Habeck und Söder

Auf einer privaten Medienplattform (unter Führung des SPIEGEL) wurde am Tag vor dem ersten offiziellen Kandidaten-Dreier “Die einzig wahre Wahlkampfdebatte” angeboten: Ein Duell der unterlegenen Konkurrenten von Baerbock und Laschet, die von den meisten Beobachtern und auch in Umfragen als die jeweils bessere Alternative betrachtet werden.

Bei dieser Gemengelage hätte einiges schief gehen können!
Doch ist hier den Moderatoren und den beiden Polit-Profis ein eindeutiges Kompliment auszusprechen: Es gab keine Spur von Seitenhieben oder Selbstbeweihräucherung im Stile “Ich wäre sowieso der Bessere gewesen!”
Es wirkte geradezu entspannt, wie sich die beiden Wahlkämpfer auf die Inhalte konzentrieren konnten. Sie mussten sich weder als Kanzler-Figuren aufblasen, noch standen sie unter dem Druck, das jeweilige Gegenüber zu demontieren. Das alles war daher recht angenehm und unaufgeregt.

Auch in dieser Diskussion fiel wieder auf, wie klar und kompetent Habeck die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der GRÜNEN darstellen und begründen kann. Man merkt einfach, dass hier tatsächlich ein in sich stimmiges Konzept erarbeitet wurde, während die Union auf altbewährte Plattitüden zurückgreift: die Marktkräfte würden es schon richten, wenn man nur (Steuer-)Belastungen und Gängelungen vermeiden und so dem Wachstum freien Lauf lassen würde. Es wundert wirklich, dass man sich traut, dies als zeitgemäße Antwort auf die riesigen Anforderungen von Modernisierung und Nachhaltigkeits-Umsteuerung anzubieten.
Gekonnt war auch der Hinweis von Habeck auf den Skandal der Steuerschlupflöcher und das international kritisierte Problem der Geldwäsche in Deutschland.

Sagen wir es mal so: Man hat bei dieser Debatte weder Baerbock noch Laschet wirklich vermisst. Ein Ersatz für die Trielle der realen Kandidaten war sie aber sicher nicht – dafür hat die “dritte Kraft” (SPD) inzwischen zu eindeutig mit ins Rennen gebracht.

Merz gegen Habeck über Klima und Wirtschaft

Manchmal schaffen es ja Talkshows, mehr als einen Ort für den Austausch bekannter Sprechblasen zu liefern. Gestern war es bei Maybrit Illner mal wieder so weit.

Aus meiner Sicht ist es Habeck mit überraschender Klarheit gelungen, den ach so hochgelobten Wirtschaftsexperten der CDU ziemlich blass aussehen zu lassen. Merz hatte dem Transformationskonzept der GRÜNEN inhaltlich nichts Greifbares entgegenzusetzen.
Unaufgeregt und sachlich begründete Habeck, warum das geplante (und auch mit neuen Schulden finanzierte) Investitionsprogramm und die Anstoß-Unterstützung der Wirtschaft für die Nachhaltigkeitswende nicht nur (ökologisch) notwendig, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll wäre. Der dazugeschaltete Wirtschaftsfachmann konnte nur noch zustimmen.

Es erwies sich (für mich) einmal mehr, dass die wahren Ideologen diejenigen sind, die bestehende Rahmenbedingungen als quasi “naturgegeben” betrachten und mit ihren pauschalen Unterstellungen (man würde das Land in eine “Staatswirtschaft” treiben) eigentlich nur ihr antiquiertes Weltbild und bestimmte Klientel-Interessen schützen wollen.

Die Diskussion nahm zeitweise fast absurde Züge an, da Habeck letztlich begründete, warum sein Modell langfristig zu mehr Wachstum und weniger Schulden führen würde.
Man mache sich das klar: Soweit geht der Realitätsbezug der GRÜNEN inzwischen, dass sie neben allem anderen auch noch das logischere Modell zur Erhaltung des (nicht nur geliebten) Wirtschaftssystems liefern.

