder abstruse Ausflüge in alternative
Fantasy-Welten getrübt zu werden. Man spürt den typischen KING-Stil heraus, wird schnell in die Geschichten eingewoben und kommt den Figuren nah.
In den freundlichen Jungen aus der ersten Geschichte verliebt man sich ganz schnell; sie ist auf eine liebenswerte Art altmodisch.
Im zweiten Plot, der sehr ungewöhnlich beginnt, wird letztlich die Einzigartigkeit eines Einzelschicksals demonstriert und sogar ein wenig philosophisch betrachtet. Sinngemäß heißt es: “In jedem Menschen entsteht im Laufe seines Lebens eine ganze Welt – und genau die geht mit seinem Tod auch unter.”
In der letzten Story macht KING mal wieder das Schriftsteller-Handwerk selbst zum Thema, mit allen Höhen und Tiefen. Auch wenn der Verlauf ein wenig vorhersehbar ist, liest man doch gerne und gespannt zu Ende.
Unterhaltung vom Feinsten!

Den Outsider-Nachfolger hätte ich nicht gebraucht. Mich interessieren solche fiktiven Alternativ-Wesen nicht. Wer sich an solchen Monster-Figuren nicht stört, wird auch hier auf eine spannende Weise unterhalten.

Kurz gesagt: Der KING zeigt keine Altersschwäche. Aus meiner Sicht eines seiner besten Bücher. Auch wenn der Titel blutig klingt – der Schwerpunkt liegt eindeutig auf dem Erzählen und nicht auf den Schocker-Effekten. So kann es gerne weiter gehen.

“Unsere asiatische Zukunft” von Parak KHANNA

Dieses Buch verdient uneingeschränkten Respekt. Hat man es gelesen, betrachtet man die Welt mit anderen Augen. Versprochen!

Es ist kaum in wenigen Worten zu beschreiben, welches Füllhorn an Daten, Informationen, Perspektiven und Prognosen der (aus Indien stammende) Autor hier ausbreitet. Man spürt förmlich auf jeder Seite die jahrelange Recherche-Arbeit, die in diesem Werk steckt. Man könnte es wohl ohne Übertreibung als Kompendium des modernen Asiens bezeichnen.

KHANNA bietet wirklich alles Erdenkliche auf, um die Rolle des asiatischen Kontinents in der aktuellen und zukünftigen Weltordnung verstehbar zu machen. Er beginnt mit einer kompletten alternativen Menschheitsgeschichte aus asiatischer Sicht, beschreibt die Vielfalt und Differenziertheit der verschiedenen Nationen und analysiert schließlich die kulturellen, gesellschaftlichen und vor allem wirtschaftlichen Trends, die er für zukunftsprägend und -weisend hält.
Das Ganze vollzieht sich auf einem extrem hohen Niveau: keine Behauptung, die nicht durch einen Wust von Fakten untermauert wird, keine Einschätzung, die nicht nachvollziehbar abgeleitet wird.

Dieses Buch hat nichts gemein mit dem – seit Jahrzehnten bekannten – reißerischen Sensations-Journalismus im Stile “Die Chinesische Gefahr” oder “Der Chinesische Drachen wird uns alle verschlingen”. Der Ton in diesem Buch ist sachlich. Der Autor ist ein Meister des Differenzierens, Abwägens und Perspektivwechsels.

Was lernt man aus diesem Buch? Unglaublich viel!
Ein paar Beispiele: Man lernt, dass …
– Asien eben nicht China ist (sondern es eine sehr vielfältige Landschaft von konkurrierenden Zentren, die durchaus nicht gewillt sind, sich einer Chinesischen Hegemonie unterzuordnen),
– die weltweiten Verflechtung der asiatischen Handels-, Bildungs- und Finanzbeziehungen schon ein riesiges Ausmaß angenommen haben,
– der Kontinent sich gleichzeitig in steigendem Umfang und sehr selbstbewusst auf die eigenen Potentiale besinnt,
– in vielen Bereichen inzwischen asiatische Experten aus Wirtschaft, Technologie und Administration weltweit die Standards setzen.

Es wundert nach drei Jahren Trump nicht (das Buch wurde 2019 veröffentlicht), dass der Machtwechsel zwischen einem isolationistischen Amerika und einem weltoffenen Asien schon am weitesten fortgeschritten ist. Es ist faszinierend zu lesen, auf wie vielen Gebieten sich die asiatischen Wirtschaftszentren inzwischen von der Führerschaft der USA befreit haben.

Aus politischer Sicht kommt das Spannendste zum Schluss: KHANNA macht unmissverständlich deutlich, dass das Modell der Westlichen Demokratie durch die erfolgreichen Technokratien Asiens auf eine Weise herausgefordert wird, die den meisten Amerikanern und Europäern noch nicht ansatzweise bewusst geworden ist.
Am Beispiel Singapurs wird facettenreich dargestellt, dass ein auf effektive und effiziente Zielerreichung getrimmtes System der pluralistischen Parteien-Demokratie rein objektiv überlegen ist. Nicht in Bezug auf die individuellen Freiheitsrechte, aber wohl bzgl. der Umsetzung gesellschaftlicher Ziele. Und das wird – anders als im Westen oft geschildert – nicht nur von irgendwelchen machthungrigen Eliten so gesehen, sondern durchaus auch von einer aufgeklärten Zivilgesellschaft und Experten.
Auch hier argumentiert der Autor aber keineswegs platt oder einseitig; seine Perspektiverweiterung ist aber extrem anregend.

Wirtschaft ist das zentrale Thema für KHANNA. Aber zu seinem Anspruch gehört es, wirklich jeden denkbaren Aspekt des gesellschaftlichen Lebens wenigstens kurz zu beleuchten. Das schließt z.B. auch Tourismus, Bildung, Mode, Literatur, Musik und Kino mit ein.
Vermisst habe ich ein eigenes Kapitel über Klimawandel, Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Die Themen werden zwar kurz behandelt, aber nicht in den Fokus genommen – so wie es in einem aktuellen Buch angemessen wäre.

Auf einer persönlichen Ebene hat das Buch bei mir zu einer Art kulturellen Bescheidenheit beigetragen. Man kann sich als Mitteleuropäer schlichtweg nicht mehr als Zentrum der Welt fühlen, wenn man diese Dosis an Relativierung geschluckt hat.

