MTV unplugged 2 von UDO LINDENBERG

Bewertung: 4.5 von 5.

Nachdem ich kürzlich den Lebensrückblick von UDO  recht kritisch besprochen habe, geht es jetzt um sein neues musikalisches Werk. Nach dem sensationellen Erfolg seines ersten Unplugged-Albums (2011) wollte er es nochmal wissen: Gleiches Konzept, andere Lieder, andere Gast-Künstler.

Dies wird eine sehr persönlicher Blick auf diese Veröffentlichung. Sie ist geprägt davon, dass ich den Morgen des 4. Adventsonntags zur Verfügung hatte, um mich mit voller Aufmerksamkeit und hoher emotionaler Ansprechbarkeit dem kompletten Konzert in Blue-Ray-Qualität und in Dolby-Surround-Sound zu widmen.
Das Ergebnis: Ich war begeistert und angerührt. Und das will ich kurz erklären.

Zunächst zu den Rahmenbedingungen:
Das Ambiente ist aufwändig und liebevoll gestaltet. Das Thema: Seefahrer-Romantik. Es geht um Aufbrüche, um Abenteuer, um Unterwegs-Sein. UDO und seine Gäste bewegen sich in einer maritimen Bühnenlandschaft, ein Teil der Musiker ist in den Aufbauten eines großen Segelschiffes
untergebracht, die Schiffs-Bar darf natürlich nicht fehlen. Das ganze strahlt eine warme Atmosphäre aus.
Die musikalische Qualität der Darbietung ist wirklich über jeden Zweifel erhaben: Da sitzen und stehen ausnahmslos Spitzen-Musiker, denen die Unplugged-Arrangements wie auf den Leib geschnitten erscheinen. Es ist eine Freude, ihnen beim Spielen zuschauen und man hat durchweg den Eindruck, dass sie alle dieses besondere Ereignis genießen.
Das gilt übrigens auch für die Musiker vom Elbphilharmonischen Orchester, die sich ganz offensichtlich in diesem Moment als Teil der großen Lindenberg-Familie fühlen.

Da sind wir schon bei der Emotionalität:
UDO und sein Team schaffen es mal wieder, ein Grundgefühl von Herzlichkeit und Zusammengehörigkeit zu schaffen – eben die berühmte “Panik-Familie”. Wobei es inzwischen natürlich viel mehr ruhige und nachdenkliche Lieder gibt als den alten “Panik-Rock”.
Es sind nicht nur die Botschaften in und zwischen den Liedern, die auf Solidarität und Menschlichkeit setzen, es ist auch der demonstrativ liebevolle Umgang miteinander. Man mag sich und man zeigt es auch. Selbst wenn ein Teil davon Show-Business sein sollte – es ist ein liebenswerter Aspekt.
Auch die Einblendungen aus dem Publikum spiegeln mehr als nur die Begeisterung für einen verehrten Star wieder: Es ist zu spüren, dass man ein Lebensgefühl und eine Lebenshaltung teilt.

Die Grundthemen sind lindenbergisch klar: Es ist die Ambivalenz zwischen “großer Liebe” und dem Vagabunden-Dasein, es geht um empfundene Enge des Spießbürger-Daseins und die Flucht daraus, es geht um euphorischen Genuss und tiefen Absturz (im Alkohol-Exzess), es geht um den nie endenden Kampf gegen die zerstörerischen Kräfte: das gierige Kapital, das machthungrige Militär und die korrupten Politiker.
Ja – UDO hält seine Botschaft gegen jede Zeitgeist-Strömung aufrecht. Und er lässt wieder die Kinder auf der Bühne mitsingen, wenn er “in den Frieden zieht”. Das mag kitschig und naiv sein – aber es ist trotzdem um ein Vielfaches wertvoller als ein Großteil der inhaltslosen Konsum- und Promi-Welt, die sonst die Bildschirme vermüllt.

