Wahlnachlese Nr. 1

Ich muss mal ein paar Gedanken loswerden, die sich in den letzten Tagen in meinem Kopf gebildet haben. Diese Gedanken sind sicher nicht besonders „politisch korrekt“. Ich erwarte also durchaus Widerspruch – auch von den im Allgemeinen wohlwollenden Lesern meines blogs….

Inzwischen – nach zwei Tagen Wahlanalysen – habe ich unzählige Male von Politikern und Journalisten gehört, dass wir endlich „die Menschen“ ernst nehmen und deren Bedürfnisse berücksichtigen sollten, die ihren Protest zu einem großen Teil durch Wahl der AfD ausgedrückt haben.
Das hört sich erstmal unmittelbar einleuchtend an. Nur: wer sind „die Menschen“? Und – noch wichtiger: Will ich überhaupt, dass man auf deren Meinungen und Forderungen eingeht? Will ich überhaupt in so einem Land leben, das sich stärker als bisher nach den Wünschen dieser Menschen ausrichtet?

Wenn man das noch etwas weiterdenkt, könnte man sogar die – sicher bedenkliche – Formulierung wagen: War ich nicht vielleicht eigentlich ganz froh, dass „diese Menschen“ bisher kein Sprachrohr für sich hatten und deshalb eher zur Gruppe der Nichtwähler gehörten?
Darf man sowas denken – oder gar sagen?

Spätestens jetzt müsste man langsam mal definieren, welche Menschen man denn damit meinen könnte. Ich habe bestimmte Bilder im Kopf: Pegida-Demonstranten; laut über die „Lügenpresse“ Schimpfende; interviewte AfD-Wähler, die völlig undifferenziert und uninformiert gegen alle Vertreter des Staates wettern, usw. Jeder kennt diese Bilder: Unsympathische, offenbar ungebildete und extrem wütende Menschen, die ihre Identität ziehen aus ihrer Ablehnung von allem irgendwie „Etablierten“.
Diese Menschen und diese Meinungen wollen jetzt alle mehr vertreten?!

Bevor man mir Überheblichkeit und soziale Blindheit vorwirft: Ich habe großes Verständnis für Menschen, die es skandalös finden, wie weit die Schere zwischen Arm und Reich inzwischen auseinanderklafft. Ich denke auch, dass die Interessen der wirtschaftlich Mächtigen eine zu große Rolle spielen und die Verstrickungen zwischen Wirtschaft und Politik in einigen Bereichen bedenkliche Ausmaße hat. Alles richtig!

Aber muss ich deshalb jede Niveaulosigkeit, jedes dumpfe Nachplappern von irgendwelchen hirnlosen Parolen jetzt als ernstzunehmende politische Meinungsäußerung bewerten? Müssen Parteien bestimmte Positionen nur deshalb übernehmen, weil es eine „Stimmungstendenz“ in diese Richtung gibt? Bedeutet repräsentative Demokratie wirklich, dass man jede Verirrung und Verwirrung aufgreifen muss? Manche Meinungsäußerungen sind einfach dummes Zeug oder auch brandgefährlich!

Man wird einwenden: „Man muss es vielleicht in dem Moment tun, wo es eine neue Partei gibt, die diese Menschen einfängt.“

Ich denke aber: Man kann und sollte sich natürlich um die Bürger und Wähler bemühen, die man mit Argumenten und guter Politik überzeugen kann. Aber ansonsten kann man sich auch dadurch profilieren, dass man sich vor einer bestimmten Gruppe auch klar abgrenzt! Ich würde mir ab und zu ein klares Bekenntnis dazu wünschen, dass man als Partei oder Politiker bestimmte Menschen bzw. ihre (oft menschenverachtenden) Haltungen gar nicht vertreten will! Die sollen dann wählen, was sie wollen – sie sollen aber die nächsten Jahre nicht mit dem erhebenden Gefühl herumlaufen, dass sich alle so sehr um sie bemühen….

Oder liege ich da ganz falsch?

“Die den Sturm ernten” von Michael LÜDERS

Lüders hat ein politisches Sachbuch zum Syrienkrieg geschrieben mit dem Anspruch, eine alternative Perspektive zu den in unseren Mainstream-Medien gängigen Bewertungs- und Erklärungsmustern zu bieten. Diesen Anspruch löst der Autor ohne Zweifel ein.

Was sind seine Grundaussagen?

