“Die große Transformation” von Uwe Schneidewind

Der Titel könnte auch einen Science-Fiktion-Roman schmücken – aber es ist (mal wieder) ein reales Zukunftsbuch.
Was unterscheidet es von den vielen anderen Büchern dieser Art, von denen einige auch in diesem Blog schon besprochen wurden (1, 2, 3, 4)?

Das lässt sich relativ einfach erklären: Während die anderen Bücher Fakten und Trends zusammentragen und die Notwendigkeit aufzeigen, sich auf die anstehenden Risiken und Herausforderungen (Digitalisierung, Klimawandel, usw.) möglichst bald einzustellen, macht das Buch von Schneidewind (und seinem Wuppertaler Institut) den Weg und die Prozesse der Umsteuerung zum Thema. Die Ausgangslage und die Ziele werden also weitgehend vorausgesetzt, es geht um die Umsetzung.

Damit ist auch die Zielgruppe für dieses Handbuch definiert: Es richtet sich weniger an den einzelnen Bürger und Konsumenten, sondern an die (potentiellen) Gestalter der Veränderungsprozesse, die als unvermeidlich bzw. ethisch geboten angesehen werden. Also an Muliplikatoren, Sozialwissenschaftlicher, Politiker, Aktivisten, Verbände, usw.
Es geht nicht um Faktenwissen, sondern um System- und Veränderungswissen.
Um es kurz zu sagen: Das Buch analysiert und beschreibt – sozusagen auf der Meta-Ebene – Wege und Methoden, wie die als dringend notwendig erachtete “Zukunftskunst” vermittelt und erworben werden kann. Eine solche Zukunftskunst wäre ein Potpourri an Kompetenzen, Einstellungen und Verhaltensmustern, das den einzelnen und die ganze Gesellschaft befähigen könnte, die anstehenden Aufgaben der Transformation zu leisten.

Es gibt eine zentrale Zielsetzung, die als Vorgabe über dem gesamten Buch schwebt: Die Autoren verschreiben sich (Achtung: Wortspiel) mit vollem Engagement einem moralischen Anspruch: Die Erde soll für (alle!) demnächst ca. 10 Milliarden Menschen ein Ort werden, in dem ein menschenwürdiges Dasein möglich ist. Also ein Leben, in dem die Grundbedürfnisse und Menschenrechte gesichert sind. Und zwar – und jetzt kommt sozusagen der zusätzliche Anspruch – auch für künftige Generationen!
Es geht also um Gerechtigkeit UND Nachhaltigkeit.

Wie gesagt: Es wird nicht für dieses Ziel geworben, es wird vorausgesetzt. Dem kann ich gut folgen; ich wüsste keinen logischen oder ethischen Grund, der gegen dieses Ziel sprechen könnte.
Das Besondere ist nun, dass die Lösung nicht einer politischen oder ideologischen Heilslehre, nicht in einem gesellschaftlichen Umsturz und nicht in einer bloßen idealistischen Utopie gesehen wird. Statt dessen geht es ganz systematisch in kleinen, realistischen und zum Teil schon erprobten Schritte ans Arbeiten. Gucken, was es gibt, was schon funktioniert, welche Kräfte man bündeln könnte, welche Akteure bereit stehen, welche Institutionen man nutzen kann, usw.
Nach und nach entsteht so ein Netzwerk von Ideen, Prozessen und Beteiligten, die an ganz unterschiedlichen Stellschrauben drehen – auf ein gemeinsames Ziel hin.

Man wird fragen: Wo um Himmels willen soll denn bitte die Einsicht und Bereitschaft der Menschen herkommen, auf lieb gewonnene Gewohnheiten und ererbte Privilegien zu verzichten, zum Wohle des Ganzen?
Nun, genau um diesen kulturellen Wandel, um die Veränderung von Vorstellungen über ein “gutes” Leben geht es auch in diesem Buch. Prioritäten können sich ändern; man kann diesen Prozess anstoßen, begleiten erleichtern.
Beispiel: Wenn Städte in Zukunft menschen- und nicht mehr autogerecht sein sollen, dann müssen Stadtplaner, Mobilitätsmanager und Wirtschaftsfachleute zusammenarbeiten. Und gleichzeitig muss es “schick” werden, eben kein eigenes Auto mehr zu besitzen – so wie es in den urbanen Zentren von der jungen Generation schon vorgelebt wird. Solche Trends können Wege in die Nachhaltigkeits-Lebensweise weisen.

Es wird vielleicht schon an meinem Schreibstil der Rezension deutlich: Es geht um eine insgesamt eher trockene, abstrakte Materie. Es wird strukturiert und systematisiert, es gibt Listen und Schaubilder, Zusammenhänge werden beschrieben. Es gibt eine gewisse Redundanz und ein großes Bedürfnis nach Vollständigkeit. Nicht jede/r wird mit so einer Lektüre die kostbare Freizeit füllen wollen.
Aber es gibt Alternativen zum Durcharbeiten eines solchen Fachbuches.
So gibt es eine Internetseite, ein informatives Video in Kurz– und Langfassung und ein Podcast aus der Reihe “Philosophisches Radio” von WDR 5.
Ich empfehle insbesondere den Podcast: In ca. 50 Minuten bekommt man einen guten Eindruck von der gesamten Thematik – auf recht unterhaltsame Weise.

