12.02.2020

Ich mag Friedrich Merz nicht besonders. Er verkörpert nicht meine Welt. Seine Fans sind für mich eher die weniger sympathischen CDU-ler. Er fängt diejenigen ein, denen die Richtung schon lange nicht mehr passt.

Die Frage ist nur: Brauchen wir denn nicht gerade mal genau das?
Ist vielleicht die AfD inzwischen ein so starker politischer Faktor geworden, dass wir – wie ich schon lange denke – eine politische Heimat für die “anständigen” Konservativen schaffen müssen. Ich glaube an diesem Punkt Herrn Merz: Er würde wohl die AfD-Werte halbieren – ohne sich dafür bei dieser Partei anbiedern zu müssen.

Gut, wir gingen der liberalen Merkel-CDU verlustig.
Aber: Wie groß wäre das Problem? Ständen nicht die geschrumpfte SPD und die integrationsfähigen GRÜNEN bereit, den linken Rand der CDU-Wähler dankend aufzunehmen? (Über die FDP äußere ich mich nicht mehr so gerne).

Ich glaube: Es wird auf Merz hinauslaufen.
Ich hätte lieber Spahn, weil er einen Generationswechsel symbolisieren würde. Er wird später drankommen. Laschet ist zu sehr Merkel; das ist durch.
Ich hätte wohl auch lieber Söder als Merz; aber Söder ist inzwischen fast zu weltoffen für die Rückholaktion von der AfD.

Lasst den Merz ruhig mal die Parteienlandschaft wieder in Richtung der alte Gefüge rücken. Es wird der SPD und den GRÜNEN gut tun und der AfD schaden.
Keine ganz schlechten Aussichten…

“Leviathan” von Paul AUSTER

Paul AUSTER ist einer der großen amerikanischen Gegenwarts-Schriftsteller; er repräsentiert  sozusagen die „offizielle“ literarische Welt; seine Bücher werden international von allen Kultur-Redaktionen beachtet. Sein aktueller Roman heißt 4-3-2-1.

In diesem Roman aus den 90-iger Jahren berichtet der Ich-Erzähler (Peter), selbst ein Schriftsteller, von der radikalen Wendung im Leben seines besten Freundes (Ben), der natürlich auch aus der Literaten-Welt kommt. Anlass für diesen Bericht ist der Umstand, dass dieser Ben durch eine – offenbar selbst gebaute – Bombe ums Leben gekommen ist. Er gerät in den Verdacht, Urheber einer ganzen Reihe von Anschlägen gewesen zu sein.
Der Erzähler sieht es als seine Freundschaftspflicht an, die wahre Geschichte über den verhängnisvollen Weg zu übermitteln, der Ben aus einer gesicherten Position in der Mitte der (intellektuellen) New Yorker Gesellschaft in die einsame Rolle eines gejagten Outlaws geführt hat.

AUSTER lässt seinen Erzähler ein ganzes Netzwerk von – größtenteils gemeinsamen – Freunden und Bekannten aufspannen; auch von parallel geliebten Frauen ist die Rede. Peters detektivische Aufklärungsarbeit ist aus einer sehr persönlichen Perspektive geschrieben. Die Gesamtgeschichte setzt er nach und nach aus einzelnen Teilperspektiven der wichtigsten Protagonisten zusammen, mit denen er über die letzten Jahre seines Freundes spricht. Auch Ben selbst – der zwischendurch immer mal wieder für längere Zeit abtaucht – trägt an verschiedenen Stellen zu der Vervollständigung des Puzzles teil. Letztlich schafft es Peter, das ziemlich komplexe Psychogramm von Ben fertigzustellen, bevor das FBI die Sache selbst aufklärt. (Das hört sich vielleicht an wie Spoilen; spielt aber für den Spannungsbogen des Romans keine entscheidende Rolle).

Für mich ist Leviathan ein typisches Beispiel für ein Buch, in dem das Erzählen selbst der eigentliche Zweck ist. Es geht um die Kunst des Erzählens – weder um die Handlung noch um eine besondere Botschaft. Es geht um das Entfalten einer eigenen kleinen Welt auf 330 Taschenbuch-Seiten. Man lebt ein paar Stunden mit diesen Charakteren (insbesondere eben Peter und Ben) und gerät auch ein bisschen in einen Sog der Neugier und manchmal auch in eine Fassungslosigkeit gegenüber den Wirrungen des Schicksals.

