“Die den Sturm ernten” von Michael LÜDERS

Lüders hat ein politisches Sachbuch zum Syrienkrieg geschrieben mit dem Anspruch, eine alternative Perspektive zu den in unseren Mainstream-Medien gängigen Bewertungs- und Erklärungsmustern zu bieten. Diesen Anspruch löst der Autor ohne Zweifel ein.

Was sind seine Grundaussagen?

  • Der Nahe Osten ist seit der Kolonialzeit ein Spielball von politischen und wirtschaftlichen Interessen. Praktisch alle aktuellen Konflikte lassen sich als „logische“ Ergebnisse dieser Einflussnahmen durch – insbesondere europäische und amerikanische – Mächte erklären.
  • Es gibt keinen „moralischen“ Unterschied zwischen dem politischen Handeln des Westens und der Einflussnahme anderer Beteiligter (z.B. der Russen). Die vermeintliche „Werteorientierung“ des Westens entpuppt sich bei genauerer Analyse der Motive und Zusammenhänge als Mogelpackung.
  • Die klare Unterscheidung zwischen den „Guten“ und den „Bösen“ im Syrienkonflikt ist eine unhaltbare Vereinfachung der westlichen Politik bzw. der Medien. Konkret: Die Sympathieträger des syrischen Aufstandes gegen Assad („Stichwort „Arabischer Frühling“) stellen eine verschwindend kleine, einflusslose Minderheit dar. Die wirklich mächtigen Gruppierungen unterscheiden sich bzgl. ihres menschenverachtenden Vorgehens nicht von dem des Regimes.
  • Den Sturz von Assad erzwingen zu wollen, ist weder (völkerrechtlich) legitim noch für die Zukunft des Landes sinnvoll. Es gibt z. Zt. keine Alternative, die irgendeine positive Perspektive verspräche.
  • Die deutschen Medien berichten einseitig und geben – gewollt oder ungewollt – die politische Propaganda der westlichen Regierungen weiter.

Ohne Zweifel belegt der Autor seine Thesen und Schlussfolgerungen mit einer Fülle von historischen Fakten. Er gibt sich dabei keine besondere Mühe, die Darstellung dieser Fakten von seinen Bewertungen zu trennen; das nehme ich ihm aber nicht übel.
Insgesamt wirkt seine Argumentation glaubwürdig – auch wenn ich angesichts der Tragweite seiner Schlussfolgerungen manchmal ein deutliches Zögern empfinde. Es ist einfach auch ziemlich desillusionierend, wenn man in dieser ungefilterten Form auf die „nackten Tatsachen“ gestoßen wird.

Trotzdem stört mich ein Aspekt in seinen Ausführungen: Es gibt eine Art umgekehrte Parteilichkeit. In dem Bestreben, die von ihm als einseitig pro-westlich bewertete Sichtweise zu relativieren (bzw. zu widerlegen), legt er – zumindest stellenweise – eine genau entgegengesetzte Schablone an. So werden zwar die Übergriffe und Grausamkeiten der einen Seite (Assad und seine Helfershelfer) keineswegs geleugnet, dieses Vorgehen wird aber oft als eine Art unvermeidliche Konsequenz der Fehlentscheidungen des Westens dargestellt. Es ist eine Sache, Fehler und Doppelmoral des Westens an den Pranger zu stellen; eine andere Sache ist es, damit Menschenverachtung der anderen Seite in einen Kontext von „Zweitrangigkeit“ (und kultureller Eigenart) zu stellen.
Darüber hinaus bin ich einfach nicht bereit zuzugestehen, dass die westlichen Bemühungen, den Syrienkrieg zu begrenzen und zu beenden, niemals und von niemandem ernsthaft moralisch motiviert waren. Selbst wenn es – in Bezug auf die großen historischen Zusammenhänge – letztlich durchweg um kalte Interessens- und Machtpolitik ging und geht, gibt es nach meiner Überzeugung doch immer wieder handelnde Personen (auch Politiker), denen das Leid der Menschen nicht gleichgültig sind. Und diese Form der Werteorientierung würde ich – auch nach der Lektüre dieses Buches – noch immer eher in den westlichen Demokratien vermuten als bei Assad und Putin. Diese Sichtweise schließt der Autor leider in einer unakzeptablen Eindeutigkeit aus!

Insgesamt ist das Buch jedoch informativ und anregend; eine lohnende Lektüre, wenn man bereit ist, sich für einige Stunden auf die Details der Problematik einzulassen und man seinen Horizont erweitern will.

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