“Sozusagen Paris” von Navid KERMAN

Eigentlich stand ein anderes Buch dieses Autors auf meiner Leseliste. In diesem Buch setzt er dem Rock-Musiker Neil Young ein literarisches Denkmal. Und tatsächlich taucht der Musiker am Ende des hier besprochenen Romans noch in Erscheinung und eines seiner Lieder wird in den Gedankengang einbezogen.

Doch es geht hier nicht um Rockmusik – es geht um Liebe, genauer gesagt um die bürgerliche Ehe und was sie oft mit der Liebe macht.

Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt: ein Romanautor – und damit meint der Autor tatsächlich sich als reale Person – trifft auf einer Lesereise eine Frau, in die er dreißig Jahre zuvor kurz aber heftig verliebt war. Sie reden eine ganze Nacht, insbesondere über ihre eheliche Beziehung und warum sie trotz allem weiter besteht. Zwischendurch erfährt man auch ein wenig über die ehelichen Erfahrungen des Autors selbst.

Was ist nun das Besondere dieses Buches? Warum sollte man es lesen oder besser nicht lesen?Ich möchte zwei Aspekte herausstellen, die vielleicht die Entscheidung erleichtern könnten.

Der Autor gibt sich als Freund und Kenner der klassischen Liebesliteratur zu erkennen. Man könnte auch sagen: Wesentliche Teile seines Buches beinhalten Zitate aus berühmten Ehe- und Liebesromanen von STENDHAL, PROUST, FLAUBERTund BALZAC. Mit diesen Zitaten arbeitet er, kommentiert sie, lässt seine Gedanken ergänzend durch die berühmten Vorbilder ausdrücken. Man ist erstaunt (wenn man die Originale so wenig kennt wie ich), mit welcher Klarheit und Eleganz die noch heute gültigen Grundthemen schon damals formuliert wurden. Wenn man so etwas mag und „alten Meister“ liebt, ist man hier gut aufgehoben.

Das zweite Merkmal des Buches ist seine Selbstbezogenheit. Der Autor macht sich selbst, das Schreiben, die (fantasierte) Auseinandersetzung mit seinem Lektor und seine Rolle als Romanschriftsteller permanent zum Thema. So ist dieser Roman auch ein Buch über das Romanschreiben. Der Autor guckt sich zu, wie er sich beim Schreiben zuguckt. Das kann man interessant und spannend finden – insbesondere, wenn man selbst schreibt. Man kann es auch ein wenig überzogen und selbstverliebt finden.

Und was ist nun mit der Liebe in der Ehe? Ist sie möglich oder doch nicht? Auf Dauer?

Nun, es wäre ein schlechtes Buch von einem schlechten Autor, wenn es darauf eine eindeutige Antwort gäbe. Die Skepsis ist groß und schlägt manchmal in Resignation um. Die Alternativen sind nicht besonders reizvoll. Und vielleicht lohnt sich der Versuch ja doch.

Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind …. (in diesem Fall natürlich der Leser)

(Das Buch über Neil Young werde ich trotzdem lesen und das zitierte Lied habe ich während der letzten Seiten mitlaufen lassen).

Katalonien II

Ich bin am Tag der sog. Unabhängigkeitserklärung des katalonischen Parlaments zufällig vor Ort, auf Besuch bei einer Freundin. In einem kleinen Dorf in der Nähe von Girona, der zweitgrößten Stadt Kataloniens.

Wir verfolgen den ganzen Tag gespannt die Nachrichtenlage. Dann passiert es: Die beiden Parteien fahren die größten Geschütze auf – ab sofort ist alles möglich. Der Zug hat sich in Bewegung gesetzt; besser: Zwei Züge nehmen Fahrt auf, aufeinander zu, auf einer eingleisigen Strecke.

Betrifft mich das? Werde ich wie geplant in der nächsten Woche nach Hause fliegen können? Wird meine Freundin das Land verlassen müssen, weil deutsche Jugendämter in dieser Situation keine Maßnahmen mehr verantworten können?