  • Der Nahe Osten ist seit der Kolonialzeit ein Spielball von politischen und wirtschaftlichen Interessen. Praktisch alle aktuellen Konflikte lassen sich als „logische“ Ergebnisse dieser Einflussnahmen durch – insbesondere europäische und amerikanische – Mächte erklären.
  • Es gibt keinen „moralischen“ Unterschied zwischen dem politischen Handeln des Westens und der Einflussnahme anderer Beteiligter (z.B. der Russen). Die vermeintliche „Werteorientierung“ des Westens entpuppt sich bei genauerer Analyse der Motive und Zusammenhänge als Mogelpackung.
  • Die klare Unterscheidung zwischen den „Guten“ und den „Bösen“ im Syrienkonflikt ist eine unhaltbare Vereinfachung der westlichen Politik bzw. der Medien. Konkret: Die Sympathieträger des syrischen Aufstandes gegen Assad („Stichwort „Arabischer Frühling“) stellen eine verschwindend kleine, einflusslose Minderheit dar. Die wirklich mächtigen Gruppierungen unterscheiden sich bzgl. ihres menschenverachtenden Vorgehens nicht von dem des Regimes.
  • Den Sturz von Assad erzwingen zu wollen, ist weder (völkerrechtlich) legitim noch für die Zukunft des Landes sinnvoll. Es gibt z. Zt. keine Alternative, die irgendeine positive Perspektive verspräche.
  • Die deutschen Medien berichten einseitig und geben – gewollt oder ungewollt – die politische Propaganda der westlichen Regierungen weiter.

Ohne Zweifel belegt der Autor seine Thesen und Schlussfolgerungen mit einer Fülle von historischen Fakten. Er gibt sich dabei keine besondere Mühe, die Darstellung dieser Fakten von seinen Bewertungen zu trennen; das nehme ich ihm aber nicht übel.
Insgesamt wirkt seine Argumentation glaubwürdig – auch wenn ich angesichts der Tragweite seiner Schlussfolgerungen manchmal ein deutliches Zögern empfinde. Es ist einfach auch ziemlich desillusionierend, wenn man in dieser ungefilterten Form auf die „nackten Tatsachen“ gestoßen wird.

Trotzdem stört mich ein Aspekt in seinen Ausführungen: Es gibt eine Art umgekehrte Parteilichkeit. In dem Bestreben, die von ihm als einseitig pro-westlich bewertete Sichtweise zu relativieren (bzw. zu widerlegen), legt er – zumindest stellenweise – eine genau entgegengesetzte Schablone an. So werden zwar die Übergriffe und Grausamkeiten der einen Seite (Assad und seine Helfershelfer) keineswegs geleugnet, dieses Vorgehen wird aber oft als eine Art unvermeidliche Konsequenz der Fehlentscheidungen des Westens dargestellt. Es ist eine Sache, Fehler und Doppelmoral des Westens an den Pranger zu stellen; eine andere Sache ist es, damit Menschenverachtung der anderen Seite in einen Kontext von „Zweitrangigkeit“ (und kultureller Eigenart) zu stellen.
Darüber hinaus bin ich einfach nicht bereit zuzugestehen, dass die westlichen Bemühungen, den Syrienkrieg zu begrenzen und zu beenden, niemals und von niemandem ernsthaft moralisch motiviert waren. Selbst wenn es – in Bezug auf die großen historischen Zusammenhänge – letztlich durchweg um kalte Interessens- und Machtpolitik ging und geht, gibt es nach meiner Überzeugung doch immer wieder handelnde Personen (auch Politiker), denen das Leid der Menschen nicht gleichgültig sind. Und diese Form der Werteorientierung würde ich – auch nach der Lektüre dieses Buches – noch immer eher in den westlichen Demokratien vermuten als bei Assad und Putin. Diese Sichtweise schließt der Autor leider in einer unakzeptablen Eindeutigkeit aus!

Insgesamt ist das Buch jedoch informativ und anregend; eine lohnende Lektüre, wenn man bereit ist, sich für einige Stunden auf die Details der Problematik einzulassen und man seinen Horizont erweitern will.

“Die Erfindung des Lebens” von Hanns-Josef ORTHEIL

Es gibt Bücher, die einem Zeitvertreib und Unterhaltung bieten. Es gibt Bücher, die eine schöne oder spannende Geschichte erzählen. Und es gibt Literatur: die Kunst, mit Sprache umzugehen.
Dieses Buch demonstriert zweifelsfrei ein hohes Ausmaß dieser Kunst.

