Nach der Europawahl

Verständnis für Frust
Es ist für viele Menschen verständlicherweise irritierend und auch ärgerlich, dass ein – etwas respektlos und provokant auftretender – junger YouTube-Blogger offenbar mehr Einfluss auf die Wahlentscheidung einiger Hunderttausend junger Wähler genommen hat als dies monatelange Bemühungen von engagierten Wahlkämpfern vermocht haben. Das fühlt sich sicher frustrierend und ungerecht an.
Und vielleicht hat es auch etwas Bedrohliches, wenn man erleben muss, wie eine medial gehypte Einzelmeinung so plötzlich bundesweite Bedeutung bekommen kann – an allen anderen seriösen und etablierten Kanälen vorbei.
Ich selber habe allerdings keine besondere Sorge bzgl. dieser potentiellen “Indoktrination”, weil ich davon überzeugt bin, dass das Rezo-Video nur deshalb diese durchschlagende Wirkung entfalten konnte, weil es passgenau eine sowieso vorhanden Stimmung getroffen und verstärkt hat. Ohne “Fridays for Future” wäre das Video in der Subkultur steckengeblieben, aus der es stammt.

Freude und Genugtuung
Ich gönne es den engagierten jungen Leuten und unserer Gesellschaft, dass durch den Erfolg der GRÜNEN der Eindruck entstanden ist, dass sich in unserer oft geschmähten Demokratie Engagement und ein inhaltlich begründeter Protest auszahlt. Man kann etwas bewegen!
Man muss dafür keine Autos anzünden, Polizisten verprügeln oder Bomben legen. Man muss dafür auch nicht unseren Staat und seine Institutionen aushöhlen oder verunglimpfen (so wie es übrigens sehr viele ach so kluge Erwachsene vor unseren Augen tun).
Vielleicht hat diese Europawahl eine ganze Generation für unser demokratisches System gewonnen! Dieser Effekt könnte weit über die tatsächlich Veränderungen von Mehrheitsverhältnissen hinausgehen. Was kann unserer Gesellschaft besseres passieren, als dass jetzt in Tausenden von Schulklassen und Familien über den Zusammenhang zwischen den Schüler-Demonstrationen und dem Wahlverhalten der Erst- und Jungwähler diskutiert wird?

Spaltung überwinden
Aber es gibt auch aus meiner Sicht ein Problem. Und zu dessen Lösung werden wir Erwachsene gebraucht:
Während nämlich die Jungen jedes Recht zur Polarisierung haben, sollten wir dafür sorgen, dass es keinen dauerhaften Riss in unserer Gesellschaft gibt. Diesmal meine ich nicht den zwischen Arm und Reich, sondern die Aufspaltung in zwei Lager mit grundsätzlich verschiedenen Werten und Zielen.
Auf der einen Seite stehen u.a. die jungen Klimaschützer, die GRÜNEN und die engagierten Wissenschaftler, die inzwischen eine breite bürgerliche Schicht davon überzeugt haben, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein wünschenswertes, sondern ein überlebenswichtiges Prinzip für diesen Planeten darstellt. Dieses Milieu ist bereit, im Bereich von Konsum und materiellem Wohlstand deutliche Einschränkungen hinzunehmen und sieht sich eher dem Ziel einer gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zugunsten eines – im Prinzip auch weltweiten – Gemeinwohls verpflichtet.
Dem gegenüber stehen die Gruppierungen, die den Erhalt gewohnter kultureller Identitäten und eigene bzw. nationale wirtschaftliche Interessen in den Mittelpunkt stellen und dabei unbestreitbar auch ehrliche Sorgen vor einer Gefährdung der erreichten sozialen Sicherheit und Stabilität haben.
Zwischen dem grünen Milieu und dem durch die AfD vertretenen rechten Rand des politischen Spektrums erscheinen diese Gegensätze aktuell unüberwindbar. Mir liegt die Gruppe dazwischen am Herzen.