Was ist mit den Menschen hier? Gestern machte ich einen Spaziergang, eine Stunde nach Verkündigung der Ablösung von Spanien. Die Leute strichen ihre Haustüren und reparierten ihre Autos. Die katalonischen Fahnen hängen müde an manchen Häusern. War was?

Alle Leute verlassen sich darauf, dass ja nichts Ernstes passieren kann. Das Leben muss doch weitergehen. Der Alltag ist doch stärker als die Politik. Hat jemand ein Gefühl dafür, dass man gerade mutwillig eine insgesamt gute und friedliche Lebenssituation aufs Spiel setzt? Größtenteils, um einer vagen Idee, einem diffusen Freiheitsgefühl nachzujagen? Man vergleicht sich in einer naiven Realitätsverzerrung mit Situationen und Menschen, bei denen es wirklich etwas ging oder geht. Um Unterdrückung, Not, Perspektivlosigkeit.

Für mich ist es unverständlich. Und verantwortungslos. Ich freue mich, dass gerade die Sonne aufgeht. Ich hoffe auf den Sieg der Vernunft. Überall. Und ich hoffe auf eine problemlose Heimkehr in der nächsten Woche.

(Es ist übrigens schön hier)

“Ein amerikanischer Traum” von Barack OBAMA

Warum bespreche ich ein Buch, das ich niemandem wirklich zum Lesen empfehlen würde?

Weil es von Barack Obama geschrieben wurde, dem amerikanischen Präsidenten, auf den Donald Trump folgte.

Ich war immer ein Obama-Fan – auch in der Zeit, als er als große Enttäuschung oder Mogelpackung  belächelt und kritisiert wurde, weil er angeblich entweder nicht geschickt genug taktierte oder nicht radikal genug war.

Ich habe nie verstanden, warum man ihn mitverantwortlich dafür machte, dass sich das rechte, klerikale, rassischste und superreiche Amerika gegen ihn verbündete mit dem einzigen Ziel, ihn scheitern zu sehen. Ich konnte nie begreifen, warum nicht jedem bewusst war, was für ein kaum glaubhaftes Glück es für die USA und die Welt war, einen so intelligenten, charaktervollen und ethisch denkenden Menschen an der Spitze einer Weltmacht zu haben.

Jetzt, wo man weiß, wie schnell so etwas ins Gegenteil kippen kann, gibt es langsam ein Gefühl dafür.

Dieses Buch, in dem Obama 1995 seine komplexe Familiengeschichte erzählt, unterstreicht eindrucksvoll, mit was für einem differenzierten und vielschichtigen Menschen wir es zu tun hatten. Das Buch handelt von seiner rastlosen Suche nach der eigenen Identität in den unterschiedlichen Verästelungen seiner wahrhaft multi-kulturellen Wurzeln. Parallel zu seiner Biografie reflektiert er die schwierige und von Widersprüchen geprägte Herausforderung, als schwarzer Bürger Amerikas seine Rolle und seinen Platz zu finden.

Trotzdem rate ich davon ab, dieses Buch tatsächlich auch zu lesen. Es ist einfach zu detailliert und damit auch zu weitschweifig – zumindest wenn man selbst (z.B. als weißer Mitteleuropäer) von den angesprochenen Themen nicht unmittelbar betroffen ist. Natürlich gibt es immer wieder auch zusammenfassenden Betrachtungen und Schlussfolgerungen – aber sie gehen unter in einem Wust von minutiösen Schilderungen von Personen und Begebenheiten.

Was bleibt ist die Gewissheit, dass ein Mensch amerikanischer Präsident war, der von dem jetzigen Amtsinhaber wirklich unfassbar weit entfernt ist. Dass diese beiden extremen Verkörperungen von dem, was Amerika sein kann, an der wichtigsten Schaltstelle der Welt unmittelbar aufeinanderfolgen, ist eine wahrlich verrückte Pointe der Geschichte.

“Die vierzig Geheimnisse der Liebe” von Elif Shafak

Diese Rezension ist eine echte Herausforderung für mich: Was schreibt man über ein Buch, dessen Inhalt und Sprachstil einem so fundamental fern liegt und fremd ist?

