“Die Knochenuhren” von David MITSCHELL

Dieser Leser passte nicht zu mir. Schade!
Dabei hat sich mein Autor so dolle angestrengt.

In mir werden gleich sechs verschiedene Geschichten erzählt, mit unterschiedlichen Grundthemen und aus verschiedenen Zeiten.
Es geht um eine wichtige Entwicklungsphase eines jungen Mädchens, um snobistische Studenten, einen engagierten Kriegsreporter und einen frustrierten Schriftsteller.
Dann wird in einem meiner Kapitel erklärt, wie das alles zusammenhängt: Der Kampf zweier übersinnlicher Bruderschaften ist nämlich auf geheimnisvolle Weise mit dem Schicksal einiger Menschen, von denen ich berichte, verbunden.
Und zum Schluss (das Mädchen vom Anfang ist inzwischen richtig alt) wird in mir ich sogar noch einen Blick in die – alles andere als rosige – Zukunft der Menschheit geworfen.

Der Typ, der mich geschrieben hat, versteht wirklich sein Handwerk. Er hat eine irre Fantasie und kann wirklich gut mit Sprache umgehen.
Wie muss man drauf sein, um davon nicht begeistert zu sein?!

Also dieser Leser war tatsächlich schwierig. Für ihn war das gar nicht so attraktiv, dass er eigentlich gleich sechs ganz verschiedene Buchsorten auf einmal bekam. Er sah darin nicht so einen großen Gewinn. Weil er nämlich gar nicht alle diese Varianten mag.
Dabei war es gar nicht so, dass ihn alle meine Themen unberührt ließen. Die Sache mit dem Irakkrieg fand er durchaus relevant, die Literaturszene und die drohenden Zukunftsrisiken interessierten ihn auch. Aber dann störte er sich plötzlich an einer angeblichen Weitschweifigkeit oder Redundanz.

Besonders bei den Dingen, die über den normalen Horizont hinausgehen, ist er viel zu kritisch und engstirnig. Wenn man schon die Realität verlässt – so denkt er – dann sollte man daraus irgendeinen Nutzen (eine Erkenntnis?) für das echte Leben ableiten können. Als ob man nicht auch einfach mal ein bisschen rumfabulieren könnte – so aus Spaß an der Freud.
Komischerweise nerven ihn besonders sämtliche Varianten von Kampfbeschreibungen: In diesen Höhepunkten, wo jeder normale Leser vor Spannung zittert, langweilt er sich fast zu Tode. Wo man doch bis zuletzt nie weiß, ob die Heldin – gegen jede Wahrscheinlich – überlebt. Ein seltsamer Mensch…

Ich habe wirklich andere Leser verdient. Solche, die sich einfach auch mal einlassen können, die eben mal abschalten wollen von der schnöden Alltäglichkeit und der nüchternen Rationalität. Die nicht immer nach dem Nutzen suchen oder nach der Botschaft.
Zum Glück gibt es jede Menge solcher Leser. Und richtige professionelle Kritiker finden mich übrigen auch toll. Es ist nämlich modern, so querbeet durch die Genres hüpfen.

Soll der Typ doch einfach was anderes lesen!

Öko-Europa?

Wir sind echt nahe dran!
Die EU-Kommission hat gerade einen Plan aufgelegt, der – auf dem Hintergrund eines Corona-Hilfspaketes – eine ökologische Erneuerung einleiten könnte, von der man in dieser Größenordnung noch vor kurzer Zeit kaum hätte träumen können.
Es wäre wohl kaum übertrieben, diese Initiative als weltweit einmalig und vorbildlich zu bezeichnen.

Es könnte sich also etwas bewegen – denn immerhin ist dieser Plan schon so etwas wie “offizielle” Politik. So weit waren wir also tatsächlich noch nie!

Ein kleiner Haken: Die Umsetzung geht nicht ohne Zustimmung der Mitgliedsstaaten. Und hier gibt es kleinkariertes Gerangel um die Art der Unterstützung für die ärmeren Länder.