Ich wünsche mir, dass der Gesprächsfaden nicht abreißt. Man sollte überall – auch im privaten Bereich – darauf achten, dass man mit einem arroganten oder elitären Auftreten die “Unentschiedenen” nicht in die rechte Ecke treibt. Auch wenn man gute Gründe hat, seine Überzeugungen als “richtig” (auch im Sinne wissenschaftlicher Belege) zu bewerten, sollte man Brücken bauen und nicht abreißen.
Es gibt auch bei den gerade  “abgestraften” Parteien verantwortungsvolle und engagierte Menschen, auf deren Sachverstand und Erfahrung man nicht verzichten kann. Da muss man nicht bei den Zuspitzungen von Rezo stehenbleiben.
Und es gibt bestimmt in Verwandtschaft, Bekanntschaft und Nachbarschaft Menschen, die anders denken, aber trotzdem ansprechbar sind. Weil es (noch) gemeinsame Ziele und Grundwerte gibt. Natürlich können wir auch mit den jungen Leuten auf die Straße gehen; aber zusätzlich könnte es unser Job sein, den Zusammenhalt im Alltag zu pflegen. Auch mal zwischen den Milieus (damit meine ich natürlich keine Anhänger einer menschenverachtenden rechtsradikalen Gesinnung).

… Hochkant-Videos

Wenn man irgendwann in der Mitte des letzten Jahrhunderts geboren wurde und dann in die Jahre kommt, hat man als aktiver Medien-Mensch, also als Foto-/Film-/Video-Amateur schon so einige technische Revolutionen mitgemacht. Noch stärker als bei der Fotografie, wo es im wesentlichen nur um den Übergang in das digitale Zeitalter ging, hat es für den Heim-Videobereich ein ganzes Arsenal von Systemen gegeben, die sich vom alten Super-8-Format über immer kleinere und hochauflösendere magnetische  Videobänder (die zunächst analoge, dann digitale Signale enthielten) bis hin zur volldigitalen Speicherung und Bearbeitung in aktueller 4K-Qualität gesteigert haben.
Parallel dazu entwickelten sich die Darstellungsmöglichkeiten und -qualitäten: Nachdem zunächst die Leinwand wie im Kino durch den Filmprojektor angestrahlt wurde, kamen dann die elektronischen Röhren-Bildschirme, also die normalen Fernseher dran; oft mit einem enttäuschenden Ergebnis. Nachdem – nach zwischenzeitlichen Einsatz der Beamer-Technologie – der große  Flachbildschirm mit mindestens HD-Auflösung Einzug in die Wohnzimmer gehalten hat, machte das Videografieren auch für qualitätsbewusste Filmer richtig Spaß.

Eines stand während dieses ganzen Entwicklungsverlaufs allerdings nie in Frage: Film- bzw. Videobilder leben vom Querformat! So wie man die Welt sieht, so wie man Kino und TV immer erlebt hat. Eigentlich galt und gilt die Devise: Je breiter desto besser! Das spürt man insbesondere dann, wenn man alte, im Format 4:3 aufgenommene Fernsehbilder auf einem modernen Monitor betrachten muss. Fürchterlich!

Alles könnte gut sein – aber dann kamen die Smartphones!

Plötzlich konnte Jedermann und Jedefrau immer und überall ziemlich hochwertige Videoaufnahmen herstellen. Und das passierte dann auch. Was man sich allerdings mit meiner Vorgeschichte nicht vorstellen konnte: Die Menschen halten ihre Smartphones einfach so in der Hand, wie sie es immer tun und erzeugen damit tatsächlich sehenden Auges Hochkant-Videos! Unfassbar!
Mir würde eher die Hand abfallen als zu vergessen, das Handy um 90° zu drehen um “richtige” Videos zu machen. Die man dann später auch auf anderen Endgeräten angemessen anschauen kann, die man in Video-Schnittprogrammen zu echten Filmen verarbeiten kann.