Europawahl / Rezo-Video / Fridays for Future

Die steigenden Teilnehmerzahlen der Schüler-Demos und die sensationelle Öffentlichkeitswirksamkeit des Videos von YouTube-Blogger Rezo machen beispielhaft deutlich: Es gibt aktuell eine gesellschaftliche Dynamik, die sich in erster Linie rund um das Thema “Klimakrise” manifestiert.
Dazu ein paar Überlegungen, die auch im Zusammenhang mit der morgigen Europawahl stehen:

Unbestreitbar ist:
Ja, einige Aussagen auf den Plakaten protestierender Schüler und in dem Rezo-Video (ich habe es wirklich ganz gesehen) sind überspitzt, polemisch, übertrieben, ungerecht und vermutlich in Einzelbereichen sachlich nicht haltbar. Das mag man bedauern oder sich sogar massiv darüber ärgern.

Vielleicht hilft ja  – als erster Schritt – eine Relativierung: Angesichts des unfassbaren Schrotts und der hasserfüllten Tiraden, die uns in den sozialen Medien seit Jahren umgeben: Wie schrecklich und gefährlich sind dann die zugespitzten Thesen eines jungen Mannes, der sich mit – zumindest im Prinzip belegten – Statements an eine jugendliche Subkultur wendet, die vermutlich von deutlich “seriöseren” Medienangeboten kaum erreicht wird? Droht da wirklich der allgemeine Sittenverfall? Oder könnte es doch vielleicht ein engagierter – sicher nicht ausgewogener – Beitrag zu einer dringend notwendigen gesellschaftlichen Diskussion sein? Ist eine vereinfachende Zuspitzung “Die CDU zerstört unsere Zukunft” wirklich mehr Aufregung wert als der Gegenstand, um den es geht – nämlich eine von den Kids als real empfundene Bedrohung ihrer Lebensperspektiven?
Noch ein Gedanke zur Relativierung: Die Gelbwesten in Frankreich haben aus Wut über vermeintliche soziale Zumutungen mal eben einen Staat an die Grenze eines Aufruhrs gebracht; es gab massive Gewalt und riesige materielle Schäden. Haben wir wirklich ein Problem wegen Schüler-Streiks und Rezo-Videos? Geht’s noch?

Eine weitere Frage an die Menschen, die sich über die Heftigkeit und den Rigorismus der jungen Leute aufregen: Wer trägt eigentlich die Verantwortung dafür, dass sich die Auseinandersetzung so zugespitzt hat?
Sind es ungeduldige und überhitzte, auf Krawall gebürstete Jungen Leute, die sich – naiv wie sie sind – vor irgendeinen Karren spannen lassen?
Oder hat möglicherweise die Generation ihrer Eltern (also wir) schlichtweg 50 Jahre (seit “Grenzen des Wachstums”, Club of Rome, 1972) in einem beträchtlichen Umfang versagt?
Wir waren es doch, die schon lange alle Informationen über Umweltzerstörung, Ressourcenkrise und Klimawandel hatten und trotzdem nicht bereit waren, unser Wirtschaften und unseren Lebensstil den klar erkennbaren Notwendigkeiten anzupassen. Und jetzt sollen ausgerechnet diejenigen, die den Schlamassel irgendwann ausbaden müssen, Rücksicht auf unsere Bedürfnisse nach Ausgewogenheit und Diplomatie nehmen?
Das ist – mit Verlaub – verkehrte Welt!

Freuen wir uns doch, dass die jungen Leute uns einen Teil der Verantwortung abnehmen. Sogar wir werden noch etwas davon haben – weil es uns schnelles Handeln letztlich viel weniger abverlangen wird als weiteres Abwarten und Lavieren.
Müssen wir uns tatsächlich vor einer Bewegung fürchten, die alle Bürger aufruft zur Europawahl zu gehen und dabei an das Klima zu denken? Diese Kids zeigen uns, dass sie an unser demokratisches System – mit all seinen Schwächen – glauben! Was wollen wir eigentlich noch mehr? Gab es schon mal eine Jugendbewegung, die vernünftigere Ziele mit vernünftigeren Methoden zu erreichen suchte?

Wer ausgerechnet daran verzweifelt, der lebt wohl doch ein wenig in einer anderen Welt!
(Tut mir leid, wenn das auch polemisch klingen sollte…)

Wer sich genauer für die Wege interessiert, wie denn eine Umsteuerung zu einer klimaschonenden und nachhaltigen Welt aussehen könnte, kann hier mal reinschauen.

Übrigens: Morgen ist Europawahl!
Nicht zu wählen (oder die AfD) heißt, die Kräfte zu stärken, die die EU aushöhlen wollen und die gar nichts zum Klimaschutz beitragen wollen.

“Triffst du Buddha, töte ihn! Ein Selbstversuch” von Andreas Altmann

Ich bin sehr dankbar, dass ich manchmal Bücher empfohlen bzw. ausgeliehen bekomme, die mir selbst wohl nicht begegnet wären. Besonders freue ich mich natürlich, wenn man sich dann noch für meine Meinung interessiert. Beim “Buddha”-Buch war das der Fall. Da ich meine Meinung schon persönlich übermittelt habe, erfolgt hier nur eine Kurz-Rezension der Vollständigkeit halber.