Es wäre mehr als bedauerlich, wenn jetzt eine große Chance vertan würde.
Es wäre ein Rückschlag, der in den nächsten Jahren kaum aufgeholt werden könnte – denn so große Finanzpakete werden nicht alle Jahre geschnürt.

Wenn Merkel diese Initiative in dem anstehenden EU-Vorsitz (zweite Jahreshälfte) über die Bühne bekommen sollte, wäre ihr der Platz in meinem persönlichen Geschichtsbuch sicher.

“Bei Sturm am Meer” von Philipp BLOM

Der Autor hat mich vor einiger Zeit mit einem aktuellen gesellschaftlichen Sachbuch sehr überzeugt. Daraufhin hat es mich einfach interessiert, wie so ein Historiker und Philosoph wohl einen Roman schreibt. Wird er versuchen, seine Themen und Botschaften in das andere Genre zu übertragen? Oder zeigt er eine völlig andere Seite seiner literarischen Begabung?

Die Antwort fällt für mich eindeutig aus: Blom zeigt sich hier als reinrassiger Erzähler – nicht mehr und nicht weniger. Denkbar ist natürlich, dass er den zeitgeschichtlichen Kontext seines Romans auch mit einer fachlichen Perspektive als Historiker begleitet hat; zu spüren ist das jedenfalls nicht.

Blom schreibt einen sehr persönlichen Roman. Es geht um eine Drei-Generationen-Geschichte zwischen Hamburg und Amsterdam.
Als Rahmen wählt der Autor eine besondere Situation: Ben wartet auf die – auf dem Postweg verloren gegangene – Urne seiner Mutter. Diese paar Tage nutzt er, um seinem noch sehr jungen Sohn einen Brief zu schreiben, den dieser 40 Jahre später (also im aktuellen Alter von Ben) lesen soll. Dieser Brief besteht aus einer kaleidoskopartigen Mischung zwischen der bereits bekannten Familiengeschichte und den überraschenden Erlebnissen bzw. Erkenntnissen, die Ben in diesen Tagen selbst noch dazu gewinnt. Durch diese “live” aufgedeckten Familiengeheimnisse bekommt der Plot eine deutlich gesteigerte Dynamik.

Es geht überwiegend um dramatische und tragische Entwicklungen bei den Protagonisten, die sich überwiegend in der Eltern- und Großelterngeneration von Ben abspielten. Thematisch berührt wird die linke Protest- und Medienszene der frühen 70iger Jahre. In weiten Teilen stehen aber auch sehr persönliche (Generations-)Konflikte und leidvolle Erfahrungen rund um Einsamkeit und gescheiterte Lebensträume im Vordergrund.

Ungewöhnlicher Weise wechselt immer wieder die Erzählperspektive: Manchmal wird über Ben erzählt, manchmal ist Ben ein Ich-Erzähler. Dieser Wechsel ist nicht dadurch zu erklären, dass ich Ich-Perspektive den Inhalt des Briefes wiedergibt. Mich hat dieser Kunstgriff nicht gestört; er hat eher eine zusätzliche Betrachtungs-Ebene erzeugt.

Blom schreibt sehr eindringlich. Er kann ganz eindeutig professionell mit Sprache umgehen. Schildert er z.B. Träume oder Situationen von Verwirrung, drücken Tempo, Rhythmus und Begrifflichkeiten diese Zustände sehr gekonnt aus .
Der Autor schafft immer wieder eine hohe emotionale Dichte, ohne auch nur im Leisesten in Richtung Kitsch abzudriften.

Insgesamt ein zwar kurzer, aber kunstvoll konstrurierter und sprachlich anspruchsvoll ausgestalteter Roman.
Lesenswert.