Es ist eine echte Zäsur, ein Generations-Bruch!
Wer das Videografieren auf dem Smartphone beginnt und sowieso nie eine andere Betrachtungsform als das Smartphone-Display wählt, empfindet kein Problem. Es entsteht kein Leidensdruck. Es gibt noch nicht einmal ein Bewusstsein für die “Perversion” dieser Aufnahmetechnik.
Und so passiert es inzwischen, dass man selbst in der Tagesschau dokumentarische Bilder gezeigt bekommt, in denen ein mickrig kleiner Bildstreifen in der Mitte die eigentliche Information enthält und rechts und links davon unscharfe breite Streifen dazugemogelt werden.

Es ist verrückt: Die Leute haben kinoähnliche 65-Zoll-Monitore an der Wand, die ihre Smartphone-Aufnahmen in einer genialen Qualität im Format 16:9 wiedergeben könnten. Aber sie machen Hochkant-Videos. Weil – ja weil man das Handy mal gerade so in der Hand hat – und für das Querformat vielleicht die zweite Hand als Unterstützung bräuchte.

Ich werde scheinbar alt – und verstehe die Welt nicht mehr in allen Facetten!

“Die große Transformation” von Uwe Schneidewind

Der Titel könnte auch einen Science-Fiktion-Roman schmücken – aber es ist (mal wieder) ein reales Zukunftsbuch.
Was unterscheidet es von den vielen anderen Büchern dieser Art, von denen einige auch in diesem Blog schon besprochen wurden (1, 2, 3, 4)?

Das lässt sich relativ einfach erklären: Während die anderen Bücher Fakten und Trends zusammentragen und die Notwendigkeit aufzeigen, sich auf die anstehenden Risiken und Herausforderungen (Digitalisierung, Klimawandel, usw.) möglichst bald einzustellen, macht das Buch von Schneidewind (und seinem Wuppertaler Institut) den Weg und die Prozesse der Umsteuerung zum Thema. Die Ausgangslage und die Ziele werden also weitgehend vorausgesetzt, es geht um die Umsetzung.

Damit ist auch die Zielgruppe für dieses Handbuch definiert: Es richtet sich weniger an den einzelnen Bürger und Konsumenten, sondern an die (potentiellen) Gestalter der Veränderungsprozesse, die als unvermeidlich bzw. ethisch geboten angesehen werden. Also an Muliplikatoren, Sozialwissenschaftlicher, Politiker, Aktivisten, Verbände, usw.
Es geht nicht um Faktenwissen, sondern um System- und Veränderungswissen.
Um es kurz zu sagen: Das Buch analysiert und beschreibt – sozusagen auf der Meta-Ebene – Wege und Methoden, wie die als dringend notwendig erachtete “Zukunftskunst” vermittelt und erworben werden kann. Eine solche Zukunftskunst wäre ein Potpourri an Kompetenzen, Einstellungen und Verhaltensmustern, das den einzelnen und die ganze Gesellschaft befähigen könnte, die anstehenden Aufgaben der Transformation zu leisten.

Es gibt eine zentrale Zielsetzung, die als Vorgabe über dem gesamten Buch schwebt: Die Autoren verschreiben sich (Achtung: Wortspiel) mit vollem Engagement einem moralischen Anspruch: Die Erde soll für (alle!) demnächst ca. 10 Milliarden Menschen ein Ort werden, in dem ein menschenwürdiges Dasein möglich ist. Also ein Leben, in dem die Grundbedürfnisse und Menschenrechte gesichert sind. Und zwar – und jetzt kommt sozusagen der zusätzliche Anspruch – auch für künftige Generationen!
Es geht also um Gerechtigkeit UND Nachhaltigkeit.