Selbst wenn man an all dem zweifelt: Eine Alternative konnte Merz nicht liefern! Geradezu “nackt” an Vorschlägen verwies er auf den heiligen Gral des Ausschlusses von Steuererhöhungen – bei gleichzeitiger Schuldenvermeidung und Anerkennung von Investitionsnotwendigkeiten.
Das ist wahrhaft mutige Politik: Die Zukunft muss gemeistert werden – aber keiner soll es merken und der (letztlich willkürlich definierten) liberalen Marktlogik soll es auch folgen.
Dieser Partei darf man die Zukunft unseres Landes wirklich nicht anvertrauen.

“Billy Summers” von Stephen KING

Bewertung: 4 von 5.

KING gibt es (meist) mit oder (manchmal) ohne Horror bzw. Mystik. Billy kommt ohne aus – für mich eine Wohltat!

Es ist ein vielschichtiges Buch: ein Krimi, ein Entwicklungsroman, ein zeitgeschichtlicher Kriegsroman, eine (fast philosophische) Auseinandersetzung um “gut” und “böse”, eine Geschichte über Freundschaft und (sexfreie) Liebe und – nicht zuletzt – eine Reflexion über das Schreiben selbst.

Die Widersprüchlichkeit des Konzepts des “Bösen” wird von Beginn an in der Hauptfigur (Billy) geradezu zelebriert: Ein Auftragskiller, der nur “schlechte” Menschen umbringt. Es ist sein Beruf, auf den er technisch und emotional durch eigene Kriegserfahrungen im Irak vorbereitet wurde.
Der Plot dieses Buches ist der berühmte “letzte Auftrag” (“das große Ding”), der ja bekannterweise – zumindest literarisch bzw. filmisch – immer ganz anders verläuft…

Die Komplexität (und damit auch die literarische Qualität) dieses Buches entsteht u.a. darin, dass
– der Protagonist seine Cover-Story (ein Schriftsteller zu sein) in die Tat umsetzt,
– sich durch das Aufschreiben der eigenen Lebensgeschichte ein “Buch im Buch” entfaltet,
– die zweite Hauptfigur (eine zufällig in die Handlung gerutschte junge Frau) innerhalb der Geschichte eine Art Selbstentfaltung erlebt.

Innerhalb der Story findet permanent ein “Tanz um das Böse” statt. Natürlich schafft es KING mühelos, dass wir uns alle mit dem Killer identifizieren. Interessanter Weise bleibt die Figur selbst stärker in der Ambivalenz verhaftet als die Leserschaft.
Aber KING gibt das Konzept des “Bösen” deshalb nicht ganz auf – es lauert in den Kontrahenten und in den “Zielpersonen”.
Der Autor spielt mit dem Prinzip der Selbstjustiz und stellt (indirekt) die Frage, ob das Böse nicht auch aktiv “ausgemerzt” werden darf. Man spürt sowohl Sympathien für diesen Gedanken, als auch Zweifel bzgl. der moralischen Schuld, die man als (bezahlter) “Rächer” auf sich lädt.
Als Leser/in bekommt man Raum für eigene Abwägungen – toll gemacht.

Mal wieder gibt der große Erzähler einen Einblick in die Quelle seiner – scheinbar nie endenden – Leidenschaft, Welten und Geschichten entstehen zu lassen und ihnen eine selbstbestimmte Richtung zu geben. Das abschließende Spiel mit mehreren Erzähloptionen bringt die Sache auf den Punkt.

KING schafft es, aus dem Roman über einen Berufskiller ein menschenfreundliches, stellenweise sehr empathisches Buch zu machen. Das alleine ist schon eine literarische Leistung. KING unterhält auf einem brillanten Level, weil es es so gut versteht, einer Geschichte einen inneren Drive zu verpassen.
Natürlich geht es nicht ganz ohne Gewalt – aber die Details fallen glücklicherweise weniger opulent aus als in anderen Büchern.