Manchmal sagt ja die Einschätzung (“Das Buch könnte was für dich sein”) ja  – etwas aus über die Bilder, die jemand über den potentiellen Leser im Kopf hat. Bei ALTMANN betraf das den Punkt der Religionskritik: Wenn dieser Autor doch so eindeutig und leidenschaftlich die traditionellen monotheistischen Offenbarungsreligionen ablehnt – so der Gedanke – dann könnte doch Sympathie oder Solidarität für sein Gesamtkonzept entstehen…

Nun – das hat nicht geklappt. Hier kurz die Begründung:

Der alternativ-orientierte Weltenbummler und Journalist ALTMANN treibt sich gerade in Indien  herum. Auf der Suche nach irgendwie intensiven Erfahrungen. Er will sich spüren, etwas Extremes erleben. Wie offenbar schon oft in seinem rastlosen Leben und auf seinen zahlreichen Reisen, die man wohl – leicht untertrieben – als “anti-touristisch” bezeichnen kann. Es sucht das wahre Leben, er taucht ein, bis es weh tut: Auf der Suche nach Authentizität und Intensität gibt es wohl kaum etwas, was er nicht tun oder essen, wo er nicht schlafen, wen oder was er nicht an sich heranlassen würde.

In diesem Buch geht es um das Durchleben und Durchleiden eines buddhistischen Meditations-Marathons in einem abgelegenen Camp. Es geht um viele Tage mit unglaublich vielen langen Stunden, in denen nur still gesessen und geatmet wird. Jede Form von Kommunikation in der Gruppe ist verboten. Input kommt nur vom Meditations-Lehrer.
ALTMANN nimmt uns mit in seine inneren Prozesse und Kämpfe, beschreibt seine Schmerzen, seine Zweifel und sein Durchhalten. Es geht um Selbstüberwindung, um das Überschreiten von riesengroßen Stopp-Schildern – nach dem Motto: Was kommt hinter dem Schmerz, hinter dem Gefühl von endlos und zäh fließender Zeit, hinter den unaufhörlich rotierenden Gedanken, hinter der Leere?

ALTMANN mutet sich Unglaubliches zu; sein Motiv, innere Grenzen zu überwinden muss nahezu grenzenlos sein. Er will wissen, wie viel Weisheit und Selbsterkenntnis die Power-Meditation ihm bringen kann.
Dabei setzt er sich nicht nur von den – als naiv empfundenen – Glücks- und Jenseitsversprechungen der Ein-Gott-Religionen ab, sondern räumt bei dieser Gelegenheit gleich die Erleuchtungs-Ansprüche der buddhistischen Gurus mit ab. Er will und sucht keine Abwendung vom Ich und vom Alltag; er will sein Ego und seinen Intellekt nicht auflösen im Einssein mit dem Kosmos. Er will sich nicht von prallen Leben abwenden. Dafür ist ALTMANN viel zu lebensgierig. Hinter seiner Extrem-Askese lauert letztlich der Genuss-Mensch.

Mir kommt das so vor, dass hier jemand mit einer – für mich schon etwas pathologisch zwanghaft anmutenden – Konsequenz letztlich eine weitere Extremerfahrung konsumiert. Für mich ist der Autor ein Getriebener, dem schon der Gedanke an ein etwas normaleres Leben ein wohl geradezu körperlich schmerzhaftes Grauen verursacht.

Nein. Mich verbindet kaum etwas mit diesem Menschen.
Meditieren finde ich übrigens lohnend und sinnvoll. Aber es gibt sicher viele motivierendere Einladungen dazu.

“Jugendämter diskriminieren Hartz IV-Eltern”

So etwa könnte man die Äußerung eines Linken-Politikers zusammenfassen, die ich gestern in einer Nachrichtensendung aufgeschnappt habe.
Ich war total fassungslos! Wie tief kann man sinken, wenn man in ideologischen Scheuklappen lebt?!

Wenn man besessen ist von dem Gedanken, dass den wirtschaftlich Schwachen in unserer Gesellschaft immer und überall Unrecht angetan wird, kommt man offenbar irgendwann auf die Idee, dass auch die Eingriffe der Jugendämter in arme Familien nur ein Ausdruck einer gesellschaftlichen Stigmatisierung sein können. Nach dem Motto: Erst lässt man die Familien verarmen und dann nimmt man ihnen noch – ohne andere triftige Gründe – die Kinder weg und bestraft sie damit für ihre Armut!

Was für ein Weltbild! Ob dieser Mensch jemals ein Jugendamt von innen gesehen hat? Ob er eine leise Ahnung davon hat, was alles zusammen kommen muss, bevor ein Kind “rausgeholt” wird? Was alles vorher probiert und durchlaufen werden muss? Dass wirtschaftliche Verhältnisse allein  explizit nie eine Begründung für die Inobhutnahme von Kindern sein dürfen?

Ja. In armen Familien gibt es echte Kindeswohlgefährdung. Mit höherer Wahrscheinlich als in anderen Gesellschaftsschichten. Das liegt schlichtweg daran, dass bestimmte Risiko-Faktoren für beide Bereiche gelten: für schlechte wirtschaftliche Verhältnisse und für Gefährdungen von Kindern.

Dass hat übrigens nichts damit zu tun, dass die betroffenen Menschen (Eltern) nun die persönliche Schuld für ihre Lage hätten. Oder dass die Gesellschaft nicht noch eine Menge zusätzlicher Anstrengungen unternehmen sollten, zu unterstützen und zu kompensieren. Das wäre richtig und notwendig!
Es geht schlichtweg darum, dass Kinder vor schädigenden Einflüssen geschützt werden müssen. Und das gilt auch, wenn diese Schädigungen von armen Eltern ausgehen. So einfach ist das!
Auf solche Gefährdungen wird ganz sicher nicht vorschnell oder diskriminierend reagiert, sondern in der Regel immer noch zu langsam und zurückhaltend.
Daran ändert auch ein dezidiert linkes Weltbild nicht! Mit einer solchen verqueren Argumentation schwächt man linke Politik eher.