Kleinlichkeit und Egoismus statt mutigem Gestalten

Wir befinden uns in einer wirtschaftlichen Ausnahmesituation, in der viele Grundsätze auf einmal keine Gültigkeit mehr haben. Wir erleben eine Krise, in der der Staat und seine schützenden und helfenden Finanzen plötzlich im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens stehen. Für eine kurze Zeit scheint mal wieder der Staat stärker als die Wirtschaft und ihre Mächtigen zu sein.
Ganz plötzlich – unter dem Druck des unbekannten Virus – war der Mut und die Kraft vorhanden, vermeintlich “unmögliche” Entscheidungen innerhalb weniger Tage zu treffen.
So weit, so – vermutlich – gut.

Wie schön wäre es gewesen, wenn aus dieser unerwarteten Zäsur noch etwas mehr entstanden wäre als das Ersetzen von Verdienstausfällen und der Gewährung von massenhaften Kurzarbeiter-Geld.

Vier Chancen (mindestens) hätte es gegeben (theoretisch gibt es sie natürlich immer noch):

  • Man hätte ein großzügiges Zeichen europäischer Solidarität geben können (was nach einigen Anlaufschwierigkeiten jetzt von Macron und Merkel versucht wurde und wohl auf dem Altar der europäischen Prinzipienreiter geopfert werden wird).
  • Man hätte alle unternehmensbezogenen Hilfsgelder mit der notwendigen Umsteuerung zu einem nachhaltigen Wirtschaften verbinden können (Lufthansa lässt grüßen).
  • Man hätte die lange überfällige Entschuldung der klammen Kommunen in Angriff nehmen können (wie jetzt von Scholz vorgeschlagen und erwartungsgemäß von den reicheren Ländern bzw. CDU und FDP abgelehnt).
  • Man könnte die Gelegenheit nutzen, um den völlig überforderten armen Ländern nicht nur kurzfristig, sondern auch längerfristig zu helfen (durch einen angemessenen Schuldenschnitt – der gerne an soziale und ökologische Bedingungen geknüpft sein dürfte).

Prioritäten und Initiativen solcher Art hätten das Zeug gehabt, die Krise nicht nur zu bewältigen, sondern sie für überfällige (aber bisher schwer durchsetzbare) Zielsetzungen zu nutzen.

Doch da ist inzwischen wieder der triste, zaudernde und partei-ideologische Alltag ausgebrochen.
So werden denn vermutlich die vielen Milliarden ausgegeben, ohne die echten Zukunftsprojekte zu berücksichtigen.
Schade!

“Der erste Mensch” von Albert CAMUS

In Corona-Zeiten haben sich viel Menschen plötzlich für Albert Camus interessiert, weil er einen berühmten Roman mit dem Titel “Die Pest” geschrieben hat.

Das hier besprochene Buch hat keinen aktuellen Bezug. Es stellt ein autobiografischen Zeugnis des Literaten und Philosophen dar. Verpackt wird das in die Geschichte eines mittelalten Mannes, der sich in Algerien auf die Spurensuche nach seinem Vater und damit nach einem verschollenen Teil seiner frühen Biografie macht. Dabei mischen sich Kindheitserinnerungen mit Eindrücken aus den Besuchen bei noch lebenden Zeitzeugen zu einem Mosaik, das schrittweise ein immer vollständigeres Bild ergibt.

Die entscheidendende Frage ist wohl: Hat so ein Buch auch für Leser einen Wert, die nicht ein spezifisches, an die Person gebundenes Interesse an dem Nobelpreisträger Camus haben?

Ich würde das bejahen! Camus schreibt eindringlich und lebendig. Die französische Besatzungsherrschaft wird in ihrer kulturellen Arroganz und langfristigen Aussichtslosigkeit spürbar. Geschichtliche Hintergründe gewinnen durch die sehr persönlichen Einblicke plastische Gestalt.