UDO hat sich mit diesem Album mal wieder selbst ein Denkmal gesetzt. Wirklich bemerkenswert. Und – das sei auch nicht unterschlagen – er selbst singt so gut und sauber wie niemals zuvor.
Hier tritt kein abgehalfterter Polit-Clown auf, um noch mal die schnelle Mark zu machen. Hier wird niveauvolle Unterhaltung auf allerhöchstem technischen und musikalischen Niveau geboten.

Wer in sich eine “UDO-Affinität” spürt, sollte sich dieses Konzert vielleicht mal gönnen. Ich würde stark dazu raten, es nicht beim bloßen Hören zu belassen, sondern auch optisch in die UDO-Welt einzutauchen.
Mir hat es einen intensiven und anrührenden Vormittag geschenkt. Was kann man von einer Silberscheibe mehr erwarten?!

(Übrigens: Wer wissen will, welche Künstler UDO diesmal um sich versammelt hat, kann das ganz schnell aus anderen Quellen erfahren).

Seehofer

Ich könnte es nicht ertragen, wenn jetzt monatelang darüber diskutiert und gestritten wird, ob und wann Seehofer auch als Innenminister zurücktritt.

Hat denn dieser Mensch überhaupt keine Selbstachtung und keinerlei Gespür dafür, dass die Menschen jetzt etwas anderes wollen und brauchen?

Es ist wirklich unfassbar!

“The Beatles” (Das weiße Album) von The BEATLES

Für Mensch wie mich, die seit ca. 50 Jahren bewusst und leidenschaftlich Popmusik hören, gibt es einen interessanten Trend: Die 50-jährigen Jubiläen von Gruppen-Gründungen oder stilbildenden Alben.
Soweit es die Gruppen noch gibt – und es gibt erstaunlich viele – gehen sie nochmal auf Tournee (ist gut für das eigene Rentenkonto); auf die “großen” Alben stürzen sich die Tontechniker mit dem Ziel, die bisherigen digitalen Remaster-Versionen noch ultimativ zu toppen. Dabei werden dann gerne aufwendig ausgestattete Luxus-Pakete zusammengestellt, die alle möglichen Alternativ-Takes und verschiedene Abmischungen beinhalten (oft einschließlich Vinyl und Dolby-Digital 5.1 ).

Jetzt also das Weiße Album von den Beatles aus dem Jahre 1968.
Mit der Tournee ist es bei ihnen schwierig; Paul und Ringo wollen sich einfach nicht zusammentun; ohne John und George geht es wohl nicht.

Ich will mich hier nicht als kompetenter Beatles-Fachmann oder als Musik-Kritiker hervortun. Über jedes Album der Beatles gibt es fachkundige Ausführungen – mit allen denkbaren musikalischen und zeitgeschichtlichen Bezügen.

Ich will nur sagen: Die Sound-Qualität dieser Neuveröffentlichung ist wirklich umwerfend. Ich habe die komplette Platte über (meine besten) Kopfhörer gehört – es ist wirklich bombastisch klar, brilliant und transparent.
Natürlich wären aktuelle Produktionen weniger “höhenlastig” – aber es gibt nun mal ein bestimmtes Ausgangsmaterial.

Wer das Album vielleicht gar nicht kennt: Es ist in die Musikgeschichte eingegangen, weil die vier Musikgenies hier eine bis dahin für eine “Beat-Band” unfassbare Breite bzw. Vielfalt von Musikstilen nutzt, um die musikalischen Ideen der einzelnen Mitglieder auszudrücken.

Wenn man sich dafür mal interessiert: Es lohnt sich in diesem Fall wirklich, das 2018-Remaster als Quelle zu nehmen.

“Tumult” von Herbert Grönemeyer

Bewertung: 4.5 von 5.

Herbert liebt man – oder man kann ihn und sein Sprechgesang kaum ertragen. Unberührt lässt er nur wenige.
Mich begleitet Grönemeyer seit 1984 (4630 Bochum) durch mein musikalisches und emotionales Leben – allerdings in den letzten 20 Jahren mit absteigender Tendenz.
Das hat sich geändert. Gestern. Denn da habe ich “Tumult” gehört.