Sollen nun alle schnell dieses wunderbar kluge Buch lesen?
Das wäre unrealistisch! Es ist eher ein Buch für Menschen, die beruflich mit den aktuellen Mega-Trends zu tun haben, also für Journalisten, Wirtschaftsleute, Politiker, Gesellschaftswissenschaftler. Für den (interessierten) Laien ist die Informationsdichte schlichtweg erschlagend.
Auch ich muss eingestehen, dass ich nicht jede einzelne Seite vollständig gelesen habe; insbesondere den Parforceritt durch die asiatische Weltgeschichte habe ich nur sehr grob überflogen. Kein Mensch kann das alles aufnehmen, geschweige denn behalten.
Andererseits: Was man hier für 24 € geboten bekommt, ist im Vergleich zu anderen Publikationen in diesem Preissegment wirklich bemerkenswert.
Wem dieser Preis und etliche Stunden Lebenszeit das wert sind, der sieht danach die Welt tatsächlich mit anderen Augen.

“Die Geschichte des Wassers” von Maja LUNDE

Zweiter Versuch: Die Geschichte der Bienen habe ich abgebrochen, das Wasser habe ich durchgehalten. Das ist doch mal ein Anfang.

Die Norwegerin Maja LUNDE hat sich offenbar darauf spezialisiert, ökologische Themen in Romanform zu bearbeiten. Dabei generiert sie mehrere (diesmal zwei) Geschichten, die zu unterschiedlichen Zeiten spielen (diesmal 2017 und 2041) und so den Verlauf der jeweiligen Umweltkrise von einer höheren Warte aus nachvollziehbar machen. So kann die in die Zukunft projizierte Handlung die Folgen der in der Gegenwart getroffenen (bzw. vermiedenen) Entscheidungen nachfühlbar machen.

Die Autorin wählt Figuren und Plots nach dem Schema “je extremer und emotionaler, desto besser”. Sie will offensichtlich die Leser durch Identifikation mit den leidvollen Schicksalen der Protagonisten aufrütteln und so eine Motivation schaffen, die – so offenbar ihre Annahme – durch durch eine sachliche Darstellung der Problematik nicht zu wecken wäre.
Anders formuliert: “Ich zeige dir an dramatischen Einzelbeispielen, wohin Klimawandel und Umweltzerstörung führen kann, und du kapierst endlich, dass es Zeit zum Handeln ist.”

Natürlich könnte man die Familien- und Paargeschichte der norwegischen Umweltaktivistin und das Leiden der Teilfamilie unter sengender südeuropäischer Sonne auch für sich als separate, sehr bewegende Stories betrachten. Ihren Zusammenhang und damit den Clou bekommen sie auf der einen Seite durch den Bezug zum Meta-Thema Wasser, zum anderen durch eine geschickt aufgebaute faktische Verbindung der Handlungsstränge.

Als relevantes Nebenthema lässt sich der Konflikt zwischen persönlichem Vorteil bzw. Glück und konsequentem Umwelt-Engagement nennen. Dieser Spannungsbogen zerreißt in der norwegischen Idylle Ehen, Familien und ganz Dorfgemeinschaften.

Mir ist dieser Weg, über fiktive Schicksale Umweltbewusstsein zu erzeugen, durchaus sympathisch. Von mir aus könnte es viel mehr solcher Bücher geben, die gerne den endlosen Reigen von blutrünstigen Thrillern und ewig gleichgestrickten Fantasy-Epen ablösen könnten.

LUNDE versteht es durchaus, emotionale Intensitäten zu erzeugen. Ob man das so braucht, ob man es ein wenig dolle und klischeehaft empfindet, ist letztlich Geschmackssache. LUNDE produziert Unterhaltungsromane, keine ernsthafte Literatur.

Der Titel “Die Geschichte des Wassers” erscheint mir ein wenig vermessen zu sein. Man erfährt etwas über norwegische Gletscherflüsse, über die Kraft des Meeres und über die Folgen der Trockenheit (wenn auch die Meerwasserentsalzung versagt). Mit etwas Fantasie hätte man sich in einem solchen thematischen Roman noch ein paar mehr Informationen über eines der größten Zukunftsthemen der Menschheit vorstellen können.
Letztlich sind es zwei – im Wechsel erzählte – persönliche Geschichten, die sich um unseren Umgang mit dem zentralen Lebenselement drehen. Nicht mehr und nicht weniger.

Mein Gesamturteil: lesenswert, wenn man keine zu hohen Erwartungen hat und sich gerne auch mal durch altbewährte Stilmittel anrühren lässt.

“Schatten der Welt” von Andreas IZQUIERDO

Preußen am Beginn des 20. Jahrhunderts.
Die scheinbar unerschütterliche feudale Ordnung des Kaiserreichs gerät in den Strudel des 1. Weltkrieges, mit ihr die Lebensläufe von drei jungen Menschen, die in einer tiefen Jugendfreundschaft verbunden sind. Was als eine Art Schelmenroman beginnt, wird zu einem Kriegsdrama.

Einer der drei Protagonisten, ein Schneiderssohn, tritt als Ich-Erzähler auf, wechselt dabei immer wieder die Perspektive zwischen der unmittelbaren Beteiligung an den Begebenheiten und der berichtenden, wissenden und reflektierenden Außenperspektive.

Es geht in diesem historischen Roman um folgende Schwerpunktthemen:
– Freundschaft und Liebe
– Mut und Durchsetzung von Ideen
– himmelschreiende Ungerechtigkeit in einer Klassengesellschaft
– Unterdrückung des weiblichen Geschlechts
– Familiendynamiken (insbesondere eine anrührende Vater/Sohn-Beziehung)
– Wahnsinn des Krieges

Der Autor schafft Figuren, die man in sein Herz schließt und welche, die man rasch zu hassen beginnt. Gut und Böse sind sehr eindeutig definiert. Vielleicht ein bisschen zu eindeutig.
Am spannendsten gezeichnet ist wohl das Mädchen in dem Trio, Isi. Sie ist ein extrem mutiges und kämpferisches Mädchen, das schon sehr früh die Grenzen von traditionellen Normen und Rollenerwartungen überschreitet. Die Auseinandersetzung mit Ihrem Vater, der als Gegenspieler das unerbittliche Beton-Patriarchat vertritt, zieht sich durch das gesamte Buch.