Wie gesagt: Es wird nicht für dieses Ziel geworben, es wird vorausgesetzt. Dem kann ich gut folgen; ich wüsste keinen logischen oder ethischen Grund, der gegen dieses Ziel sprechen könnte.
Das Besondere ist nun, dass die Lösung nicht einer politischen oder ideologischen Heilslehre, nicht in einem gesellschaftlichen Umsturz und nicht in einer bloßen idealistischen Utopie gesehen wird. Statt dessen geht es ganz systematisch in kleinen, realistischen und zum Teil schon erprobten Schritte ans Arbeiten. Gucken, was es gibt, was schon funktioniert, welche Kräfte man bündeln könnte, welche Akteure bereit stehen, welche Institutionen man nutzen kann, usw.
Nach und nach entsteht so ein Netzwerk von Ideen, Prozessen und Beteiligten, die an ganz unterschiedlichen Stellschrauben drehen – auf ein gemeinsames Ziel hin.

Man wird fragen: Wo um Himmels willen soll denn bitte die Einsicht und Bereitschaft der Menschen herkommen, auf lieb gewonnene Gewohnheiten und ererbte Privilegien zu verzichten, zum Wohle des Ganzen?
Nun, genau um diesen kulturellen Wandel, um die Veränderung von Vorstellungen über ein “gutes” Leben geht es auch in diesem Buch. Prioritäten können sich ändern; man kann diesen Prozess anstoßen, begleiten erleichtern.
Beispiel: Wenn Städte in Zukunft menschen- und nicht mehr autogerecht sein sollen, dann müssen Stadtplaner, Mobilitätsmanager und Wirtschaftsfachleute zusammenarbeiten. Und gleichzeitig muss es “schick” werden, eben kein eigenes Auto mehr zu besitzen – so wie es in den urbanen Zentren von der jungen Generation schon vorgelebt wird. Solche Trends können Wege in die Nachhaltigkeits-Lebensweise weisen.

Es wird vielleicht schon an meinem Schreibstil der Rezension deutlich: Es geht um eine insgesamt eher trockene, abstrakte Materie. Es wird strukturiert und systematisiert, es gibt Listen und Schaubilder, Zusammenhänge werden beschrieben. Es gibt eine gewisse Redundanz und ein großes Bedürfnis nach Vollständigkeit. Nicht jede/r wird mit so einer Lektüre die kostbare Freizeit füllen wollen.
Aber es gibt Alternativen zum Durcharbeiten eines solchen Fachbuches.
So gibt es eine Internetseite, ein informatives Video in Kurz– und Langfassung und ein Podcast aus der Reihe “Philosophisches Radio” von WDR 5.
Ich empfehle insbesondere den Podcast: In ca. 50 Minuten bekommt man einen guten Eindruck von der gesamten Thematik – auf recht unterhaltsame Weise.

Europawahl / Rezo-Video / Fridays for Future

Die steigenden Teilnehmerzahlen der Schüler-Demos und die sensationelle Öffentlichkeitswirksamkeit des Videos von YouTube-Blogger Rezo machen beispielhaft deutlich: Es gibt aktuell eine gesellschaftliche Dynamik, die sich in erster Linie rund um das Thema “Klimakrise” manifestiert.
Dazu ein paar Überlegungen, die auch im Zusammenhang mit der morgigen Europawahl stehen:

Unbestreitbar ist:
Ja, einige Aussagen auf den Plakaten protestierender Schüler und in dem Rezo-Video (ich habe es wirklich ganz gesehen) sind überspitzt, polemisch, übertrieben, ungerecht und vermutlich in Einzelbereichen sachlich nicht haltbar. Das mag man bedauern oder sich sogar massiv darüber ärgern.