Natürlich könnte ich es mir leicht machen und diese große innere Distanz dafür nutzen, einen Verriss zu formulieren, mich vielleicht sogar lustig zu machen oder arrogant über bestimmte Aspekte zu erheben. Das würde mir tatsächlich nicht wirklich schwer fallen.

Aber wäre es angemessen und fair?

Vielleicht erstmal zum Buch selbst: Der Aufbau folgt der bekannten Struktur „Buch im Buch“. Eine in der Gegenwart spielende Rahmenhandlung (über eine von ihren „wahren“ Gefühlen entfremdete westliche Wohlstandsgattin und Mutter) umschließt eine Geschichte über die dramatische Beziehung eines Sufi-Derwisches zu einem islamischen Gelehrten im 13. Jahrhundert. Die Klammer zwischen diesen beiden Welten wird durch den  – zunehmend realen – Kontakt zwischen der zu sich selbst findenden Frau und dem schon bei sich angekommenen Autor dieses Romans gebildet. Es wäre ein Wunder, wenn man sich den Rest nicht denken könnte…

Doch worum geht es inhaltlich; was will das Buch vermitteln?

Das kommt auf die Betrachtungsebene an.

Aus eine religiösen Perspektive betrachtet ist das Buch ein Plädoyer für einen sanften und humanen Islam, in dem der persönliche Weg zum Glauben als wichtiger erachtet wird als die buchstabengetreue und durch Autoritäten überwachte Befolgung von formalen Vorschriften. Es geht um Toleranz, um innere Haltungen und gütige Bescheidenheit. Glaube und Spiritualität werden als demütige Suche und nicht als in Stein gemeißelte Selbstgewissheit dargeboten.

Erweitert man den Bezugspunkt, dann geht es um grundsätzlichere Einstellungen zum Leben: Was zählt ist – natürlich – nicht materieller Wohlstand oder ein durchgetaktetes und auf die Erreichung langfristiger Ziele ausgerichtetes Leben, sondern die Besinnung auf den Augenblick, das achtsame Umgehen mit sich selbst und der Natur und die gelassene Annahme der schicksalhaften Fügungen des Lebens (denen grundsätzlich natürlich ein Sinn zuerkannt wird).

Das klingt doch alles ganz nett und annehmbar. Stimmt. Es ist insgesamt ein positives, menschenfreundliches Buch. Aber es ist für einen Leser, der sich einem rationalen Weltbild zugehörig fühlt, auch eine ziemliche Zumutung. Warum?

Nun, mich störte weniger die vorhersehbare und extrem klischeebehaftete Rahmenhandlung; damit kann man leben. Schwieriger zu verdauen ist schon die unerschütterliche Selbstverständlichkeit, mit der einzig und allein ein spirituell-religiöser Zugang zur Welt ausgebreitet wird. Auch das kann ja eine erhellende Perspektiverweiterung sein, wenn man sich mal ganz bewusst inspirieren lassen will. Wenn dann aber das Ganze noch in einer – für westliche Verhältnisse – extrem ungewohnten Sprache erzählt wird, dann stellt sich die Frage der Durchhaltebereitschaft. Vielleicht ist es meine bedauernswerte Fixierung auf die nüchterne Rationalität meines kulturellen Backgrounds, die mich diese Sprache als so unerträglich kitschig-schwülstig empfinden lässt. Kann ja alles sein – aber es ist nun mal so!

Wird man durch dieses Buch inspiriert?

Ja, natürlich enthält dieses Buch eine Reihe von Lebensweisheiten. Der Anspruch, es seien nun genau diese 40 Regeln relevant für ein beglückendes Leben in Liebe zu Gott und den Menschen, ist sicherlich nicht ernsthaft zu begründen. Das von Selbstzweifel ungetrübte Postulieren dieser Weisheiten erinnert dann doch ein wenig an die Wahrheitsüberzeugung, die eigentlich ja in diesem Buch kritisiert wird.

Schlussfolgerung: Man sollte als Leser dieses Buches schon relativ nahe dran sein, an dieser Art zu denken und zu sprechen. Sonst wird das Buch eher zu einem – verstörenden und anstrengenden  – Ausflug in eine fremde und unbekannte Welt. Sich davon wirklich berühren zu lassen, wird dann nicht ganz einfach sein.

