Habeck und Baerbock bei LANZ

Ich war wohl tatsächlich zu optimistisch.
Bin ich doch davon ausgegangen, dass politische Talk-Sendungen aufklärerisch und meinungsbildend wirken können.

Gestern bei LANZ war so eine Situation:
Ich dachte: “Das muss doch wohl jetzt jede/r merken, wie absolut niveaulos und inhaltsleer die provozierenden Fragen und Einwürfe waren, die vom Moderator selbst und von seinem unsäglichen  Hilfssheriff Weimer (Cicero) ausgingen. Und gleichzeitig müsste jede/r staunen, wie relativ gelassen und souverän die beiden mit diesem unangenehmen Verlauf umgegangen sind.

Um mich in meinem Eindruck zu bestätigen – und in Vorfreude darauf, dass es in den sozialen  Medien einen Aufschrei der Empörung geben müsste – habe ich die Facebook-Seite der Sendung aufgemacht und begann das Staunen:
Die Reaktionen waren total aufgespalten – zwischen Begeisterung und völliger Verachtung für das Auftreten und Argumentieren der beiden Grünen-Spitzen.
Unglaublich! Es ging um den gleichen Ausschnitt der Realität – doch letztlich dient dieser Ausschnitt den meisten Menschen nur dazu, ihre sowieso verfestigten Überzeugungen zum Besten zu geben.

Ich habe dann selbst ein paar Zeilen gepostet und ein paar Posts gelikt (diese Schreibweise wird wirklich empfohlen – statt “geliked”). Am nächsten Tag habe ich dann bei Twitter ähnliches erlebt; auch in einigen Zeitungskommentaren.
Dabei erscheint es doch so völlig klar, wer “Recht” hat; es ist doch offensichtlich; man hat es doch selbst miterlebt ….

Was ich damit sagen will: Man denkt, dass der Riss zwischen Trump-Wählern und dem liberalen Amerika ein Ausdruck typisch amerikanischer Zuspitzung wäre – und das Ergebnis unzureichender politischer Bildung und eines verdummenden Privatfernsehens in der Hand von rechtslastigen Milliardären.
Dann schaut man in die deutsche Wirklichkeit und spürt, wie unvereinbar nicht nur die Positionen, sondern auch die Wahrnehmung von grün-orientierten Menschen und Grünen-Hassern sind.

Für mich war das ein kleiner Schock. Der Kampf um die Nachhaltigkeits-Wende ist noch lange nicht gewonnen. Man sollte den Widerstand gegen die notwendigen Veränderungen nicht unterschätzen.
Ich bin gespannt, wie die jungen Leute von Fridays for Future damit auf Dauer umgehen werden. Hoffentlich geht ihnen der Optimismus und die Geduld nicht verloren.
Einige Leute warten nur darauf, dass sich die Bewegung radikalisiert, um sie dann endlich ganz abwerten zu können.

Ach so – ihr fragt euch, ob ich denn nicht merke, dass meine Meinung auch nur “rein subjektiv” ist und ich deshalb ein Teil des von mir hier reflektierten Geschehens bin. Auch ich will doch nur meine Überzeugung bestätigt sehen und werte anderes ab…..
Nun – das kann man natürlich so sehen.

Allerdings denke ich, dass die unterschiedlichen Interessen, um die es geht,  in eben nicht “gleichwertige” Ziele sind, die in einem normalen pluralistischen Wettbewerb stehen. Es ist nicht beliebig, ob man sich für den Erhalt einer privilegierten Lebensweise einsetzt, die wissentlich die Lebensgrundlage späterer Generationen aufs Spiel setzt, oder für ein rasches Umsteuern, dass nicht nur wissenschaftlich begründet sowie ökologisch und moralisch geboten ist, sondern auch wirtschaftlich betrachtet eindeutig das (langfristig) beste Ergebnis verspricht.
Genau in dieser Haltung entdecken die Grünen-Gegner die viel gescholtene “Moralkeule” der Klimaretter. Sorry! Wenn es nicht moralisch ist, statt für billiges Fleisch und billiges Fliegen für den Erhalt der Lebensgrundlagen zu kämpfen, weiß ich nicht, was Moral dann noch bedeuten soll!
Es ist doch nicht das Problem der Klimabewegung, dass sich ihre Gegner in eine moralisch nicht haltbare Ecke argumentieren!
Warum sollen sich eigentlich ausgerechnet die schämen, die Verstand, Gefühl und Weitsicht auf ihrer Seite haben?!