Das alles hat bei mir zwei widersprüchliche Wirkungen entfaltet.
Die Ereignisse und die Erlebnisse der beteiligten Personen haben mich durchaus berührt, haben Identifikation und Emotionen ausgelöst.
Gleichzeitig waren da Aspekte von innerer Abwehr: Ist die Auftakt-Geschichte, in der die drei Jugendlichen zu plötzlichem Wohlstand kommen, nicht doch ein wenig zu sehr unrealistisch? Müssen Figuren wirklich so abgrundtief böse sein, um eine entsprechende Handlungsdynamik zu erzeugen? Wie wahrscheinlich sind bestimmte Begegnungen mit alten Bekannten in den Wirren eines Weltkrieges? Wäre der beschriebene Showdown zwischen Isi und ihrem Vater wirklich in dieser Form denkbar?
Ich weiß ja: So ein Roman braucht einen Plot und dafür muss man dem Schriftsteller auch ein paar Freiheiten einräumen; die Grenzen meiner Toleranz waren an einigen Punkten spürbar.

Historischen Romane leben davon, neben einer Handlung auch ein Stück Zeitgeschichte zu vermitteln. Das tut dieses Buch ohne Zweifel. Was Klassenunterschiede, was Armut und was Macht im preußischen Obrigkeitsstaat bedeutet haben, ist hier nachfühlbar gemacht worden. Dem Autor ist es gelungen, sowohl einen (zunächst) leichten, als auch einen schweren Roman zu schreiben. Er bedient sich dabei nicht der leisen Gefühle sondern holt immer wieder tief aus. Für mich hätte es manchmal etwas weniger sein dürfen.

So ist es ein niveauvoller, aufklärender und bewegender Roman geworden, der ganz sicher nicht langweilt. Wer sich durch gewisse Unwahrscheinlichkeiten nicht abschrecken lässt und es liebt, sich mit seinen Lieblingsfiguren (und ihrem Kampf gegen das Böse) zu identifizieren, der ist mit diesem Buch richtig gut bedient.

Ich hätte übrigens ein anderes Ende erwartet.

“Unsere Welt neu denken” von Maja GÖPEL

Dies ist ein zugleich überflüssiges als auch sehr nützliches Buch.

Als überflüssig könnte es betrachtet werden, weil die von GÖPEL dargelegten Tatsachen, Schlussfolgerungen und Perspektiven auch schon in diversen anderen Nachhaltigkeits-Publikationen der letzten Jahren (Harari, Yogeshwar, Lesch, Welzer, Blom, Al Gore, Schneidewind, usw.) zu finden waren.
Absolut nützlich und wertvoll sind allerdings die in diesem Buch angebotene Themenauswahl, die Strukturierung und die Darstellungsform.

GÖPEL hat kein Klima oder Umweltbuch geschrieben. Sie nimmt sich die großen Zusammenhänge vor und geht dabei – realistischer Weise – schwerpunktmäßig auf unsere Art des Wirtschaftens ein. Eine nachhaltige Welt muss sich – so legt die Autorin überzeugend dar – von der bisherigen Grundlogik wirtschaftlichen Denkens und Handelns lösen, muss sowohl den Ressourcenverbrauch als auch den CO2-Fußabdruck einpreisen und stärker am Gemeinwohl und an globaler Gerechtigkeit (statt ausschließlich am privaten Gewinn) orientiert sein.

Das hört sich alles nach altbekannten und damit schnell zur Seite schiebbaren Schlagworten an – alles schon gehört, alles irgendwie richtig und gut gemeint – aber auch unrealistisch, und naiv – eben Gutmenschen-Kram…

Was GÖPEL in gut lesbarer und unaufgeregter Sprache versucht, ist die vermeintlichen Floskeln über die Transformation in eine “bessere” Welt zu unterfüttern, mit Daten, mit Beispielen, mit Modellversuchen und mit Visionen.
Ihre Grundbotschaft ist dabei: Auch die jetzige – scheinbar so selbstverständliche – Realität ist gemacht, geschaffen durch Entscheidungen der letzten wenigen Jahrzehnte, auf dem Hintergrund von (zu einem großen Teil) unhaltbarer Annahmen (z.B. über das Wachstum), im Interesse einer kleinen Gruppe von sehr privilegierten Menschen, Konzernen und Staaten.

In gewisser Weise hat die Autorin ein Art kleines Kompendium für die Nachhaltigkeits-Wende geschrieben, einen gedanklichen Überbau für all die Maßnahmen und Entwicklungen, die dringend eingleitet oder verstärkt werden müssten.
Anders ausgedrückt: Wer den Argumentationslinien und den Werte-Prioritäten dieses Textes zustimmen kann, hat zumindest schon mal die Grundsatzentscheidung für eine nachhaltige Welt getroffen. Von da aus kann man noch über Einzelschritte und das Tempo streiten, aber nicht mehr über die Richtung. Man sitzt im Boot!
Man kann sich selbst testen, ob und an welchen Stellen man noch inneren Widerstand spürt in Bezug auf die langfristig weitreichenden Schlussfolgerungen. Wo steigt man aus, weil man sich vielleicht doch vor drohendem Verzicht zurückschreckt? Oder sind es nur noch Gewohnheiten und Bequemlichkeit, die einen am beherzteren Handeln hindern?

Die größte Überschneidung hat das Buch von GÖPEL vermutlich mit dem Buch “Alles könnte anders sein“. Aber während WELZER gerne zuspitzt und provoziert, bleibt GÖPEL sachlich und moderat. Sie möchte niemanden verschrecken, sondern Mitstreiter gewinnen.

Das Buch bietet einen niederschwelligen Einstieg in die Nachhaltigkeits-Debatte, es richtet sich an interessierte Laien und nicht an das gut informierte Fachpublikum.
Für viele, die diese Rezension lesen, birgt es vermutlich wenig Neuigkeitswert.
Aber es eignet sich ganz ohne Zweifel als ideales Geschenk für Menschen, die dem Thema gegenüber offen sind und einen leichten und zugleich niveauvollen Zugang suchen.
Dieses Buch schafft keine Barrieren sondern hilft, diese beiseite zu räumen.
Mit Menschen, die dieses Buch gelesen haben, kann man mit Sicherheit sehr fruchtbare Diskussionen führen und mit ihnen zusammen “unsere Welt neu denken”.

“Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung”

800 Seiten über Resonanz – was soll das bringen?
Bei mir hat dieses Buch enorm viel Resonanz ausgelöst. Es hat sozusagen seine eigene Theorie im Kontakt mit mir entfaltet und untermauert. Seitdem macht es mir noch mehr Vergnügen, die Welt unter Resonanz-Perspektiven zu betrachten.
Ich war für dieses Buch ein besonders geeigneter geeigneter und motivierter Leser: Habe ich doch (zusammen mit meiner Co-Autorin) gerade in den letzten Monaten ein “Resonanzraum-Modell” für Liebesbeziehungen entwickelt. Und dann diese 800-Seiten Dröhnung; was für ein Geschenk!
Doch ich will ja nicht von mir erzählen, sondern davon, was dieses Buch auch Lesern ohne diese Vorgeschichte geben kann.