Camus widmet sich voll und ganz dem Schicksal der “kleinen Leute”, der Armen, die in ihrem alltäglichen Überlebenskampf versuchen, sich eine minimale Würde zu erhalten. Nach heutigen (westlichen) Maßstäben erscheint es unvorstellbar, unter diesen Bedingungen ein Leben zu fristen – ohne jede Aussicht auf eine bessere Zukunft oder gar so etwas wie Erfüllung oder Selbstverwirklichung.

Dieses – wegen des Todes von Camus – unvollendete Manuskript stellt eine erstaunliche Nähe zu einem zeitgeschichtlichen Geschehen her, das nicht gerade im Zentrum der deutschen Aufmerksamkeit steht. Algerien als Konlonie ist ein französisches Thema; wir hatten und haben andere Dinge zu bewältigen.
Aber deshalb wird der Roman für einen Nicht-Franzosen keineswegs irrelevant. Die angesprochenen Grundthemen, die Perspektive auf das konkrete Alltagsleben, die respektvolle Beschreibung sehr einfacher und z.T. auch eingeschränkter Menschen – das alles ist übertragbar und allgemeingültig.

Natürlich hat der Roman auch eine Bedeutung für das Verständnis der Person Albert Camus und seines Werkes. Aus Expertensicht bieten sich vermutlich zahlreiche Bezüge zu seinen philosophischen und literarischen Hinterlassenschaften.
Ich bin ein solcher Experte nicht.
Nur so viel wurde mir deutlich: Es bedurfte einiger besondere Einflüsse, die intellektuellen Potentiale des kleinem Albert (der im Buch anders heißt) in dieser schwierigen Umgebung zu erkennen und letztlich – durch den Zugang zur “höheren” Bildung – auch zu entfalten.
Wie viele (potentielle) Genies haben wohl dieses besondere Glück nicht gehabt und sind in einer öden Umgebung verkümmert?

Ein anregendes Buch mit Tiefgang. Weit weg von unserem Alltag – und vielleicht gerade deswegen eine Lektüre, die nachdenklich macht. Leben auf diesem Planeten konnte und kann so extrem anders aussehen, als wir es kennen.
Man weiß das natürlich; aber so ein Buch macht es für einige Stunden spürbar.

“Die Lehren der Philosophie” von Michael HAMPE

Philosophische Texte bestehen – wie alle Texte – aus Inhalten und einer sprachlichen Umsetzung dieser Inhalte. Weil die Themen philosophischer Betrachtungen meist schon sehr abstrakt sind (Erkenntnismöglichkeiten, moralischen Grundsatzfragen, usw.), sind Reflexionen darüber – die meist auch noch auf Ausführungen anderer Denker Bezug nehmen – oft eine Herausforderung. Dazu kommt offensichtlich die berufstypische Neigung, die Qualität der eigenen Beiträge durch die Komplexität der Sprache zu demonstrieren. So entstehen dann manchmal Sätze (oder ganze Abschnitte), in denen ein Durchschnitts-Leser noch nicht einmal “Bahnhof” versteht.

Ich habe kürzlich eine Buch von HAMPE besprochen, in dem sich der Autor dem interessierten philosophischen Laien zuwendet. Das hat mich ermutigt, einen Schritt weiter zu gehen. Das war ein Fehler. Man sollte wissen, wann man seine Grenzen erreicht hat…

Ich will trotzdem versuchen, in ein paar wenigen Sätzen zu beschreiben, was ich glaube, verstanden zu haben.

Hampe führt in seinem Buch eine Art Feldzug gegen die “doktrinäre” Philosophie. Er ist überzeugt davon, dass allgemeingültige Aussagen über die Welt (das “richtige” Leben, usw.) nicht sinnvoll bzw. möglich sind. Stattdessen sollte die Menschen dazu ermutigt werden, auf der Basis ihrer individuellen Welterfahrung eigenes “kritisches Denken” zu entwickeln. Nicht das Wiederkäuen philosophischer Lehrmeinungen in akademischen Zirkeln sei anzustreben, weil es für die individuelle und gesellschaftliche Weiterentwicklung ziemlich irrelevant sei. Ziel müsse es sein, gerade die subjektive Erschließung der Welt zu lernen und zu praktizieren – weil das die Grundlage für ein ein reiches und erfülltes Leben bilden könne.