Ja – ich halte dieses Album für ein Meisterwerk. Es ist stimm- und textgewaltig, musikalisch abwechslungsreich und unglaublich emotional intensiv.
Wenn man sich denn auf den Grönemeyer-Stil einlassen kann…

Auch in den politisch stürmischen Zeiten sind Beziehungen und Liebe die zentralen Themen. Dass es möglich ist, auch im 15. Studioalbum noch neue und kreative Formulierungen für Liebesgefühle zu generieren, gleicht einem sprachlichen Wunder.

Doch es werden auch andere Themen berührt (ausländische Sexsklavinnen, Depression und Verzweiflung, Mut und Aufbruch, unerfüllte Sehnsucht, … ) und es werden Zeichen im Bereich Migration  gesetzt: Das Album enthält ein zweisprachiges Lied (deutsch/türkisch) mit dem sinnigen Titel “Doppelherz”.

Gibt es auch etwas zu meckern?
Nun ja – an ein oder zwei Stellen hätte man sich den  schmalzigen Hintergrundchor vielleicht sparen können. Geschenkt!

Gibt es für mich in diesem Album so etwas wie eine zentrale Botschaft? Ja, vielleicht sogar zwei:
Es gibt keine Trennung zwischen privater Empfindsamkeit und gesellschaftlicher Wachheit. Wer sich in seinem Inneren wirklich spürt, ist auch nicht blind für die Dinge, die sich drumherum ereignen.
Auch wenn man seelische Abgründe, Zweifel und Apathie kennt und als Teil des Lebens akzeptiert – es gibt immer noch gute Gründe für Aufbruch, Kampf und Lebenslust. Für Herbert ist der zentrale Grund – wie könnte es anders sein – die Liebe (auch wenn eines der Lieder davon handelt, das sie zwar ersehnt wird, aber ausbleibt).

Hört es euch an – und wenn ihr Lust habt, schreibt eure Meinung!

Die Texte gibt es z.B.  hier.
(Ich schicke auch gerne ein PDF)

Ein paar Gedanken zum PLURALISMUS

Als Vorbereitung auf eine Diskussion unter Freunden habe ich ein paar Thesen aufgeschrieben, die ich auf diesem Weg etwas breiter streuen möchte.
Letztlich geht es dabei nicht nur um ein abstraktes Thema, sondern um die konkrete Frage, ob und wie unsere demokratisch-pluralistisches System angesichts der Bedrohung durch autokratische Tendenzen überleben kann.

1)  Unsere pluralistisch angelegte Gesellschaft bietet einen sicheren Rahmen dafür, dass unterschiedliche Interessen, Weltanschauungen und Wertesysteme nebeneinander stehen können und dürfen. Damit entsteht Raum für individuelle Freiheit bzw. Weiterentwicklung und Schutz vor Bevormundung und Unterdrückung.

2) Pluralistische Gesellschaften weisen aber auch Schwächen auf: Ihnen fehlt ein einigender Bezugspunkt, der Identität, Zugehörigkeit und Orientierung schafft (wie es z.B. Staaten bieten können, die ihre Basis in Tradition, Religion, Ideologie oder Nationalismus definieren und zelebrieren). Dieses Problem verschärft sich noch zusätzlich, wenn die potentielle gemeinsame Basis (Grundgesetz) nur abstrakt vorhanden ist und nicht auch emotional verankert wird.

3) Ein extrem ausgebildeter Pluralismus kann in eine Beliebigkeit führen. Dadurch, dass alle denkbaren Lebensvarianten quasi gleichwertig nebeneinander gestellt werden (und dabei auch noch Abweichungen und Minderheiten besonders beachtet bzw. geschützt werden), geht das Gefühl für das „Normale“ (vielleicht auch das „Richtige“) immer stärker verloren.

