“Gefährlicher Glaube” von Pia LAMBERTY und Katharina NOCUN

Bewertung: 4.5 von 5.

Wenn man sich als halbwegs aufgeklärter, vernunfts- und wissenschaftsaffiner Mensch so einem Buch zuwendet, tut man das vermutlich mit gemischten Gefühlen und Erwartungen: Was soll darin stehen, das einem nicht längst klar und bekannt ist?
Lohnt sich das Lesen überhaupt?
Ich möchte diese Frage mit einem nachdrücklichen “ja” beantworten!

Die beiden Autorinnen beackern das Feld der Esoterik mit einer bewundernswerten Gründlichkeit – die sowohl in die Breite (thematische Vielfalt), als auch in die Tiefe (Detailliertheit der Recherchen) betrifft. Aus diesem Buch wird wohl kaum jemand ohne neue Erkenntnisse wieder in die Realität, also in die Welt der Logik und der Empirie auftauchen. Zumindest wird man als Lesender mit einigen neuen Beispielen und Hintergründen versorgt – zwischendurch verschlägt es einem die Sprache.

Neben den Wunderheilern, der Homöopathie und den Sterndeutern geht es in diesem gut lesbaren Text auch um biodynamische Landwirtschaft, um Naturkulte und um diverse Sekten. Es geht um so ziemlich alles, was sich als wissenschaftsfeindlich, irrational und abergläubisch – aber auch als autoritätshörig zeigt.

Dass es bei der vermeintlich so sanften und ganzheitlichen Esoterik im Bereich der Gesundheit immer wieder mal auch um Leben und Tod geht, belegen eindrucksvolle Beispiele (insbesondere bei Krebspatienten). Ebenso wird herausgearbeitet, wie skandalös die völlig haltlose Zuschreibung einer “Selbstverschuldung” von Erkrankungen sind – die z.B. auf Verfehlungen in früheren Leben zurückgeführt werden.

Der entscheidende Mehrwert dieser Publikation ist dabei die Einordnung der Esoterik-Welle in gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Zusammenhänge. Die Autorinnen arbeiten in gut nachvollziehbarer und mit Fakten unterlegten Weise heraus, dass die Irrationalität dieses Weltbildes eben keine irgendwie amüsante oder kultige Privatsache ist.
Die Distanzierung von einem faktenbasierten Zugang zu Erkenntnissen und die Ausbreitung irrationaler Parallelwelten gefährden nicht nur den gesellschaftlichen Konsens (“Worauf können wir uns einigen?), sondern schwächt auch die Voraussetzungen für die Bewältigung der großen Menschheitsaufgaben.
Dass unter dem Mantel der “Harmonie mit der Natur” auch in großem Umfang dreist abgezockt wird, sollte nicht unerwähnt bleiben. Auch dafür legen die Autorinnen schockierende Beispiele vor.

Ein besonderes Augenmerk richten die beiden Autorinnen auf die (erheblichen) Schnittmengen zwischen der Esoterik-Szene und rechtsgerichteten Denkweisen und Milieus. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einer “braunen Esoterik”, in der sich völkisches Denken, Wissenschaftsfeindlichkeit und Verschwörungsgeschwurbel zu einer gefährlichen Mixtur zusammengebraut haben.

Es handelt sich um ein wahrhaft aufklärerisches Sachbuch, in dem die Autorinnen ganz eindeutig Partei ergreifen – für eine Welt, in der zwar Emotionen und Spiritualität ihren Platz haben, wo aber rationales und empirisches Denken bzw. Urteilen die Grundlagen für Welterkenntnis, medizinische Versorgung und globale Problemlösungen bilden.

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