28.03.2020

Zwei Tage Blog-Pause. Zwei Tage keine Corona-Betrachtungen.
Was hat sich verändert?

Ich glaube, dass man in diesen Tagen eine neue Maßeinheit zur Beurteilung des Alltags-Lebens einführen könnte: Die “Persönliche Corona-Nähe” (PCN).

Was ich damit meine? Die aktuell wichtigste Unterscheidung zwischen dem Lebensgefühl der Menschen ist wohl, in welchem Ausmaß sie direkt von der Corona-Krise betroffen sind. Das reicht von extremer Betroffenheit (weil z.B. man infiziert ist, sich um einen Angehörigen sorgt oder im Gesundheitsbereich arbeitet) bis zur weitgehenden Nicht-Betroffenheit (weil man z.B. sowieso ein Leben lebt, dass den Corona-Regeln weitgehend entspricht).
Je nachdem, wo man sich selbst auf dieser Dimension einordnet, wird man schwächer oder stärker eine Ausnahmesituation spüren, ganz konkret.

Dazu kommt aber eine weitere Ebene, ein wenig abstrakter. Da hängt das Ausmaß der eigenen Beteiligung davon ab, wie man mit den – geradezu unbegrenzten – Nachrichten und Informationen in den diversen Medien umgeht.
Das hat zunächst eine quantitative Seite: Wie viele Stunden meines Tages widme ich diesem Thema? Reichen mit Schlagzeilen, begnüge ich mich mit den Nachrichten-Sendungen oder lasse ich mir keine Sondersendung bzw. Talkshow entgehen?
Aber letztlich entscheidend für die PCN (Persönliche Corona-Nähe) ist qualitativ: Gehe ich davon aus, dass sich gerade ein tiefer und letztlich globaler Einschnitt vollzieht – mit dramatischen Auswirkungen noch auf viele Jahre? Oder gehe ich von einer eher punktuellen Krise aus, die spätestens im nächsten Jahr weitgehend gemeistert sein wird.
Doch das ist nicht alles: Noch drängender und entscheidender ist die Frage, in welchem Umfang ich mich persönlich gesundheitlich bedroht fühle (bis hin zu Fantasien eines plötzlich in die Nahperspektive rückendes vorzeitiges Lebensende).

Meine These ist: Nichts bestimmt unser Leben im Moment stärker als diese PCN.
Wenn das stimmen sollte, hat sich sozusagen – innerhalb kürzester Zeit – ein Filter oder eine Schablone über unsere Wahrnehmung und Bewertungen geschoben, die noch vor wenigen Wochen noch gar nicht existierte.
Damit wohnen wir gerade einer extremen Veränderungen unseres subjektiven Erlebens bei, sozusagen einem riesigen psychologischen Experiment. Das besondere an diesem Experiment ist die Versuchsgruppe: Sie besteht nämlich aus uns allen, aus der gesamten Menschheit.
Ziemlich irre!

Wo stehe ich? Wie ist mein PCN-Wert?
Mein Alltag ist nur in geringem Umfang betroffen (vielleicht 2 von 10 Punkten).
Ich verwende viel Zeit auf Information (ca. 7 von 10).
Ich halte den Einschnitt für groß, aber nicht für historisch (6 von 10).
Meine Befürchtungen für mich selbst sind gemäßigt (4-5 von 10).
Insgesamt liege ich also im Moment im Mittelfeld.
Ob sich das verändern wird?

