“Trasnssexualität” von Alice SCHWARZER und Chantal LOUIS

Bewertung: 4.5 von 5.

Ein kluges Buch zu einem brisanten Thema zur richtigen Zeit!
Damit wäre eigentlich schon alles Wesentliche gesagt…

Es gibt Momente in der gesellschaftlichen Diskussion, da gewinnt man den Eindruck, dass sich die Maßstäbe in einer verstörenden Radikalität wandeln. Selbstverständlichkeiten scheinen sich aufzulösen; logische Gewissheiten wirken wie auf den Kopf gestellt.
So ähnlich ist es in den letzten Jahren vielen Menschen mit dem Diskurs über Transsexualität gegangen: Sie sahen sich einer machtvollen Beeinflussungsdynamik ausgesetzt, die aktuell in der Vorstellung gipfelt, dass die Verbindung zwischen dem biologischen Geschlecht und der empfundenen Geschlechts-Identität vollständig in Frage gestellt werden kann.
Die alleine Definitionsmacht über das Frau- bzw. Mannsein steht – im Weltbild der Trans-Aktivist:innen – jedem Individuum nicht nur selbst zu, sondern ist auch mit dem legitimen Anspruch verbunden, dass Umgebung und Gesellschaft alle sozialen, juristischen und medizinischen Anstrengungen vollziehen, der empfunden Wirklichkeit – möglichst ohne Zögern – zu entsprechen.
In der aktuellen Diskussion um die Änderung des Transsexuellen-Gesetzes manifestiert sich dieser Kampf um die “Gleichstellung”; u.a. geht es darum, Jugendlichen ab 14 Jahren die juristische Veränderung Ihres Geschlechts so einfach wie möglich zu machen.

Dieses Buch von SCHWARZER & LOUIS ist ein geradezu perfekter Beitrag zur öffentlichen Auseinandersetzung über dieses Thema. Beim Lesen entsteht sehr schnell das wohltuende Gefühl, wieder in einer Welt zu leben, in dem ein vom Baum fallender Apfel nicht in den Himmel aufsteigt, sondern auf den Boden fällt. Es gelten Gesetze von Logik und Wissenschaft; es gibt den Wunsch, einer komplexen Materie durch differenzierte und begründete Betrachtungen gerecht zu werden. Wie erholsam!

Niemand wird den Autorinnen unterstellen können, dass sie ein konservatives Welt- und Menschenbild bewahren wollen. Im Gegenteil: Es ist gerade die engagiert feministische Perspektive, aus der heraus die Irrungen und Verwirrungen (von Teilen) der Transbewegung unübersehbar werden. Es geht den Autorinnen insbesondere um die Verteidigung von Frauenrechten gegenüber biologischen Männern, die sich als Transfrauen definieren und daraus die Zugangsberechtigung für alle (bisher) geschützten Räume ableiten.

Aber den Autorinnen liegt auch das Schicksal von jungen Menschen (mehrheitlich Mädchen) am Herzen, die in extrem steigendem Umfang ihre (z.T. alterstypischen, z.T. biografisch begründeten) inneren Konflikte rund um ihre Geschlechtsrolle durch Flucht in eine andere – oft auch biologisch/medizinisch umgesetzte – Geschlechtlichkeit zu lösen versuchen. Auf die psychischen und medizinischen Risiken wird ausführlich hingewiesen.

Kaum eine andere öffentliche Person ist im letzten halben Jahrhundert so publikumswirksam gegen die (durch männlich-dominierte Zuschreibungen entstandenen) Begrenzungen und der weiblichen Rolle in unserer Gesellschaft angegangen. Auch hierbei ging es um die Trennung zwischen biologischem Geschlecht und den realen Lebensoptionen der individuellen Menschen (in der Regel ging es um Frauen).
Man merkt dem feministischen Urgestein in diesem Buch deutlich die Erschütterung darüber an, dass aktuell die Verwandlung von Frau in Mann für viele (gerade junge Frauen) scheinbar naheliegender und “attraktiver” geworden ist, als die Weiterführung des Kampfes gegen die Einschränkungen der weiblichen Rolle.