 

“Szenen aus dem Herzen – Unser Leben für das Klima” von Malena ERNMAN

Ich stand diesem Buch, das die weltweit bekannte Klima-Aktivistin Greta auf dem Umschlag zeigt, zunächst recht skeptisch gegenüber. Sollte da schnelles Geld gemacht werden mit der Berühmtheit von Greta als Erfinderin der Schüler-Streiks – obwohl das Buch ja von ihrer Mutter verfasst wurde und einen Zeitraum schildert, der vor dem Streik liegt? Sollte es sich gar um eine Mogelpackung handeln – schnell zusammengeschustert, um den Hype auszunutzen? Zumal das Buch bei etwas weniger großzügigem Layout durchaus noch mindestens 30 Seiten dünner sein könnte als es die 250 Seiten vorgeben?

Nach dem Lesen komme ich zu einem anderen Urteil. Dieses Buch verdient es durchaus, gelesen zu werden! Man sollte nur wissen, was einen erwartet.

Berichtet wird – wie schon gesagt – aus der Perspektive von Gretas Mutter, einer international bekannten schwedischen Opernsängerin. Sie nennt die anderen drei Familienmitglieder zwar als Mitautorin – wohl aber eher pro forma.
Geboten wird kein zusammenhängender Text, keine chronologische Erzählung, kein Sachbuch. In insgesamt 92 recht kurzen “Szenen” wird episodenhaft aus dem Leben der vierköpfigen Familie (plus Hund) berichtet.
Dabei werden folgende Themen berührt:
– Recht ausführlich wird die recht spektakuläre Krankheitsgeschichte der beiden Mädchen, Greta und Beata, und die damit verbundenen extremen Belastungen der Familie in einem offenbar phasenweise überforderten Gesundheits- und Schulsystem dokumentiert. Bei Greta geht es dabei hauptsächlich um Autismus, bei Beata u.a. um ADHS; in beiden Fällen in sehr spezifischer Ausprägung.
– Es wird dargestellt, wie es Thema “Klima-Wandel” eine zunehmende und letztlich die zentrale Bedeutung für die gesamte Familie gewinnt und letztlich in die Entscheidung Gretas mündet, einen Klima-Schulstreik zu beginnen.
– Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe inhaltliche Statements, die die drohende Klima-Katastrophe selbst darstellen und mit immer wieder neuen Argumenten auf die Notwendigkeit eines sofortigen und radikalen Umsteuerns in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und im Alltagsleben eines jeden Einzelnen hinweisen.

Es handelt sich um einen durch und durch subjektiven Erlebnis- und Überzeugungsbericht! Hier wird nicht nüchtern abgewogen oder diplomatisch formuliert. Hier schreibt sich eine Mutter, Künstlerin und Bürgerin eines reichen und selbstbewussten Landes (Schweden) ihr Leid, ihre Wut, ihre Überforderung und ihre letzte Hoffnung aus dem Herzen. Leidenschaftlich und ungefiltert. Im Laufe des Buches outet sich die Autorin selbst als erwachsene ADHS-lerin.
Sie ist besorgt, enttäuscht, manchmal auch verzweifelt. Über das Chaos in ihrer Familie, über die Defizite im medizinischen Hilfesystem und über Politiker, Wirtschaftsführer und Journalisten, die die Wahrheit über die Klima-Risiken verschweigen oder beschönigen.

Während des Lesens fragt man sich, was das eine mit dem anderen zu tun haben könnte, also die Krankheiten in der Familie mit der Entwicklung zu einer Familie mit extrem ausgeprägtem Klimakatastrophen-Bewusstsein.
Man kann darüber nur spekulieren. Es könnte sein, dass die “störungsspezifische” Wahrnehmung der Welt und die mit den Krankheiten verbundenen Extremerfahrungen die Familie aus den üblichen Mainstream-Bahnen von Verleugnung und Relativierung geworfen hat. Konfrontiert mit den existentiellen Nöten, die die Familie permanent ans Limit führt, ergeben sich möglicherweise andere Prioritäten.
Muss man vielleicht sogar selbst ein wenig “schräg” sein wie Greta, um die Widersprüche und Verrücktheiten im Umgang mit der Bedrohung unseres Planeten in aller Konsequenz zu erfassen und in Handlung umzusetzen?

