“Eine Geschichte der Welt in 100 Mikroorganismen” von Florian FREISTETTER und Helmut JUNGWIRTH

Bewertung: 4.5 von 5.

Warum liest (oder hört) man ein solchermaßen auf ein (vermeintlich) alltagsfernes Thema spezialisiertes Buch?
Nun, dass Mikroorganismen eine herausragende Bedeutung für unseren Organismus, für die Nahrungsketten und das gesamte biologische System unseres Planeten haben, hat sich in den letzten Jahrzehnten herumgesprochen.
Dass man aus der Perspektive dieser kleinsten Mit-Lebewesen die Geschichte der ganzen Welt erzählen könnte, klingt dann aber doch ungewohnt, vielleicht sogar ein wenig vermessen. Es macht auf jeden Fall neugierig!

Die beiden Autoren sind ohne Zweifel kompetente Geschichten-Erzähler. Sie finden das rechte Maß zwischen Wissenschaftlichkeit, Alltagsbezug, Unterhaltung und Humor – und auf der Basis diese Aspekte wählen sie aus der geradezu unendlichen Vielzahl der Arten genau 100 Beispiele aus (natürlich könnten es genauso gut 67 oder 423 sein).

Die Leistung von FREISTETTER und JUNGWIRTH besteht darin, genau solche Kleinstlebewesen (Bakterien, Viren, Algen, Pilze) in die Geschichten-Sammlung aufgenommen zu haben, an deren Eigenschaften, Funktionen und Bedeutungen sich eben viel mehr darstellen und erklären lässt als nur das schnöde biologische Sein des jeweiligen Organismus.
Jede der 100 kleinen, abgeschlossenen Kurzgeschichten beleuchtet zusätzliche Aspekte und bietet damit ein kleines Stück Weltverständnis – angefangen von der Systematik der Lebensformen, über die Nützlichkeit für das Alltagsleben und Überleben der Menschen bis hin zu der großen Frage, ob nicht unglaublich überlebenstüchtige Mikroorganismen z.B. auf Meteoriten die Urform des Lebendigen quer durch den Kosmos getragen haben (und weiter tragen).

Die Autoren spielen mit einem Kaleidoskop an wissenschaftlichen Fragen und Antworten, von denen die meisten auch ohne die Kenntnis der jeweils zuständigen Mini-Lebensform interessant wären. Dieses Buch wurde ganz sicher nicht geschrieben, um dem Durchschnitts-Lesenden die Namen der 100 Kleinstwesen in das Gedächtnis zu schreiben.
Was man stattdessen lernt, ist Folgendes: So vielfältig und grenzenlos die Phänomene sind, die unsere Welt ausmachen, so komplex und verzahnt all die Vorgänge sind, die uns auf diesem Planeten umgeben – so unfassbar facettenreich und bedeutsam ist die Rolle von Mikroorganismen. Und genau deshalb funktioniert es tatsächlich erstaunlich gut: die Welterklärung aus diesem besonderen Blickwinkel.

Das 100-Teile-Puzzle, das die Autoren in diesem informativen und anregenden Buch anbieten, setzt sich nicht zu einem scharfen oder gar vollständigen Gesamtbild zusammen – das wäre ein völlig unrealistischer Anspruch. Aber es entsteht ein Kunstwerk, das Konturen, Struktur und Muster hat; es macht den Betrachter schlauer, löst Staunen aus und macht auch ein wenig demütig – angesichts der unentrinnbaren Abhängigkeit, die wir als vermeintliche Krone der Schöpfung von dem System des Lebens insgesamt haben.
Ohne Mikroorganismen gäbe es uns schlichtweg nicht – es gäbe so ziemlich gar nichts! Es gab sie vor uns und es wird sie nach uns geben – lange nach uns…

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