Schauen wir zunächst nach dem Unterhaltungswert:
Geboten werden fast 600 Seiten (Taschenbuchausgabe); das liest man nicht mal so zwischendurch weg. Das Buch fordert heraus: man muss sich schon einlassen – auf Details, auf sehr genaue Beobachtungen, auf Selbstreflexionen. Es ist keine leichte Kost – aber auch keineswegs schwer verdaulich. Als Lohn für die Mühe winkt ein besonderes und nachhaltiges Leseerlebnis.
Insgesamt bekommt man sicher eher Tiefgang als entspannte Unterhaltung.

Und die Geschichte?
Der Titel deutet es an: Es geht um die Geschichte eines sich entwickelnden Lebens. Der Ich-Erzähler (und damit vermutlich weitgehend auch der Autor) berichtet davon, wie aus einer extrem problematischen Kindheit (Mutter und Kind sind jahrelang stumm) heraus sich eine facettenreiche und tiefgründige (Künstler-)Persönlichkeit entwickelt. Dabei wird in bewundernswerter Klarheit und Genauigkeit herausgearbeitet, dass gerade mit den – zunächst erschwerenden – individuellen und familiären Besonderheiten der Grundstein für diesen Prozess gelegt wird.
Inhaltlich hat die Geschichte mit einigen großen Themen zu tun:

  • mit der Bedeutung und Entwicklung von Sprache und Kommunikation
  • mit der Beziehung zwischen (sehr besonderen) Eltern und einem ungewöhnlichen Kind
  • mit Natur und Landschaft und der Kunst, diese präzise wahrzunehmen
  • mit der individuellen und familiären Verarbeitung von biografischen Lasten und Traumata
  • mit – insbesondere – klassischer Musik (der Erzähler wird Pianist)
  • mit der Stadt Rom und dem zugehörigen Lebensgefühl

Es ist sicherlich nicht notwendig, dass man spezielle Interessen für eine dieser Bereiche mitbringt; aber der Genuss des Lesens kann sicherlich dadurch noch intensiviert werden.

Der Rest ist – wie schon angedeutet – Literatur!
Man kann nur staunen, wie perfekt es dem Autor gelingt, dieses Panorama von detailverliebten Beobachtungen, nuancierten Empfindungen und differenzierten psychologischen Prozessen aufzufächern. Das alles passiert mit einer geradezu leidenschaftlicher Gründlichkeit und Tiefe.
Man bekommt von Seite zu Seite immer stärker das sichere Gefühl: Dieser Mensch kann das, was er vermitteln will, ohne jede Einschränkung auch sprachlich ausdrücken. Da bleibt kein Rest!

Im Vergleich zu dem bereits früher besprochenen Buch stellt „Die Erfindung des Lebens“ sicher die höheren Anforderungen. Zum Einstieg in der Schreibwelt von ORTHEIL eignet sich daher „Das Kind, das nicht fragte“ vielleicht noch eher.

“Was man von hier aus sehen kann” von Mariana LEKY

Es geht diesmal um ein ganz aktuelles Buch.

Das Buch handelt von dem Zusammenleben einiger durchweg skurriler Menschen in einem Dorf. Diese Menschen, ihre Beziehungen untereinander und deren Entwicklung werden mit großer Detailtreue und Einfühlsamkeit beschrieben. Die Besonderheit dieser Menschen und die Besonderheit dieser Betrachtung werden auch in einer sehr individuellen Weise mit einer sehr besonderen Sprache zum Ausdruck gebracht.
Man könnte zusammenfassen sagen: ein sehr besonderes Buch!

Fangen wir mit den Menschen an:
Es sind alles Personen, die man früher als „Orginale“ bezeichnet hätte; sozusagen radikale Kontraste zur Mainstream-Normalität. Die beschriebenen Menschen bekommen ihre Individualität gerade durch ihre Eigenarten, ihre Ecken und Kanten, ihre Absonderlichkeiten. Die Personen sind alle auf eine jeweils andere Art sehr „speziell“ – und sind gleichzeitig innig dadurch miteinander verbunden, dass sie geradezu selbstverständlich und ohne erkennbare Mühe die Absurditäten (die manchmal auch Schwächen sind) der anderen annehmen.
So entsteht ein einzigartiger Mikro-Kosmos von nicht viel mehr als einer Handvoll Personen, die – innerhalb und außerhalb von familiären Bindungen – in einer scheinbar unzerstörbaren Art aufeinander bezogen sind – einfach dadurch, dass sie in einem engen Umfeld miteinander leben, sich kennen und scheinbar gar keine andere Alternative sehen, als sich anzunehmen und in unterschiedlichen Qualitäten und Ausprägungen auch zu lieben.

