Heilpraktiker – abschaffen oder aufwerten?

Man diskutiert aktuell über den Status des Heilpraktiker-Berufs. Kann es wirklich sein, dass die beiden medizinischen Berufsbilder „Arzt“ und „Heilpraktiker“ scheinbar gleichberechtigt nebeneinander stehen, obwohl der niedergelassene Mediziner ein wahrlich aufwändiges Studium absolviert hat und der Heilpraktiker letztlich eine Mini-Prüfung ablegen musste, die sicherstellen soll, dass er einen groben Schaden anrichtet.
Gibt es da nicht einen Handlungsbedarf? Ist das Berufsbild noch zeitgemäß? Schützt die Bezeichnung „Heilpraktiker“ ausreichend vor Scharlatanerie? Werden nicht völlig unrealistische Erwartungen geweckt und gefährliche Risiken generiert durch die immer stärkere Hinwendung zur Alternativmedizin?

Okay – ich höre die Stimmen des Protestes: Könnte es nicht sein, dass die engstirnige und technisierte Schulmedizin – unterstützt von der Pharmalobby – mal wieder auf genau die „Konkurrenz“ losgeht, die den enttäuschten und frustrierten Patienten einen menschliche und ganzheitlichen Zugang zu ihren Störungen und Krankheiten ermöglicht? Kennt nicht jede/r im Bekanntenkreis (oder bei sich selbst) ein Beispiel dafür, dass die Schulmedizin versagt, der Heilpraktiker aber geholfen hat? Wollen wir wirklich zulassen, dass es demnächst noch weniger Alternativen zur „Fünf-Minuten-Dann-Rezeptblock-Zücken-Medizin“ gibt. Müssen wir uns mit den Heilpraktikern solidarisieren und den Berufsstand retten?

Okay – der Bogen ist aufgespannt. Und nun?

Vorweg eine Bemerkung: Es gibt gute und schlechte Ärzte genauso wie gute und schlechte Heilpraktiker. Es gibt mit Sicherheit Heilpraktiker, die durch Aus- und Fortbildung und Erfahrungswissen ein profundes medizinisches Faktenwissen haben und dies mit einer wohltuenden Zuwendung, einer therapeutischen Gesprächsführung und einer natürlichen Autorität verbinden können. Es gibt ohne Zweifel zahlreiche körperliche und psychosomatische Störungen, für die diagnostischen Sichtweisen, die Interpretationen, die Ratschläge und die angebotenen Behandlungsformen außerordentlich hilfreich und letztlich auch heilend sein können.
Aber eben nur „können“. Das Schild an der Tür sichert das alles nicht ab. Zwar garantiert die Kassenzulassung auch keinen Ideal-Mediziner – aber sie steht für einen Ausbildungsstandard, der meilenweit über das geforderte Wissen des Heilpraktikertums hinausgeht (vielleicht sogar Lichtjahre).

Also bleiben meines Erachtens nur zwei Möglichkeiten: Entweder werten wir das Berufsbild soweit auf, dass jeder Patient davon ausgehen kann, dass ihm ein gut ausgebildeter Mensch gegenübertritt, der – zumindest für einen Teilbereich – auch schulmedizinisches Wissen in sein Tun einbringt. Oder wir schaffen diese „Grauzone“ zwischen esoterischem Heiler und Alternativ-Mediziner ab und schaffen damit Klarheit, dass für „Krankheiten“ nur die eine, „richtige“ Medizin zuständig sein kann. Die Medizin nämlich, die ihre Methoden überprüfen und ihre Erfolge messen lassen muss.

Und jetzt kommt das Wichtigste: Natürlich muss sich die Schulmedizin verändern! Radikal! All das, was die Menschen beim Heilpraktiker oder Homöopathen suchen (und oft auch finden), muss in die standardmäßige ärztliche Betreuung integriert werden. Und das, was dort nicht hineinpasst, gehört in eine deutlich erweitere psychotherapeutische Versorgung. Natürlich wollen und brauchen kranke und gestörte Menschen einen ganzheitlichen Blick auf ihre Lebenssituation und ihr gesundheitsrelevantes Verhalten. Natürlich brauchen sie Zuwendung und Gespräch, um sich verstanden zu fühlen und Veränderungsmotivation aufbauen zu können. Aber all das sollte innerhalb des medizinischen Systems geboten werden und nicht außerhalb – in kaum zu kontrollierenden Nischen und in einer oft geradezu anti-wissenschaftlichen Gegenwelt.

Wenn die Diskussion um Heilpraktiker und Homöopathie ernsthaft und kritisch geführt wird (was ich sehr begrüße), dann geht das nicht ohne Konsequenzen für die „normale“ medizinische Versorgung. Man kann nicht nur etwas wegnehmen (wofür es tatsächlich gute Gründe gäbe), ohne den Bedarf zu decken, der sich bisher dorthin entladen hat.

(Ich empfehle zum Thema noch meine Rezension über dieses Buch).

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