Warum nun dieses – eher strubbelige – Buch lesen?
Nun, man bekommt eine Idee, warum eine Greta zu dieser Greta geworden ist. Und man bekommt einen anderen, unmittelbareren Zugang zum Klima-Thema als es durch ein Sachbuch erreicht werden kann. Dieser Zugang ist emotionaler, subjektiver – vermittelt aber auch noch einmal grundlegende Informationen zum Stand der Dinge.
Und natürlich wird man konfrontiert mit der eigenen – viel gemäßigteren – Haltung und den damit verbundenen Inkonsequenzen.

Wer ein Greta-Fanbuch oder eine strukturierte Biografie erwartet, wird enttäuscht werden. In Schweden hat die Autorin Promi-Status; dieses potentielle Motiv für einen Kauf scheidet hier bei uns aus. Einige Ausführungen beziehen sich logischerweise auf spezifisch Schwedische Verhältnisse.

Ich finde das Buch insgesamt anregend und nützlich.
Der Erlös wird natürlich gespendet – wie könnte es bei dieser Familie auch anders sein…

“Abendland” von Michael Köhlmeier

Der – nicht nur vom Umfang – beeindruckende Roman hat schon ca. zehn Jahre auf dem Buckel. Ich bin zufällig in meinem Hörbuch-Account auf die begeisterten Kritiker-Stimmen gestoßen.

Der Autor ist ohne Zweifel ein begnadeter Erzähler. In den Lebensgeschichten der ca. fünf Haupt-Protagonisten und den – in literarischen Seitenarmen – ausgeführten Episoden aus dem Leben einiger weiterer Figuren steckt der Stoff für eine ganze Reihe von eigenständigen Romanen. In gewisser Weise fühlt man sich beim Lesen fast überschüttet von Themen, Perspektiven und Erfahrungen, die in das zeitgeschichtliche Gefüge des letzten Jahrhunderts eingebettet werden.

Erzählt wird aus der Perspektive eines Schriftstellers, der den Auftrag erhält, über das facettenreiche Leben eines recht bekannten, kosmopolitischen und sehr wohlhabenden Mathematikers ein Buch zu schreiben. Da dieser vielschichtige Mann über Jahrzehnte hinweg so etwas wie der “Gönner” seiner eigenen Familie war, handelt dieses Buch auch – und überwiegend – von den Verflechtungen zwischen dem Auftraggeber und der eigenen (Familien-)Biografie des Literaten.
Die Rahmenhandlung wird durch einen letzten Besuch des Ich-Erzählers bei seinem gefühlten “Zweit-Vater” kurz vor dessen Tod definiert. In einer Reihe von langen Sitzungen entsteht durch die Berichte des Alten nach und nach ein Bild der Lebensläufe und Ereignisse – wobei sich einzelne Zeitsegmente wie Puzzlesteine langsam zu einem Gesamtbild zusammensetzen.

Einige Themen dominieren diesen Roman und machen ihn damit für die entsprechenden Interessenten besonders lohnend: Der erzählende Schriftsteller stammt aus einer Wiener Musiker-Familie; dabei geht es – nach einem Start in der Volksmusik – insbesondere um Jazz. Im Zentrum steht die kurvenreiche und letztlich tragische Karriere seines Vaters, eines begnadeten  – aber auch alkoholabhängigen – Gitarristen, der zwischenzeitlich mit den amerikanischen Jazz-Giganten zusammenspielt.
Das Leben des Auftraggebers selbst spielte sich u.a. zwischen Wien, Lissabon, Deutschland und New York ab. Da er – trotz eines frühen Reichtums und einer bemerkenswerten Wissenschafts-Karriere – nie das ganz große Genie wurde, war sein Leben immer wieder darauf bezogen, die Fäden zu ziehen und Einfluss zu nehmen auf andere, vermeintlich “echtere” Genies. Er wirkte im Hintergrund durch sein Geld uns seinen Einfluss und hatte ansonsten durchaus komplizierte Beziehungen zu einigen Frauen.
Das alles erfährt man sehr genau – und erfährt damit auch eine ganze Menge über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse im 20. Jahrhundert.