Die Betonung des Subjektiven bringt Hampe immer wieder in Kontakt zur Sprachphilosophie, weil die denkende Begegnung mit der Welt über das Medium Sprache stattfindet. Er nimmt dabei immer wieder Bezug auf den wohl bekanntesten Sprachtheoretiker Wittgenstein, über dessen Modelle man nebenher eine Menge erfährt.
Auch bzgl. der Sprache hebt Hampe wieder die Grenzen allgemeiner Regeln und Gesetzmäßigkeiten hervor und beschreibt die Bedeutung individueller und subkultureller Entwicklungen.

Da für Hampe der subjektive Zugang zum allem so wichtig ist, schätzt er die Welterklärung durch Literatur außerordentlich. An einigen Punkte stellt er ausführlich dar, warum die dichterische Darstellung von persönlichen Entwicklungen und Lebensläufen für mehr Weltverständnis sorgen kann als abstrakte Theorien des Seins und des “guten Lebens”. (Was Hampe nicht davon abhält, das Ganze sprachlich höchst komplex zu formulieren).

Da Hampe einen aufklärerischen und emanzipatorischen Anspruch hat, beschäftigt er sich auch mit Bildung und Erziehung. Natürlich strebt er nicht die Vermittlung von kaltem, abgestandenem Wissen an, sondern die Befähigung zur eigenständigen Erkundung und Durchleuchtung subjektiver Lebensoptionen. Er outet sich dabei als großen Fan von Dewey und seiner Erziehungsutopie, in der sowohl die Fähigkeit zum kritischen Hinterfragen als auch die Fortentwicklung einer humanen Gemeinschaft im Fokus sind.

Natürlich finden sich in den (fast 400 extrem eng bedruckten) Seiten noch jede Menge anderer Gedanken und Exkurse. Selbst wenn ich alles verstanden hätte, wäre hier kein Raum, dies nur ansatzweise wiederzugeben.
Vielleicht ist ein erster kleiner Eindruck entstanden.

Ich kann dem Autor oder seinem Buch nicht vorwerfen, dass ich damit überfordert war. Das hätte auch bei einem medizinischen oder physikalischen Fachtext keinen Sinn. Ich kann nur einordnen und die Menschen warnen, die nicht zur verschworenen Gemeinschaft der Hardcore-Philosophen gehören.
Das habe ich hiermit getan

Gender-Sprache

Ich glaube nicht, dass es irgendeinen gesellschaftlichen Fortschritt darstellt, wenn es jetzt heißt “KurzarbeiterInnen-Geld”.

So wie gerade in einem Einspieler bei Anne Will.

Corona, der Staat und die Freiheit

Es geht im Moment viel um „Freiheit“.

Menschen beklagen sich im Kontext von Corona über und demonstrieren gegen Einschränkungen ihrer Freiheiten: sich frei zu bewegen, überall hin zu reisen, soziale Beziehungen auszuleben oder Veranstaltungen zu besuchen. In der Öffentlichkeit und in den Medien wird engagiert darüber diskutiert, in welchem Umfang denn der „Staat“ überhaupt das Recht habe, in irgendwelche Freiheiten einzugreifen.

Man kannte diese Diskussionen zuletzt aus der Auseinandersetzung um die Klima-Krise. Auch da stellte sich für viele die Frage, ob man sich als „freier Bürger“ ein Tempo-Limit, Maßnahmen des Tierschutzes  oder Beschränkungen des Luftverkehrs bieten lassen müsste.

Mit wird immer deutlicher, dass es offenbar zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen gibt, wie die beiden Bereiche „Freiheit“ und „Staat“ zusammenhängen. Aus der jeweiligen Perspektive ergeben sich dann Schlussfolgerungen für ganz verschiedene Themenbereiche.