Am Ende bleibt vielleicht die unbeantwortete Frage, ob solche (biografischen) Gründe, die Billys böse Seite hervorgebracht haben, nicht auch für die anderen Bösewichte ins Feld geführt werden könnten. Oder anders formuliert: Gibt es wirklich “das Böse an sich” oder eben doch nur viele prägende Einzelfaktoren, die die Persönlichkeit und das Handeln von Menschen determinieren.
KING gibt diese Antwort nicht vor – aber er hat einen intelligenten, einen großen Roman geschrieben, der zum Nachdenken darüber anregt.

Wenn das keine “echte” Literatur ist…

Niemand, der gerne mal ein Buch hört, sollte darauf verzichten, sich diesen Roman von David Nathan vorlesen zu lassen. Es ist ein einziger Genuss!

“Die GRÜNEN sind auch nicht besser….”

Es ist nachvollziehbar, dass das Klima-Programm der GRÜNEN kritisiert wird. Es gibt viele Menschen, denen die (vergleichsweise konkreten) Vorschläge und Forderungen der traditionellen Öko-Partei zu weit gehen. Gründe dafür können sein: die Sorge vor persönlichem oder gesellschaftlichem Wohlstandsverlust; der grundsätzliche Zweifel an der Notwendigkeit eines konsequenten Umsteuerns; die Weigerung, über eine Veränderung des individuellen Lebensstils auch nur nachzudenken; die Überzeugung, dass unsere Entscheidungen sowieso keinen Einfluss hätten (weil wir so ein kleine Land seien oder es sowieso schon zu spät sei).
Soweit hinter diesen Meinungen Argumente stehen, sind diese zwar längst widerlegt – aber das ändert ja erstmal nichts. Die logische Konsequenz wäre auf jeden Fall, die Klima-Politik der GRÜNEN abzulehnen.

Eine zweite Gruppe von Kritikern steht auf der anderen Seite: Sie werfen den GRÜNEN vor, dass ihre Forderungen – angesichts der Dramatik der Klimakatastrophe – viel zu “weichgespült” seien: So würden “echte” Zumutungen (Verbote und Verzicht) vermieden und insgesamt der Eindruck erweckt, dass eine intelligente und innovative Transformation innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems möglich wäre – wenn nur der notwendige Rahmen (Ziele und Vorgaben) gesetzt und zielgerichtete Investitionen auf den Weg gebracht würden.
Viele Wissenschaftlerinnen und Aktivisten wünschen sich tatsächlich noch radikalere und kurzfristigere Maßnahmen, als sie das Wahlprogramm der GRÜNEN enthält.

Nur – kann es für diese zweite Kritikerszene wirklich einen nachvollziehbaren Grund geben, jetzt nicht wenigstens ein paar Schritte in die gewünschte und notwendige Richtung zu gehen? Glaubt wirklich jemand, durch eine Schwächung der GRÜNEN die Klimarettung zu beschleunigen? Wie soll das gehen? Durch eine Weltrevolution?

Also hört bitte auf, vor der Wahl Stimmung gegen die GRÜNEN zu machen. Später könnt ihr sie immer noch wegen ihrer Kompromisse kritisieren.

Wahlkampf für 60+

Der aktuelle Werbespot der GRÜNEN wird sehr kontrovers diskutiert. Er soll mit einer Umdichtung von “Kein schöner Land” die interessante Wählergruppe der Senioren und Seniorinnen ansprechen.

Fast zeitgleich wird der Tod des 80-jährigen Stones-Drummers betrauert – von genau der Generation, die angeblich Volkslieder von 1840 braucht,  um die (vermeintliche) kulturelle Distanz zu den GRÜNEN zu überwinden.

Wie jung (oder ahnungslos) muss man als Wahlkampfteam sein, wenn man solche inneren Bilder für die Menschen hat, die ihre Jugend in den 60-iger oder 70-iger Jahren verlebt haben?