Der eigentliche Grund, dieses anspruchsvolle Buch zu lesen, sollte aber die Begeisterung für das Kunstmittel “Sprache” sein. Letztlich kommt es auf die Inhalt, auf den Plot gar nicht so sehr an – beeindruckend ist, wie vor den Augen des Lesers die Protagonisten zum Leben erweckt werden. Nach diesen 700 Seiten kennt man die Figuren, man sieht sie plastisch vor sich, man hat an ihren Leben und Leiden teilgenommen. Aus den Buchstaben und Wörtern ist ein fassbarer und fühlbarer Ausschnitt der Welt entstanden. Toll!
So etwas muss man können – und Köhlmeier kann es!

Kritik? Ja, bei 700 Seiten gibt es auch Längen. Nicht alles hätte ich so detailverliebt gebraucht.
Aber ich würde es jederzeit wieder lesen. Echte Literatur muss wohl zwangsläufig ein wenig herausfordernd sein. Das unterscheidet sie von Romanen zur Unterhaltung bzw. zum Zeitvertreib (gegen die natürlich nichts einzuwenden ist).

“Allein gegen die Schwerkraft – Einstein 1914 – 1918” von Thomas De PADOVA

Ich gebe es zu: Es war ein Spontankauf vom Wühltisch.
Aber der Vollständigkeit halber soll das Buch in meiner Liste doch kurz Erwähnung finden.

Der Autor verfolgt das Ziel, die bahnbrechenden Beiträge des mathematischen Genies Albert Einstein zur theoretischen Physik in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang des ersten Weltkrieges zu stellen.
Zu diesem Zweck beschreibt er seine Schaffensjahre in Berlin, wo man dem aus er Schweiz stammenden Gelehrten optimale Bedingungen für seine Arbeit in Aussicht gestellt hatte.
Mit großer Gründlichkeit beschreibt der Autor die Verflechtung folgender Ebenen:
– die schrittweise und an Umwegen reiche Ausarbeitung der Allgemeinen Relativitätstheorie
– die privaten Lebens- und Beziehungsverhältnisse von Einstein (zwischen zwei Frauen)
– die komplizierten Beziehungen zu den prägenden Vertretern der Berliner wissenschaftlichen Community
– den Einfluss des Kriegsereignisse auf die Gelehrten-Szene und auf Einstein selbst

Was hatte ich nun davon, mich auf ungefähr 280 Seiten mit dieser – nicht unbedingt alltagsnahen – Thematik zu befassen?
Nun – zuallererst ist mir Einstein als (zeitgeschichtliche) Person näher gekommen und sympathischer geworden. Er war nicht nur ein genialer Denker (ähnlich wie der kürzlich verstorbene Stephen Hawking), sondern auch ein prinzipiengesteuerter, unabhängiger kritischer Bürger, der mit seiner pazifistischen und humanistischen Haltung der – leider auch in Gelehrtenkreisen verbreiteten – nationalistischen Kriegseuphorie dauerhaft widerstand.
Auch einige Facetten der Relativitätstheorie sind mir nun vertrauter als vorher – wobei dankenswerter Weise die Bezüge zum aktuellen Forschungsstand (insbesondere in der Astro-Physik) immer wieder mal verdeutlicht werden (Stichworte: “Schwarze Löcher” und “Gravitationswellen”).

Ich will aber nicht verhehlen, dass für einen “Normalverbraucher” wie mich die Detailtiefe der Ausführungen – insbesondere was die privaten und beruflichen Beziehungen Einsteins zu seinem Umfeld angeht – oft weit über die tatsächliche Bedürfnislage hinausgeht. So genau muss das alles wohl kaum jemand wissen, der sich nicht gerade hauptberuflich oder hobby-leidenschaftlich mit den angesprochenen Themen auseinandersetzt.

So kann ich dieses Buch wohl nur Menschen empfehlen, die gerne intensiv in zeitgeschichtliche  Zusammenhänge eintauchen und nicht darüber nachdenken (müssen), ob sie die dafür investierte Zeit wirklich “über” haben.
Für diese Leser trägt dieses Buch sicher ein Stück zum Weltverständnis bei.
(Im Nachhinein bin ich nicht ganz sicher, ob ich wirklich zu der Zielgruppe gehöre).

“The Who’s TOMMY Orchestral” von Roger Daltrey

See me, feel me, touch me, heal me….