“Mehr Zeitwohlstand!” von Jürgen P. RINDERSPACHER

Also ein Buch über das Thema “Zeitmanagement”?
Nein, das ist es zum Glück nicht. Es geht nicht um Effektivität oder Effizienz.
Der Autor schlägt den Bogen weiter, viel weiter…

Es wäre wohl kaum übertrieben festzustellen, dass hier – in diesem unauffälligen Taschenbuch – eine Betrachtung über das gesamte moderne Leben angeboten wird.
Das ist möglich, weil “Zeit” ein so grundsätzliches Phänomen ist, dass es schlichtweg alle Bereiche und Aspekte unseres Alltagslebens irgendwie berührt.
Probiere es mal aus: Denke an ein beliebiges Thema und dann frage dich, welchen Bezug es zum Gegenstand “Zeit” hat.
Man findet immer was!
Genauso ging es offenbar Rinderspacher (der als “Zeitforscher” vorgestellt wird.
Und er nutzt diesen Umstand hemmungslos aus.

Letztlich sind es 35 Stichworte (= Kapitelüberschriften) geworden (von A wie Arbeitszeit bis Z wie Zweierbeziehung). Es hätten auch 21 oder 76 Stichworte sein können, weil …. (ja, alles hängt irgendwie auch mit der Zeit zusammen).

Der Autor ist ein sympathischer Zeitgenosse (Wortspiel!). Ein bisschen wirkt seine Welterklärung wie die Ausführungen eines netten Onkels, der einfach viel weiß und gerne davon erzählt. Dabei erklärt er – so ganz nebenbei – auch viele andere nützliche Dinge. Über die Entwicklung unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten, über Wirtschaft, Erziehung, Familienleben, Mobilität, Stress, und …
Vermutlich wäre es leichter, aufzuzählen, was der Autor auslässt (mir ist auf Anheib nichts eingefallen).

Vielleicht ist es schon deutlich geworden: Es handelt sich nicht um ein Fachbuch, es ist im lehrreichen Plauderton geschrieben. Und – um es nicht zu vergessen – es geht an keiner Stelle um das physikalische Phänomen Zeit, dessen Verständnis oder Messung.

Der Autor hat aber durchaus ein Anliegen, eine Message; auch die ist sympathisch.
Er möchte uns, den Lesern, den Menschen, einen bewussteren und einen wohltuenderen Umgang mit der Zeit ans Herz legen. Das macht er eher leise und indirekt; ein freundlicher Onkel ist ja kein Demagoge.

Das Buch eignet sich als Nachttisch-Lektüre; man kann es prima häppchenweise lesen. Für Menschen, die schon viel über alles mögliche wissen, ist es vielleicht ein wenig seicht, ein bisschen redundant.
Geradezu genervt haben mich die unendlich vielen Querverweise im Text, mit deren Hilfe der Autor wohl unter Beweis stellen wollte, das in seinem Buch irgendwie alles mit allem zusammenhängt. Hätte ich auch so gemerkt!

Bilanz: ein schönes Geschenk für Menschen, die interessiert an der Welt sind, sich gerne über die Zeit Gedanken machen und nicht sowieso schon alles wissen.
Anregend, ohne aufregend zu sein.

Du bist richtig gelandet!

Mein Blog hat einen neuen Platz im Netz.
Es wird nach und nach ein paar Veränderungen geben.

Im Prinzip sind alle bisherigen Inhalte verfügbar.
Allerdings müssen die Links (Verweise) auf andere Seiten innerhalb des Blogs noch angepasst werden. Das wird noch ein wenig dauern.

24.03.2020

Vier Welten

Ich komme mir in diesen Tagen so vor, als lebte ich in vier verschiedenen Welten, die oft nur ein durch einen kleinen Spalt getrennt sind.

Da ist erstmal die alte, die Vor-Corona-Welt. Sie scheint manchmal noch zum Greifen nah – war sie doch noch vor ganz wenigen Wochen die eigentliche, selbstverständliche, normale Welt. Man könnte sich fast in ihr verlieren – für ein paar verträumte Minuten.

Dann gibt es die “private” Corona-Konstellation. Sozusagen die persönliche Manifestation des Ganzen. Was betrifft mich wirklich im Hier und Jetzt? Was hat sich schon verändert? Wovor fürchte ich mich ganz konkret? Wie habe ich mich eingerichtet? Was gehen mich all die Nachrichten wirklich an? Wie isoliert und einsam bin und fühle ich mich? Wieviel Normalität kann ich leben?