Jetzt könnte man sagen: Das schafft doch jedes halbwegs gutes Buch; dafür braucht man doch kein hochgelobter Star-Schriftsteller zu sein.
Für mich war besonders, dass die Spannung bzw. die emotionale Dynamik nicht auf den üblichen Effekten (Gewalt, Action und Sex) oder einem raffiniert gewebten Spannungsbogen beruht, sondern sich aus eher leisen, psychologischen und beziehungsmäßigen Prozessen entwickeln. Viele Passagen sind nicht spektakulär, enthalten eher feine, atmosphärische Beobachtungen aus alltäglichen Interaktionen.

Auch bei diesem AUSTER-Roman muss man wohl eine gewisse Affinität zur Künstler- und Literatur-Szene des progressiven Ostküsten-Amerikas mitbringen. Ohne diesen Bezug könnte beim Leser vielleicht schnell eine gewisse Sättigung bzw. Abwehr entstehen („Was habe ich mit diesen Leuten zu tun?“).

Nicht jeder mag diese Art von Literatur. Sie ist auch ein wenig sperrig; man muss sich einlassen wollen. Für mich war auch dieser AUSTER ein Lesevergnügen auf hohem Niveau, wobei die Sprache selbst keine besonderen Anforderungen stellt. Die Kunst entsteht eher durch die besondere Komposition des Erzählens.

11.02.2020

Thüringen war und ist wichtig, in diesen Tagen. Ohne Zweifel.

Was ist mit Syrien?

Ach ja, gibt es auch noch. Irgendwie lästig. Gibt immer noch die eine Stadt, die in Schutt und Asche gebombt werden muss. Da sind noch Extremisten. Leider ein paar Zehntausend Zivilisten drumherum.

Die syrische Armee und die russischen Helfer schießen gerade alles sturmreif. Ganz öffentlich. Gerne auch gezielt die Krankenhäuser. Stört ja niemanden. In den USA ist Vorwahlkampf und in Deutschland ist Thüringen.

Auf eine Stadt mehr oder weniger, die man mit internationalen Mitteln wieder aufbauen muss, kommt es ja nicht an. Auf die paar Zigtausend Flüchtlinge auch nicht. Zwischen denen und uns sind ja noch die Türken.

Vielleicht übernimmt ja doch Merz den CDU-Vorsitz. Das hilft bestimmt auch den Syrern….

10.01.2020

Wenn man – so wie ich – den täglichen Nachrichtenstrom sehr eng und kontinuierlich verfolgt, wird einem in den letzten Tagen geradezu schwindelig. Es sind nicht nur die Anzahl und die Dynamik der Geschehnisse und deren medialer Widerhall, sondern auch zunehmend die damit einhergehende Verunsicherung.

Wie weit – so frage ich mich – wird das Abbröckeln von vermeintlichen Gewissheiten noch gehen? Welche politischen Selbstverständlichkeiten lösen sich in den nächsten Stunden, Tagen oder Wochen noch auf? Ist es wirklich so unzweifelhaft, dass unsere bundesrepublikanische Ordnung sich in zwei oder fünf Jahren noch ähnlich anfühlen wird wie in den letzten Jahren und Jahrzehnten?

Es stimmt ja: Wir haben keine Staatskrise, unsere Institutionen und Verfassungsorgane funktionieren. Viele europäische Staaten haben ganz andere Krisen durchlebt. Trotzdem: Sich im Tagesrhythmus auf veränderte politische Lagen einstellen zu müssen, fühlt sich nicht gerade gemütlich an.

Zu dieser Beunruhigung tragen auch so bekloppte Verhaltensweisen bei, dass man jetzt FDP-Mandatsträger beschimpft oder gar bedroht. Wir brauchen keine gegenseitige Aufschaukelung von Krawall und Wut.

09.02.2020

Ich will niemanden mit dem Thema “Thüringen” langweilen. Aber eine Bemerkung muss ich doch noch loswerden.