Die Autorinnen betrachten auch, wie es zu einem “Riss” zwischen dem Feminismus und der modernen Trans-Bewegung kommen konnte. Sie sehen den Grund in der zunehmenden Radikalisierung eines bestimmten Teils der Trans-Szene, die jede Abweichung von ihrer “Reinen Lehre” sofort als Verrat brandmarkten und mit ihren Vorwürfen immer häufiger einfachste Regeln von Solidarität missachteten (dabei aber selbst uneingeschränkte Solidarität einforderten).
(Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, dass die Autorinnen natürlich davon ausgehen, dass es eine – eher kleinere – Gruppe von Menschen gibt, deren innere Not tatsächlich durch eine Transition gelöst werden kann und auch sollte).

In diesem Buch kommen eine ganze Reihe von anderen Stimmen zu Wort. Es gibt sowohl (teils schon etwas ältere) Grundsatzbetrachtungen; aber auch medizinische und psychiatrische Fachleute werden einbezogen. Das trägt dazu bei, dass dieses Buch nicht nur nicht nur die eigene Meinungsbildung fördern, sondern auch den inhaltlichen Informationsstand erweitern kann.

Die Autorinnen scheuen sich nicht, ganz konkrete Bewertungen der aktuellen politischen Diskussion vorzunehmen: Sie halten die angestrebte weitgehende Liberalisierung des Transgender-Gesetzes (insbesondere hinsichtlich der Altersgrenzen) für eine gefährliche Fehlentwicklung. Damit stellen sie sich eindeutig gegen den grün-liberalen Zeitgeist, der üblicherweise fest als Bundesgenosse für feministische Ziele eingeplant werden kann.
Hut ab!

Dieses Buch ist absolut empfehlenswert für alle, die ein wenig tiefer in die Tansgender-Materie einsteigen wollen. Wer es noch strukturierter und wissenschaftlicher haben möchte, kann jetzt das Standardwerk von Kathleen STOCK (“Material Girls”) auch auf Deutsch lesen.

“Die Psychologin” von Helene FLOOD

Bewertung: 4 von 5.

Ein vielschichtiger Roman, dessen Einordnung als “Thriller” mir nicht so glatt heruntergeht. Die Autorin hätte wohl auch einen anregenden Text verfasst, wenn es nicht um einen Kriminalfall gehen würde. Zum Glück kommt die Story ganz ohne (grausame) Gewalt aus.
Es ist nicht gerade überraschend: Es handelt sich (wenn überhaupt) um ein “Psycho-Thriller” (im doppelten Sinne).

Die Psychologin ist als Psychotherapeutin tätig; sie behandelt insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene. Sie tut das in Ihrer kleinen Praxis, der in ein frisch geerbtes Haus integriert wurde.
Zusammen mit ihrem Mann, einem Architekten, versucht sie, die finanziellen Voraussetzungen für die notwendige Renovierung des großen alten Hauses zu schaffen. Der damit verbundene Stress hinterlässt in der Beziehung der beiden einige Spuren.
Es dauert nicht lange bis zu dem Verbrechen, dessen Aufklärung dieser Roman beschreibt. Verraten darf man wohl, dass die erzählende Psychologin selbst in das Augenmerk der Ermittler gerät.

FLOOD nimmt insbesondere zwischenmenschliche Beziehungen unter die (psychologische) Lupe: Es geht um die Entwicklung der Beziehung und familiäre Hypotheken. Die Therapeutin lässt uns aber auch an ihrer beruflichen Rolle teilhaben und wirft dabei einen Blick auf generationstypische Problemlagen. Wie so oft gibt es innerhalb des Textes Zeitsprünge, durch die nach und nach ein differenzierteres

Das Stilmittel der Autorin ist die Introspektion, die Selbstreflexion: Die Protagonistin lässt uns tief in ihre Gedanken- und Gefühlswelt schauen. Dabei verliert sie im Laufe des Geschehens zunehmend die Position der analysierenden, fachlich-distanzierten Beobachterin. Wir schauen ihr bei dem zunehmenden Sicherheits- und Kontrollverlust (sozusagen von innen) zu.

Ob nun der Spannungsbogen für echte Thriller-Fans spektakulär genug, das Ende ausreichend stimmig ist, vermag ich als Laie in diesem Genre nicht zu beurteilen. Natürlich gibt es unerwartete Wendungen und ein paar dramatische Zuspitzungen. Schlecht träumen muss wohl aber wegen dieses Buches niemand.
Der Chef-Ermittler und seine etwas ambivalente Beziehung zur Psychologin schaffen noch etwas zusätzliches Krimi-Feeling.

Insgesamt ein intelligenter und tiefgründiger Krimi, den man vor allem Leser/innen empfehlen kann, denen es nicht nach Action und Gewalt gelüstet.