Vielleicht hilft ja  – als erster Schritt – eine Relativierung: Angesichts des unfassbaren Schrotts und der hasserfüllten Tiraden, die uns in den sozialen Medien seit Jahren umgeben: Wie schrecklich und gefährlich sind dann die zugespitzten Thesen eines jungen Mannes, der sich mit – zumindest im Prinzip belegten – Statements an eine jugendliche Subkultur wendet, die vermutlich von deutlich “seriöseren” Medienangeboten kaum erreicht wird? Droht da wirklich der allgemeine Sittenverfall? Oder könnte es doch vielleicht ein engagierter – sicher nicht ausgewogener – Beitrag zu einer dringend notwendigen gesellschaftlichen Diskussion sein? Ist eine vereinfachende Zuspitzung “Die CDU zerstört unsere Zukunft” wirklich mehr Aufregung wert als der Gegenstand, um den es geht – nämlich eine von den Kids als real empfundene Bedrohung ihrer Lebensperspektiven?
Noch ein Gedanke zur Relativierung: Die Gelbwesten in Frankreich haben aus Wut über vermeintliche soziale Zumutungen mal eben einen Staat an die Grenze eines Aufruhrs gebracht; es gab massive Gewalt und riesige materielle Schäden. Haben wir wirklich ein Problem wegen Schüler-Streiks und Rezo-Videos? Geht’s noch?

Eine weitere Frage an die Menschen, die sich über die Heftigkeit und den Rigorismus der jungen Leute aufregen: Wer trägt eigentlich die Verantwortung dafür, dass sich die Auseinandersetzung so zugespitzt hat?
Sind es ungeduldige und überhitzte, auf Krawall gebürstete Jungen Leute, die sich – naiv wie sie sind – vor irgendeinen Karren spannen lassen?
Oder hat möglicherweise die Generation ihrer Eltern (also wir) schlichtweg 50 Jahre (seit “Grenzen des Wachstums”, Club of Rome, 1972) in einem beträchtlichen Umfang versagt?
Wir waren es doch, die schon lange alle Informationen über Umweltzerstörung, Ressourcenkrise und Klimawandel hatten und trotzdem nicht bereit waren, unser Wirtschaften und unseren Lebensstil den klar erkennbaren Notwendigkeiten anzupassen. Und jetzt sollen ausgerechnet diejenigen, die den Schlamassel irgendwann ausbaden müssen, Rücksicht auf unsere Bedürfnisse nach Ausgewogenheit und Diplomatie nehmen?
Das ist – mit Verlaub – verkehrte Welt!

Freuen wir uns doch, dass die jungen Leute uns einen Teil der Verantwortung abnehmen. Sogar wir werden noch etwas davon haben – weil es uns schnelles Handeln letztlich viel weniger abverlangen wird als weiteres Abwarten und Lavieren.
Müssen wir uns tatsächlich vor einer Bewegung fürchten, die alle Bürger aufruft zur Europawahl zu gehen und dabei an das Klima zu denken? Diese Kids zeigen uns, dass sie an unser demokratisches System – mit all seinen Schwächen – glauben! Was wollen wir eigentlich noch mehr? Gab es schon mal eine Jugendbewegung, die vernünftigere Ziele mit vernünftigeren Methoden zu erreichen suchte?

Wer ausgerechnet daran verzweifelt, der lebt wohl doch ein wenig in einer anderen Welt!
(Tut mir leid, wenn das auch polemisch klingen sollte…)

Wer sich genauer für die Wege interessiert, wie denn eine Umsteuerung zu einer klimaschonenden und nachhaltigen Welt aussehen könnte, kann hier mal reinschauen.

Übrigens: Morgen ist Europawahl!
Nicht zu wählen (oder die AfD) heißt, die Kräfte zu stärken, die die EU aushöhlen wollen und die gar nichts zum Klimaschutz beitragen wollen.

“Triffst du Buddha, töte ihn! Ein Selbstversuch” von Andreas Altmann

Ich bin sehr dankbar, dass ich manchmal Bücher empfohlen bzw. ausgeliehen bekomme, die mir selbst wohl nicht begegnet wären. Besonders freue ich mich natürlich, wenn man sich dann noch für meine Meinung interessiert. Beim “Buddha”-Buch war das der Fall. Da ich meine Meinung schon persönlich übermittelt habe, erfolgt hier nur eine Kurz-Rezension der Vollständigkeit halber.