Es gibt vermutlich nur einen einzigen “echten” Interessenten für meine Meinung zu der gestrigen Neu-Veröffentlichung der bekanntesten Rock-Oper aller Zeiten. Ich nutze trotzdem diesen Kanal, um sie kundzutun und werde den Link auch an einige Menschen weitergeben, die eher peripher mit dem Ereignis – bzw. dessen Bedeutung für mich – zu tun haben.

TOMMY hat mein Leben in den letzten 50 Jahren begleitet. Es gab alle erdenklichen medialen Erzeugnisse – und ich habe sie alle irgendwann erworben oder besucht: LP, CD, Multimedia-CD, Konzert-DVDs, Konzert, Kino-Film, Film-DVD, Musicals. Das meiste davon in mehrfachen Versionen bzw. Durchläufen.
Der Grund für diese nachhaltige Prägung lag nicht nur in der besonderen musikgeschichtlichen Bedeutung dieses Konzept-Albums, sondern auch in meiner persönlichen Situation: Ich war 15, schon einige Jahre sehr mit Pop- und Beatmusik verbunden und The Who war meine Gruppe.
Und dann dieser spektakuläre Durchbruch, der die Gruppe für eine Weile fast auf die Ebene der Beatles katapultierte!

Ach so – ich schreibe ja eine Rezension. Danke für den Hinweis!

An das aktuelle Live-Album bin ich mit einer gehörigen Skepsis herangetreten. Nicht nur, weil der Schöpfer des Ganzen, der Gitarrist und intellektuelle Kopf der Who, Pete Townshend, nicht mitmacht, sondern weil die Begleitung durch ein Orchester den meisten Pop-/Rockwerken nicht besonders zugute kommt.

Um es kurz zu machen: Ich finde die Einspielung gelungen und hörenswert!

Man hat der Versuchung widerstanden, aus der Rock-Oper ein verkitschtes, mit süßlichen Geigen verziertes Trallala-Epos zu machen. Himmel sei Dank!
Die Musik hat einen klaren Drive, Schlagzeug und Gitarren dominieren das Geschehen, die Dynamik ergibt sich weitgehend aus den rockigen Grundstrukturen und nicht aus dazu-arrangierten Klassik-Einlagen.
Stellenweise gelingt es, den Orchester-Sound als eine Art auffüllenden Klangteppich wirken zu lassen – ähnlich wie es sonst durch Keyboards oder Synthesizer bewerkstelligt wird. Das passt und klingt richtig gut und wertet in den besten Passagen das Original sogar auf.
Ärgerliche oder störende Stellen gibt es aus meiner Sicht wenige.
Die stimmlichen Qualitäten von Roger Daltrey halten sich in den aus den letzten Jahren (Jahrzehnten) bekannten Grenzen. Akzeptabel.

Bleibt die Frage: Wer braucht sowas? Ist es mehr als das – vielleicht letzte – Aufbäumen der Verwertungsmaschine für ein 50 Jahre altes Album?
Bevor man mit hämischem Grinsen oder mitleidigem Lächeln den Daumen nach unten richtet:
Wie geht man eigentlich im Klassik-Bereich mit Neuinterpretationen von Kompositionen um, die mehrere Hundert Jahre auf dem Buckel haben? Sagen die Kritiker unisono: “Das ist doch ein alter Hut!”? Nein, tun sie nicht!
Manches stilprägende Material der Rockgeschichte verdient es durchaus, nochmal neu und anders arrangiert zu werden. TOMMY gehört sicherlich dazu.
Allerdings darf bezweifelt werden, dass die aktuelle Version tatsächlich Neu-Hörer aus der Nach-Woodstock-Generation rekrutieren kann.
Da werde ich wohl zu den typischen Konsumenten gehören: ein weiterer Mosaikstein des großen TOMMY-Puzzles…
(Diesmal – ganz zeitgemäß – am Tag der Veröffentlichung über Spotify gestreamt).

Tommy, can you  hear me?