 

Fridays for Future / CO2-Steuer / Klimaziele

Jetzt kann ich nicht mehr ruhig bleiben; jetzt muss ich mich äußern. Einfach, weil es mir dann (hoffentlich) etwas besser geht.

Die GroKo hat gerade die CO2-Steuer abgeschmettert, ohne eine realistische, kurzfristig wirksame Alternative im Bereich Verkehr anbieten zu können.
Der einzige Grund: Es könnte zu Mehrbelastungen kommen, die gerade wirtschaftlich Schwächere und Pendler belasten könnten. Das könnte das Wahlvolk verärgern und möglicherweise in die Arme von Protestparteien (insbesondere der AfD) treiben. Also: lieber nichts tun!

Seitdem die Gelbwesten in Frankreich ihr Unwesen treiben, gibt es eine panische Angst vor den Protestbürgern, die vermeintlich jede politische Richtungsentscheidung ausschließlich unter dem Blickwinkel betrachten, ob damit irgendeine Einschränkung von “verbrieften” Rechten oder ungünstige Konsequenzen für das eigene Portmonee verbunden sein könnten.
Die Folge: Die Politik kann und darf nur noch Entscheidungen fällen, die grundsätzlich niemandem weh tun könnten! Weil alles, was man einmal hatte – sei es auch noch so schädlich, unverantwortlich oder gefährlich – innerhalb kürzester Zeit den Status von unverrückbaren Menschenrechten erhält:
Fleischberge zu Taschengeldpreisen, Rasen ohne Tempolimit, für 19 € quer durch Europa fliegen, Smartphone-Wechsel im Jahrestakt – all das und vieles mehr gehört inzwischen zum Standard – jede Abweichung davon bedroht Zufriedenheit und Lebensqualität.
Und vor allem die Freiheit!

Die Wohlstandsgesellschaften auf diesem Planeten haben inzwischen einen Freiheitsbegriff, der sich hauptsächlich durch die Möglichkeit zum ungehemmten Konsum definiert. Freiheit wird somit nicht bedroht durch die Klimakatastrophe, durch die Vermüllung der Meere, durch die schädigenden Folgen der industriellen Landwirtschaft oder die zunehmende Vereinsamung der Menschen in ihren technisch hochgerüsteten Single-Haushalten. Freiheit wird bedroht, wenn irgendein Konsumgut oder eine liebgewordene Gewohnheit knapper oder teurer wird!
Egal welche Fehlentwicklung man anpacken will: Es darf keine Nachteile haben! Für niemanden!

Damit haben wir inzwischen die verrückte Situation, dass ein Umsteuern über Verbote nicht geht (weil ein Wutgeheul über die bedrohte Freiheit entstehen würde) und eine Regulation über den Preis nicht geht, weil es ja  – logischerweise – auch spürbar sein müsste, um etwas zu bewirken.
Eigentlich könnten die Politiker nach Hause gehen. Es gibt nichts mehr zu tun!

Eine besondere aktuelle Facette ist dabei die Vermischung zwischen allgemeinen Zielen (Energiewende, Klimaschutz) und der Sozialpolitik.
Während auf der einen Seite seit Jahrzehnten hingenommen wird, dass die Schere zwischen Arm und (ganz) Reich immer weiter auseinander geht, fällt den Politikern ausgerechnet beim Umwelt- und Klimaschutz auf einmal auf, dass bei einer Steuerung über den Preis die Auswirkungen in den unteren Sozialschichten stärker spürbar wären.
Ja, das ist dann so! Es muss auch so sein, wenn es was bringen soll! Wir leben ja auch nicht in einer Gesellschaft, in der Mercedes-Limousinen verlost werden. Warum muss dann jeder das Recht haben, auch mit kleinem Einkommen Fernreisen zu unternehmen oder für ein Fußballspiel durch halb Deutschland zu fahren zu können?
Es gibt kein Menschenrecht auf alles für alle! Und wenn man den gesellschaftlichen Reichtum anders verteilen will: nur zu! Aber nicht plötzlich dann, wenn es um Spritpreise oder Massentierhaltung geht!
Klimaschutz ist auch dann alternativlos, wenn er unsozial sein sollte! Das traut sich nur niemand zu sagen!

Und da sind wir dann endlich bei den Kids und ihren Freitags-Protesten. Was für eine Aufregung!
Da verlangen doch tatsächlich diese unreifen und verblendeten jungen Leute, dass man die eigenen Wissenschaftler (die meisten davon sind übrigens Erwachsene) und die eigenen politisch beschlossenen Klimaziele richtig ernst nimm! Also sozusagen wörtlich! Welch revolutionärer Übereifer! Wenn das jeder machen würde!
Kann man nicht ein wenig Einsicht und Kompromissbereitschaft verlangen? Reicht es nicht, dass die Gesellschaft im Prinzip dafür ist? Muss es dann auch noch verbindlich werden??