Jetzt zur Art der Betrachtung:
Fast scheint es so, dass die Personen auf ihre skurrilen Anteile reduziert werden – jedenfalls werden sie durch diese Facetten liebenswert. Untereinander und für den Leser. Der Blick auf die dargestellten Menschen ist geradezu durch eine unendliche Toleranz und Akzeptanz bestimmt – diese Autorin ist eine wahre Menschenfreundin. Sie guckt auf die kleinen Dinge, die Zwischentöne, die ungewöhnlichen Perspektiven. Der Blick auf die Welt weitete – weil der innere Horizont sich weitet.

Und die Sprache:
Die Autorin schafft es scheinbar mühelos, diesem besonderen Buch über besondere Menschen auch eine besondere Sprache mitzugeben. Ungewöhnliche Analogien, überraschende Bilder, Wortneuschöpfungen und der wiederholte Bezug zu einigen sprachlichen Ankerpunkten schaffen die passende Atmosphäre und können Leser, die den sehr individuellen Umgang mit Sprache schätzen, geradezu begeistern.

Für mich verkörpert dieses außergewöhnliche Buch eine Menge Lebensweisheit. Es stößt einen auf die Grundthemen des Menschseins – weit weg von jeder oberflächlichen Konsum-Glitzerwelt und der zwanghaften Suche nach immer neuen Extremerfahrungen.
Und letztlich gibt es zwei Grundbotschaften, die man sowohl auf sein eigenes privates Leben als auch auf unser Zusammenleben hier auf unserem kleinen verletzlichen Planeten anwenden könnte:

Es gibt nichts Wichtigeres als die Liebe – in welcher Form sie auch immer gelebt wird!
Den anderen in seinem Anderssein (und manchmal Schwierig-Sein) als selbstverständlich dazugehörig zu betrachten, schafft die Chance, nicht nur friedlich sondern auch in einem tiefen Erfülltsein zusammenzuleben.

Ein überzeugendes Plädoyer für Toleranz und Großherzigkeit!

“The Brain” von David EAGLEMAN

Der Untertitel des Buches lautet “Die Geschichte von dir”.
Das macht zweierlei deutlich: Es handelt sich um ein deutschsprachiges Buch und die Zielgruppe könnte durchaus (auch) im Jugendalter sein.

EAGLEMAN ist ein bekannter englischer Hirnforscher, der sich schon mehrfach auch erfolgreich als Schriftsteller betätigt hat. Er hat ohne Zweifel die Gabe, auch komplexe Sachverhalte unterhaltsam und verständlich zu vermitteln.
Genau das ist ihm in diesem großzügig illustrierten Buch vorbildlich gelungen!

Tatsächlich war ich zunächst etwas irritiert, als ich das mit Spannung erwartete Buch das erste Mal aufschlug: Es las sich wirklich sehr einfach, so dass ich – als in diesem Gebiet leicht vorgebildeter Mensch – schon befürchtete, mich verkauft zu haben. Aber ich habe meine Meinung revidiert:
Zwar werden in diesem Buch auch grundlegende Erkenntnisse der Hirnforschung nochmal dargelegt (für manche ein Wiederholungseffekt) – gleichzeitig führt Autor aber bis an die brandaktuellen und heißdiskutierten Fragen heran: “Wie kann aus Komplexität Bewusstsein enstehen?” “Kann uns die künstliche Intelligenz ersetzen oder überholen?” “Was führt dazu, dass wir uns als “ICH” erleben?”

Der Autor ist nicht so vermessen, auf solche Grenzfragen fertige Antworten zu versprechen. Aber er geht sie mit Selbstbewusstsein und mit der Logik der Naturwissenschaft im Gepäck an und schafft so spannende Räume der Begegnung zwischen Bio- bzw. Neurowissenschaft und Philosophie.

Ein Buch, das einen auf eine sehr angenehme und leichte Art schlauer macht.
Super!

Nachtrag (Januar 2020):
Eine alternative Lektüre wäre “Der kleine Gehirnversteher”.