Die eine Variante geht davon aus, dass am Anfang die autonomen Individuen mit ihren unveräußerlichen Rechten stehen. Diese Einzelpersonen haben sich dann – aus vielen pragmatischen Gründen – in einem bestimmten Regel- und Organisationssystem zusammengeschlossen. Dabei haben sie bestimmte Rechte oder Kompetenzen auf gesellschaftliche Institutionen übertragen, also z.B. die Grundversorgung im Bereiche Bildung und Gesundheit, die Ahndung von Verbrechen oder das allgemeine Gewaltmonopol.
In dieser Sichtweise haben die Menschen dem Staat diese Rechte und Zuständigkeiten (die ihnen eigentlich weiter gehören) nur ausgeliehen. Der Staat steht also in der Verpflichtung, diese freiwillig übertragenen Aufgaben sehr zurückhaltend zu erfüllen und sollte dabei sehr aufmerksam (und misstrauisch) beobachtet werden. Bei jeder Veränderung oder Erweiterung von Regeln bedarf es demnach einer erneuten Legitimation durch den „Souverän“, den mündigen Bürger.
Der Staat ist also immer zugleich ein notwendiger Dienstleister und ein potentieller Feind, der die Freiheitsrechte bedroht.
Typischerweise wird dieses Freiheitskonzept am konsequentesten in den USA unter Trump zelebriert, in dem das Klischee vom „lonely cowboy“, der am besten ohne Staat auskommt, noch durch die Köpfe geistert.

Wie sähe ein Gegenkonzept aus?
Hier wäre der Staat (die Gesellschaft) das Primäre, die Ausgangslage. Ein Individuum wird in einen bestehenden Kontext hineingeboren. Erst  dieser Kontext (Gesetze, Infrastruktur, Bildung, Gesundheitsversorgung, Polizei, Wirtschaftssystem, usw.) bietet überhaupt die Grundlage dafür, dass sich individuelle Personen entwickeln, Kompetenzen ausbilden und Erfolge erzielen können.
In diesem Modell gibt nicht der Bürger seine Macht an den Staat, sondern der bestehende gesellschaftliche Rahmen macht den Menschen erst zum Bürger, ermöglicht ihm ein relativ autonomes Leben in Frieden, Recht und Freiheit.  
In einem solchen Konzept wäre es ziemlich naheliegend, wenn der Staat auf Herausforderungen und Krisen auch mit „starken“ Maßnahmen reagiert, selbst wenn diese vielleicht im Einzelfall sehr unpopulär sein sollten.
Diese Gesellschaftslogik  – in dem die Gemeinschaft wichtiger erscheint als das Individuum – ist eher für bestimmte asiatische Kulturen typisch, findet sich aber ansatzweise auch in sehr fürsorglich ausgerichteten Wohlfahrtsstaaten (vor allem in Skandinavien).

Nun wird jedem denkenden Mensch klar sein, dass sich beide Modelle nicht dazu eignen, in absoluter Form umgesetzt zu werden. Wer will schon – wie in den USA – schwerbewaffnete Anti-Coronamamaßnahmen-Demonstranten oder – wie in China – eine Rundum-Überwachung in allen Lebensbereichen?!

Ich frage mich nur – und darauf will ich hinaus – ob sich nicht in der aktuellen Protesthaltung ein Freiheitsbegriff niederschlägt, der die erste Variante („der Staat ist mein potentieller Feind“) zugunsten der zweiten Sichtweise („der Staat ermöglicht mir erst all die Optionen und Freiheiten“) überbetont.
Wenn ich die Bilder von den Demos und die Aussagen einzelner Sprecher auf mich wirken lasse (die Spinner lasse ich mal weg), dann kommt es mir so vor, als ob das Regiert- und Verwaltetwerden schlechthin eine einzige Zumutung wäre. Als ob es eine Clique von macht- und geldgeilen Politiker und Wirtschaftsbossen gäbe, die sich die Welt unter den Nagel gerissen hätte. Eine Welt, die – scheinbar – ohne diese gierige und egoistische Elite in einer viel besseren Verfassung wäre, weil dann ja das Paradies der unbegrenzten Freiheit warten würde.