Ich würde mich als Jugendliche/r verarscht fühlen. Ich würde – gerade im Moment – denken, dass die “Alten” haben immer noch nichts kapiert haben. Die machen einfach weiter, weil sie sich nicht trauen, unbequeme Wahrheiten auszusprechen bzw. wahrzunehmen:
Wir werden Bequemlichkeit und Wohlstand opfern müssen, um langfristige Ziele zu erreichen! Fleisch darf und muss teurer werden, Sprit und Strom auch, Flugbenzin erst recht!
Es gibt Schlimmeres (was dann letztlich langfristig auch sogar noch teurer werden wird).
Und die Kids haben ein Recht darauf, uns immer wieder daran zu erinnern, dass sie die Konsequenzen zu tragen haben werden. Wir können nicht erwarten, dass sie dabei zuschauen, wie wir (unsere Generation) die Titanic auch deshalb sinken lassen, weil wir sowieso schon vorher abgetaucht sind  – nachdem wir bis zum letzten Moment aus dem Vollen geschöpft haben.

 

“Die Macht der Affäre” von Esther Perel

Im privaten Leben lässt man sich von Büchern häufig in unbekannte Welten führen – seien es nun Lebenswelten anderer Personen oder anregende Sachthemen. Eine Ausnahme bildet dabei die Ratgeber-Literatur: Diese sucht man sich doch meist aufgrund einer persönlichen Nähe zum Thema aus, meist in der Rolle des Laien, der auf das Wissen und die Erfahrung von Experten vertraut.

Meine Ausgangslage hinsichtlich des hier besprochenen Buches ist noch einmal sehr besonders: Ich bin nicht nur Betroffener, sondern als jemand, der selbst (zusammen mit einer Co-Autorin) seit über drei Jahren zum Thema “Liebes- und Nebenbeziehungen” schreibt, auch so etwas wie ein Experte. Ich habe Hunderte von Stunden nachgedacht, gelesen, geschrieben, diskutiert, Theorien und Systematiken entworfen, Fragebogen entwickelt. In all dieser Zeit habe ich eine ganze Menge der angesprochenen Punkte auch hautnah durchlebt und durchlitten.
Was ich damit sagen will: Dies ist vielleicht die fundierstete Rezension, die ich jemals geschrieben habe – oder überhaupt schreiben könnte. Ich kenne mich tatsächlich ein wenig aus in der Materie (was natürlich nicht bedeutet, dass ich privat vor Fehlern oder Fallstricken gefeit wäre).

Diese Vorrede sollte jetzt wohl ausreicht haben, um Aufmerksamkeit für dieses Buch und meine Meinung dazu aufzubauen.

Das schlechteste an diesem Buch ist der deutsche Titel. Das Original heißt: “The State of Affairs: Rethinking Infidelity” (Also z.B. : “Der Sachstand: Untreue überdenken”). Dieses Buch mit dem reißerischen Begriff “Affäre” auszustatten, ist geradezu eine Beleidigung – oder sogar eine bewusste Täuschung.

Das beste an dem Buch ist der Rest, der Inhalt!
Es geht – zum Glück – nicht nur um Affären. Es geht um alle Formen von Untreue, von Verletzung traditioneller Grenzen von monogamen Beziehungen. Wer auch immer auf diesem Gebiet persönliche Erfahrungen haben sollte – auf welcher Seite des Geschehens auch immer – wird sich in diesem Buch wiederfinden. Nicht nur gesehen, sondern auch verstanden.

Das ist nicht von Anfang an so klar ersichtlich. So entsteht angesichts des grenzenlosen Verständnisses für die Verstörung, den Schmerz und die Trauer des/der “Betrogenen” zunächst der Eindruck, dass PEREL von einer klar strukturierten Täter/Opfer-Welt ausgeht, in der kein Platz für Zwischentöne ist. Auch bekommt man in den ersten Kapiteln des Buches sehr stark das Gefühl, dass entstandene Nebenbeziehungen überhaupt keine eigene Bedeutung haben – also ausschließlich danach beurteilt werden, was sie in der Basisbeziehung angerichtet haben und bewirken könnten.
Dieses – nicht immer gut auszuhaltende – Leseerlebnis hat damit zu tun, das die Autorin “schön der Reihe nach” vorgeht. Und dabei bekommt jede Perspektive die volle Aufmerksamkeit – so wie es auch in ihrer therapeutischen Arbeit passiert. Und dieser Aufbau und diese Differenzierung von Perspektiven ist nicht zufällig gewählt, sondern entspricht den emotionalen Prozessen und Erfordernissen bei der Bewältigung einer – bisher verheimlichten – Nebenbeziehung.

So langsam wird es deutlich: Ich bin wirklich begeistert von diesem Buch!
Es ist einfühlsam, niveauvoll, gründlich, facettenreich und fachlich fundiert. PEREL schafft es, in scheinbar unversöhnlich gegenüberstehenden Standpunkten, Erlebensweisen, Sehnsüchten und Zielen etwas gemeinsames zu sehen: die urmenschliche Suche nach Glück und Erfüllung.
Dabei ist sie nicht völlig wertfrei: Bei Gewalt, Erniedrigung, dem Ausnutzen von Abhängigkeiten und Machtmissbrauch kennt sie kein Pardon. Aber hinsichtlich der Möglichkeiten, Liebesleben auf der Basis gleichberechtigter Absprachen zu gestalten, ist sie absolut offen und frei von Vorurteilen.
Natürlich kristallisieren sich mit der Zeit einige Grundhaltungen der Autorin heraus. Sie steht erstmal auf der Seite der Ausgangsbeziehung und ihrer “Rettung” nach der Krise. Und sie ist überzeugt von der großen Bedeutung der Erotik als Basiskraft einer jeden Liebesbeziehung. Es ist ihr daher auch ein großes Anliegen, nach Veränderungsmöglichkeiten auch in langjährigen Beziehungen Ausschau zu halten.