Es ist eine ziemliche Dreistigkeit vom FDP-Chef Lindner, dass er – nach genau zwei Tagen demonstrativer Zerknirschung – heute schon wieder geradezu provokativ in Erscheinung tritt.

Er begründet tatsächlich seinen Vorschlag, statt des Vertreters der stärksten Fraktion (den bisherigen, sehr beliebten Regierungschef Ramelow) einen “unabhängigen” Kandidaten zu wählen, damit, dass dies in der “extrem empfindlichen Situation” das Land eher beruhigen könnte.
Dass ist wirklich unfassbar dreist – angesichts der Tatsache, dass man diese chaotische Situation mit der Aufstellung eines eigenen Kandidaten selbst ausgelöst hat. Man traut sich schon wieder, das eigene dumme und/oder gefährliche Spiel für eigene Taktierereien zu instrumentalisieren.

Da hat einer ja wirklich total viel dazugelernt; die Demut tropft ihm förmlich aus den Knopflöchern….

“Die Geschichte der Bienen” von Maja Lunde

Manchmal zögere ich mit dem Schreiben einer Buchbewertung, weil ich eine Art “soziale Hemmung” spüre. Diese Zurückhaltung bezieht sich auf Bücher, die gerade – entweder wegen des Themas oder wegen des Autors/der Autorin besonders beliebt sind. Und wenn es sich dann noch um einen Bereich dreht, dem auch meine Sympathie gilt, erscheinen mir dann kritische Anmerkungen irgendwie “verkehrt” zu sein. Fast ein bisschen gegen mich selbst gerichtet.
Das hier ist so ein Buch.
Um es gleich vorweg zu sagen: Ich habe es abgebrochen.

Jeder halbwegs aufgeklärte Mensch macht sich Sorgen wegen der Bienen. Überhaupt ist das Artensterben eines der großen Umweltprobleme. Was liegt da näher, als einen Roman rund um die Bienen zu schreiben?!

Die Grundidee des Buch des ist super: Es werden drei unterschiedliche historische Settings konstruiert (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft), die – natürlicherweise – ganz verschiedene Perspektiven auf die Bienen-Thematik ermöglichen.
In der alten Welt geht es um die Erforschung des Gegenstands, in der aktuellen Welt um die ersten konkreten Hinweise auf das Bienensterben, in der Zukunftswelt wird ein erschreckendes Szenario gestaltet, in dem menschliche Arbeitssklaven die Bestäubungsarbeit übernehmen müssen.
Zu jedem dieser drei Settings wird eine Rahmenhandlung entworfen, in der es um alle möglichen (überwiegend) familiäre Beziehungen und Konflikte geht.

Das Problem (aus meiner Sicht): Diese jeweiligen Rahmengeschichten überzeugen weder inhaltlich noch sprachlich.
Die Handlungsstränge ziehen sich endlos hin. Die Spannungbogen, die durch den regelmäßigen Wechsel der Perspektiven offenbar erzeugt werden soll, funktioniert nicht, weil zwischendurch einfach kaum etwas passiert.
Die Figuren überzeugen nicht; ihre Selbstbeschreibungen passen irgendwie nicht zu ihren Persönlichkeiten.
Die Sprache ist gewöhnungsbedürftig; für mich langatmig und gestelzt.

Letztlich tat es mir leid um die Bienen, deren Schicksal ich nicht zu Ende verfolgt habe. Ich musste mich zu sehr quälen mit den Personen, die mir nicht wirklich ans Herz gewachsen sind.
Vielleicht finde ich mal jemanden, der mir in ein paar Sätzen erzählt, wie sich das Ganze letztlich entwickelt hat. Aber wenn nicht, wäre es auch nicht schlimm…

Natürlich gibt es schon ein Nachfolgewerk dieses internationalen Bestsellers: Es geht um Wasser; auch ein total bedeutsames Thema.
Ich werde lieber ein Sachbuch dazu lesen…

08.02.2020

Ich habe es schon ein paar mal in verschiedenen Kontexten gesagt – und nach der Thüringen-Woche ist es wohl jedem klar geworden:
Wir brauchen eine Partei für die “anständigen Konservativen” – damit diese nicht in rechtslastigen Gruppierungen landen.