Wieso habe ich das unbestimmte Gefühl, dass es so ziemlich die gleichen Leute wären, die dem Staat als erstes unverzeihliche Versäumnisse vorwerfen würden, wenn durch das Unterlassen von Maßnahmen persönliche Nachteile drohen oder eintreten würden???

Ich will hier nicht einem „Durchregieren“ ohne demokratische Kontrolle und öffentliche Diskussion den Weg ebnen. Ich kann es nur schwer ertragen, wenn diese Nörgel- und Wutbürger einfach total ausblenden, auf welcher Grundlage sie denn all diese Rechte, Privilegien und Unterstützungsleistungen haben. Sie tun so, als ob sie das alles aus eigener Kraft geschaffen hätten und jetzt dieser böse Staat käme, um sie zu schädigen.
Ich möchte ihnen zurufen: „Schaut euch doch mal um in der Welt – und wenn ihr unbedingt wollt, dann macht euch auf in das Land eurer Träume!“
Ich wäre sehr gespannt, wie groß die Völkerwanderung ausfallen würde…

“Eine kurze Geschichte des menschlichen Körpers” von Bill Bryson

Dieses Buch habe ich gewählt, weil mich ein Vorgänger-Werk des Autors sehr beeindruckt hatte (“Eine kurze Geschichte von fast allem”). Der Journalist hat inzwischen eine kleine Reihe ähnlicher Titel publiziert.

Zum Inhalt muss man nicht viel sagen: Der menschliche Körper wird systematisch beschrieben – hinsichtlich seines Aufbaus, seiner Funktionsweise und den damit verbundenen Risiken und Krankheiten. Wie für Bryson typisch, erfährt man auch eine Menge darüber, wer unter welchen Umständen bestimmte Erkenntnisse gewonnen hat und wie sie zum Bestandteil des anerkannten Wissens geworden sind.

Interessanter ist da wohl der Stil bzw. die Didaktik.
Dass Bryson Journalist – und kein trockener Wissenschaftler – ist, spürt man fast in jeder Zeile. Der Autor bemüht sich sozusagen ununterbrochen darum, Fakten möglichst anschaulich und mit einem humoristischen Unterton zu vermitteln. Dazu benutzt er immer wieder Vergleiche bzw. Bilder, die z.B. Mengen- und Größenverhältnisse auf eine beeindruckende Art nachvollziehbar machen. Auch schildert er die manchmal allzu kleinkarierten Konflikte um den Ruhm für bestimmte Entdeckungen mit einer gewissen ironischen Zuspitzung (nach dem Motto: “Wissenschaftler sind auch nur Menschen”).
Dabei ist Bryson weder oberflächlich noch respektlos. Aber er pflegt einen “lockeren” Stil, der das Lesen (Hören) eben auch unterhaltsam und kurzweilig macht. Trotzdem ist in dem Text auch ein Staunen, manchmal auch eine fast ehrfürchtige Demut angesichts der Leistungen der “Natur” und ihrer Erforscher zu erspüren.

Bryson hat ein populärwissenschaftliches Sachbuch geschrieben, an dem es eigentlich nichts zu meckern gibt.
Die einzige Frage ist, ob man zu der passenden Zielgruppe gehört: Ein interessierter Laie mit viel Neugier bzw. Wissensdrang und einem Sinn für dezenten Humor wäre sicher der optimale Leser. Ein spezifisches Interesse für den menschlichen Körper und seine potentiellen Erkrankungen sollte man schon mitbringen – sonst ist die Informationsdichte schnell zu hoch.