 

Offener Brief an Andrea Nahles von SILVIA

Hallo Andrea,
es brennt mir auf der Seele, mich zu deinen Rücktritten zu äußern.
“Oh nein”, das bedeutet, dass ich es nicht verstehen kann, dass so vielen ehrlich interessierten und engagierten Menschen nicht klar ist, dass es keinen, ja keinen Sinn macht, sich gegenseitig Schuld zuzuschieben, dass man Köpfe rollen sehen möchte, dass man sich in Kritik an Personen festhält.
“Oh ja” bedeutet, dass ich verstehen kann, wie müde dies macht, wie enttäuscht du sein musst und dass es für dich wahrscheinlich gut und richtig ist, durchzuatmen und dich aus dem Gewitter der Sensations-Presse und der eigenen Genossen zurückzuziehen.
Ich danke dir für dein ehrliches Engagement und deinen Mut, sich diesen schwierigen Aufgaben zu stellen, die du übernommen hattest.
Die Aussage vor der EU Wahl, dass man gemeinsam an einem Strang ziehen muss, um etwas zu erreichen und ein negatives Chaos abzuwehren, die gilt nicht nur für die Staaten Europas! Die gilt für jede Familie, für jede kleinste Arbeitsgruppe und auch für eine Partei, zu der ich stehe und die ich soooo gerne wieder als stabilen Faktor in diesem Meer an Unwegsamkeiten erleben möchte.
Für die kommenden Tage wünsche ich dir viel Kraft, mutmachende, freundliche Menschen um dich herum und liebevolle Umarmungen.
Liebe Grüße
Silvia

Talkshows nach der Europawahl

Ich möchte eine Lanze brechen für die großen Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Es wird ja immer gerne gemeckert, über alles. Auch die Talkshows (Will, Plasberg, Maischberger, Illner) kriegen oft ihr Fett weg: Sie seien eine Plattform, auf denen die immer gleichen Promi-Schwätzer ihre vorgestanzten politischen Phrasen und Worthülsen zum Besten geben würden. Oder so ähnlich.
Ich habe das nie so einseitig empfunden – auch wenn es natürlich immer wieder mal ärgerliche und wenig relevante Sendungen gab.

Nach dieser Nach-Wahl-Woche komme ich jedenfalls zu einem ganz anderen Ergebnis:
Wenn ich das, was ich vor und nach der Wahl aus anderen Medien entnommen habe (und das war eine Menge, weil ich viel Zeit darauf verwandt habe) mit den vier Talkshows zur Europawahl vergleiche, sage ich: “Hut ab!”

Ich würde es mal so zusammenfassen: Wenn ein halbwegs interessierter Mensch diese vier Sendungen angeschaut hat, befindet er sich ganz vorne am “Puls der Zeit”. Diese Sendungen boten insgesamt eine umfassende und faszinierende Möglichkeit, sich mit der aktuellen Stimmung im Lande vertraut zu machen. Durch eigene Anschauung.
Man könnte kritisch anmerken, dass es eine grundsätzlich wohlwollende Haltung gegenüber der aktuellen jugendlichen Protestbewegung gab. Das stimmt.
Aber: Ist es wirklich journalistisch illegitim, der grün-bewegten und von Jugend-Protest getragenen “Wende” eine Woche lang die volle Aufmerksamkeit zu schenken? War es nicht geradezu erholsam, eine beeindruckenden Ausschnitt von jungen Parteimitgliedern und Aktivisten (überwiegend weiblich) zu erleben, die unglaublich diszipliniert, sachlich, fachlich kompetent, respektvoll und höflich diskutiert haben?
Diese Leute sind intelligent, gebildet, eloquent und engagiert. Benehmen können sie sich auch. Und sie haben (überwiegend) keine persönlichen (wirtschaftlichen) Interessen bzw. Karriereziele.
Ich frage mich: Wer muss sich da verstecken und eigenes Auftreten und Handeln hinterfragen? Sollten wir nicht vielleicht tatsächlich Positionen und Funktionen freimachen für diese “unverbrauchten” Gesichter und erfrischenden Kommunikationsweisen?

Für mich war diese Woche eine Sternstunde der öffentlichen Medien.
Wir will, kann sich aus erster Hand informieren. Ein tolles System!
Wir sollten es verteidigen. Es wird – nicht ganz zufällig – in erster Linie durch die AfD angegriffen.

Wer das alles verpasst hat und wenigstens noch eine Sendung nachschauen möchte: Ich empfehle Maybret Illner vom 30.09.19.

