28.01.2023 Sensitivity-Reading

Foto von RODNAE Productions: https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-im-blauen-jeansjacke-lesebuch-5530681/

In der aktuellen ZEIT bin ich auf folgendes Phänomen gestoßen: Einige Verlage beschäftigen inzwischen sog. “Sensitivity-Reader”, um sicherzustellen, dass sich durch die eingereichten Manuskripte möglichst keine – potentiell diskriminierungsgefährdete – Gruppe in irgendeiner Weise “verletzt” fühlt.
Personen, die selbst solchen Minderheitsgruppen angehören (also z.B. nicht-weiß, homo-/bisexuell, transsexuell, queer, nicht deutschstämmig sind) durchforsten die Texte nach Stellen, in denen potentiell “sensible” Personen handeln, beschrieben werden, sich selbst darstellen oder in Dialogen angesprochen bzw. bezeichnet werden.
Werden dabei Formulierungen gefunden, die nach der Einschätzung des Testlesers bzw. der Testleserin als diskriminierend oder als unstimmig mit der Selbstdefinition der jeweiligen Gruppe empfunden werden könnten, werden alternative – also sicherere – Vorschläge gemacht.
Zweck des Ganzen ist es in erster Linie, mögliche Protesten der betroffenen Gruppen von vorneherein zu vermeiden.

Mich hat diese Information echt schockiert!
Soll denn ernsthaft ein/e Autor/in in Zukunft nicht mehr die Möglichkeit haben, Figuren zu entwerfen oder Dialoge zu entwickeln, die nicht in Übereinstimmung mit den jeweils “woken” Korrektheitsregeln diverser Minderheitsgruppen stehen? Dürfen in einem fiktiven Dialog keine Beleidigungen mehr vorkommen – obwohl ja genau dadurch der Charakter einer Romanfigur erst zum Tragen kommt? Dürfen z.B. Transmenschen als Protagonisten in Erzählungen sich nur so empfinden und nur so auftreten, wie es die gerade (laut)stärkste Aktivistengruppe als typisch oder angemessen definiert? Was ist, wenn sich das Selbstverständnis queerer Menschen in 10 Jahren verändert hat – muss dann nachkorrigiert werden?

Um es deutlich zu machen: Nichts spräche dagegen, wenn man sich als Schreibender selbst beratende Unterstützung einholt, wenn man über Personen oder Lebenslagen textet, die einem nicht vertraut sind. Das trifft für seltene Krankheiten genauso zu wie für irgendwelche Spezialberufe. Warum sollte das nicht auch für das Schreiben über Minderheiten gelten.
Eine obligatorische “Anti-Diskriminierungs-Zensur” durch die jeweils betroffenen Gruppen stellt für mich einen unakzeptablen Eingriff in die künstlerische Freiheit des Schriftstellerberufes dar.
Wir sollten das nicht wollen und nicht akzeptieren.

(Zu weiteren Tages-Gedanken)

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