Manchmal sagt ja die Einschätzung (“Das Buch könnte was für dich sein”) ja  – etwas aus über die Bilder, die jemand über den potentiellen Leser im Kopf hat. Bei ALTMANN betraf das den Punkt der Religionskritik: Wenn dieser Autor doch so eindeutig und leidenschaftlich die traditionellen monotheistischen Offenbarungsreligionen ablehnt – so der Gedanke – dann könnte doch Sympathie oder Solidarität für sein Gesamtkonzept entstehen…

Nun – das hat nicht geklappt. Hier kurz die Begründung:

Der alternativ-orientierte Weltenbummler und Journalist ALTMANN treibt sich gerade in Indien  herum. Auf der Suche nach irgendwie intensiven Erfahrungen. Er will sich spüren, etwas Extremes erleben. Wie offenbar schon oft in seinem rastlosen Leben und auf seinen zahlreichen Reisen, die man wohl – leicht untertrieben – als “anti-touristisch” bezeichnen kann. Es sucht das wahre Leben, er taucht ein, bis es weh tut: Auf der Suche nach Authentizität und Intensität gibt es wohl kaum etwas, was er nicht tun oder essen, wo er nicht schlafen, wen oder was er nicht an sich heranlassen würde.

In diesem Buch geht es um das Durchleben und Durchleiden eines buddhistischen Meditations-Marathons in einem abgelegenen Camp. Es geht um viele Tage mit unglaublich vielen langen Stunden, in denen nur still gesessen und geatmet wird. Jede Form von Kommunikation in der Gruppe ist verboten. Input kommt nur vom Meditations-Lehrer.
ALTMANN nimmt uns mit in seine inneren Prozesse und Kämpfe, beschreibt seine Schmerzen, seine Zweifel und sein Durchhalten. Es geht um Selbstüberwindung, um das Überschreiten von riesengroßen Stopp-Schildern – nach dem Motto: Was kommt hinter dem Schmerz, hinter dem Gefühl von endlos und zäh fließender Zeit, hinter den unaufhörlich rotierenden Gedanken, hinter der Leere?

ALTMANN mutet sich Unglaubliches zu; sein Motiv, innere Grenzen zu überwinden muss nahezu grenzenlos sein. Er will wissen, wie viel Weisheit und Selbsterkenntnis die Power-Meditation ihm bringen kann.
Dabei setzt er sich nicht nur von den – als naiv empfundenen – Glücks- und Jenseitsversprechungen der Ein-Gott-Religionen ab, sondern räumt bei dieser Gelegenheit gleich die Erleuchtungs-Ansprüche der buddhistischen Gurus mit ab. Er will und sucht keine Abwendung vom Ich und vom Alltag; er will sein Ego und seinen Intellekt nicht auflösen im Einssein mit dem Kosmos. Er will sich nicht von prallen Leben abwenden. Dafür ist ALTMANN viel zu lebensgierig. Hinter seiner Extrem-Askese lauert letztlich der Genuss-Mensch.

Mir kommt das so vor, dass hier jemand mit einer – für mich schon etwas pathologisch zwanghaft anmutenden – Konsequenz letztlich eine weitere Extremerfahrung konsumiert. Für mich ist der Autor ein Getriebener, dem schon der Gedanke an ein etwas normaleres Leben ein wohl geradezu körperlich schmerzhaftes Grauen verursacht.

Nein. Mich verbindet kaum etwas mit diesem Menschen.
Meditieren finde ich übrigens lohnend und sinnvoll. Aber es gibt sicher viele motivierendere Einladungen dazu.

“Jugendämter diskriminieren Hartz IV-Eltern”

So etwa könnte man die Äußerung eines Linken-Politikers zusammenfassen, die ich gestern in einer Nachrichtensendung aufgeschnappt habe.
Ich war total fassungslos! Wie tief kann man sinken, wenn man in ideologischen Scheuklappen lebt?!