 

Nach der Europawahl

Verständnis für Frust
Es ist für viele Menschen verständlicherweise irritierend und auch ärgerlich, dass ein – etwas respektlos und provokant auftretender – junger YouTube-Blogger offenbar mehr Einfluss auf die Wahlentscheidung einiger Hunderttausend junger Wähler genommen hat als dies monatelange Bemühungen von engagierten Wahlkämpfern vermocht haben. Das fühlt sich sicher frustrierend und ungerecht an.
Und vielleicht hat es auch etwas Bedrohliches, wenn man erleben muss, wie eine medial gehypte Einzelmeinung so plötzlich bundesweite Bedeutung bekommen kann – an allen anderen seriösen und etablierten Kanälen vorbei.
Ich selber habe allerdings keine besondere Sorge bzgl. dieser potentiellen “Indoktrination”, weil ich davon überzeugt bin, dass das Rezo-Video nur deshalb diese durchschlagende Wirkung entfalten konnte, weil es passgenau eine sowieso vorhanden Stimmung getroffen und verstärkt hat. Ohne “Fridays for Future” wäre das Video in der Subkultur steckengeblieben, aus der es stammt.

Freude und Genugtuung
Ich gönne es den engagierten jungen Leuten und unserer Gesellschaft, dass durch den Erfolg der GRÜNEN der Eindruck entstanden ist, dass sich in unserer oft geschmähten Demokratie Engagement und ein inhaltlich begründeter Protest auszahlt. Man kann etwas bewegen!
Man muss dafür keine Autos anzünden, Polizisten verprügeln oder Bomben legen. Man muss dafür auch nicht unseren Staat und seine Institutionen aushöhlen oder verunglimpfen (so wie es übrigens sehr viele ach so kluge Erwachsene vor unseren Augen tun).
Vielleicht hat diese Europawahl eine ganze Generation für unser demokratisches System gewonnen! Dieser Effekt könnte weit über die tatsächlich Veränderungen von Mehrheitsverhältnissen hinausgehen. Was kann unserer Gesellschaft besseres passieren, als dass jetzt in Tausenden von Schulklassen und Familien über den Zusammenhang zwischen den Schüler-Demonstrationen und dem Wahlverhalten der Erst- und Jungwähler diskutiert wird?

Spaltung überwinden
Aber es gibt auch aus meiner Sicht ein Problem. Und zu dessen Lösung werden wir Erwachsene gebraucht:
Während nämlich die Jungen jedes Recht zur Polarisierung haben, sollten wir dafür sorgen, dass es keinen dauerhaften Riss in unserer Gesellschaft gibt. Diesmal meine ich nicht den zwischen Arm und Reich, sondern die Aufspaltung in zwei Lager mit grundsätzlich verschiedenen Werten und Zielen.
Auf der einen Seite stehen u.a. die jungen Klimaschützer, die GRÜNEN und die engagierten Wissenschaftler, die inzwischen eine breite bürgerliche Schicht davon überzeugt haben, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein wünschenswertes, sondern ein überlebenswichtiges Prinzip für diesen Planeten darstellt. Dieses Milieu ist bereit, im Bereich von Konsum und materiellem Wohlstand deutliche Einschränkungen hinzunehmen und sieht sich eher dem Ziel einer gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zugunsten eines – im Prinzip auch weltweiten – Gemeinwohls verpflichtet.
Dem gegenüber stehen die Gruppierungen, die den Erhalt gewohnter kultureller Identitäten und eigene bzw. nationale wirtschaftliche Interessen in den Mittelpunkt stellen und dabei unbestreitbar auch ehrliche Sorgen vor einer Gefährdung der erreichten sozialen Sicherheit und Stabilität haben.
Zwischen dem grünen Milieu und dem durch die AfD vertretenen rechten Rand des politischen Spektrums erscheinen diese Gegensätze aktuell unüberwindbar. Mir liegt die Gruppe dazwischen am Herzen.

Ich wünsche mir, dass der Gesprächsfaden nicht abreißt. Man sollte überall – auch im privaten Bereich – darauf achten, dass man mit einem arroganten oder elitären Auftreten die “Unentschiedenen” nicht in die rechte Ecke treibt. Auch wenn man gute Gründe hat, seine Überzeugungen als “richtig” (auch im Sinne wissenschaftlicher Belege) zu bewerten, sollte man Brücken bauen und nicht abreißen.
Es gibt auch bei den gerade  “abgestraften” Parteien verantwortungsvolle und engagierte Menschen, auf deren Sachverstand und Erfahrung man nicht verzichten kann. Da muss man nicht bei den Zuspitzungen von Rezo stehenbleiben.
Und es gibt bestimmt in Verwandtschaft, Bekanntschaft und Nachbarschaft Menschen, die anders denken, aber trotzdem ansprechbar sind. Weil es (noch) gemeinsame Ziele und Grundwerte gibt. Natürlich können wir auch mit den jungen Leuten auf die Straße gehen; aber zusätzlich könnte es unser Job sein, den Zusammenhalt im Alltag zu pflegen. Auch mal zwischen den Milieus (damit meine ich natürlich keine Anhänger einer menschenverachtenden rechtsradikalen Gesinnung).