“Die Bücherdiebin” von Markus ZUSAK

Die Bücherdiebin ist kein aktuelles Buch. Es erschien erstmals 2005 und ist inzwischen als “Klassiker” anzusehen. Aber ich habe zu diesem Buch erst jetzt gefunden – und ich bin froh, dass ich es nicht ganz verpasst habe.

Es geht um die NS-Zeit, die aus der Sicht eines bücherbegeisterten Mädchens beschrieben wird. Zwischendurch meldet sich der Tod als Ich-Erzähler zu Wort, der in diesen Kriegs-, Hunger- und Vernichtungszeiten mehr als genug zu tun hat.

Dieses Buch rührt den Leser bzw. die Leserin deshalb besonders an, weil es die Nöte und das Grauen dieser Zeit konsequent aus der sehr konkreten Perspektive eines Mädchens beschreibt und damit unmittelbar fassbar macht. Dieses Mädchen findet in einer Umgebung, in der Krieg und Menschenverachtung immer stärker zur Normalität werden, kleine Inseln von Humanität und Liebe. Diese Erfahrungen ermöglichen es ihr, selbst unter widrigsten Bedingungen als Person zu reifen und selbst Mitmenschlichkeit entwickeln und weitergeben zu können.

Als wichtiges Medium und Werkzeug in dieser kleinen Gegenwelt zum nationalsozialistischen Stumpfsinn entdeckt Liesel die Kraft der Worte, der Sprache und der Bücher. Unter unglaublichen Bedingungen lernt sie – verspätet – das Lesen und macht dann um das Lesen und Schreiben von Büchern herum die entscheidenden Erfahrungen, was es auch bedeuten kann, Mensch zu sein.

Doch Sprache ist nicht nur ein Thema des Buches, sondern ein besonderer Umgang mit Sprache wird auch vom Autor selbst zelebriert. Ein äußeres Zeichen sind  z.B. die vielen – auch längeren – Kapitel-Überschriften, die z.T. als Inhaltsangabe, als Strukturierung oder als zusätzliche Erzählebene dienen.

Ein Buch über Menschsein und Menschenliebe, die über Generations- und Glaubensgrenzen reichen können. Ein Buch über die Bedeutung von Büchern. Ein Buch über die wesentlichen Dinge….

Bundestagswahl

Wählen ist Privatsache. Zum Wahlrecht gehört das Attribut “geheim”.
Trotzdem möchte ich meine Überlegungen zum Thema hier offen machen.
Warum?
Es ist  – wie immer – eine Mischung zwischen Selbstreflexion und einem ganz bescheidenen Versuch der Einflussnahme durch Überzeugung.

Was kann man realistischerweise noch beeinflussen?
Nun, man kann vielleicht noch verhindern, dass die AfD drittstärkste Kraft wird und man kann dafür sorgen, dass eine der beiden für eine Koalition mit Merkel in Frage kommende Partei stärker wird als die andere.
Da der Ruf der GroKo ziemlich gelitten hat, ist es sehr wahrscheinlich, dass entweder die FDP oder die GRÜNEN Koalitionspartner werden. Und das macht einen wesentlichen Unterschied!

Zunächst zur AfD:
Einige von uns haben vielleicht im erweiterten Bekanntenkreis oder in der Verwandtschaft Kontakt zu Menschen, die potentielle AfD-Wähler sind. Vielleicht gibt es vor der Wahl noch eine Gesprächsmöglichkeit, die man nutzen könnte.
Wenn ich mir eine solche Situation vorstelle, dann würde ich weniger über einzelne Politikfelder oder gar Detailfragen sprechen. Bzgl. der bekannten Themen wie Flüchtlings- , Euro-, Familienpolitik und innere Sicherheit würde ich deutlich machen, dass “alternative” Meinungen möglich und legitim sind. Ich würde auch Verständnis für das Gefühl zeigen können, dass sich bestimmte (konservativ-nationale) Wertvorstellungen und Meinungen bei den etablierten Parteien nicht mehr so richtig “unterbringen” lassen (außer bei der CSU).
Somit wäre die Suche nach einer Alternative letztlich nachvollziehbar.
Das entscheidende Argument, trotzdem nicht AfD zu wählen, wäre für mich das Thema “Anstand” (oder auch “Grundwerte”). Natürlich kann und will ich nicht jedem AfD-Kanditaten ganz persönlich diesen Anstand absprechen. Aber festzuhalten bleibt, dass diese Partei von Meinungen und Personen durchsetzt ist, die einige  für mich wesentliche Grundwerte zumindest in Frage stellen.
Ich meine damit Haltungen wie
– klare Abgrenzung von klassisch-rechtsradikalem und nationalistischem Gedankengut
– Verzicht auf Verunglimpfung von politischen Gegnern oder bestimmten Menschengruppen
– Verzicht auf jede Verharmlosung von Gewalt (als Ausdruck eines Protestes oder als politisches Mittel)
– Beibehaltung einer Grundsolidarität mit Menschen, die unter Krieg, Verfolgung, Not und bitterer Armut leiden (was ausdrücklich nicht die Bereitschaft beinhalten muss, alle diese Menschen nach Europa oder Deutschland einzuladen).
Wenn Menschen sich zu diesen – sehr allgemeinen – Grundüberzeugungen bekennen könnten, dann dürften sie eigentlich nicht mit gutem Gewissen ihr Kreuz bei der AfD machen. Diesen Gedanken würde ich gerne vermitteln. Mit allem Respekt vor den Unterschieden in konkreten Fragestellungen.