Ich hole ein wenig aus (bei dieser Seitenzahl ist das vielleicht erlaubt).
Warum – so könnte man fragen – sind nach einem Psychologen-Berufsleben die Nachbardisziplinen Philosophie und Soziologie so spannend?
Es ist die andere (erweiterte) Perspektive. Die Soziologie akzeptiert zwar die Wirkmechanismen der individuellen Psyche (ohne die sie auch nicht auskommt), betrachtet aber die gesellschaftlichen Bedingungen und Einflüsse auf die Lebensbedingungen bestimmter Gruppen von Menschen, die sich dann in typischer Weise in den einzelnen Individuen entfalten und zu bestimmten Einstellungen oder Handlungen (natürlich auch zu Störungen und Leid) führen.
(Die Philosophie guckt sich das Ganze aus einer noch höheren Perspektive an; das soll hier nicht weiter interessieren).

Soziologen bieten gerne theoretische Analyse-Schablonen an, mit deren Hilfe sie komplexe historische und gesellschaftliche Phänomene betrachten, ausleuchten und damit auch ein wenig erklären. Es ist erst wenige Monate her, dass ich eine solche Betrachtung der “Moderne” unter der Überschrift “Singularitäten” gelesen habe. Auch das war sehr anregend und erhellend.
Nun heißt diese Analyse-Brille also “Resonanz”. Natürlich können beide (und viele andere) solcher Perspektiven nebeneinander stehen. Theorien sind ja nicht “richtig” oder “falsch”; sie sind nur mehr oder weniger nützlich für Verständnis und politische Schlussfolgerungen.
Warum die Resonanztheorie auf dieser Liste ab sofort ziemlich weit oben steht, will ich kurz ausführen.

Resonante Beziehungen sind für ROSA sehr erstrebenswert. Sie beinhalten einen lebendigen Austausch, in dem beiden “Seiten” zu einem Geschehen so beitragen, dass man sich (und das Gegenüber) auf verschiedenen Kanälen spürt. Es kommt etwas zum “Klingen”, das mehr ist als die Summe der Einzeltöne, aber auch mehr als ein zurückgeworfenes Echo. Solche (befriedigende, sinnerfüllte) Beziehungen sind nicht nur zu anderen Menschen möglich (in Extremausprägung als wechselseitige Liebe), sondern auch zu Gegenständen (z.B. einem bearbeiteten Werkstück oder einem Kunstobjekt), zur Natur, zu Gott oder auch zu bestimmten Idealen und Konzepten. Auch wenn solche anonymen bzw. nicht-lebendigen Gegenüber nicht tatsächlich etwas “Objektives” in die Beziehung einbringen, fühlt es sich doch für den Menschen so an, als ob es eine spürbare Resonanz gäbe (so kann man z.B. ein anspruchsvolles Buch als ein Gegenüber ansehen, dass sich zwar als ein wenig sperrig erweist, dann aber doch in das eigene Denken Eingang findet – ohne darin völlig aufzugehen).
Etwas klarer wir das Konzept, wenn man im Kontrast “nicht-resonante” (entfremdete) Beziehungen anschaut: Diese sind eher “kalt”, “instrumentell”, auf Kontrolle, Beherrschen, Berechnung und Nutzen ausgerichtet.
Beispiel: Während ein Tischlermeister in seiner eigenen Werkstatt mit dem Werkstoff Holz in einer (multi-sinnlichen) resonanten Beziehung steht (diese Tätigkeit ihm also Sinn, Selbstwirksamkeit, usw. schenkt), wird ein Fließbandarbeiter in einer Möbelfabrik möglicherweise seine Arbeit weit weniger erfüllt erleben (vielleicht hat aber der Ingenieur und Erfinder der Maschine eine resonante Beziehung zu dem stählernen Ergebnis seiner Kreativität bzw. Berechnung).

In seinem Buch setzt ROSA also die Resonanz-Brille und guckt sich die Welt an auf der Suche nach förderlichen oder hinderlichen Bedingungen für Resonanz an – in Familie, Beruf, Kultur, Religion, aber auch zum eigenen Körper oder zur Natur.
Dabei betreibt der Autor keine Schwarz-Weiß-Malerei; es geht oft um Nuancen, es gibt Widersprüche, auch die eher technokratischen Weltbeziehungen werden gewürdigt (in Technik und Medizin) und nicht etwas in romantisch-verklärter Weise verteufelt.

Als zusätzlichen Service bietet ROSA so ganz nebenbei eine Reise durch die soziologischen Strömungen der letzten 250 Jahre – immer auf der Suche nach Übereinstimmungen mit (und Kontrasten zu) seiner Resonanz-Theorie.
Um es mal zurückhaltend auszudrücken: Dabei wird man nicht gerade dümmer!
Dass dabei die eigene Theorie nicht besonders schlecht abschneidet, sei dem wirklich hochintelligenten und extrem belesenen Autor zugestanden – schließlich hat er mit Sicherheit eine extrem resonante Beziehung zu seiner Resonanz-Theorie.

Das Buch spricht einen nicht nur theoretisch an; man findet sich auch in seinen alltäglichen Bezügen wieder. Seine Ausführungen über das unerfüllbare Versprechen, die ersehnte Resonanz im immer weiter gesteigerten Konsum zu finden ist genauso unmittelbar plausibel wie die These, dass es auch in Liebesbeziehungen nur so lange echte Resonanz geben kann, wie das Gegenüber eben nicht vollständig kontrolliert, berechenbar, und instrumentalisierbar geworden ist. Einen Partner sozusagen als Besitz zu “haben” ist das Gegenteil von Resonanz.
Einleuchtend ist auch, dass Lebensbedingungen, die mit Unterdrückung, Angst, Entbehrung oder Gewalt belastet sind, kaum resonante Weltbeziehungen zulassen (außer viellicht in kleinen, sehr privaten Inselräumen).