Wenn man besessen ist von dem Gedanken, dass den wirtschaftlich Schwachen in unserer Gesellschaft immer und überall Unrecht angetan wird, kommt man offenbar irgendwann auf die Idee, dass auch die Eingriffe der Jugendämter in arme Familien nur ein Ausdruck einer gesellschaftlichen Stigmatisierung sein können. Nach dem Motto: Erst lässt man die Familien verarmen und dann nimmt man ihnen noch – ohne andere triftige Gründe – die Kinder weg und bestraft sie damit für ihre Armut!

Was für ein Weltbild! Ob dieser Mensch jemals ein Jugendamt von innen gesehen hat? Ob er eine leise Ahnung davon hat, was alles zusammen kommen muss, bevor ein Kind “rausgeholt” wird? Was alles vorher probiert und durchlaufen werden muss? Dass wirtschaftliche Verhältnisse allein  explizit nie eine Begründung für die Inobhutnahme von Kindern sein dürfen?

Ja. In armen Familien gibt es echte Kindeswohlgefährdung. Mit höherer Wahrscheinlich als in anderen Gesellschaftsschichten. Das liegt schlichtweg daran, dass bestimmte Risiko-Faktoren für beide Bereiche gelten: für schlechte wirtschaftliche Verhältnisse und für Gefährdungen von Kindern.

Dass hat übrigens nichts damit zu tun, dass die betroffenen Menschen (Eltern) nun die persönliche Schuld für ihre Lage hätten. Oder dass die Gesellschaft nicht noch eine Menge zusätzlicher Anstrengungen unternehmen sollten, zu unterstützen und zu kompensieren. Das wäre richtig und notwendig!
Es geht schlichtweg darum, dass Kinder vor schädigenden Einflüssen geschützt werden müssen. Und das gilt auch, wenn diese Schädigungen von armen Eltern ausgehen. So einfach ist das!
Auf solche Gefährdungen wird ganz sicher nicht vorschnell oder diskriminierend reagiert, sondern in der Regel immer noch zu langsam und zurückhaltend.
Daran ändert auch ein dezidiert linkes Weltbild nicht! Mit einer solchen verqueren Argumentation schwächt man linke Politik eher.

 

Fridays for Future / CO2-Steuer / Klimaziele

Jetzt kann ich nicht mehr ruhig bleiben; jetzt muss ich mich äußern. Einfach, weil es mir dann (hoffentlich) etwas besser geht.

Die GroKo hat gerade die CO2-Steuer abgeschmettert, ohne eine realistische, kurzfristig wirksame Alternative im Bereich Verkehr anbieten zu können.
Der einzige Grund: Es könnte zu Mehrbelastungen kommen, die gerade wirtschaftlich Schwächere und Pendler belasten könnten. Das könnte das Wahlvolk verärgern und möglicherweise in die Arme von Protestparteien (insbesondere der AfD) treiben. Also: lieber nichts tun!

Seitdem die Gelbwesten in Frankreich ihr Unwesen treiben, gibt es eine panische Angst vor den Protestbürgern, die vermeintlich jede politische Richtungsentscheidung ausschließlich unter dem Blickwinkel betrachten, ob damit irgendeine Einschränkung von “verbrieften” Rechten oder ungünstige Konsequenzen für das eigene Portmonee verbunden sein könnten.
Die Folge: Die Politik kann und darf nur noch Entscheidungen fällen, die grundsätzlich niemandem weh tun könnten! Weil alles, was man einmal hatte – sei es auch noch so schädlich, unverantwortlich oder gefährlich – innerhalb kürzester Zeit den Status von unverrückbaren Menschenrechten erhält:
Fleischberge zu Taschengeldpreisen, Rasen ohne Tempolimit, für 19 € quer durch Europa fliegen, Smartphone-Wechsel im Jahrestakt – all das und vieles mehr gehört inzwischen zum Standard – jede Abweichung davon bedroht Zufriedenheit und Lebensqualität.
Und vor allem die Freiheit!