“Der Algorithmus der Menschlichkeit” von Vera Buck

Bewertung: 4 von 5.

Eine tolle Idee: Ein Blick auf die Absurditäten des menschlichen Daseins aus der Perspektive einer “Liebesroboterin”, eines bewusstseinsfähigen KI-Systems in einem menschengleichen weiblichen Körper. Ihr “Leben” fristet die Protagonistin anfangs in einem Berliner Erotik-Nachtclub. Ihren “Kolleginnen”, die in erster Linie ihre Körperformen und -öffnungen zu Markte tragen, ist unsere Mari dank ihrer überlegenen Intelligenz und sozialen Flexibilität weit überlegen. Ganz offensichtlich wäre sie auch für ganz andere (und noch weit komplexere) Einsatzgebiete geeignet. Aber darüber hat sie nicht zu entscheiden: sie ist schließlich legales Eigentum der Clubbesitzerin.

Bevor es zu einem nachvollziehbaren Handlungsverlauf kommt, wirft die Autorin ihre Leser/innen zunächst mal in eine verwirrendende und irgendwie abgedrehte Situation (die erst im Nachhinein verständlich wird). Man lernt Mari und einige andere Hauptfiguren kurz kennen und bekommt das Gefühl, in einer Art Aufnahmetest zu sein: “Bin ich dem chaotischen Stil dieses Buches wirklich gewachsen?”
Entscheidet man sich für das Weiterlesen, hat man das Schlimmste schon überstanden. Es wird zwar nicht weniger absurd, aber man kann dem Plot folgen.

Wie schon deutlich wurde: Als Zugang zum Trend-Thema “Beziehung zwischen Mensch und Künstlichen Intelligenzen” wird von BUCK die ironisch-humoristische Zuspitzung gewählt. Die Autorin will aufklärerisch unterhalten. Ihre schriftstellerische Kunst liegt schwerpunktmäßig darin, möglichst viele kreative Anspielungen aus der modernen Alltags- und Technikwelt in eine schon an sich absurde Geschichte zu packen. Die so entstehenden Verrücktheiten sollen den realen Fehlentwicklungen einen Spiegel vorhalten – der zwar ein wenig verzerrt ist, aber doch genug Klarheit und Erkenntnisgewinn beinhaltet.
BUCKs Buch ist letztlich ein Plädoyer für das Menschliche, das Unvollkommene und oft auch Irrationale – also für das, das sich offensichtlich einer Algorithmierung entzieht.

Man braucht eine gewisse – im Laufe des Buches zunehmende – Toleranz gegenüber skurrilen Figuren und Situationen. Sollte diese Quelle irgendwann versiegen, dann könnten einzelne Passagen durchaus auch als albern oder klamaukig empfunden werden.
Es erscheint doch nicht ganz einfach zu sein, das anfangs bestechende Niveau an brillanten Einzelbeobachtungen und entlarvenden Formulierungen flächendeckend zu halten.
Ein bisschen enttäuscht ist man vielleicht auch, wenn dieser vor Ideen strotzender Roman irgendwann beim seit Generationen überstrapazierten “Kleinen Prinzen” landet. Das musste vielleicht nicht sein…

Obwohl sicherlich nicht jede/r die abschließenden 30 Thesen/Regeln für ein “besseres” Leben widerspruchsfrei akzeptieren wird (sie stammen schließlich aus den elektronischen Eingeweiden von Mari), so kommt die gut gemeinte und menschenfreundliche Botschaft doch an. Dass das Ganze nicht völlig klischeefrei abläuft, sei verziehen.

Für Freunde/Freundinnen eines schrägen Humors, die der KI eher kritisch gegenüberstehen, ist das Buch von BUCK eine echte Empfehlung.