Für mich hat das Resonanz-Buch die von mir geschätzten “Singularitäten” (von RECKWITZ) überflügelt. Das liegt nicht zuletzt an der leichteren Lesbarkeit. Zwar hat auch ROSA ein Fachbuch geschrieben; die Zugangsschwelle für interessierte Laien ist aber erfreulich niedrig (es ist trotzdem keine Gute-Nacht-Lektüre).
Ich würde jeden Thriller oder jeden Weltklasse-Roman für das nächste Buch dieser Art liegen lassen. Denn Weltverstehen ist so ziemlich das Spannendste, was die Welt bieten kann.

“Too Much and Never Enough” von Mary L. TRUMP

Es gehört nicht zu meine üblichen Gewohnheiten, Bücher auf Englisch zu lesen (mein Studium, in dem das gefordert wurde, liegt schon eine Weile zurück). Die Motivation, es in diesem Fall zu tun, war aber ziemlich hoch.
Die Autorin ist nicht einfach nur die Nichte des “genialsten” Präsidenten aller Zeiten, sondern sie ist gleichzeitig auch klinische Psychologin, kennt sich also berufsmäßig mit psychischen Störungen und deren Verursachungen aus.
Es war also gleich doppelt zu erwarten, dass diese Veröffentlichung über die bisherigen “Enthüllungsbücher” aus dem Umfeld von Trump hinausgeht.
Diese Spannung wollte ich nicht bis zum Erscheinen der deutschen Übersetzung (am 12.08.20) aushalten.
Für die Leser dieser Rezension steht nun auch das deutsche Buch bereit.

Schauen wir zunächst aus der Perspektive der Nichte:
Es sind tatsächlich sehr persönliche und intime Einblicke in das Familien-System Trump, die durch dieses Buch ermöglicht werden. Die Autorin verwendet einen beträchtlichen Teil des Buches auf die Kindheit von Donald und seinen vier Geschwistern (drei davon älter). Zwei Personen stehen dabei besonders in ihrem Fokus: Der Patriarch und Gründer des Immobilien-Imperiums, also ihr Großvater Fred, und ihr gleichnamigen Vater (“Freddy”).
Die Beziehung zwischen diesen beiden (und ihr grandioses Scheitern) ist in gewisser Weise der Schlüssel für alles, was danach kommt – bis zum heutigen Schlamassel.
Wäre Freddy nicht an diesem (harten und egozentrischen) Vater gescheitert, wäre Fred von seinem erstgeborenen (weichen und sensiblen) Sohn nicht so enttäuscht worden – dann hätte Donald (der Rabauke und Kämpfer) nicht in die Position rutschen können, aus der heraus er nun eine Rolle bekleidet, für die er – so die Überzeugung der Autorin – weder charakterlich noch intellektuell auch nur im Mindesten geeignet ist.
Der zweite Grund für die Bedeutung dieser Vater/Sohn-Dynamik liegt darin, dass die Autorin dieses Buch nicht nur geschrieben hat, um der USA und der Welt eine zweite Amtszeit ihres Onkels zu ersparen. Ein – wohl mindestens gleichrangiges – Motiv stellt das Bedürfnis dar, ihrem Vater ein kleines Denkmal zu setzen, ihn – der nach seinem frühen Tod vom Tramp-Clan praktisch “ausgelöscht” wurde – zu rehabilitieren und sein Scheitern zu erklären.

Als Nichte ist und war die die Autorin auf vielen Ebenen eine Betroffene. Sie hat nicht nur die (in weiten Teilen vergiftete) Atmosphäre dieser Familie eingeatmet, sie hat auch einen ganz persönlichen Kampf gegen die krasse finanzielle Benachteiligung ihres Familienzweiges geführt – sozusagen stellvertretend für ihren Vater.
Wer so betroffen ist, kann nicht “objektiv” sein. Hilfst da die zweite Identität als Fachfrau?

Die Autorin bringt ihre psychologische Fachlichkeit auf zwei Ebenen ein: einerseits durch die ausführliche Darstellung (und auch Interpretation) der familiären Dynamik und ihrer Auswirkung auf die Entwicklung der Trump-Geschwister, andererseits durch die “diagnostischen” Aussagen zur Persönlichkeit ihres Onkels, die zwischendurch in den Text einfließen, an einer Stelle aber auch geradezu wissenschaftliches Niveau haben.
Man bekommt schnell den Eindruck, dass dieses Frau etwas von den Kräften eines Familiensystems versteht, ihre Schlussfolgerungen erscheinen nachvollziehbar. Dass sie sich auch mit klinischen Störungsbildern (insbesondere Persönlichkeitsstörungen) auskennt, steht außer Zweifel.
Letztlich wird erreicht, dass man (auch als psychologischer Laie) nachvollziehen kann, wie dieser Donald gestrickt ist und warum er so werden konnte.

Nüchtern und neutral betrachtet, hat diese Mischung zwischen Beteiligt-Sein und Fachkompetenz sowohl Vor- als auch Nachteile: Während ein “neutraler” Fachmensch niemals über dieses Insider-Wissen verfügen könnte, kann auf der anderen Seite eine so persönlich verstrickte Person niemals mit dem Anspruch einer objektiven Expertin auftreten.
Macht das dieses Buch dann doch wertlos? Soll man sich einem Text ausliefern, der ganz offensichtlich (und das erklärte) das Ziel hat, Donald Trump zu schaden – aus persönlichen und politischen Motiven heraus?

Die Antwort muss wohl jede/r selbst finden.
Es ist mit Sicherheit ein informatives Buch; mehr Einblick geht kaum.
Vorgelegt wird kein stringentes Sachbuch; die Autorin wechselt Zeiten und Perspektiven und spricht durch ihren Erzählstil auch solche Leser an, die es einfach unterhaltsam finden, hinter die Kulissen einer “Dynastie” zu schauen, in der Armseligkeit und Glamour so eng beieinander liegen.
All denjenigen, die sich seit über drei Jahren fragen, “wie man so sein kann”, bekommen gut aufbereitetes psychologisches Futter. Dass dies sicher auch subjektiv gefärbt ist, macht es nicht automatisch weniger interessant.
Dieses Buch kann nicht den Anspruch erheben, die “Wahrheit” über Trump zu beinhalten. Es ist aber ein sehr anregender und lohnender Beitrag zum Gesamtverständnis des Phänomens “Trump”.

Man stelle sich nur einmal ernsthaft vor, dieses Buch würde ein paar Hunderttausend amerikanische Leser von einer Wahlentscheidung für Trump abbringen und damit den Ausschlag geben: Müsste dann nicht diese Autorin mit dem berühmten Namen zugleich den Literatur- und den Friedensnobelpreis erhalten?!