Mir fällt es schwer, hier nicht seitenlang all die Facetten aufzuführen, die dieses Buch zu einer Schatztruhe für Betroffene und Interessierte macht. Dieses Buch hat den Charakter eines Kompendiums. Man findet letztlich alle Varianten und Konstellationen. Natürlich wird auch – so ganz nebenbei – eine historische und gesellschaftliche Einordnung von Ehe und Liebesbeziehungen geliefert.

Wo bleibt die kritische Einschätzung?
Nun – es wird vielleicht einige wundern: Am Ende ist es sogar die scheinbar grenzenlose Toleranz gegenüber allen denkbaren Überschreitungen von monogamen Grenzen, die mich befremdet hat. Zwar werden diese Grenzverletzungen jetzt gemeinsam beschlossen bzw. verwaltet und bieten so eine positive Alternative zum Klassiker des “Betruges”. Aber es wird mir dann doch etwas zu dolle. Am Ende entsteht ein wenig der Eindruck, als ob ein monogames Beziehungsglück gar nicht mehr denkbar wäre – und statt dessen jede exzentrische Verrücktheit eine Überlegung wert.
Um es positiv auszudrücken: Welch ein riesiger Bogen, der da aufgemacht wird in diesem Buch, zwischen der Verzweifelung des Opfers über eine “harmlose” Affäre und den Experimenten einer “neuen Monogamie”.

Es bleibt dabei: in der Gesamtheit für mich ein konkurrenzloses Buch!

“Der Distelfink” von Donna Tartt

Dieser 2013 erschienene Roman ist nicht einfach nur ein gutes Buch; er ist ein literarisches Ereignis! Das finde nicht nur ich, sondern auch die Juroren, die ihm den Pulitzer-Preis zuerkannt haben.
Ich habe den Roman gerade zum zweiten Mal als Hörbuch gehört und währenddessen zufällig erfahren, dass seine Verfilmung im Herbst in die Kinos kommt. Kaum vorstellbar, dass man dieser Vorlage wirklich auf der Leinwand gerecht werden kann…

Diese Geschichte, diese Sprache, diese Intensität nimmt einen nicht nur mit, sie reißt einen mit.

Aber erstmal kurz zum Inhalt: Es ist die Geschichte eines zum Mann reifenden Jungen und es ist die Geschichte eines berühmten (realen) Gemäldes. Oder, noch besser: Es ist die Geschichte der Verbindung dieser beiden Geschichten.

Bei einem Terroranschlag auf ein Museum verliert der 13-jährige Theo seine Mutter und “gewinnt” das besagte Gemälde, den Distelfinken. Beide Ereignisse prägen sein weiteres Leben in einem kaum zu übertreffenden Ausmaß.
Der Lebenslauf des Jungen wird aus der Bahn gerissen; die damit verbundenen Traumatisierungen wird er nie überwinden. Der Leser begleitet ihn in seinem kurvenreichen und zum Teil selbst-gefährdenden Weg durch eine zerbrochene Welt, der zunächst zu einer “Ersatzfamilie” im vertrauten New York, später in das halbseidene Milieu seines Vaters in Las Vegas und letztlich zurück nach New York führt. Drei zentrale Figuren begleiten ihn über die Jahre: Ein Mädchen, das auch Opfer des Anschlages war; ein gleichaltriger Freund, der auch – mutterlos – seinem haltlosen Vater ausgeliefert war und ein väterlicher Mentor, der ihn in die Welt der Antiquitäten einführt. Allein die facettenreiche und in ihrer lebensgierigen Radikalität provozierende Figur des Freundes Boris fordert einen auf eine Art heraus, dass es alleine für ein ganzes Buch reichen würde.
Der Versuch, in wenigen Sätzen anzudeuten, was alles rund um Theo, das Gemälde und die genannten Personen passiert, wäre zum Scheitern verurteilt. Da hilft nur eins: lesen!
Man kann dabei sicher sein, dass so viele menschliche bzw. existenzielle Grundfragen berührt werden, dass da niemand etwas vermissen wird.

Man könnte sich selbst dann in die Sprachkunst der Autorin verlieben, wenn es keine Story, keinen Spannungsbogen gäbe. Sie schildert Situationen, und Atmosphären mit einer Dichte, die – meiner bescheidenden Meinung nach – die Grenzen von dem markiert, was man mit Sprache überhaupt ausdrücken kann. Manchmal möchte man vor stiller Bewunderung förmlich den Hut ziehen oder ehrfürchtig  auf die Knie fallen.

Gibt es über dieses Buch noch etwas anders zu sagen als diese Schwärmereien?
Ja, gibt es. In einigen Momenten wird vielleicht die große Stärke der Autorin – so total hemmungslos eintauchen zu können in ein bestimmtes Milieu oder eine bestimmte Szenerie, sie mit allen Facetten auszumalen, dabei auch dick aufzutragen – fast zu einer kleinen Schwäche. Manchmal erschien es mir des “Guten” zu viel. Ich hätte z.B. auf den einen oder anderen Drogen-Exzess zusammen mit dem schillernden und selbstzerstörerischen Freund Boris verzichten können.
Doch das sind eher kleine Nuancen eines beeindruckenden Gesamt-Kunstwerkes.