4) Die Vielfalt und offensichtliche Beliebigkeit von Lebensentwürfen und Normen überfordert insbesondere Menschen mit eher geringen (intellektuellen, emotionalen) Ressourcen. Sie sind dann z.B. Einflussnahmen von Demagogen oder wirtschaftlichen Interessen ausgeliefert und werden so – unter dem Mantel einer vermeintlichen Autonomie und Freiheit – wirkungsvoll manipuliert (z.B. indem man die Neigung in Richtung Sensation und Extrem ausnutzt).

5) Angesichts der realen Menschheitsprobleme (Ressourcen, Klima, Migration, Rüstung…) können wir uns möglicherweise diese pluralistische Haltungen einfach rein objektiv nicht mehr leisten. So können z.B. unterschiedliche Vorstellungen zur Energieerzeugung oder zum Verkehrssystem dann nicht mehr dem freien Spiel pluralistischer Überzeugungen überlassen werden, wenn davon die Zukunft der Menschheit oder des Planeten abhängt.

6) Es wird sich in den nächsten Jahrzehnten vermutlich noch stärker als bisher erweisen, dass Gesellschaften, die weniger pluralistisch sind (insbesondere China und andere asiatische Staaten) effizienter, zielgerichteter und weitsichtiger handeln können und damit wirtschaftlich erfolgreicher sein werden.

7) Aus meiner Sicht läge die Lösung in einem „gebremsten“ Pluralismus. In so einem System, würden die Grundwerte der Gesellschaft (Verfassung, Menschenrechte, Gewaltfreiheit) viel stärker in das öffentliche und erzieherische Zentrum gerückt und dort auch emotional verankert. „Abweichungen“ würden zwar nicht unterdrückt, würden aber nicht mehr automatisch durch einen besonderen „Minderheiten-Bonus“ geadelt. Gewisse Basis-Tugenden (Anstand, Ehrlichkeit, Verantwortung für das Allgemeinwohl) würden im öffentlichen Raum nicht mehr ein unverbindliches Angebot bleiben, sondern zum gewollten Identitätskern des Zusammenlebens gemacht und verteidigt.
Inwieweit in diesem Zusammenhang auch der Einfluss der Medien auf die Entstehung von gesellschaftlich relevanten Wertsystemen zum Thema werden müsste, bedarf einer besonderen Diskussion.

 

Gefühlte Politik im September 2018

Ja, es war nie so richtig gut. Man hatte immer was zu meckern. Deutsche Parteipolitik war immer auch ärgerlich – weil widersprüchlich, ungerecht, lobby-beeinflusst, inkonsequent, zu wenig nachhaltig, usw.
Aber: Was man in den letzten ein bis zwei Jahren erlebt, erscheint doch irgendwie unfassbar.

Ich spüre eine steigende Sehnsucht nach so etwas wie Respekt. Ich möchte eine gewisse Grundachtung haben vor den Menschen, die unsere politischen Geschicke bestimmen – selbst wenn sie nicht meine ganz persönlichen politischen Ziele verfolgen. Ich wünsche mir einen gewissen Standard: im operativen Bereich, in der Form der Auseinandersetzung, im Stil.

Ich habe vor einigen Monaten sehr auf die Medien und die aufgeregte öffentliche Meinung geschimpft, die scheinbar jeden Politiker (speziell der SPD) zu Fall bringen wollten.
Aktuell verstehe ich die miese Stimmung und die zynischen Kommentare.

Mir geht es nicht um eine konkrete Entscheidung. Ich denke nicht, dass man die GroKo um jeden Preis beenden sollte. Aber das Gewurschtele hält man wirklich nicht mehr aus.

Ich mache mir Sorgen wegen der fast täglich wachsenden Politikverdrossenheit. Können die beteiligten Menschen (und natürlich denke ich zuerst an Seehofer; auch an Lindner, der Jamaika vermasselt hat) nicht ein Minimum Verantwortung für das Ganze übernehmen? Muss wirklich innerhalb eines Jahres eine politische Stabilität, die über Europa hinaus modellhaft war, in dieser Rücksichtslosigkeit zerstampft werden?