“Novozän – Das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz” von James LOVELOCK

Warum lese ich ein (dünnes) Buch von einem Menschen, der im Alter von 99 Jahren (inzwischen ist er 101 Jahre alt) sehr gewagten Thesen zur Weiterentwicklung des menschlichen Lebens in Form von “Cyborgs” (also nicht-biologische Maschinen mit künstlicher Intelligenz, KI) aufstellt?
Diese Frage ist wirklich berechtigt.

Ich könnte es mir leicht machen: “Das Buch fiel mir in der Buchhandlung auf und die angelesenen Stellen klangen spannend; es war jemand dabei, der mir das Buch spontan schenkte.” Das wäre keine falsche, aber eine eher oberflächliche Antwort.

Gucken wir vom Inhalt aus: Mich interessieren Zukunftsszenarien schon eine ganze Weile. Deshalb lese ich z.B. die Bücher von HARARI , YOGESHWAR , PRECHT und vielen anderen. Dabei finde ich auch die Visionen anregend, die über die aktuell erreichte Evolutionsstufe des Menschen hinausgehen und diverse potentielle Weiterentwicklungen ins Auge fassen. In diese Richtung denken z.B. Vertreter des Trans- oder Posthumanismus, die die Ergänzungen des Menschen durch (integrierte) technische Apparaturen oder eine systematische genetische Optimierung für möglich und für erstrebenswert halten.

Und der Autor? Tatsächlich fand ich die Mischung von “Steinalt-Sein” mit “Cyborg-Visionen” interessant. Als mir dann noch klar wurde, dass der britische Multi-Wissenschaftler LOVELOCK ein Mitbegründer der “Gaia-Theorie” ist, in der unser gesamter Planet als ein sich selbst steuernder lebendiger Organismus betrachtet wird, konnte ich meine Neugier nur noch schlecht zügeln.

Das Buch ist nicht leicht zu verdauen. Es hat verschiedene Stränge, die sich z.T. an der Menschheitsgeschichte (vor allem der letzten 300 Jahre, also dem Zeitalter des “Anthropozäns”) abarbeiten, aber auch am Lebenswerk des Autors orientiert sind. Letzteres ist nicht nur durch sein oft zitiertes “Gaia-Modell” geprägt, sondern durch einige Erfindungen, die in der Raumfahrt zur Anwendung kamen; so steht z.B. ein von ihm entwickeltes Messinstrument auf dem Mars.

Kommen wir mal zur Kernthese – denn alles andere sind letztlich Nebenschauplätze.
LOVELOCK ist überzeugt davon, dass wir Menschen durch die technische Entwicklung der letzten Jahrhunderte – insbesondere aber durch die explodierende Computer-Technologie – die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, zum Geburtshelfer einer neuen, nicht-biologischen Lebensform mit unvorstellbaren Intelligenzpotentialen zu werden.
Seine Prognose ist, dass die Menschheit eine gewisse Zeit parallel zu diesen “KI-Wesen” existieren wird, weil man das gemeinsame Interesse an einer Verhinderung der lebensvernichtenden Aufheizung unseres Planeten hat. Mittelfristig werden die Cyborgs uns aber nur noch brauchen, um uns in ihren Museen auszustellen (falls es dieses kulturelle Interesse bei Ihnen geben sollte). Ihr eigentliches Ziel ist aber einerseits der Selbsterhalt (in sofern sind sie gelehrige Schüler der Evolutions-Logik), auf der anderen Seite gibt es so etwas wie die “Tendenz zur puren Information” (meine Formulierung, nicht mit dem Autor abgestimmt). Damit ist gemeint, dass die im ganzen Universum – und natürlich auch im organischen Leben – steckende Information zu entschlüsselt und bewahrt werden soll.

Uff! Manche haben sicher schon mehrfach die Augen verdreht oder das Lesen ganz eingestellt. Manch einer wird vielleicht denken: “Irre, dass der Typ in diesem Alter nach so starkes Kraut raucht!” (Ich kenne mich damit übrigens gar nicht aus).
Und tatsächlich: LOVELOOK macht es einem an einigen Stellen wirklich leicht, ihn als Phantasten abzustempeln und zum schnöden Alltag zurückzukehren.
Ich versuche es trotzdem noch ein wenig weiter…

In gewisser Weise ist der Autor ein früher und prominenter Klima-Warner. Er sieht die Bedrohung durch die Aufheizung unseres Planeten als noch bedrohlicher als es die aktuellen Aktivisten formulieren. Für ihn spielen dabei insbesondere die Prozesse in den Weltmeeren eine entscheidende Rolle (was er natürlich alles erklärt). Die Gefahr ist für ihn so groß, dass er dagegen die Risiken der Atomenergie für vernachlässigbar beurteilt.

Auch zu manchen anderen Dingen hat der sehr alte Mann dezidierte Meinungen, die er engagiert und gut begründet kundtut: So hält er die angedachte Besiedelung des Mars für eine ziemlich dösige Idee, die nur von einem weiteren dringend notwendigen Verständnis unseres eigenen Planeten ablenkt. Er hält den Kampf der Grün-Bewegten gegen Plastik für ziemlich hirnrissig. Der Autor sieht gute Chancen, dass die technischen Möglichkeiten der Menschheit schon sehr bald ermöglichen, gefährliche “Angriffe” von Meteoriten abzuwenden.
Realistischer Weise sieht LOVELOCK in der Entwicklung von super-intelligenten Waffensystemen eine große Gefahr. Er geht aber davon aus, dass es doch der “Überlebenswille” auch unserer Nachfolger groß genug sein wird, die Selbstauslöschung zu verhindern.

Kann man nun den Grundannahmen des Autors etwas entgegensetzen – ohne jetzt selbst ein Ausnahmedenker bzw. -wissenschaftler sein zu müssen?
Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre das eine mindestens fünfstündige Diskussion zwischen LOVELOCK und PRECHT (oder wenigstens einen schriftlichen Austausch mit gegenseitigen Bezügen). Unser deutscher Star-Philosoph hat ja gerade erst dargestellt, warum er die Möglichkeiten und Grenzen der KI ganz anders beurteilt als das hier besprochene Buch. Er spricht den maschinellen Denk-Wesen die Fähigkeit zu so weitreichenden Einflussnahmen ab, weil er die dazu notwendige “echte” Intelligenz nur im Zusammenspiel von biologisch-emotionalen Prozessen mit den kognitiv-informationsverarbeitenden Fähigkeiten für möglich hält.
Und PRECHT kämpft – anders als LOVELOCK – dafür die Weiterentwicklung der Technik zu zähmen und zu begrenzen, gerade um das typisch Menschliche unserer Spezies zu erhalten.