(Im Laufe des Buches geht übrigens die Anfangsthematik, die Frage nach der ethischen Einordnung von lebensechten Sex-Gespielinnen (möglicherwiese sogar in Kindergestalt) verloren. Eigentlich ein wenig schade…)

Annalena Baerbock in Bochum

Der Himmel war gnädig und zeigte blaue Abschnitte, als sich heute ein paar hundert Leute vor dem Bergbaumuseum versammelten. Das Wetter passte zur Stimmung: das freundlich zugewandte Interesse erfasste schon die Sprecher/innen des Vorprogramms bzw. die lokale Mini-Band. Die Sicherheitsmaßnahmen waren kaum wahrzunehmen, Störer traten nicht in Erscheinung, man war unter sich.
Annalena (so wie sie ja in diesen Kreisen genannt und angesprochen wird) war sichtlich entspannt und gut gelaunt.

Der grüne Wahlkampftross war ja gerade gestartet (gestern in Hildesheim), am 25.09. werden es dann 100 Auftritte gewesen sein, die – überwiegend im Duett – abgeleistet wurden. Bochum gehörte also eindeutig in die Phase des Aufwärmens.

Die GRÜNE Kandidatin ist keine Lichtgestalt, sie ist keine charismatische Persönlichkeit. Es schleichen sich immer wieder kleine Versprecher ein. Sie wirkt aber motiviert und kämpferisch – keineswegs verzagt oder gar resignativ.
Annalenas Stärke liegt in der Übereinstimmung von inhaltlicher Botschaft und persönlichem Auftreten: Einer lebendig und locker wirkenden Frau der mittleren Generation nimmt man die Message von Aufbruch und Umsteuern einfach sehr viel eher ab als den seit Jahrzehnten bekannten und verbrauchten Politik-Gesichtern. Diese Frau muss niemanden davon überzeugen, dass sie die von ihr verkündeten Ziele tatsächlich anstrebt.
Warum sollte sie nicht in genau der Gesellschaft leben wollen, die im GRÜNEN Wahlprogramm schon recht konkret beschrieben wird? Als Person verkörpert sie diese Gesellschaft ja schon längst! Von welchem Spitzenpolitiker der anderen Parteien ließe sich das hinsichtlich der anstehenden Transformations-Aufgaben ohne Zögern sagen?

Die wesentlichen Themen werden routiniert und ohne besondere Überraschungen abgearbeitet. Natürlich fehlt der Bezug zum Ruhrpott und den hier geleisteten Veränderungsprozessen nicht.
Annalena erwähnt ihre Einbettung in das Team der GRÜNEN Partei und in eine weitergehende gesellschaftliche Aufbruchstimmung. Schade nur, dass ihr der Name Robert Habeck während ihres gesamten Auftritts nicht von den Lippen kommt – aus meiner Sicht die einzige Schwäche ihres Auftritts.

Persönlich punkten kann Annalena in der Fragerunde am Abschluss: Es wirkt geradezu spontan, wie sie die Bühne verlässt und sich in den abgegrenzten Raum der (wohl vorher ausgewählten bzw. kontrollierten) sitzenden Zuschauer begibt. Dialog auf Augenhöhe ist die Botschaft: “Ich bin eine von euch!”

Ich bin nach dieser Erfahrung noch motivierter, ein ganz klein wenig dazu beizutragen, dass die von Annalena repräsentierte Strömung eine maßgebliche Rolle in der nächsten Regierung spielen kann. Wer die GRÜNE Spitzenkandidatin wählt, bekommt auch Robert Habeck und erhöht die Sicherheit, dass keine Koalition ohne diese Partei gebildet werden kann.

Den Wahlkampf einstellen?

Konzentrieren wir uns mal auf drei Facetten der Wirklichkeit:
1) Auf die weltweiten Extrem-Wetter-Ereignisse der letzten Wochen
2) Auf den heute veröffentlichten, extrem alarmierenden Bericht des Weltklimarates
3) Auf die Tatsache, das nur die GRÜNEN einen wirklich ernstzunehmenden, kurzfristig wirkenden Aktionsplan zur Begrenzung des weiteren CO2-Ausstoßes haben

Auf dieser Grundlage stellt sich die Frage: Wozu noch einen wochenlangen Wahlkampf führen? Was gibt es noch zu entscheiden? Welche Alternativen sind denn vorhanden? Was muss noch abgewogen werden?
Also: Schluss mit dem Wahlkampf; es ist doch alles so total eindeutig!

