“Liebe neu denken” von Diane HIELSCHER

Bewertung: 3.5 von 5.

Dieses Buch entfaltet eine bemerkenswerte Dynamik. Es rüttelt, schiebt, zieht und stößt – es will Menschen bewegen. HIELSCHER ist fest davon überzeugt, dass sie Wege aufzeigen kann, die Blockaden lösen und neue Optionen schaffen. Sie möchte, dass ihre Leser/innen davon nicht nur erfahren, sondern auch Gebrauch machen. Am besten sofort. Denn ein besseres Leben wartet…

Die zentrale Idee der Autorin ist, dass alle Menschen Einfluss auf bzw. Kontrolle über ihre Art zu denken gewinnen können – wenn sie es nur wollen und bereit sind, die notwendige “Umprogrammierung” durch diszipliniertes Üben zu leisten.
Diese Möglichkeit basiert – so die Autorin – auf bestimmten Voraussetzungen unseres Gehirns bzw. unseres davon abhängigen psychischen Systems: Unsere Gedanken und Bewertungen beeinflussen in einem großen Ausmaß unsere Gefühle, wobei wir durch unser konkretes Handeln wiederum unser Denken und Fühlen verändern können.
Die entscheidende Botschaft ist dabei: Unser Gehirn ist eben nicht “determiniert” durch Gene und frühe Erfahrungen, sondern bis ins hohe Alter lernfähig, flexibel und plastisch.
Wir können demnach unser Gehirn selbst formen, können lernen, es mit selbstgewählten Inhalten zu füttern – statt es zufälligen und oft dysfunktionalen inneren und äußeren Botschaften zu überlassen.

Bei der Sammlung von Belegen und Beispielen für einen solchen Aufbruch in ein selbstbestimmteres Leben sammelt HIELSCHER alles ein, was nicht bei “3” auf den Bäumen ist: philosophische, spirituelle und religiöse Weisheiten, experimentelle Befunde aus der Hirnforschung, Methoden aus (kognitiver) Psychotherapie und Coaching, Yoga und Meditation; auch die Quantenphysik muss zu guter Letzt noch dran glauben (als ob ernsthaft der Doppelspalt-Versuch etwas über unsere neurologischen und psychischen Potentiale aussagen würde).
Die bedeutsamste Erkenntnis-Quelle muss allerdings gesondert genannt werden: Die eigene Erfahrung!

Die Autorin gibt uns einen tiefen Einblick in die Lebenskrise, in die sie durch die unerwartete Trennung ihres Mannes (und Vaters von zwei Kindern) geraten war. Der durchlittene Zustand von Verzweiflung, Selbstabwertung und unbändiger Wut bildete den Nährboden für die Entscheidung, sich durch aktives Tun in einen lebenswerten, selbstbewussten und genussfähigen Aggregatzustand zu versetzen. HIELSCHER begann, einschlägige Sachbücher zu lesen und führte Gespräche mit Fachleuten aus den Bereichen Psychologie, Neurowissenschaft, Beratung, Coaching und Therapie.
Der – offenbar tatsächlich bewundernswerte – Erfolg, den sie damit hatte, bildet die Basis für ihren geradezu grenzenlosen Optimismus – nach dem Motto: “Was ich geschafft habe, kann jede/r schaffen!” Denn schließlich gelten ja die zugrundliegenden Wirkfaktoren für alle Menschen gleichermaßen.

Der Schreibstil der Autorin hat das Zeug, die avisierte Zielgruppe nicht nur anzusprechen, sondern auch zu motivieren. Sie schreibt persönlich, lebendig, leger, locker, mitreißend, eindringlich. HIELSCHER gibt sich nicht als neutrale Expertin, sondern als Teil einer Community, der sie ihre Erfahrungen solidarisch zur Verfügung stellen möchte. Sie spricht eher ihren Bekanntenkreis an als ein irgendwie anonymes Publikum; natürlich duzt sie ihre Leser/innen. Es scheint ihr ein persönliches Anliegen zu sein, ihr Publikum ebenfalls zur Selbstbestimmung zu befähigen. Sie hat eine Mission! (Das ist übrigens besonders deutlich spürbar, wenn man das selbst-eingelesene Hörbuch konsumiert).

Um es mal vorsichtig auszudrücken: Insgesamt lernt man in dem Buch von HIELSCHER sicherlich mehr über die Möglichkeiten der Selbstbeeinflussung als über die Grenzen. Was den Text auf der einen Seite so anregend und überzeugend erscheinen lässt, gibt auf der anderen Seite auch Anlass für eine kritische Betrachtung.
Die Autorin ist so begeistert und überzeugt von den Optionen, die die eigene Entwicklung ermöglicht haben, dass der Veränderungs-Optimismus immer mal wieder mit ihr durchgeht. So verliert sie das Gefühl dafür, dass eben nicht alle Menschen genau die Voraussetzungen und Ressourcen mitbringen, die ihr die Anwendung all der beschriebenen Methoden eröffneten.
Ein Beispiel: HIELSCHER geht davon aus, dass man der Determiniertheit durch Prägungen und Vorerfahrungen entgehen könne, weil man sich ja entschließen könnte, ab sofort anders (positiver) zu denken (z.B. auch mit Hilfe von Meditation). Wenig Gedanken macht sie sich darüber, wodurch denn wohl die Bereitschaft und Fähigkeit “determiniert” ist, diese Wege auch (mit der notwendigen Disziplin) zu gehen . Leider stehen nicht jedem alle Optionen zur Verfügung, auch wenn die Mechanismen noch so gut wirken könnten.
Aber – dies sei eingeräumt: Für einige könnte ja das Lesen dieses Buches der entscheidende Anstoß (Kipppunkt) sein, es doch mal zu probieren.
Das wäre zweifellos ein guter Grund, ein solches Buch zu schreiben bzw. zu lesen.

Kommen wir zum Schluss auf den Titel des Buches zu sprechen: Er ist nicht gut gewählt, weil er die Inhalte des Textes nicht wirklich repräsentiert.
Es geht im Buch zwar auch um Beziehungen und Liebe, aber nicht vordringlich. Das Thema ist eher Krisenbewältigung und Persönlichkeitsentwicklung allgemein. Die Liebe kommt ins Spiel, weil HIELSCHER wegen ihres Liebeskummers an den Start gegangen ist und weil – natürlich – jede persönliche Weiterentwicklung auch der Liebes- und Beziehungsfähigkeit zugute kommt. So könnten tatsächlich diejenigen Leser/innen ent- oder getäuscht sein, die davon ausgingen, einen Beziehungsratgeber zu erwerben.

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