Man schaut sich das an und denkt: “Schlimmer kann es ja nicht mehr kommen.” Aber sicher ist man sich inzwischen nicht mehr…

Ganz konkret fällt mir nur ein Ausweg ein: Wenn sich die CSU nicht von Seehofer trennen kann, dann sollte die Koalition mit den Grünen fortgesetzt werden. Noch ist Zeit bis zu den nächsten Wahlen…

Unser Verfassungsschutz

Ich bin ja wirklich ein extrem staatstragender Mensch. Bevor ich ernsthafte Zweifel am Funktionieren unserer Verfassungsorgane bekomme, muss schon einiges passieren. Für die üblichen Verschwörungstheorien oder platten Marxismus (“der ganze Staat ist sowieso nur ein Büttel des Kapitals”) bin ich nicht zu haben.

Aber was soll man denn nun davon halten, dass unser Verfassungsschutz offenbar von einem Menschen geleitet wird, der eine gewisse Neigung zu AfD-nahen Sichtweisen nicht nur in sich trägt, sondern diesen auch in seinen offiziellen Funktionen Raum gibt?

Wie kann man es zulassen, dass in einer Zeit, in der mit dem Vorwurf der “Fake-News” an den Grundfesten der Presse gerüttelt wird, ohne jeden Beweis über eine möglicherweise manipuliertes Video schwadroniert wird. Vom Verfassungsschutz-Präsidenten – abgestimmt mit seinem Innenminister!

Ist es wirklich inzwischen wegen der politischen Abhängigkeit von der CSU möglich, dass hier jemand einen Posten behalten darf, der zumindest den Eindruck erweckt, den Schutz unserer Verfassung auf der Grundlage einer eher rechten Gesinnung zu betreiben?

Was haben wir für einen Innenminister, der das mitträgt – oder gar inszeniert?
Der den Regierungschef von Ungarn, dem gerade von dem EU-Parlament das Misstrauen ausgesprochen wurde, auf CSU-Treffen als guten Freund willkommen heißt?

Verschwimmen da gerade alle Maßstäbe?
Wo bleiben die anständigen Konservativen – die es zum Glück ja in der CDU in großer Zahl gibt?

Ich habe keine Lust auf die nächste Regierungskrise; ich will kein Ultimatum der SPD. Das soll bitte die CDU selbst lösen.
Tauscht endlich in der GroKo die CSU gegen die Grünen aus – damit das Land anständig regiert werden kann.

 

Chemnitz und das “wirsindmehr”-Konzert

Ja, es war gut, dass dieses Konzert stattgefunden hat und dass es so viele friedliche Besucher hatte. Und ich finde es auch kleinkariert, unseren Bundespräsidenten dafür zu schelten, dass er sich nicht vorher jede Textzeile durchgelesen hat, die von den dort auftretenden Gruppen jemals gesungen wurde.

Trotzdem wurde meinem Gefühl nach in Chemnitz eine Chance vertan.

Ein solches Konzert hätte ein viel stärkeres Signal für Integration und Solidarität senden können, wenn es ein breitere musikalisches und politisches Spektrum abgedeckt hätte. In der dargebotenen Form hat es ganz sicher die wichtigen Menschen, die weder rechts noch links fest verankert sind, genau nicht erreicht.
Es war ein Fest zur Selbstvergewisserung einer links-alternativen Szene. Das ist nicht verwerflich – aber ich hätte mir etwas anderes gewünscht. Ich hätte mir ein Konzertereignis gewünscht, bei dem auch Künstler/innen des gesellschaftlichen Mainstreams aufgetreten wären. Wäre das geschehen, hätte man eindrucksvoll unter Beweis stellen können, das “wirsindmehr” eben nicht bedeutet, dass es mehr linke Punk-Fans als Rechtsradikale gibt, sondern das sich eine breites gesellschaftliches Spektrum gegen einen menschenverachtenden Mob stellt.