Fast übermächtig erscheint die Medien- und Nachrichtenwelt. Hat man zwischendurch in der Privatwelt etwas Luft geschöpft, bekommt man hier die volle Dröhnung: Es kann richtig schlimm werden! Wer will oder sich ausgeliefert fühlt, kann 24 Stunden pro Tag Zahlen, Analysen, Erklärungen, Prognosen und Ratschläge bekommen – im Minutentakt. Mit ein bisschen Übung und den passenden Endgeräten lassen sich zwei Sendungen parallel schauen – und die Hände bleiben frei für einen kurzen Scroll der Online-Meldungen…

Ach ja – dann gibt es natürlich schon die vorgezogenen Nachbetrachtungen. Wie wird die Welt nach Corona aussehen? Werden wir mit traurigen Augen an die vergangenen, geradezu paradiesischen Zeiten zurückdenken? Oder werden wir gereift und geläutert neue Priorität für ein solidarisches und nachhaltiges Leben entwickeln?

Manche Menschen müssen in bzw. neben diesen gefühlten Corona-Welten noch ein richtiges Leben führen… Respekt!

23.03.2020

Corona und die Politik

Was waren das noch Zeiten, als der Wettbewerb um die Führung der (früheren?) Volksparteien die Republik – oder zumindest die Talkshows – wochenlang in Aufregung versetzt haben.
Heute findet man z.B. kaum einen Hinweis in den Medien, wie es dem großen Zampano Friedrich Merz eigentlich gesundheitlich geht. Vor einigen Wochen hätte es vermutlich tägliche Schaltungen zu seinem Hausarzt gegeben…

Vermisst eigentlich jemand die Talkshows, in denen viel Monate lang von allen Parteivertretern gefordert wurde, die Politik bzw. Parteien müssten sich um die Probleme der Menschen kümmern, statt sich mit sich selbst zu beschäftigen.
Seit ca. zwei bis drei Wochen geht es nur noch um ein reales Problem. Und siehe da: es funktioniert!
Man hört den zuständigen Politikern und den relevanten Experten geduldig zu und fühlt sich gut regiert. Un auf einmal ist es auch ziemlich egal, was die AfD-Vertreter dazu denken und sagen; auch das vermisst wohl kaum jemand.

Es ist die Zeit der Entscheidungen; es ist die Zeit der Macher. Machen kann nun mal nur, wer regiert.
Wenn nächsten Monat gewählt würde (was natürlich wegen Corona nicht ginge), würden die Regierungsparteien wohl wieder eine Mehrheit haben.
Glaubt noch jemand, dass die CDU demnächst nicht von Laschet und Spahn geführt wird? Ich halte jede Wette!

Wenn die Bedrohung nicht so unmittelbar und riesig wäre – wie groß wäre dann wohl das Aufbegehren angesichts der unglaublichen finanziellen Mittel, die urplötzlich zur Verfügung stehen?!
Und danach? Wie lange wird man sich darauf zurückziehen (müssen), dass die Reserven jetzt für lange Zeit aufgebraucht sind?

Hoffnungsvoll bin ich bzgl. der Beurteilung der so oft pauschal abgewerteten staatlichen Institutionen und Dienste, die ja – vermeintlich – so ineffizient im Vergleich zum “freien Markt” wären. Ein großer Teil der Welt beneidet uns im Moment um die Kombination von freiheitlicher Gesellschaftsordnung und einer starken, funktionierenden öffentlichen Verwaltung.
Es wäre toll, wenn – im Falle einer geglückten Bewährung – dieses Modell wieder an Attraktivität und Ausstrahlungskraft gewinnen würde.