Die Wohlstandsgesellschaften auf diesem Planeten haben inzwischen einen Freiheitsbegriff, der sich hauptsächlich durch die Möglichkeit zum ungehemmten Konsum definiert. Freiheit wird somit nicht bedroht durch die Klimakatastrophe, durch die Vermüllung der Meere, durch die schädigenden Folgen der industriellen Landwirtschaft oder die zunehmende Vereinsamung der Menschen in ihren technisch hochgerüsteten Single-Haushalten. Freiheit wird bedroht, wenn irgendein Konsumgut oder eine liebgewordene Gewohnheit knapper oder teurer wird!
Egal welche Fehlentwicklung man anpacken will: Es darf keine Nachteile haben! Für niemanden!

Damit haben wir inzwischen die verrückte Situation, dass ein Umsteuern über Verbote nicht geht (weil ein Wutgeheul über die bedrohte Freiheit entstehen würde) und eine Regulation über den Preis nicht geht, weil es ja  – logischerweise – auch spürbar sein müsste, um etwas zu bewirken.
Eigentlich könnten die Politiker nach Hause gehen. Es gibt nichts mehr zu tun!

Eine besondere aktuelle Facette ist dabei die Vermischung zwischen allgemeinen Zielen (Energiewende, Klimaschutz) und der Sozialpolitik.
Während auf der einen Seite seit Jahrzehnten hingenommen wird, dass die Schere zwischen Arm und (ganz) Reich immer weiter auseinander geht, fällt den Politikern ausgerechnet beim Umwelt- und Klimaschutz auf einmal auf, dass bei einer Steuerung über den Preis die Auswirkungen in den unteren Sozialschichten stärker spürbar wären.
Ja, das ist dann so! Es muss auch so sein, wenn es was bringen soll! Wir leben ja auch nicht in einer Gesellschaft, in der Mercedes-Limousinen verlost werden. Warum muss dann jeder das Recht haben, auch mit kleinem Einkommen Fernreisen zu unternehmen oder für ein Fußballspiel durch halb Deutschland zu fahren zu können?
Es gibt kein Menschenrecht auf alles für alle! Und wenn man den gesellschaftlichen Reichtum anders verteilen will: nur zu! Aber nicht plötzlich dann, wenn es um Spritpreise oder Massentierhaltung geht!
Klimaschutz ist auch dann alternativlos, wenn er unsozial sein sollte! Das traut sich nur niemand zu sagen!

Und da sind wir dann endlich bei den Kids und ihren Freitags-Protesten. Was für eine Aufregung!
Da verlangen doch tatsächlich diese unreifen und verblendeten jungen Leute, dass man die eigenen Wissenschaftler (die meisten davon sind übrigens Erwachsene) und die eigenen politisch beschlossenen Klimaziele richtig ernst nimm! Also sozusagen wörtlich! Welch revolutionärer Übereifer! Wenn das jeder machen würde!
Kann man nicht ein wenig Einsicht und Kompromissbereitschaft verlangen? Reicht es nicht, dass die Gesellschaft im Prinzip dafür ist? Muss es dann auch noch verbindlich werden??

Ich würde mich als Jugendliche/r verarscht fühlen. Ich würde – gerade im Moment – denken, dass die “Alten” haben immer noch nichts kapiert haben. Die machen einfach weiter, weil sie sich nicht trauen, unbequeme Wahrheiten auszusprechen bzw. wahrzunehmen:
Wir werden Bequemlichkeit und Wohlstand opfern müssen, um langfristige Ziele zu erreichen! Fleisch darf und muss teurer werden, Sprit und Strom auch, Flugbenzin erst recht!
Es gibt Schlimmeres (was dann letztlich langfristig auch sogar noch teurer werden wird).
Und die Kids haben ein Recht darauf, uns immer wieder daran zu erinnern, dass sie die Konsequenzen zu tragen haben werden. Wir können nicht erwarten, dass sie dabei zuschauen, wie wir (unsere Generation) die Titanic auch deshalb sinken lassen, weil wir sowieso schon vorher abgetaucht sind  – nachdem wir bis zum letzten Moment aus dem Vollen geschöpft haben.