Katalonien

Wofür die Separatisten in Katalonien kämpfen, ist das Gegenteil von dem, was wir in Europa brauchen. Es ist zu hoffen, dass sich die Vernunft gegen die emotionalen Verirrungen der Unabhängigkeits-Befürworter durchsetzen kann.

Bei allem Verständnis für das Bedürfnis, kulturelle und sprachliche Besonderheiten zu pflegen und zu erhalten: Das Bestreben, einzelne Provinzen in Spanien oder sonstwo in Europa aus den staatlichen Zusammenhängen abzulösen, ist nochmal eine Steigerung des sowieso schon immer stärker um sich greifenden Nationalismus.

Wenn die Menschheit auch leider noch nicht überall in der Lage ist, globale Probleme als solche zu erkennen und darauf mit globalen Lösungen zu antworten, so sollten doch wenigstens zusätzliche lokale Sonderwege in weiter zersplitterten Einheiten verhindert werden. Warum verstehen die Menschen nicht, dass man sich angesichts der geopolitischen und weltwirtschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte wirklich keine selbst konstruierte Schwächung Europas leisten kann.  Amerikaner und Chinesen warten nur darauf, dass das “altmodische” Europa mit seinen “übertriebenen” ökologischen, sozialen und demokratischen Werten von der Weltbühne abtritt.

Wir sollten daher hoffen, dass Separatisten Europa nicht noch zusätzlich schwächen. Und wir sollten dafür eintreten, das die Initiativen (insbesondere von Macron) für ein modernes, starkes und soziales Europa sich durchsetzen.

Macron II

Vor einiger Zeit habe ich mich schon einmal kurz zu dem französischen Senkrechtstarter geäußert. Inzwischen hat er mit der Umsetzung seines Programms begonnen und er beeindruckt mich damit weiterhin fast uneingeschränkt.

Macron ist zum Motor Europas geworden – auf eine Art, die m.E. volle Unterstützung verdient. Macron will nicht – wie man es vielleicht in früheren Phasen vermuten konnte – verkrustete nationale Strukturen durch eine Umverteilung auf europäischer Ebene ausgleichen und überdecken. Er ist bereit, auch den traditionell sperrigen Franzosen einiges zuzumuten. Er will das aber nicht als Selbstzweck sondern er verbindet damit die Vision eines starken und sozialen Europas.

Ein solcher Kurs ist nicht nur langfristig gut für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Europa sondern vor allem für die Sicherung des Einflusses von Europa in der Welt. Das setzt innereuropäische Solidarität voraus; die ist auch mit einer gewissen Umverteilung verbunden. Aber das Ganze ist eine Investition in die gemeinsame Zukunft.

Leider sind im Moment die GRÜNEN die einzige Partei der zukünftigen Regierung, die eindeutig bereit ist, diesen Weg aktiv mitzugehen. Insbesondere die CSU und die FDP verteidigen in populistischer Manier den deutschen Egoismus (“wir sanieren Europa nicht mit deutschen Steuergeldern”).
Natürlich wäre aber dabei peinlich darauf zu achten, dass nicht ungerechte Privilegien in anderen Ländern unangetastet bleiben, weil ja das Geld von außen (z.B. aus Deutschland) kommt.

Ich hoffe, dass Macron sich letztlich mit seiner Vision durchsetzen kann. Er könnte an einem Europa basteln, das endlich von der Mehrheit der Menschen als an ihren Interessen orientiert wahrgenommen wird.

 

“Golden House” von Salman RUSHDIE

Die meisten Menschen meiner Generation kennen Salmon Rushdie als Symbolfigur für die unbarmherzige Intoleranz der Islamisten. Er wurde bereits unter dem Kohmeini-Regime 1989 mit einer Fatwa belegt und damit offiziell zur Tötung freigegeben, weil seine „Santanischen Verse“ angeblich den heiligen Koran beleidigt hätten. Seitdem lebt der Autor unter permanenter Bedrohung und Polizeischutz.