Eine Weile wird wohl auch das Politiker-Bashing vorbei sein. Endlich.
Politiker bedanken sich im Moment jeden Tag in den Medien für den Einsatz von Krankenschwestern, ArztInnen und VerkäuferInnen (usw.).
Ich denke, es wäre mal Zeit, sich auch bei den Politikern und ihren Stäben zu bedanken – und zwar auf allen Ebenen (von den Kommunen bis zum Bund).
Wer möchte die Jobs im Moment wirklich gerne übernehmen??

22.03.2020

Corona und die Kernfamilie

Nein – ich rede die Bedrohung nicht klein. Ja – es geht jetzt nicht um irgendwelche egoistische Einzelinteressen.
Ich nehme mir nur trotzdem heraus, die Corona-Krise unter ganz verschiedenen Perspektiven zu betrachten, so auch heute. Ich glaube, das schadet niemandem.
Soweit die Vorrede.

Nach – gefühlten – 127 Sondersendungen und Talkshows (es gibt inzwischen auch Sonder-Talkshows) und unzähligen Artikeln auf großen Nachrichten-Plattformen frage ich mich zwischendurch an einem spezifischen Punkt, in welcher Gesellschaft ich denn eigentlich lebe.

In den letzten Jahren wurden so ziemlich alle Tabus gebrochen und jede von potentieller Diskriminierung bedrohte Gruppe beachtet und gestärkt.
Dann kommt der Corona-Virus – und auf einmal sind wir (an einem Punkt) wieder in der wohligen Welt der 50iger-Jahre des letzten Jahrhunderts gelandet.
Wie ich zu dieser gewagten These komme?

Nun, ich habe einfach zugehört. Habe mir alle Beispiele, alle Konstellationen und Lösungsvorschläge angehört. Insbesondere die Überlegungen zu Kontakt- und -Ausgangsbeschränkungen der letzten Woche.
Was auffällt: Es gibt genau eine Gruppe von Menschen, deren Situation und Bedürfnisse tatsächlich nie (soweit ich es beurteilen kann) zum Thema wurde. Ich meine die Personen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht mit ihrem liebsten Menschen (in der Regel einem Partner oder einer Partnerin) in einer Haushaltsgemeinschaft wohnen bzw. leben.
Es wird im öffentlichen Raum so getan, als ob es nur die Einheits-Kleinfamilien-Idylle gäbe. Als ob nur Partnerschaften einen Anspruch auf Schutz ihres existentiell bedeutsamen emotionalen Kontakt-Bereiches hätten, die einen gemeinsamen Wohnsitz vorweisen können.

Ein ganz aktuelles Beispiel aus der gerade parallel laufenden Anne-Will-Sendung: Es wurde heute zwischen NRW und Bayern kontrovers diskutiert, ob die zwei Menschen, die ab heute nur noch gemeinsam in der Öffentlichkeit sein dürfen, aus einem Haushalt stammen müssen. Hört sich theoretisch und haarspalterisch an.
Warum – frage ich mich – kommt kein Mensch auf die Idee, in diesem Kontext mal über Paare zu sprechen, für die eben dieser Unterschied entscheidend wäre?
Es ist aus meiner Sicht ziemlich anmaßend, alle Kontakte jenseits der Haushaltsgemeinschaft als “unnötig” zu definieren!
Wenn man Zeit hat, über Sonderregelungen für Tattoo-Studios und Frisöre zu diskutieren, dann finde ich die Erwartung, auch mal in diese Richtung zu schauen, keineswegs überzogen.

Nochmal zur Klarheit: Die getroffenen Regelungen sind auch für mich jetzt logisch und angemessen. Aber es war knapp. Und offenbar gibt es für die hier beschriebene Gruppe keinen Blick und keine Lobby.

(Ich will nicht unerwähnt lassen, dass heute ein erster Artikel auf ZEIT-oniine ein erster Artikel zu diesem Thema erschienen ist).

“Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins” von Milan KUNDERA

Wer bin ich – dass ich mich mal eben an meinen Laptop setze und eines der bekanntesten literarischen Werke der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts rezensieren will.
Darf ich das einfach so – als ob es eine beliebige Neuerscheinung wäre? Oder sollte ich mich vorher schlau machen, andere Rezensionen oder literaturwissenschaftliche Aufsätze (oder wenigstens Wikipedia) studieren?
Nein, ich bleibe standhaft! Ich mache es wie immer und schreibe einfach drauflos. Wer etwas anderes möchte, kann sich gleich an die anderen Quellen wenden…

Seit meinem ersten (und letzten) Lesen des bekanntesten Kundera-Buches sind deutlich mehr als 30 Jahre vergangen. Zu gerne wüsste ich, was ich damals beim Lesen empfunden und gedacht habe. Wie sehr gleichen sich Reaktionen auf Bücher nach einem Generations-Zeitraum?

Was mir heute als erstes auffällt: Wie deutlich es von der ersten Seite an wird, dass man „echte“ Literatur (als Kunstform) in den Händen hält. Kundera erzählt keine Geschichte (das tut er natürlich auch), der Autor spielt mit der Sprache: mit den Erzähl-Ebenen, mit Metaphern, mit Assoziationen, mit Selbstbetrachtungen, mit Bezügen auf andere Kunstwerke, mit philosophischen Aussagen über existentielle Fragen, usw.
Als verbindendes Motiv taucht – immer mal wieder – die Metapher von der „Leichtigkeit“ des Lebens aus dem Untergrund auf. Diese Leichtigkeit wird ersehnt, kann aber letztlich doch nicht dauerhaft gelebt („ertragen“) werden.

Auf der inhaltlichen Ebene geht es um zwei Themen: die Liebe und die Politik.

Erzählt wird die Geschichte einer eigentlich verzweifelten, unlebbaren, alles andere als „normalen“  Liebe zwischen einem notorischen Frauenhelden (Tomas) und seiner Frau Teresa, die sich unablässig und erfolglos bemüht, die amourösen Abenteuer ihres Mannes „leicht“ zu nehmen.
Mit etwas kritischem Abstand würde man diesen Tomas wohl heute „sexsüchtig“ nennen; er braucht nahezu täglich (mindestens) eine sexuelle Erfahrung (mit möglichst vielen verschiedenen Frauen). Dabei verzweifelt er daran, dass die von ihm erlebte Trennung zwischen Sex und Liebe anderen Menschen – insbesondere Teresa – nicht gelingt. Doch ist auch diese – durchaus echte – gegenseitige Liebe nicht ganz ohne Zauber und Perspektive…

Erzählt wird aber auch die Geschichte von der Niederschlagung der sogenannten „Prager Frühlings“ durch die sowjetischen Besatzer und die Auswirkung dieser Intervention auf die tschechischen Menschen (besser gesagt: auf die intellektuellen und politisch engagierten Kreise).
Der klare historische Bezug zu dieser Entlarvung des „realen“ Sozialismus russischer Prägung war sicher der bedeutsamste Grund, warum aus diesem Roman ein weltweit beachtetes literarisches Ereignis wurde.
Es geht um Standhaftigkeit und Opportunismus, um die zersetzende Wirkung von Einschränkungen und Bedrohungen, um Achtung und Selbstachtung.
Verraten sei an dieser Stelle, dass der Protagonist (Tomas) den Weg der Selbstachtung wählt – dabei aber nicht ohne Ambivalenzen bleibt.

Ansonsten steckt das Buch voller anregender, kluger, provozierender und manchmal auch skurriler Exkurse: Es geht um Zufall, um Kitsch, um Kunst, um die Liebe zum Tier und immer wieder um den menschlichen Körper (oft, aber nicht nur als Objekt der Begierde).

Die Bilanz:
Kundera kann man nicht so im Vorbeigehen lesen. Er schreibt durchaus auch sperrig bzw. assoziativ.
Und natürlich merkt man dem Buch an, dass es aus einer anderen Zeit stammt. Wenn man zu dem zeitgeschichtlichen Hintergrund gar keinen Bezug hat, fällt es vielleicht schwer, diesen Teil der Botschaft in ihrer Tragweite nachzuvollziehen.