Leider werden wohl die meisten Beteiligten (darunter auch der Rezensent) nicht mehr selbst verfolgen können, wie die Sache ausgehen wird. Vielleicht erfreuen sich einige romantisch veranlagte Cyborgs in 100 Jahren an den Ausführungen von LOVELOCK; vielleicht wird PRECHT irgendwann als der entscheidende Weichensteller für den Erhalt der Humanität gefeiert.
Wer weiß das schon…

Bis dahin bleibt die Möglichkeit, anregende Bücher zu lesen.
Auch dieses Buch kann sich lohnen, wenn man ein spezifisches Interesse hat.
Ansonsten finde ich z.B. die Bücher von HARARI wesentlich realitätsnaher und damit gesellschaftlich relevanter.

“Was wirklich wirkt” von Melanie GRAMS

Das zweite Aufklärungsbuch von GRAMS beinhaltet eine breitere Perspektive und einen erweiterten Anspruch: Ging es bei “Homöopathie neu gedacht” um ihren Weg von der überzeugten Globuli-Ärztin zur engagierten Kritikerin dieser “Glaubenslehre”, wird jetzt die gesamte “Alternativmedizin” (Naturheilkunde, sanfte Medizin, ….) in den Fokus genommen.
Auch diesmal ist GRAMS das gut gelungen.

Trotzdem beginne ich mit einer Warnung:
Wer erwartet, dass das Buch hauptsächlich aus einer differenzierten Darstellung und Analyse vieler einzelner Methoden besteht, wird zunächst enttäuscht sein. Zwar werden die wichtigsten Verfahren (Homöopathie, Schüßler-Salze, Bachblüten, Akkupunktur, Osteopathie, Pflanzenheilkunde, Vitamin-Therapien, YOGA, Meditation, Anthroposophie) jeweils spezifisch besprochen, dies passiert aber sehr komprimiert (aber trotzdem sehr informativ) erst im Anhang des Buches.
Das eigentlich Ziel des Buches besteht darin, die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Schul- und Alternativmedizin zu erklären und zu bewerten.

Das Buch bietet ein umfangreiches Spektrum an Erfahrungen, Informationen, Analysen und Vorschlägen rund um das Gesamtthema “Medizin”. Nicht in dem Sinne eines Ratgebers (“wie lebe ich gesund?”), sondern mit der Fragestellung: Wie sollte eine optimale medizinische Versorgung aussehen?
Der große Erfolg der “Naturmedizin” ist für GRAMS nicht einfach ein Ausdruck einer gutgläubigen und naiven Irrationalität, sondern (auch) eine nachvollziehbare Folge von bestimmten Fehlentwicklungen im modernen Medizinsystem.

Die Autorin gliedert ihre Ausführungen mithilfe von Kapitelüberschriften, die gängige Rechtfertigungsthesen der alternativen Medizin-Szene aufgreifen: z.B. “Wer heilt hat recht”, “Aber mir hat es doch geholfen” oder “Die Pharma-Industrie will uns vergiften”.
Schritt für Schritt legt sie die Denk-Muster und Fehlschlüsse offen, die – oft unbewusst – hinter diesen Behauptungen stehen.
Ergänzt wird diese eher an Logik orientierte Aufklärungsarbeit durch bedeutsame inhaltliche Sachinformationen zu Regelungen und Strukturen über – eigentlich skandalöse – Sonderregelungen für die (extrem laxe) Zulassung alternativer Heilmittel und die (letztlich völlig ungeprüfte) Qualifikation von Heilpraktikern.

Es gibt einen weiteren Mehrwert: GRAMS untermauert ihre Thesen auch durch medizinische Fachinformationen, die für das hier angesprochene Laienpublikum sicher eine Wissensvertiefung beinhalten. Das gilt insbesondere für die Themen “Wirkungs-Forschung”, “Placebo-Effekt”, “Immunssystem” und “Impfen”.

GRAMS appelliert ohne Unterlass an die Bereitschaft des Lesers, Fakten und Logik zur Grundlage von Bewertungen und Entscheidungen zu machen. Sie tut das auf gut lesbarem Niveau, geduldig und (weitgehend) ohne provokante Äußerungen, die Widerstand hervorrufen könnten.
Letztlich erklärt sie einen Ausschnitt der Welt und setzt dabei ein Publikum voraus, das neugierig und offen auf der Suche nach Orientierung ist.
Dieses Publikum erreicht sie ohne Zweifel.

Ein großer Teil der Anhängerschaft alternativer Medizin hat sich aber längst auf der anderen Seite eingegraben. Diesen “Gläubigen” geht es nicht um Informationen über Wirkmechanismen oder empirische Befunde über Behandlungserfolge. Ganz im Gegenteil: Oft reichen ja inzwischen Begriffe wie “wissenschaftlich” oder “Studien”, um auf “Durchzug” zu schalten. Da ist der Weg zu Verschwörungstheorien nicht weit – und genau dies wird auch im Kapitel über das Impfen eindrücklich deutlich. Es wäre also eine Illusion zu hoffen, dass auch ein gut geschriebenes Buch wie dieses in dieser Szene etwas bewirken könnte.

Was GRAMS allerdings leisten kann, ist die Bewusstmachung der Mechanismen, die den Trend zur Abkehr von der “bösen” Medizin befeuert. Auch hier tut ihre unaufgeregte Darstellung gut. Wer ihr wirklich zuhören möchte, könnte problemlos erkennen, dass sie letztlich für die gleichen Ziele eintritt wie die meisten Kunden der Alternativ-Medizin. Nur, dass sie die Lösung innerhalb der wissenschaftlichen Medizin-Welt sucht und nicht in Nebenwelten, die sich von obskurer Scharlatanerie oft nicht trennen lassen (und wollen).

Zurück zum Anfang: Man bedauert am Ende des Buches nicht, dass die einzelnen Verfahren nicht viel mehr Raum bekommen haben. Mit den allgemeinen Ausführungen im (neuronalen) Gepäck, reichen die Kurzdarstellungen völlig aus, um das jeweils Charakteristische der Verfahren zu vermitteln. Manche Dinge sind so abstrus, dass man tatsächlich schnell damit fertig ist (wenn man die vorher dargestellten Prämissen und Kriterien akzeptiert).