Rushdie hat inzwischen eine ganze Reihe erfolgreiche Romane veröffentlicht, einige davon habe ich auch gelesen.

Sein aktueller Roman reicht bis in die unmittelbare Gegenwart – thematisiert dabei insbesondere die Veränderungen in den USA vor und nach der Trump-Wahl. Das Buch ist komplex und vielschichtig bzgl. der angesprochenen gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Themen: neben dem politischen Klima (in Indien und der USA) wird insbesondere die Gender-Debatte (in allen verrückten Varianten), die allgemeine Suche nach Identität, die organisierte Kriminalität, der Kulturbetrieb (insbesondere im Filmbereich) und das komplexe Netz familiärer Beziehungen und Verstrickungen thematisiert. Natürlich fehlt auch die Suche nach Liebe nicht.

Eingebettet werden diese inhaltlichen Aspekte in eine Dreifach-Handlung: Erzählt wird die Familiengeschichte eines ursprünglich aus Indien stammenden steinreichen Unternehmers und seiner drei Söhne (1. Ebene), die wiederum von dem Ich-Erzähler zum Gegenstand seiner (z.T. sehr persönlichen) Erkundung und Erforschung gemacht wird (2. Ebene), wobei dieser Prozess von eben jenem Erzähler auch noch auf der Meta-Ebene betrachtet und reflektiert wird (3. Ebene).

Doch damit nicht genug! Wer Rusdie nicht kennt, wird sicherlich zunächst erschlagen sein von seiner Wortgewaltigkeit, die den Leser immer wieder heraus- und öfters auch überfordert. Das muss man wollen.
Der Autor ist sowas wie ein Welt-Intellektueller, der sich gleich in einer ganzen Anzahl von Kulturen grandios auskennt und sich aus all diesen Quellen in einer unnachahmlichen Souveränität bedient. Das führt dazu, dass man sich manchmal ganz klein und hilflos vorkommt, weil man entweder nur halbverstehend-staunend darüber hinweg liest (oder hört) oder erstmal eine Recherche-Zeit einplanen muss, um der Bedeutung der Begrifflichkeiten und ihrer Bezüge halbwegs gerecht zu werden. Dieser Mensch kennt scheinbar alle nur erdenklichen Geschichten, Sagen, Bücher, Filme, Musikstücke oder was sonst menschliche Kultur erschaffen hat und greift nach Lust und Bedarf auf all dies zurück, wenn es ihm zur Ausschmückung eines Gedankens dient.
Das ist anstrengend – aber auch faszinierend und letztlich eine unnachahmliche Lese-Erfahrung.

Natürlich ist der Erzähler (und damit auch der Autor) nicht werte-neutral! Dieses Buch ist (wie das gesamte Wirken von Rushdie) der Humanität, der Vernunft und der Aufklärung gewidmet. Damit ist natürlich Trump (der sich im Buch hinter einem anderen Namen versteckt) der natürliche Gegner.

Mit dem Buch tritt man in ein ganzes Universum ein, das einem mit all seiner Komplexität in Beschlag nimmt. Zusammengehalten wird es durch die Hauptfiguren und letztlich durch das Schicksal des Ich-Erzählers. So schafft es Rushdie, all seine breitgefächerten Botschaften zu vermitteln und dem Leser doch das Gefühl eines zusammenhängenden „Roten Fadens“ zu geben – also doch so etwas wie eine Ordnung in einer total chaotischen Welt zu schaffen (vielleicht sogar mit einem akzeptablen Ende?).
Und genau das ist die literarische Kunst, die Rushdie so perfekt beherrscht: seine Weltsicht und seine Apelle so zu verpacken, dass sie zum Lesen und zum Weiterlesen motivieren.

Und am Ende hat man sich so an diese unglaublich überbordende Intensität dieses Lese-Kosmos gewöhnt, dass im eigenen – so vergleichsweise überschaubaren – Leben fast sowas wie Entzugserscheinungen auftreten könnten….