Für mich hat es sich gelohnt. Am liebsten würde ich alle für mich irgendwann bedeutsamen Bücher noch einmal lesen – aber was wird dann mit den Neuen?!

(Hinweis: Der Roman wurde auch verfilmt, durchaus erfolgreich).

21.03.2020

Corona und die soziale Frage

Ich glaube, es ist in den letzten Tagen und Wochen deutlich geworden:
Mein Anspruch ist es (natürlich) nicht, mit jedem einzelnen Statement hier eine abgewogene, jeden möglichen Aspekt bedenkende “Wahrheit” zu verkünden. Es geht mir vielmehr darum, jeweils Einzelaspekte der Corona-Situation in den Fokus zu nehmen. Dazu gehört, dass es immer auch eine andere Seite gibt…
Heute also ein paar Gedanken zu sozialen und wirtschaftlichen Perspektiven.

Der Corona-Virus stellt – in gewisser Hinsicht – die soziale Schichtung unserer Gesellschaft auf den Kopf: Nicht der grau gewordene Banker oder Manager steht ganz oben an der Spitze der Pyramide – plötzlich hat der Auszubildende, ja sogar der junge Transfer-Empfänger in einem wichtigen Bereich die Asse im Ärmel! Er hat eine sehr viel größere Chance, selbst eine ausufernde Corona-Epidemie weitgehend gesund zu überleben.
Daraus ließe sich die Frage ableiten: Könnte die – in den letzten Tagen zu Recht angeprangerte – provokante Freude an demonstrativen “Corona-Parties” auch mit diesem Gefühl der plötzlichen Machtumkehr zu tun haben, also mit einer Art Triumphgefühl, endlich mal am längeren Hebel zu sitzen?
(Nur so ein Gedanke; die meisten dieser Leute waren vermutlich einfach verwöhnte, unerzogene und unreife Kids).

Es wurden in den letzten zwei Wochen an den Börsen riesige Vermögenswerte vernichtet. Für die meisten Aktienbesitzer stehen diese Verluste zwar (erstmal) nur auf dem Papier; trotzdem kann man sagen: Da hat es jetzt auch mal die Leute mit Geld getroffen!
Das darf auch gerne so sein. Niemand sollte sich beklagen. Über die Gewinne der letzten Jahre haben sich die Börsianer freuen können. Jede/r wusste: Die Kehrseite der Gewinnchancen ist das Risiko! Ich hoffe sehr, dass es jetzt nicht auch noch der Ruf nach staatlichen Verlust-Ausgleichen erschallt…

Da sind wir beim Thema: Was soll und kann der Staat alles ausgleichen, ersetzen, auffangen, heile oder gar ungeschehen machen?
Vor einigen Stunden wurde verkündet, dass es einen Nachtragshaushalt von 150 Milliarden geben soll. Alle Verschuldungsgrenzen in Europa wurden anuliert.
Das alles passiert in einem atemberaubenden Tempo.

Mich macht das etwas skeptisch: Ist denn das, was wir gerade erleben, tatsächlich schon das apokalyptischen Worst-Case-Szenario, bei dem man sofort alles mobilisieren muss, was finanziell überhaupt denkbar oder möglich ist?
Rechnet noch jemand nach?
Soll und kann man als Regierung einer Gesellschaft versprechen, dass man praktisch “alle” Folgen einer so einschneidenden Situation aus der Welt schafft – nach dem Motto: “Hoffentlich deutsch-versichert!”