… Hochkant-Videos

Wenn man irgendwann in der Mitte des letzten Jahrhunderts geboren wurde und dann in die Jahre kommt, hat man als aktiver Medien-Mensch, also als Foto-/Film-/Video-Amateur schon so einige technische Revolutionen mitgemacht. Noch stärker als bei der Fotografie, wo es im wesentlichen nur um den Übergang in das digitale Zeitalter ging, hat es für den Heim-Videobereich ein ganzes Arsenal von Systemen gegeben, die sich vom alten Super-8-Format über immer kleinere und hochauflösendere magnetische  Videobänder (die zunächst analoge, dann digitale Signale enthielten) bis hin zur volldigitalen Speicherung und Bearbeitung in aktueller 4K-Qualität gesteigert haben.
Parallel dazu entwickelten sich die Darstellungsmöglichkeiten und -qualitäten: Nachdem zunächst die Leinwand wie im Kino durch den Filmprojektor angestrahlt wurde, kamen dann die elektronischen Röhren-Bildschirme, also die normalen Fernseher dran; oft mit einem enttäuschenden Ergebnis. Nachdem – nach zwischenzeitlichen Einsatz der Beamer-Technologie – der große  Flachbildschirm mit mindestens HD-Auflösung Einzug in die Wohnzimmer gehalten hat, machte das Videografieren auch für qualitätsbewusste Filmer richtig Spaß.

Eines stand während dieses ganzen Entwicklungsverlaufs allerdings nie in Frage: Film- bzw. Videobilder leben vom Querformat! So wie man die Welt sieht, so wie man Kino und TV immer erlebt hat. Eigentlich galt und gilt die Devise: Je breiter desto besser! Das spürt man insbesondere dann, wenn man alte, im Format 4:3 aufgenommene Fernsehbilder auf einem modernen Monitor betrachten muss. Fürchterlich!

Alles könnte gut sein – aber dann kamen die Smartphones!

Plötzlich konnte Jedermann und Jedefrau immer und überall ziemlich hochwertige Videoaufnahmen herstellen. Und das passierte dann auch. Was man sich allerdings mit meiner Vorgeschichte nicht vorstellen konnte: Die Menschen halten ihre Smartphones einfach so in der Hand, wie sie es immer tun und erzeugen damit tatsächlich sehenden Auges Hochkant-Videos! Unfassbar!
Mir würde eher die Hand abfallen als zu vergessen, das Handy um 90° zu drehen um “richtige” Videos zu machen. Die man dann später auch auf anderen Endgeräten angemessen anschauen kann, die man in Video-Schnittprogrammen zu echten Filmen verarbeiten kann.

Es ist eine echte Zäsur, ein Generations-Bruch!
Wer das Videografieren auf dem Smartphone beginnt und sowieso nie eine andere Betrachtungsform als das Smartphone-Display wählt, empfindet kein Problem. Es entsteht kein Leidensdruck. Es gibt noch nicht einmal ein Bewusstsein für die “Perversion” dieser Aufnahmetechnik.
Und so passiert es inzwischen, dass man selbst in der Tagesschau dokumentarische Bilder gezeigt bekommt, in denen ein mickrig kleiner Bildstreifen in der Mitte die eigentliche Information enthält und rechts und links davon unscharfe breite Streifen dazugemogelt werden.

Es ist verrückt: Die Leute haben kinoähnliche 65-Zoll-Monitore an der Wand, die ihre Smartphone-Aufnahmen in einer genialen Qualität im Format 16:9 wiedergeben könnten. Aber sie machen Hochkant-Videos. Weil – ja weil man das Handy mal gerade so in der Hand hat – und für das Querformat vielleicht die zweite Hand als Unterstützung bräuchte.

Ich werde scheinbar alt – und verstehe die Welt nicht mehr in allen Facetten!