Mir schein mehr und mehr das Problem zu sein, dass die Grenzen bzw, Unterschiede zwischen Unzufriedenheit, Sorgen, Abstiegsängsten und sozialen Problemen auf der einen und “Rechts-Sein” auf der anderen Seite zunehmend verschwimmen. Gegen etwas sein, bedeutet scheinbar im Moment für immer mehr Menschen, rechte Positionen einzunehmen oder sich zumindest dort mit anzusiedeln. Weil man sich da besonders gehört fühlt, weil es den Etablieren dort besonders wehtut.
Wir sollten Kontakt mit denen behalten, die diesen Weg (nach rechts) eigentlich nicht gehen wollen. Lasst uns im Gespräch bleiben mit den vielen Menschen, die tatsächlich ganz anders denken als wir, ohne deshalb gleich “unanständig” zu sein. Es sind viel mehr als wir dachten….

Mir ist nicht bekannt, ob sich die Veranstalter von Chemnitz um andere Darbietungen bemüht haben. Ich weiß nicht, welche etablierten Künstler (außer den Toten Hosen) so spontan gekommen wären.
Dass ein solcher breitere Rahmen nicht stattgefunden hat, finde ich jedenfalls bedauerlich.

Organspende und Jens Spahn

Ich bin nicht gerade ein Fan von Jens Spahn. Die Art, in der er sich als Gegenfigur zur eher liberalen Merkel-CDU in Stellung gebracht hat, war mir nicht sympathisch. Ich verfolge aber mit Interesse seine Bemühungen, sich im schwierigen Gelände des Gesundheits-Dschungels zurechtzufinden und erste Zeichen (z.B. bei der Pflege) zu setzen.

Seinen Vorstoß für eine Neuregelung der rechtlichen Bedingungen für Organspenden finde ich mutig und begrüßenswert. Hier setzt sich offenbar jemand für ein Thema ein, das dringend eine sachgerechte Lösung benötigt, bei dem man sich aber nicht nur Freunde macht. Das Thema ist kontrovers und wird hoch-emotional diskutiert.

Meine Meinung zu diesem Thema war schon immer eindeutig: Die Möglichkeit, durch Organtransplantationen Leiden zu vermindern und Leben zu retten wiegen eindeutig schwerer als alle vorstellbaren Bedenken.

Ich will an dieser Stelle nicht die gesamte inhaltliche Diskussion wiedergeben; das kann man bei Bedarf überall nachlesen. Es geht mir um die Gewichtung.
Es gab in dem Transplantations-System ganz offensichtlich Schwächen, Fehler, Missbrauch und sogar kriminelle Machenschaften. So wie übrigens überall in der Medizin und der Psychotherapie, der Pädagogik, der ….
Auch steht ohne Zweifel fest, dass man bei Fragen um Leben und Tod etwas genauer hinschauen möchte und keine Hau-Ruck-Lösungen akzeptiert.
Aber all das ist zu vernachlässigen gegenüber der realen und konkreten Chance, Tausende von Leben zu retten, jedes Jahr.

Vielleicht sollte man sich mal zum Vergleich kurz daran vor Augen führen, wie viel uns offenbar einzelne Menschenleben wert sind, wenn ein paar Jungs in einer thailändischen Höhle eingeschlossen sind, ein Terrorist in Barcelona in eine Menschengruppe rast oder ein Mann in Chemnitz von zwei Ausländern ermordet wird.
Ich will das nicht kritisieren oder relativieren – aus meiner Sicht kann man einem einzelnen Menschenleben gar nicht genug Bedeutung beimessen.
Ich frage nur: Warum kann man nicht mit einem ähnlichen Mitgefühl und einer vergleichbaren Prioritätensetzung einen Rahmen dafür schaffen, Menschen eine Chance auf Weiterleben zu geben, die nichts anderes benötigen als ein Organ eines Toten?