Was ist mit dem viel-beschworenen unternehmerischen Risiko? Sind wirklich alle Selbständigen so existenziell bedroht, dass die Staatsknete von der ersten Woche an fließen muss? Wer prüft das wie?
Wenn man als freier Unternehmer in diesem freien Land in den letzten Jahren gute bis sehr gut Gewinne eingefahren hat – darf man dann eine große, weltweite Wirtschaftskreise auch ein wenig spüren? Müssen wir – nachdem wir die Banken gerettet haben – jetzt auch irgendwie alle Unternehmen retten? Oder sollen wir auch Verluste ausgleichen von Unternehmen, die gar nicht bedroht sind? Wie soll das gehen?

Ich bin weder Volks- noch Betriebswirtschaftler; ich weiß es nicht besser.
Ich frage mich nur: Wird hier nicht mehr versprochen, als man realistischer Weise halten kann? Geht es wirklich um wirtschaftliche Notwendigkeiten oder will man irgendwie der (völlig überzogenen) Erwartung gerecht werden, dass der Staat Bürger und Unternehmen vor allen Zumutungen schützen können muss? Weil es sonst ein schlechter Staat wäre? Weil man sonst ja Extremisten wählen könnte?

Vielleicht muss man sich das mal in historischen Dimensionen klar machen:
Niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte wären Bürger oder Regierungen auch nur auf die Idee gekommen, dass es einen Anspruch darauf geben könnte, vor den Folgen wirklicher Katastrophen (Krieg, Seuchen, Erdbeben, …) im Sinne einer “Vollversicherung” geschützt zu werden.
Genauso wenig, wie man sich in früheren Zeiten hätte vorstellen können, dass man einmal das (dringend notwendige) Abschalten von ein paar Braunkohle-Kraftwerken mit 47 Milliarden abfedern würde…
Jeder denkende und rechnende Mensch muss doch wissen, dass man das so nicht jahrzehntelang durchhalten kann!

Was ich damit sagen will: Wer weiß, was uns alles noch bevorsteht?!
Lullt die Menschen nicht ein in ein unrealistisches Vollkasko-Gefühl. Es wird nicht ohne Zumutungen gehen, weder Corona noch die Klimawende oder das Flüchtlingsproblem. Und es gibt keine Garantie, dass nicht plötzlich noch weitere Kontrollverlust-Anlässe an der Tür klopfen.

Wenn man Klartext spricht, sind die meisten Menschen bereit, sich in einem erstaunlichen Maße einzuschränken. Vielleicht wird es bald Zeit, diese Vernunft und Flexibilität auch auf die sozialen Themen auszuweiten.
(Einen konkreten Vorschlag dazu habe ich gestern schon mal gemacht).

20.03.2020

Corona und Generationen-Gerechtigkeit

Das ist doch mal kluge Public-Relation: Deutschland geht in die Knie – hauptsächlich um das älteste Drittel der Bevölkerung zu retten – und die Bundesregierung kündigt an, dass die Rentenerhöhung am 01.07. pünktlich kommt und großzügig ausfällt.
Bravo! So sammelt man Punkte bei der jungen Generation!

Mal ehrlich: Wenn schon die ganze Gesellschaft und ein Großteil der Wirtschaft innehalten muss – darf man dann vielleicht noch ein paar Wochen abwarten, was nun genau mit der Rente wird (werden kann)? Vielleicht müssen ja – so rein zufällig – auch die Alten, die ansonsten von allen finanziellen Risiken ausgenommen sind, einen kleinen Beitrag leisten?! Vielleicht gibt es gute Gründe, die Erhöhung zumindest mal ein paar Monate auszusetzen, oder vielleicht zu halbieren…
Zumutungen für alle – nur nicht für die Rentner?? Geht’s noch?

Natürlich, es ist völlig korrekt, dass große Anstrengungen unternommen werden, um (vordringlich) ältere Menschen vor dem Virus zu schützen. Das gebietet die gesellschaftliche Solidarität. Und – man sollte fair bleiben – die gleich Anstrengungen würden auch unternommen, wenn (rein theoretisch) die mittlere oder junge Generation besonders bedroht wäre.