Inzwischen gibt es dieses Buch zum Taschenbuch-Preis. Das erscheint fast ein wenig unwürdig für so ein Werk.
Zurückhaltung bei diesem Buch empfehle ich nur dann, wenn man dem Thema Kunst und Antiquitäten so gar nichts abgewinnen kann und es ganz gerne hat, wenn sich eine Geschichte zielstrebig fortentwickelt.
Bei diesem Roman ist ganz eindeutig der Weg das Ziel.

“Diese gottverdammten Träume” von Richard Russo

Es hat einige Jahre gedauert, bis dieser 2001 erschienene Roman ins Deutsche übersetzt wurde – obwohl er den angesehenen Pulitzer-Preis erhalten hat.
Mich hat er neugierig gemacht, weil ich schon immer einen gewissen Drang hatte, die amerikanische Denk- und Lebensweise zu ergründen. Und genau das sollte angeblich in diesem Werk geschehen.

Erzählt wird die Geschichte einer US-Kleinstadt in Neuengland, also an der Ostküste. Das Hintergrund-Thema ist der allmähliche wirtschaftliche Niedergang einer ehemals prosperierenden Gemeinde, der aus zwei Perspektiven persönlich in den Fokus genommen wird: Aus der Sicht der prägenden Unternehmer-Dynastie, deren Fabriken einst entscheidend für den Wohlstand der ganzen Stadt waren, und durch das Alltagsleben einer Familie, die sich in dem typischen Kleinstadt-Milieu mit ganz privaten Problemen befassen muss.

Der Handlungsverlauf – der durchaus einen gewissen Spannungsbogen aufmacht – speist sich aus den Querbezügen zwischen den beiden Familien-Systemen, die es sowohl auf privater als auch auf beruflicher Ebene gibt.

Was macht diesen Roman lesenswert (hörenswert)?
– Die ca. 10 Hauptfiguren sind differenziert und insgesamt psychologisch sehr stimmig gezeichnet. Man lernt sie wirklich gut kennen und wird Schritt für Schritt mit in ihr Leben mitgenommen. Der Autor lässt sich Zeit dafür, beschreibt Situationen und Interaktionen mit einer ausgeprägten Liebe zum Detail und zu atmosphärischen Feinheiten.
– Die Themen decken ein weites Spektrum dessen ab, was Menschen umtreibt: Konflikte zwischen den Generationen, Liebe und Trennung, Schuld und Wiedergutmachung, Geheimnisse und deren Langzeitfolgen, usw..
– In weiten Teilen des Buches geht es nicht um spektakuläre Ereignisse, sondern um den Alltag – der allerdings scharfsinnig und aufmerksam ausgeleuchtet wird.
– Durch die eher ruhige, unaufgeregte  Erzählstruktur schafft es der Roman, den Leser immer weiter eintauchen zu lassen in den beschriebenen Ausschnitt des amerikanischen Seins. Wenn man durchhält, entsteht irgendwann so ein Gefühl, wie wir alle es aus guten Büchern kennen: Man wird ein Teil des Geschehens und merkt am Ende, dass man sich fast ein wenig eingerichtet hat in dieser anderen Welt…

Was ist schwierig?
– In gewisser Weise ist das Buch eben sehr amerikanisch. Wer sich für die Alltagskultur der USA nicht interessiert, der könnte Überdruss empfinden – angesichts der wiederkehrenden Schilderungen typischer Gewohnheiten.
– Detailverliebtheit kann auch zu Längen führen. Davon ist dieser Roman sicher nicht ganz frei.
– Einige wenige Figuren sind vielleicht ein wenig zu eindimensional geraten. So kann man wirklich nur mühsam nachvollziehen, warum die Ehefrau der Hauptperson der Geschichte an diesen neuen Partner (und dann auch Ehemann) gerät – der so offensichtlich gar nichts zu bieten hat.

Und die Bilanz:
Für mich war es lohnend. Das hat aber sicher auch damit zu tun, dass ich so ein Buch mal eben zwischendurch “weghören” kann, ohne gleich mehrere kostbare Wochenenden oder einen halben Jahresurlaub darauf verwenden zu müssen. Wenn man im Jahr nur fünf Bücher schafft, dann würde ich nicht unbedingt diesen Roman auf die Liste setzen. Wenn man die Muße hat, sich immer mal wieder in andere Lebenszusammenhänge hineinzulesen, ist er durchaus eine Empfehlung.

“Eine bessere Welt – Die Abnormen 2” von Marcus Sakey

Eigentlich lese ich ja keine Thriller. Ich verstehe nicht so recht, warum so viele Autoren und Leser daran Interesse haben, interessante Geschichten bzw. anregend ausgestaltete Figuren immer wieder in einen Kontext von Kriminalität, Gewalt oder Horror zu stellen. Warum selbst so begnadete Erzähler wie Stephen King einfach von diesem Genre nicht lassen können.
Es ist mir übrigens genauso schleierhaft, warum ausgerechtet die TATORT-Serie seit Jahrzehnten als ein gelungenes Spiegelbild unser gesellschaftlichen Wirklichkeit betrachtet wird. Als ob es ohne einen Mord als Auftakt keine treffenden und unterhaltsamen Einblicke in unser Leben gäbe. Als ob verschiedene Teams von Sozialarbeitern oder Reportern sich nicht mindestens genauso gut dafür anböten, gesellschaftliche Trends und komplexe Persönlichkeiten bzw. deren Beziehungskisten abzubilden.