Jetzt zur Koalititionsfrage:
Auch wenn sich die FDP sehr modern und weltoffen – vor allem sehr digital – zeigt: Entscheidend scheint mir zu sein, dass sie durch ihren Vorrang für den “freien” Markt (mit möglichst wenig Regeln) nicht die Voraussetzungen dafür schaffen wird, dass wir uns als Gesellschaft schnell und konsequent genug auf eine ökologisch ausgerichtete Wirtschaft, Energieerzeugung, Mobilität, Landwirtschaft, … zubewegen. Die freie Entfaltung des einzelnen und der Unternehmen mag ein hohes Gut sein – aber das Bewältigen des Klimawandels und der skandalösen Ungleichheit bei der Verteilung des Reichtums und der Ressourcen muss eine höhere Priorität bekommen. Und dafür bedarf es eines starken Staates, der regulierend und steuernd eingreift und – da wo es notwendig ist – auch der wirtschaftlichen Macht Grenzen setzen kann.
Sollte es für eine Koalition mit den GRÜNEN eher reichen als mit der FDP, zeichnet sich zumindest die Chance ab, nicht nur Rückschritte zu verhindern (was ja auch schon gut wäre) sondern auch in Einzelfragen positive Akzente zu setzen (vielleicht bei der Braunkohle oder der Massentierhaltung).

Insofern glaube ich, dass man tatsächlich mit einer Wahlentscheidung für die GRÜNEN in dieser besonderen politischen Konstellation etwas bewegen und beeinflussen könnte – und zwar mit relativ wenigen Stimmen, die aber eine wichtige Weichenstellung beinhalten könnten.

“Das Kind, das nicht fragte” von Hanns-Josef ORTHEIL

Bewertung: 5 von 5.

Ein tolles Buch über
– Kindheitsverletzungen, ihre Auswirkungen und ihre Heilung
– Sizilien (Landschaft, Menschen, Küche)
– Ethnologie (als Wissenschaft und als Berufung)
– die Kunst, andere zum Reden zu bringen
– die große Liebe

Meiner bescheidenen Meinung nach ist dieses Buch ein Meisterwerk – zumindest für alle, die sich durch die obige Aufzählung angesprochen fühlen.

Man verschmilzt ganz rasch mit dem Ich-Erzähler und will ihn kaum wieder loslassen.
Es ist ein durch und durch positives Buch – obwohl von einer schwierigen Kindheit erzählt wird. Aber man ist so fasziniert davon, wie der Erzähler diese Kindheit auf eine unnachahmliche Weise verarbeitet hat, dass das erfahrene Leid in den Hintergrund rückt.
Das Buch strotzt vor Interesse und Liebe für die Menschen – im Allgemeinen und in einer sizilianischen Kleinstadt im Besonderen. Und wer eine wirklich große Liebe mal in einer ganz besonderen Form beschrieben haben möchte, der wird hier auf seine Kosten kommen.

Doch das größte Kompliment am Schluss: Ich habe wohl nie zuvor ein so schönes Happy-End gelesen, ohne es auch nur einen Moment lang kitschig zu finden.
Ein absolutes Lesevergnügen, das mich sofort eine zweites Buch dieses Autors ausprobieren lassen wird.
(Dieses zweite Buch ist inzwischen gelesen und hier besprochen)