Als Vertreter einer Nachbardisziplin sei mir die Nachbemerkung erlaubt, dass es schon eine “Leistung” ist, unaufhörlich über die Bedeutung von Zeit, Gespräch und soziale bzw. emotionale Rahmenbedingungen zu schreiben, den Begriff “Psychotherapie” (oder meinetwegen auch “Lebensberatung”) nicht einmal zu erwähnen.
Hier zeigt sich, dass auch die Perspektive einer so klugen und kritischen Fachfrau begrenzt ist: Sie beschreibt letztlich die Wirkungsmechanismen der Psychotherapie in der Medizin, ohne dies zu merken oder zu benennen.
Eine kleine Schwäche, die den guten Gesamteindruck aber nicht schmälert.

Wer wirklich wissen will, was wirklich wirkt, ist mit diesem Buch wirklich sehr gut bedient!

“Gott, wo steckst du?” von M. Spitzer, H. Lesch und Gunkl

Was erwartet man, wenn ein Gespräch über Gott zwischen zwei bekannten und in der Öffentlichkeit präsenten Wissenschaftlern und einem “intellektuellen” Kabarettisten in Buchform (Büchleinform) veröffentlicht wird?
Zumindest eine anregende Lektüre, vielleicht ein paar Gedankenanstöße und die Möglichkeit, eigene Positionen zu schärfen. Was man wohl nicht erwartet ist eine komplette Enttäuschung, die stellenweise auch in Ärger umschlägt.
Genau das hat mir die Lektüre dieses Buches vermittelt.

Kurz zu den Ausgangsbedingungen: Vor dem Astrophysiker Harald LESCH – der sich als protestantischer Christ einbringt – habe ich großen Respekt; der Psychiater und Gehirnforscher Manfred SPITZER (katholisch geprägt) löst bei mir in der Regel widersprüchliche Reaktionen aus; der mir unbekannte GUNKL vertritt die Position des “Fundamental-Agnostikers” (also: “man kann es halt nicht wissen”).
Seltsamer Weise wird zwar viel – leider meist klischeehaft – über Atheisten gesprochen; die Position auch zu besetzen, hat man offensichtlich nicht für notwendig gehalten. Sonderbar.

Was zwischen diesen drei Männern dann passiert, kann nur unter Anwendung allergrößter Toleranz als “Gespräch” bezeichnet werden. Genau genommen ist es eine weitgehend unstrukturierte Plauderei, die rein assoziativ dahinplätschert.
Kann ich dieses harsche Urteil irgendwie belegen? Ich denke schon!

Die meisten Menschen wissen – oder haben bei eigenen Gesprächen selbst erfahren – dass man über das Thema “Gott” aus ganz unterschiedlichen Perspektiven nachdenken bzw. reden kann.
– Man kann z.B. den eigenen Weg zum oder vom Glauben betrachten, religiöse Offenbarungen und Religionssysteme vergleichen oder die Rolle der Religionen in der Gesellschaft betrachten.
– Lange kann man über die Funktionen reden, die ein Glaube für gläubige Menschen haben können: Trost, Halt, Hoffnung, moralische Orientierung, Zugehörigkeit, Sinn, Geborgenheit, Gemeinschaftsgefühl, usw.
– Von da aus ist es nicht weit zu der Frage, welchen evolutionären Vorteil die weit verbreitete Tendenz zur Religiosität gehabt haben könnte.
– Untersuchen kann man auch die Auswirkungen von Religiosität auf tatsächliches Sozial- oder Moralverhalten bzw. welche Gehirn-Aktivitäten mit religiösen Praktiken einhergehen.
– Man kann sich natürlich auch abstrakt und intellektuell damit befassen, ob und an welcher Stelle ein Gott zur Welterklärung (noch) gebraucht wird: Eigentlich – so besteht weitgehende Einigung – höchstens als “Erstbeweger” vor dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren (der dann aber nichts mehr mit den Gottesbildern in den Weltreligionen zu tun hätte).

Tatsächlich werden alle diese Aspekte in der “launigen” Runde irgendwann mal angesprochen. Das ist ohne Zweifel gut! Allerdings: Es gibt keine Systematik, keinen roten Faden, keine Gliederung – stattdessen thematische Achterbahnfahrten.
Permanent stellt sich die Frage: Wo bleibt die Moderation? Wer achtet darauf, dass die Antwort auch zur Frage passt? Wer verhindert endlich, dass spontane Einwürfe an die Stelle logischer Argumentationslinien treten?
Stellenweise verläuft das Gespräch so niveaulos, dass ich erste Anzeichen von Fremdschämen bei mir erkennen konnte: Wie kann man so weit sinken?

Ein Beispiel: Es gelingt den (z.T.) hochkarätigen Experten bis zum Schluss nicht, die Diskussion über die Verbreitung und Nützlichkeit von Glauben wirklich mal klar von der Frage zu trennen, was das über die reale Existenz eines Gottes aussagt (nämlich nichts!).
Dass es irgendwie gut tut, an etwas “Höheres” zu glauben, es weit verbreitet ist und auch zu schönen Gebäuden und Kunstwerken geführt hat, ist auch nach der zehnten Wiederholung kein Gottesbeweis.
Ebenfalls wird durch mehrfache Behauptung nicht logischer, dass ein Atheist genauso ein “Glaubender” wäre wie ein religiöser Mensch, weil er ja schließlich die Nichtexistenz Gottes auch nicht beweisen könnte. Seit wann, bitte, muss derjenige der eine (nicht belegbare) Behauptung anzweifelt, ihre Ungültigkeit beweisen? Muss ich jedem Alien-Fan beweisen, dass noch keine grünen Männchen auf der Erde waren? Sonst steht einfach Glaube gegen Glaube? Abstrus!

Der als aufklärerische Zweifler ins Rennen geschickte Kabarettist deckt zwar hin und wieder mal einen logischen Schnitzer auf, bleibt aber in der Auseinandersetzung letztlich schwach und farblos. So überlässt er den beiden Selbstdarstellern das Feld.

Insgesamt kann ich nicht verstehen, dass die beiden Wissenschaftler stellenweise weit unter ihrem lang erarbeiteten Niveau bleiben. Auf der einen Seite machen sie zwar einige fachwissenschaftlichen Exkurse, auf der anderen Seite geht es zu wie am Stammtisch nach dem fünften Bier.
Dass ein Verlag so eine Spontan-Plauderei offenbar unredigiert auf den Markt bringt, ist eine mittlere Unverschämtheit.