Diesmal geht es aber tatsächlich um einen Thriller. Er hat mich thematisch angesprochen und er hat mich beim Lesen so gepackt, dass ich das Nachfolgebuch gleich hinterher gelesen habe.
Wie konnte das passieren?

Zuerst zum Thema:
Es geht um den Konflikt zwischen den Normal-Menschen und einer kleinen Gruppe von „Genialen“. Seit einem bestimmten Zeitpunkt – so der Rahmen der Geschichte – werden ca. 10 % der Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten geboren. Diese „Genialen“ unterscheiden sich dann nochmal in dem Ausprägungsgrad ihrer extrem erweiterten Kompetenzen im Bereich Wahrnehmung, Intelligenz, Kreativität, Körperbeherrschung, usw..
Erzählt wird, wie sich aus ersten gesellschaftlichen Spannungen allmählich ein erbitterter Kampf um die Vorherrschaft wird. Wobei diese Zuspitzung nicht nur aus der Ausgangslage hervorgeht, sondern von machtgierigen Einzelpersonen befeuert wird.
Mich reizte an dieser Thematik die Nähe zu der Diskussion um Transhumanismus, also um die Erweiterung menschlicher Möglichkeiten mit Hilfe von Gen-Technologie und digitaler Mensch-Maschine-Systemen. Viele Forscher sind ja ernsthaft der Meinung, dass schon in 20 bis 30 Jahren eine Elite von genmanipulierten Super-Wesen entstehen könnte, die den „Homo Sapiens“ hinter sich lassen und eine neue Gattung bilden könnten. Über die moralischen und politischen Implikationen einer solchen Entwicklung wird schon eifrig diskutiert – nicht nur von vermeintlich durchgeknallten Silicon-Valley-Phantasten, sondern auch von ganz seriösen Philosophen.
Also erschien mir das Szenario dieses Buches vielversprechend: Ein Science-Fiction-Thriller zum Thema „Übermenschen“ – warum nicht?!.

Und die Umsetzung?
Ich muss zugeben: Da bin ich letztlich dem ganz normalen Strickmuster einer Heldengeschichte „Gut gegen Böse“ verfallen. Ja – es gibt jede Menge Klischees aus dem Standard-Baukasten der konventionellen Spannungs-Literatur (wenn man diesen Begriff wirklich benutzen will). Und es gibt auch jede Menge Gewalt: „böse“ und „gute“ Gewalt.
Alles wie immer: Man identifiziert sich mit dem Helden und seinen Liebsten; wundert sich, was einzelne Menschen alles leisten können und ist immer wieder überrascht, welche vielfältigen Komplikationen einem guten Ausgang entgegenstehen können. Und wie böse die Bösen sein können.
Kurz gesagt: Wenn man sich einmal eingelassen hat, ist es einfach spannend.
Der Autor ist ohne Zweifel ein Profi; er versteht sein Handwerk.

Für mich war das Lesen dieser beiden Bücher (das erste Buch der Trilogie habe ich ausgelassen; man bekommt den Inhalt ausführlich genug erzählt) eine gute Erfahrung. Ich habe mich drei Tage gut unterhalten gefühlt und konnte meine manchmal etwas hochnäsige Haltung gegenüber den „Thriller-Süchtigen“ mal ein wenig relativieren: Es darf tatsächlich auch mal was anderes als seriöse Belletristik oder ein Sachbuch sein.

“Der Trafikant” von Robert Seethaler

Ein kleines aber feines Stück Literatur!

Ich bekam den Trafikanten in die Hände, als ich mich Weihnachten mit Freunden über die bevorzugte Literatur der letzten Zeit austauschte. Ich hatte von dem Autor und dem Titel zuvor nichts gehört.

Die Geschichte spielt in dem von den Nazis besetzten Wien. Ein junger Mann wird aus der verarmten österreichischen Provinz zu einem Verwandten in die Hauptstadt geschickt, um dort in einem Zeitungskiosk auszuhelfen. Er lernt das zunehmend von Gewalt und Antisemitismus bestimmte Alltagsleben aus dieser speziellen Perspektive kennen. Er verliebt sich unglücklich. Und er trifft einen schon kränkelnden alten Herrn: Professor Sigmund Freud.

Aus diesen Zutaten entsteht ein leiser, unaufgeregter Roman. Eine Milieustudie, die sich ganz auf die Seite der kleinen, rechtschaffenden Leute stellt. Es sind alltägliche Mühen und bescheidene Sehnsüchte, die das Leben bestimmen. Zu den persönlichen Enttäuschungen kommt die Willkür und Brutalität der Besetzer und ihrer einheimischen Helfershelfer.  Während Freud – mit dem eine seltsam anmutende kleine Freundschaft entsteht – schließlich mit seinem Hausrat emigrieren kann, sind die Durchschnitts-Menschen, die ihre Anständigkeit bewahren wollen, dem System wehrlos ausgeliefert.

Es gibt keine großen Helden in diesem Roman, nur kleine mutige Gesten. Auch kein Sieg des Guten. Aber man erhält einen sehr authentisch wirkenden Einblick, wie sich Geschichte von unten anfühlt.

Die, die wir heute so selbstverständlich (und manchmal auch eitel und selbstverliebt) mit der Optimierung unserer Karrieren, Beziehungen und Körper beschäftig sind, werden mal für einige Stunden darauf gestoßen, wie Leben auch verlaufen könnte. Unter anderen Bedingungen. Auf die wir genauso wenig Einfluss haben würden, wie der Trafikant es hatte.