Persönliche Schlussbemerkung:
Der Leser/die Leserin sollte kein Hypochonder sein! Die Konfrontation mit der Komplexität all der unzähligen und permanent aktiven biologischen Vorgänge lassen zwischendurch immer mal wieder den Gedanken entstehen, dass diese Prozesse ja nicht wirklich “in Echt” dauerhaft funktionieren können. So habe ich mich beim Hören wiederholt gewundert, dass ich am Ende des Kapitels tatsächlich immer noch lebe…

“Die Wildnis – Die Seele – Das Nichts” von Michael Hampe

Philosophie kann eine ganz schön trockene Angelegenheit sein. Zum Glück gibt es ja seit einiger Zeit populäre Autoren wie Precht, die sich öffentlichkeitswirksam um die Verbindung zwischen philosophischen Grundfragen und unserer Lebenswirklichkeit verdient machen.

Michael Hampe, der z.Zt. in Zürich lehrt, schlägt in diesem Buch einen Mittelweg zwischen akademischer Philosophie und populärer Vermittlung ein. Er schreibt thematisch und sprachlich anspruchsvoller (und damit für eine begrenztere Zielgruppe), verlässt aber ebenfalls die engen Grenzen des üblichen wissenschaftlichen Diskurses.

Tatsächlich ist das Spannendste an diesem Buch die Einbettung der drei Essays (s. Titel) in eine geschickt und kreativ konstruierte Rahmenhandlung: Sie erzählt von einem Autoren (Aaron), der den Nachlass seines verstorbenen Freundes (Moritz) sichtet. Als (kritischer) Philosoph hat dieser außer diesen drei Texten auch Briefe und Tagebücher hinterlassen. Aaron lebt in einer dystopischen Welt. Seine Gesellschaft besteht aus einer Künstlichen Intelligenz (KI), mit der er über die Texte von Moritz munter diskutiert – angereichert durch Archivmaterial, das die KI passgenau aus ihrem unbegrenzten Speicher holt.

Letztlich führt das dazu, dass der Autor (Hampe) seine eigenen Texte nicht nur präsentieren, sondern auch gleich noch auf einer Meta-Ebene kommentieren und einordnen kann; das gibt ihnen noch eine zusätzliche Tiefe und Differenzierung. Tolle Idee.

Nun zu den Inhalten. Die drei Aufsätze, die den Kern des Buches bilden, sind keine leichte Kost.
Bei dem Essay über die Wildnis geht es um die Frage, warum es Menschen in die unberührte Natur treibt. Es wird die Frage gestellt, ob die Konfrontation mit der archaischen und ungezähmten Natur eine andere Form des Erlebens und der Selbstfindung möglich macht als die zivilisatorische Schutz- und Komfortzone.
In dem Aufsatz über die Seele werden verschiedene philosophische Konzepte einer persönlichen oder unpersönlichen Seelen-Definition diskutiert.
Unter der Überschrift Nichts geht es um die Frage, ob es allgemeinverbindliche Konzepte zu Fragen geben kann, die sich mit dem Sinn des Daseins und dem Abwägen zwischen leidvollen Erfahrungen und persönlichen Sinngebung  befassen. Bis hin zu der Frage, ob nicht „Nicht-Leben“ die bessere Variante sein könnte, um Leid zu verhindern.

Das Lesen dieses Buches vermittelt durchaus ein spezielles intellektuelles Vergnügen. Das Konzept, die Themen durch eine Rahmenhandlung aufzulockern und zu erweitern, kann als gelungen betrachtet werden. Vorgeführt wird eine besondere Form des Philosophierens, die systematische Darstellungen mit anderen Zugängen verbindet, die biografischer und erzählerischer Natur sind.

Insgesamt bleibt das Buch von Hampe ein Werk für bereits philosophie-affine Menschen und kann sicherlich nicht als niederschwelliger Einstieg in die zeitgemäße Philosophie betrachtet werden.