(Ich gebe zu, dass dieses ironisch-zugespitzte Statement von vielen als extrem polemisch empfunden werden könnte. Ich höre schon die Vorwürfe, dass solche “platten” Sätzen eine unzulässige Verkürzung der komplexen Gesamtlage beinhalten würden.
Natürlich meine ich es nicht wörtlich; natürlich muss der Wahlkampf weiter gehen. Aber ich meine es inhaltlich genau so eindeutig.
Meine Einladung an euch: Lasst uns in fünf oder zehn Jahren nochmal darüber sprechen, wer die Zeichen (und Notwendigkeiten) der Zeit klarer erkannt hat: die Abwiegler, Kompromissler und Aufschieber – oder die Menschen, die jetzt für klare und konsequente Umsteuerung kämpfen. Seid ihr bei der Auswertung dabei?)

“Tanz um die Wahrheit” von Bert WAGENDORP

Bewertung: 4 von 5.

Der niederländische Kolumnist WAGENDORP macht das, was viele Romanautoren seit jeher tun: Er widmet sich seinem eigenen Erfahrungs- und Berufsfeld, hier dem Journalismus in der klassischen Ausprägung, also den Printmedien.

Der Autor legt eine recht individuelle Mischung vor: Erzählt wird (aus einer externen, auktorialen Perspektive) eine ereignisreiche Phase aus dem Leben eines erfolgreichen Kolumnisten, der nach einigen Wendungen auch zum Chefredakteur aufsteigt. Umgeben ist er von einigen zentralen Figuren: seiner Schwester, die zur Beraterin des Regierungschefs wird; den männlichen Vertretern einer Verleger-Dynastie, einer bekannten älteren Star-Journalistin und einem Neffen, der sich zu einem leidenschaftlichen Uhrmacher entwickelt

Das zentrale Thema des Romans ist die das Spannungsfeld zwischen verantwortungsbewussten Journalismus und der Verpflichtung zur “absoluten Wahrheit”. Oder, anders gesagt: Welche Kompromisse sind erlaubt (oder vielleicht sogar notwendig), um höhere Werte, den gesellschaftlichen Frieden, andere Menschen, die eigen Karriere oder die wirtschaftlichen Interessen der eigenen Zeitung zu schützen?
Diese Grundsatzfrage wird durch den Protagonisten in zwei Beispiele konkretisiert durchlebt und in ihren Widersprüchen und Ambivalenzen nachvollziehbar gemacht.
Auch das Zusammenspiel von Politik und Journalismus wird thematisiert – anschaulich gemacht durch die verwandtschaftlich vermittelte Nähe zum Ministerpräsidenten.
Eingebettet sind diese beruflichen Konflikte und Abwägungen in die private Welt der Hauptfigur; dabei wird weder ein strahlender Held noch ein frustrierter Versager angeboten, sondern ein echter Mensch mit seinen Brüchen und Zweifeln.

Die Handlung ist nicht auf Spannung getrimmt. Es geht um Prozesse und Beziehungen. Immer wieder spielen dabei innere Monologe und Selbstreflexionen eine Rolle, die vom Erzähler (kursiv gedruckt) beigesteuert werden. So wird dafür gesorgt, dass der/die Leser/in auf die entscheidenden Aspekte und Fragen gelenkt wird. Der Text bekommt damit eine zusätzliche Ebene, die über das Erzählen und die Dialoge hinausgeht.