Trotzdem kann man eine gewisse Schieflage nicht so völlig von der Hand weisen: Wir halten unser gewohntes Leben an, verballern in wenigen Monaten die Rücklagen und Reserven von vielen satten Wirtschaftsjahren, um den völligen Kollaps zu verhindern. Und wir trauen uns, von den ganz Jungen Einsicht und Solidarität einzufordern.
Das Argument: Die Wissenschaftler sagen uns, dass eine große Bedrohung auf uns zukommt, wir müssen handeln, schnell und konsequent, Geld darf keine Rolle spielen!

Ähh…., war da nicht mal was? Was mit Wissenschaftlern und Bedrohungen?
Ach ja die Sache mit dem Klima!
Womit haben diese jungen Leute nochmal argumentiert?
Gut, vieles klang ja vernünftig – aber was das kosten würde? Und dann die Auswirkungen auf die Wirtschaft…
Da muss man doch realistisch bleiben – zumal die Auswirkungen auf Europa ja noch zwei, drei Jahrzehnte auf sich warten lassen könnten…

Ja ich weiß, ich arbeite mit dem Holzhammer; ihr seid ja nicht blöd.
Sagen wir es platt: Wir (“Alten”) verlangen jetzt diese nahezu grenzenlose Solidarität von genau der Generation, die wir seit Jahren vertrösten mit Hinweisen auf das “Machbare”! Die von uns – bisher weitgehend erfolglos – erwartet hat, dass wir wegen ihrer Zukunft auch über Einschränkungen hier und heute nachdenken.
Wir sind schon ganz schön dreist, irgendwie!

Die Gesellschaft soll stillstehen, damit möglichst viele der Alten überleben.
Okay, so soll es sein.
Aber danach sind die anderen dran, die Jungen und ihre Zukunft. Auch da geht es ums Überleben. Und das dürfte dann sogar ein paar Rentenprozente kosten!
Das wäre mal ein Deal!

19.03.2020

Im Moment weiß ich gar nicht mehr genau, was anstrengender wäre: eine parmanente besorgte Anspannung oder ein Wechsel zwischen einer relativen Gelassenheit und akuten Ängsten.

Doch auch diese Alternative können wir uns nicht mehr wirklich aussuchen. Es passiert einfach mit uns. Es hängt davon ab, ob wir ein paar Stunden mit etwas ganz anderem beschäftigt sind, ob wir im Minuten-Takt Nachrichten konsumieren und welchem Virologen wir gerade zuhören.

Wir sollen wir die unterschiedlichen Perspektiven integrieren:
Da werden in der gleichen Sendung Bilder aus norditalienischen Krankenhäusern gezeigt, in dem die Menschen offenbar wegsterben wie die Fliegen – und Statistiken aus Asien, in denen man in bestimmten Regionen die Infektionen unter Kontrolle hat und kaum Opfer zu beklagen sind.

Ebenfalls irritierend: Während sich auf der einen Seite noch täglich die Appelle steigern, dass sich doch unbedingt alle an die Einschränkungen halten müssten, werden schon die ersten hoch-intellektuelle Betrachtungen darüber veröffentlicht, wie den die Erfahrung der (überwundenen) Pandemie unser Zusammenleben und Wirtschaften langfristig (natürlich zum Guten) verändern könnten. Mehrfach wurde schon eine “geläuterte” Gesellschaft prognostiziert, mit veränderten Prioritäten und einem neuen Bewusstsein für die wesentlichen Dinge des menschlichen Lebens.

Was für ein Kaleidoskop von Impressionen, Meinungen und Gefühlen!

Wie viele Stunden am Tag sollte oder kann man sich dem aussetzen? Was muss man vorzugsweise pflegen: den Körper (durch Abschottung), die Psyche (durch Ablenkung oder Selbstfürsorge), das soziale Miteinander (durch Kontakt und Gespräch), den Geldbeutel (durch Konsumverzicht, Nebenjob oder Geldgeschäfte)?

Bis morgen!