“A Thousand Brains” von Jeff HAWKINS

Bewertung: 4 von 5.

Es war wohl nicht ganz einfach, die Inhalte dieses Buches in einen aussagekräftigen Titel zu packen. So hat man sich mit der Übernahme des Originals beholfen – aber muss schon etwas genauer hinschauen, um tatsächlich eine Idee von dieser Publikation zu bekommen, die irgendwo zwischen einem anspruchsvollen Sachbuch und einem Fachbuch anzusiedeln ist.

HAWKINS präsentiert im ersten Teil des Buches eine umfangreich ausgearbeitete Theorie über den Aufbau und die Arbeitsweise unseres Großhirns (Cortex), das bekanntermaßen für die höheren kognitiven Funktionen zuständig ist (also für alles, was mit Denken, Planen, Sprache und Selbstreflexion zu tun hat).
Die Bedeutung der älteren Teile des Gehirns, die für unsere Vitalfunktionen, unsere Instinkte und Emotionen entscheidend sind, stellt der Autor natürlich nicht in Abrede. Aber er interessiert sich eben besonders für die oberen Gehirnwindungen, die beim Menschen so viel großzügiger bemessen sind als bei anderen Säugetieren.
Wie wir später im Buch erfahren, hat das auch damit zu tun, dass HAWKINS auch als Unternehmer im Bereich der KI (Künstlichen Intelligenz) tätig ist. Seine Forschungsarbeiten dienen also sowohl einem Erkenntnis- als auch ein Gewinnstreben.

Grob gesagt ist HAWKINS davon überzeugt, dass er mit seinem Team auf der Spur einer recht revolutionären neuen Sichtweise der Organisation unserer Großhirnrinde ist. Diese bestehe nämlich aus einer Vielzahl von relativ autonom arbeitenden Bereichen, die in dünnen Säulen angeordnet seien (etwa wie Spaghetti). in diesen – insgesamt ca. 150.000 – Säulen finde unsere Erkenntnisarbeit statt. Diese wiederum beruhe darauf, dass aufgrund von permanenten Vorhersagen (“was werde ich als nächstes spüren, hören, fühlen sehen”) und deren Korrektur durch die erhaltenen Rückmeldungen innere Modelle unserer Außenwelt gebildet und verfeinert würden, die jeweils in einem (räumlichen oder inhaltlichen) Bezugsrahmen eingeordnet seien. Da jedes Objekt in der Außenwelt von hunderten (oder tausenden) neuronalen Säulen in leicht unterschiedlicher Form modelliert werde, bilde sich in der Zusammensicht ein komplexes und realistisches Gesamtmodell (die Säulen sind natürlich reichlich “verdrahtet” und stimmen sozusagen per Mehrheitswahl ab).
In diesem Sinne spricht HAWKINS also von den “Tausend Gehirnen” in unserem Kopf.
Natürlich führt der Hirnforscher Beobachtungen und Befunde an, die diese etwas ungewöhnliche Sichtweise stützen. Selbstbewusst, wie er ist, sieht er sich schon auf der Gewinnerstraße.

Im Rest des Buches wandelt sich HAWKINS von strengen theoriegeleiteten Hirnforscher zum alltagsbezogenen Anwender.
Er macht deutlich, dass er der Entwicklung der KI hin zu wirklich intelligenten (und flexiblen) Problemlösungsmaschinen nur dann eine Chance gibt, wenn diese den Funktionsprinzipien unseres Gehirns nachempfunden bzw. nachkonstruiert würden. Das entscheidende Ziel sei es, dass auch KIs komplexe Modelle ihrer Umwelt entwickeln lernen – also irgendwann “wüssten”, was z.B. eine Katze sei (statt sie nur auf Bildern immer perfekter identifizieren zu können). HAWKINS ist überzeugt davon, dass solche Maschinen gebaut werden können und er zweifelt nicht daran, dass sich dann auch irgendwann “Bewusstsein” einstellen wird.
Die Bedenken und Befürchtungen hinsichtlich der drohenden Weltherschafft durch eine übermächtige KI hält er für unrealistisch und übertrieben. Es fehle solchen Apparaten der eigene (emotionale und motivationale) Antrieb für so etwas.

HAWKINS ist ein selbstbewusster Mensch, der auf sein Lebenswerk offensichtlich stolz ist und dem es auch Spaß macht, in potentiell kontroversen Themen ganz klar Stellung zu beziehen. Das liest sich durchaus unterhaltsam – wenn man damit umgehen kann, dass man es eben in solchen Momenten nicht mit einem vorsichtig abwägenden Wissenschaftler zu tun hat.

Das Buch schließt mit recht weitgehenden Betrachtungen über die Zukunft des Menschen: Vom denkbaren Hochladen des eigenen Gehirns, über die körperliche Verschmelzung mit KI-Bausteinen bis zur Überlegung, ob es denn wohl
Chancen gäbe, dem Universum irgendeine Form der Erinnerung an unsere Spezies zu hinterlassen. Das alles ist nicht tagesrelevant, aber durchaus anregend.

Gehirn-interessierten Lesern wird in diesem Buch eine Menge geboten. Möglicherweise ist nicht jede/r in diesem Ausmaß interessiert an dem “Säulen-Modell”; hier spürt man schon recht deutlich, dass HAWKINS fasziniert von und fast verliebt in seine/n Ideen ist. Für den Normalverbraucher ist dieser Teil doch etwas zu ausführlich geraten.

Zukünftig wird es spannend werden, welche Sichtweise sich bzgl. der Entwicklung unseres Bewusstseins durchsetzen wird: Eher die Forscher, die den Ursprung in den basalen Emotionen vermuten, oder diejenigen, die (wie HAWKINS) der Informationsverarbeitung den entscheidenden Impuls zuschreiben.

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