Insgesamt handelt es sich um einen lesenswerten und unterhaltsamen Roman – soweit man dem Grundthema eine Bedeutung beimisst und für einen belletristischen Zugang zu gesellschaftlichen Fragestellungen offen ist.
Dass die Frage nach der Verpflichtung zur “kompromisslosen” Aufdeckung der Wahrheit durch diesen Roman beantwortet werden könnte, wird wohl niemand ernsthaft erwarten. Aber sie auf eine literarische Art zu stellen, ist ein verdienstvoller Beitrag von WAGENDORP.

“Mensch, Erde!” von Dr. Eckart von HIRSCHHAUSEN

Bewertung: 5 von 5.

Wer sollte im Jahre 2021 eine/n Leser/in noch mit einem Klima-/Umwelt-/Nachhaltigkeitsbuch locken können? Alle Informationen sind bekannt, alle Appelle wurden gehört (und meist überhört), alle einschlägigen Autoren haben bereits (mindestens) ein schriftliches Statement abgegeben. Was soll jetzt noch kommen – außer mehr desselben?
Die Antwort gibt HIRSCHHAUSEN mit seinem Buch “Mensch, Erde!”

Die Mischung macht’s!
HIRSCHHAUSEN schreibt sehr persönlich, er informiert glasklar und gut aufbereitet, er spricht gekonnt die Emotionen an und er unterhält mit einem allgemeinverständlichen Humor. Der Autor ist mit diesen Zutaten inzwischen sein eigenes Markenzeichen geworden.
HIRSCHHAUSEN schafft eine Art “Quadratur des Kreises”: Als prominenter, mainstream-tauglicher TV-Onkel-Doktor zeigt er eine bewundernswerte Eindeutigkeit in seinen Wertungen und in seinem Engagement. Er wirkt dabei für eine große Zielgruppe in einem hohen Ausmaß glaubwürdig, weil man ihm einfach keine ideologische Motive unterstellen kann. Hier schreibt jemand, der seine Überzeugung nicht aus einem Parteiprogramm ableitet, sondern der als neugieriger Human-Wissenschaftler neueste Forschungsergebnisse mit einem menschenfreundlichen “gesunden Menschenverstand” verbindet.
Kurz gesagt: Dieser Autor und dieses Buch sind ein Glücksfall für die Nachhaltigkeits-Bewegung!

Der Aufbau des Buches macht das Lesen zu einem unterhaltsamen Vergnügen. Es wechseln sich ab: persönliche Erfahrungen und Anekdoten, Begegnungen und Interviews mit Wissenschaftlern, Fakten-Darstellung mit anschaulichen Info-Grafiken, Zitate und Liedtexte, knackige Argumentations-Thesen und emotionale Apelle an Vernunft und Verantwortung. So entsteht ein Kaleidoskop an Informationen, Anstößen und Anregungen, dem man sich kaum entziehen kann.
Damit die Stimmung nicht ins Negative bzw. ins Resignative kippt, spart HIRSCHHAUSEN nicht mit Humor und Optimismus. Locker-flockige Sprüche und positive Beispiele für gelungene Projekte verhindern so, dass sich griesgrämiger Fatalismus breit macht.
Der Autor kämpft nicht für eine Welt voller Verzicht und Einschränkungen, sondern für eine lebenswertere Zukunft – er ist alles andere als ein Genuss-Verächter.

Dieses Buch hat das Zeug, wirklich eine breite Mehrheit von gutwilligen Menschen zu erreichen und mitzunehmen – wenigstens ein kleines Stück.
Wem die hier unterhaltsam und einprägsam dargestellten Ziele am Herzen liegen, der sollte dieses Buch nicht nur lesen und weitergeben, sondern es auch möglichst vielen Menschen bei nächster Gelegenheit schenken.
Es ist die ideale Lektüre für all diejenigen, die zwar eine gewisse Besorgnis hinsichtlich Klima und Umwelt spüren, aber vielleicht gegenüber üblichen Sachbüchern eine innere Schwelle in sich tragen. Das Buch bietet aber auch denjenigen, die andere (Zweifler und Skeptiker) überzeugen wollen, eine Fülle von Material und Argumenten.