Wer sich aus religiösen oder sonstigen Gründen – z.B. weil er sich nicht der Definition des “Hirntodes” ausliefern will oder das Prinzip der Selbstbestimmung bis in Tod zelebrieren möchte  – dieser menschlichen Solidarität verweigern will, der wird ja das Recht dazu haben (ob er trotzdem als Empfänger für ein Spenderorgan in Frage kommen sollte, könnte man diskutieren).
Aber unsere Gesellschaft darf und müsste doch ein Interesse daran haben, es als “Normalfall” zu betrachten, dass Organe genutzt werden dürfen – unter all den vorgeschlagenen Rahmenbedingungen.

Es geht wohl letztlich – ähnlich wie bei dem Thema des Sozialen Pflichtjahres – um das Verhältnis zwischen der Freiheit des Individuums und den Interessen der Gemeinschaft, in der und durch die der Einzelne erst all diese Möglichkeiten und Privilegien erwerben und entfalten konnte, die er dann oft so selbstgewiss gegen jeden Anspruch auf Solidarität verteidigen will.

Für diese Zusammenhänge (wieder?) ein stärkeres Empfinden zu entwickeln, sehe ich als eine der dringendsten Aufgaben der nächsten Jahre an. Auch für die Hass- und Wutbürger, die in unserem System nur noch als eine Ansammlung von Ausbeutung und Bösartigkeit sehen können.

Herrn Spahn wünsche ich jedenfalls  in dieser Sache viel Erfolg und wünsche mir mehr Politiker, die sich zugunsten des Gemeinwohls auch mal aus der Deckung wagen.

“Liebe Sachsen” von SILVIA

Liebe Sachsen,

dies ist ein Brief an Euch, die wir uns nicht kennen und er entspringt meinem Bedürfnis verstehen zu wollen, was in eurem doch so wunderschönen Bundesland passiert.

Aber ich beginne von vorne. Elf Jahre habe ich im Ausland gelebt und nun beschlossen, wieder zurück nach Deutschland zu gehen. Meine Wahl  fiel auf Sachsen. Vor einigen Tagen, ich befand mich auf einem Grillfest von deutschen Einwanderern, kam nun dieser, mein  Wunsch und meine Planung in der gutgelaunten und fröhlichen, Würstchen verspeisenden Runde, zur Sprache. Die Reaktion der Anwesenden verschlug mir erstmal dieselbe. „Wie kannst du dahin ziehen wollen, da leben doch die Rechten, die Faschos.“ war einer der nettesten Kommentare, weil er zumindest die Möglichkeit beinhaltete zu antworten. Ihnen zu erzählen, dass mich mit Sachsen nicht nur die Tatsache verbindet, dass meine Kinder dort ein zuhause gefunden haben und dass ich als Jugendliche aus dem Westen viele Reisen in dieses Bundesland machen durfte und es mir vertraut scheint.

All dies fand  kein Gehör, mit dem die Skepsis und die Ablehnung meiner Zuhörer überwunden werden konnten.

Oh ja, die Ossis und die Wessis. Ich kann mich noch sehr gut an den Tag erinnern, als ich gebannt vor dem Fernseher saß, die Berichterstattung über die Öffnung der Grenze verfolgte und dann wie viele andere auf den Marktplatz von Lübeck eilte, auf dem sich schon eine ungemein große Zahl von Menschen versammelt hatten. Menschen aus dem Osten und Menschen aus dem Westen. Deutschland war wieder vereint. Ich kann mich aber auch sehr gut daran erinnern, wie ich Tage später skeptisch den Versprechungen lauschte, in denen Herr Kohl blühende Landschaften versprach, wie ich fassungslos miterlebte, dass die Menschen, die in Massen in Lübeck anscheinend völlig  berauscht vor den Läden standen, die Markenjeans für unsere „Brüder und Schwestern aus den alten Bundesländern“ zu Spottpreisen anboten und sie dann in einen Kaufrausch verfielen. Für mich gab es einiges, das sie aus ihrem bisherigen Leben stolz hätten präsentieren können. Aber das taten sie nicht. Der Westen versprach das Paradies, der Osten übergab sich und seine bisherigen Werte ohne Wenn und Aber den Versprechen aus dem Westfernsehen.

