“Das Leben ist einfach, wenn du verstehts, warum es so schwierig ist” von Holger KUNTZE

Bewertung: 5 von 5.

Ein psychologisches Selbsthilfe-Buch zu schreiben, ist immer eine Herausforderung und vor allem eine Gradwanderung: Wie findet man den schmalen Weg zwischen niederschwelliger Ansprache und fachlicher Seriosität?
Um es vorweg zu sagen: KUNTZE ist da tatsächlich so etwas wie ein “großer Wurf” gelungen.
Aber um ehrlich zu sein: Der Autor hatte es bei mir anfangs nicht ganz leicht, weil ich ich gegenüber einer psychotherapeutischen Qualifikation auf Heilpraktiker-Basis eine gewisse Skepsis habe. Bei der Beurteilung des Buches verlor dieser Aspekt aber rasch an Bedeutung.

Das Buch hat ein klares Ziel: Es soll Menschen bei der Überwindung von Krisen helfen. Der Autor stellt sich auf diese Ausgangssituation in geradezu vorbildlicher Weise ein, indem er – diese Floskel sein erlaubt – die Leser/innen dort abholt, wo sie gerade stehen.
Gefühlt 50% des gesamten Textes bestehen darin, den Leser/die Leserin motivierend einzufangen. Der Mann weiß offensichtlich, welche Hemmschwellen und Vermeidungsstrukturen krisengeschüttelte Menschen haben. Es scheint kaum ein Einwand gegen das aktive Einlassen auf die Anregungen dieses Buches denkbar, der von KUNTZE nicht gesehen, thematisiert und argumentativ entkräftet wird. Es ist ohne Zweifel eine Hauptstärke dieses Autors, die “andere Seite” (die Bedürftigkeit, die Mutlosigkeit und den Zweifel der Betroffenen) mitzufühlen und mitzudenken.
KUNTZE wirbt unaufhörlich für sein Krisenbewältigungs-Angebot. Er ist ohne Zweifel überzeugt davon, etwas bieten zu können, was Hoffnung und Zuversicht verdient. Er versucht, fast ein persönliches Vertrauensverhältnis zu etablieren; dabei sind ihm – glücklicherweise – Guru-Allüren gänzlich fremd. Basis für das Vertrauen soll sein inhaltliches Konzept sein, für das er sowohl einen fachlich-wissenschaftlichen Hintergrund als auch seinen Erfahrungsschatz als Therapeut in die Waagschale wirft.

Woraus besteht nun das Selbsthilfe-Paket? Ist es ein Wundermittel oder alter Wein in neuen Schläuchen?
KUNTZE bietet einen roten Faden, ein Baukastensystem, das auf einer inneren Logik basiert. Das schafft schonmal eine konzeptionelle Kohärenz; der Autor will keine blinde Gefolgschaft, sondern aufgeklärte Anwender/innen, die Zusammenhänge verstehen.
Schauen wir uns die wichtigsten Bestandteile kurz an:
– Am Anfang steht so etwas wie ein Theorieteil. KUNTZE schafft einen Bezugsrahmen für die später folgenden praktischen Schritte. Im Kern erklärt er auf der Basis von evolutionären bzw. biologischen Prägungen und unter Einbeziehung der Funktionen unseres Gehirns, warum der Mensch konstitutionell dazu neigt, sich so stark auf Gefahren und Bedrohungen zu fixieren. Er macht deutlich, warum der tief verankerte “Gefahrenmodus” so schlecht dazu geeignet ist, die Heraus- und Überforderungen unseres modernen Lebens zu bewältigen.
Hier reicht es noch aus, dem Autor lesend zu folgen; es ist die Ruhe vor dem Sturm…
– In einem zweiten Teil werden therapeutische Erkenntnisse und Interventionen eingeführt, die Eingang in den Alltag des Fühlens, Denkens und Handelns finden sollen. Hier werden keine esoterischen Heilsbotschaften oder der platte “Everything-goes-Optimismus” der “Positiven Psychologie” verkauft. Zurückgegriffen wird auf – locker gemischte – Bausteine, die ihre Herkunft aus modernen verhaltenstherapeutischen Ansätzen und aus den humanistischen Therapien haben.
Spannend und kreativ wird das vor allem dadurch, dass KUNTZE ein Händchen dafür hat, therapeutische Wirkfaktoren derart geschickt in verdauliche Häppchen zu verpacken, dass man kaum merkt, was man alles schon intus hat. So bietet er z.B. mal eben in einem Kästchen zehn Akut-Interventionen an oder verpackt ein weitgehendes kognitives Umsteuern in 20 harmlose Begriffspaare.
Immer geht es darum, Erstarrung und Pessimismus hinter sich zu lassen, Denkblockaden zu lösen und auf die Seite des Tuns, der Aktivität und der Möglichkeiten zu gehen.
– Der letzte Teil des Buches ist dann endgültig ein Arbeits- und Übungsbereich. Hier dient das Lesen nur noch der Vorbereitung des Tuns. Aber KUNTZE wäre nicht KUNTZE, wenn er nicht auch diesen Teil akribisch und liebevoll vorbereitet hätte. Egal, ob es um Abschied, Ressourcen, Dankbarkeit oder Werte geht – es steht immer eine extrem breite Palette von Beispielen und Alternativen zur Auswahl. Hier findet sich wirklich jede/r wieder.

Wo bleibt das Aber?
Es ist nicht zu übersehen: Natürlich ist es ein Selbsthilfe-BUCH! Alles, was hier passiert (und passieren kann) ist über das Medium Sprache vermittelt. Viele (sehr viele) Übungen beinhalten verbale Differenzierungen oder Ausdrucksformen. Man kann es kurz halten: Wem der Umgang mit Sprache nicht vertraut ist oder schwer fällt, der sollte schlichtweg andere Wege der Hilfestellung suchen.
Anzumerken (nicht zu kritisieren!) ist auch, dass der Autor keine störungsspezifischen Hilfen anbietet. Der Gegenstand seiner “Behandlung” ist nicht eine gestörte (oder gar psychisch kranke) Person, sondern die Bewältigung von Krisensituationen – wie sie jedem Menschen im Laufe des Lebens widerfahren können (und es in der Regel auch tun).
Auch ist richtig , dass das Buch nicht alle sinnvollen und nützlichen psychologischen bzw. therapeutischen Ansätze aufzeigt oder gar nutzt. Ein solcher Anspruch könnte niemand ernsthaft erheben – und das liegt auch KUNTZE fern.

Meine Gesamtbewertung des Buches weist einen – bedeutsamen – Mangel auf: Ich habe es nur gelesen und nicht durchgearbeitet. Eine Wirksamkeit des angebotenen Weges kann ich deshalb weder bestätigen noch in Zweifel ziehen.
Bescheinigen kann ich diesem Buch jedoch einen vorbildlichen Zielgruppen-Bezug und eine sehr angenehme Form der persönlichen Ansprache und Motivierung. Mir erscheint das Vorgehen fachlich plausibel und seriös vermittelt. Es werden keine übertriebenen Erwartungen geweckt und keine Interventionen vorgeschlagen, die zu unerwünschten Nebenwirkungen führen könnten. Angenehm ist auch, dass hier kein “Trainer” auf Tempo und Konsequenz trimmt. Selbstfürsorge wird groß geschrieben; niemand muss perfekt sein oder werden.
Ein gelungenes Buch, dem ich vielleicht doch einen anderen Titel gewünscht hätte…

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