“ES” Die (Neu-)Verfilmung des Horror-Klassikers von Stephen KING

Warum gehe ich in einen solchen Film?
Nun, das hatte in erster Linie sehr persönliche Gründe; die alleine reichen zur Erklärung mehr als aus. Dazu kam die Neugier, wie das Buch von Stephen King, das ich vor kurzem als Hörbuch gehört habe, filmisch umgesetzt wird. Dazu wollte ich mir eine Meinung bilden.

Ich hole etwas aus:
Ich mag keinen Horror; ich muss nicht mit dem inneren und äußeren Schrecken der Welt konfrontiert werden, um mich irgendwie zu spüren; Gewaltschilderungen erzeugen bei mir Abwehr und Abscheu. Ich sehe die Ästhetisierung der Gewalt nicht als akzeptable Kunstform an. Ich gehöre der „ach so ignoranten und spießigen“ Gruppe von Menschen an, die einen Zusammenhang zwischen exzessiver Gewaltdarstellung (in welcher Form auch immer) und der Verrohung von Menschen und Gesellschaften postulieren (das tue ich nicht nur als Privatmensch sondern auch als Psychologe).

Warum dann überhaupt Stephen King?
Nun – der Mann kann einfach tolle Geschichten toll erzählen! Auch wenn seine Millionen-Bestseller nicht als „hohe“ Literatur gelten, so beinhalten sie doch sehr viel mehr als Schocker-Effekte. King kann Figuren zeichnen, Schauplätze atmosphärisch dicht ausgestalten und psychische Prozesse nachvollziehbar machen. Im Grund liebt er die Menschen.
Schade nur, dass seine Leidenschaft in diese eine Richtung geprägt wurde. Einen King ohne Horror und Gewalt würde ich als Autor lieben!

Ach so – ich wollte eine Filmkritik schreiben…

Was kann man nach dieser Vorrede erwarten? Bestimmt keine Begeisterung – aber vielleicht ein Lob für die cineastische Umsetzung der Vorlage.
Dieses Lob gibt es ganz eindeutig von mir nicht!

Die Verfilmung konnte der Versuchung nicht widerstehen, das Verhältnis von Story und Grusel-Effekten genau auf den Kopf zu stellen. Die Geschichte der sympathischen Loser-Kinder-Clique dient fast ausschließlich als Anlass für die Schocker-Szenen. Der Regisseur tobt sich ungebremst aus in einer – sicherlich technisch perfekten – Aneinanderreihung von bis ins Absurde gesteigerten Ekel-Fantasien.
Die Regel scheint zu sein: „Je extremer desto besser – man muss doch bei dieser Gelegenheit mal zeigen, was heute tricktechnisch geht!“
Sorry – aber das interessiert mich nicht; ich brauche den Ekel nicht perfektioniert!
(An der Stelle sollte ich es vielleicht verraten: Ich habe die Augen öfters mal geschlossen, weil ich bestimmte Bilder gar nicht erst in mein Gehirn lassen wollte).

Noch ein paar andere Dinge haben mich geärgert:

  • Die ca. 11 bis 13-jährigen Kinder haben Sprüche von deutlich älteren Jugendlichen drauf – offenbar um das Ziel-Publikum (ab 16) zu bedienen.
  • Die im Film dargestellte Gewalt wird auch dadurch verharmlost, dass (gesundheitliche) Folgen durchweg in absurder Weise ausgeblendet werden (z.B. verursachen Steinwürfe an den Kopf scheinbar keinerlei Schäden).
  • Die Kinder sind auch psychisch gegenüber den extrem traumatisierenden Erlebnissen scheinbar vollkommen immun.

Wen könnte dieser Film also ansprechen – außer der Zielgruppe von jungen Menschen, die alles mitnehmen, was irgendwie trendy oder extrem ist?
Es gibt sicherlich Cineasten, für die eine Verfilmung dieses Horror-Klassikers ein von Natur aus relevantes Ereignis ist. Deren Interesse allen Facetten der Filmkunst gilt und deren Neugier für und Faszination durch das Medium nicht durch solche prinzipiellen Erwägungen (s.o.) getrübt wird. Für diese Menschen kann es sicher gute Gründe geben, sich dieser Situation zu stellen.

Für alle anderen empfehle ich:  Lass ES sein!