Leise Zweifel überkamen mich, schon damals. Diese friedliche Revolution. Warum  hatte sie stattgefunden? Reisefreiheit, keine Bespitzelungen mehr, keine Unterdrückung durch eine festgefahrene, verrostete, sozialistische Führungsriege, die Gedankenfreiheit einschränkte und vorgab, was richtig oder falsch war. Und jetzt? Waren meine Zweifel berechtigt? Ging es nicht wirklich darum eine Demokratie leben zu wollen, Eigenverantwortung zu übernehmen und als freier Staatsbürger nicht mehr alleine Die Politiker für das eigene Leben in die Pflicht zu nehmen.

Sachsen war einmal ein Land, das lange vor unserer Gegenwart  Fremden erfolgreich ermöglichte, sich zu integrieren, es war ein tolerantes Land, in dem sich Kultur und Kunst frei entfalten konnten. Lange vor unserer Zeit, das stimmt. Wie kann es sein, dass gerade in Sachsen so viele Menschen leben, die anscheinend wissen, wogegen sie kämpfen, aber nicht wissen, wie sich Hass in der Sprache und in den Gedanken verselbständig. Er wird zum Aushängeschild für eine Welt wird, in der man nicht mehr kritisch betrachten kann, wer man ist, sondern nur noch darüber spricht, wen man ausgrenzt und wen man verachtet.

Ich glaube zu verstehen, dass Ihr  Euch verraten fühlt. So viele Versprechungen und so viel Ernüchterung. Was bleibt, ist der Blick in die Vergangenheit, in der, ähnlich wie heute, die „Mächtigen“ Eure Gegner waren, Ihr aber eingebettet in einen menschlichen Zusammenhalt Euch geborgen fühlen konntet. Später dann musstet Ihr erfahren, dass dieses Gefühl in der Gemeinschaft oft auf einer Lüge aufgebaut war, aber die Sehnsucht danach ist geblieben. Welche Heimat wünscht Ihr Euch? Ich bin stolz auf dieses Land Deutschland. Vergleiche ich es mit anderen Ländern, so erlebe ich, dass es uns in Deutschland gelungen ist, aus der Vergangenheit zu lernen und wir das Wissen um die Zerbrechlichkeit von Frieden und Rechtsstaatlichkeit genutzt haben, eine funktionierende Demokratie aufzubauen. Das war nicht leicht und ist weiterhin eine Herausforderung, wenn wir diese erhalten wollen. Wenn ich nun lese, dass die AFD bei er nächsten Wahl die stärkste Kraft in Sachsen werden könnte, fällt es mir zum einen schwer, dem Vorwurf, dass „die Sachsen“ Menschen mit rechtsradikalen, ja faschistischen Gedanken und Zielen sind, zu widersprechen, zum anderen kann und mag ich nicht glauben, dass „Wir sind das Volk“ bedeutet, dass Ihr Euch erneut einem System von Ausgrenzung, Intoleranz und Verachtung unterordnen wollt.

Gut oder Böse als Maßstab für Entscheidungen? Emotionen statt Sachwissen? Wisst Ihr, dass Mitglieder dieser Partei am 26.Juni dieses Jahres Journalisten, die vom Kyffhäusertreffen berichten wollten, als „Bazille, „dreckige Fotze“ beschimpft haben? (Artikel von Boris Rosenkranz) Dies ist nur ein Beispiel von vielen, in denen man doch wahrlich ins Grübeln kommen könnte, wem man da vertraut.

Liebe Sachsen, ich möchte weiterhin in Euer schönes Bundesland ziehen. Ich bin überzeugt davon, dass unabhängig von dem prognostizierten Wahlergebnis den größten Teil der Menschen die Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander vereint. Und daher freue mich darauf, auf der Straße, in den Kneipen und beim Metzger über notwendige Verbesserungen  und die Gestaltung unserer Welt zu diskutieren. Für uns und unsere Kinder.