Wenn es nach mir ginge, würde ich die Parteienlandschaft ganz neu ordnen:
– Die GRÜNEN (können gerne so ähnlich bleiben)
– Die linken SPD-Mitglieder sollte mit den “Realo-Linken” verschmelzen und eine vernünftige, wählbare linke Partei bilden
– Die etwas konservativeren SPD-ler sollten mit der liberalen, modernen CDU fusionieren (die wollen sowieso das gleiche…). Das wäre dann die “Neue Mitte” (NM).
– Die konservativen CDU-ler sollten den anständigen Anhängern der AfD eine Heimat bieten (WK = Wert-Konservative)
– die FDP wird nicht mehr gebraucht, weil es bei den GRÜNEN, der (neuen) Linkspartei und der Neuen Mitte genug liberale Elemente und bei der WK genug Wirtschaftsfreundlichkeit gäbe.

Wenn ich gerade dabei bin: Natürlich darf es so lange ausschließlich grüne Kanzler/innen geben, bis die Klima-Krise überwunden ist (aber das ist ja logisch…).

“Alles könnte anders sein” von Harald Welzer

Harald Welzer gehört inzwischen zu den etabliertesten Experten, wenn es um Fragen der gesellschaftlichen Risiken und um Trends auf dem Weg zur Nachhaltigkeit geht. Regelmäßig wird seine Meinung in Nachrichten- und Magazinsendungen eingeholt. Seine Bücher “Selbst Denken” und “Die smarte Diktatur” gehören zu den Standardwerken der aktuellen kritischen Gesellschaftsanalyse.

Es geht Welzer schwerpunktmäßig darum, nicht nur Fehlentwicklungen zu beschreiben und Veränderungsziele zu definieren; er will aufrütteln und zum konkreten Handeln motivieren. Sein Ziel: Statt Katastrophenszenarien zu verbreiten oder über die Notwendigkeit eines Systemwechsel zu schwadronieren will er konkrete, bereits vorhandene, Initiativen nutzen, um eine “schrittweise Transformation” anstoßen.

Welzer will eine “Utopie für freie Menschen”. Was das bedeutet, macht der Autor sehr eindrücklich und mit großem Engagement deutlich.
Es geht u.a. darum:
– ein nachhaltiges (lokales und gebremstes) Wirtschaften zu entwickeln
– sich der Überwachung und Manipulation der Internet-Konzerne zu entziehen
– das analoge, soziale Leben zu beleben, statt überflüssige “smarte” Welten zu entwickeln
– Städte autofrei und bewohnbar zu machen
– Arbeitszeiten drastisch zu reduzieren
– ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen
– ein mündiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, dessen Sinn nicht in grenzenlosem Konsum liegt

Welzer ist ein Kämpfer für eine “bessere” Welt. Fast alles, was er will und wofür er seine Argumente ins Feld führt, ist sympathisch, menschenfreundlich und zukunftsträchtig. Harald Welzer ist aber auch recht überzeugt von sich selbst; Zweifel und vorsichtiges Abwägen gehört nicht zu seinen hervorstechenden Eigenschaften.
Manchmal gehen die Pferde mit ihm durch. Fast jede/r Leser/in wird in diesem Buch die ein oder andere Stelle finden, an der er/sie aussteigt. Bei manchen wird es die “Welt ohne Grenzen” sein, für andere das Grundeinkommen, oder die Arbeitszeit von maximal 15-20 Wochenstunden.
Vermutlich wird das der Autor eingeplant haben; es wird ihn nicht irritieren. Er ist sich seiner Sache sicher. Und das vor allem deshalb, weil er eben kein fertiges Konzept oder eine konsistente Ideologie auf dem Plan hat, sondern alle möglichen realen Ansätze nutzen und kombinieren möchte.

Bei aller Sympathie: An einer Stelle verrennt sich Welzer wirklich zu weit. Er schimpft wie ein Rohrspatz über die Klimaaktivisten, die durch ihre “Endzeit-Parolen” angeblich die Menschen entmutigen und in eine Schicksalsergebenheit treiben.
Bei allem Respekt: Hier merkt man dann, dass sich Welzer den Erfolg der Fridays for Future-Bewegung einfach nicht vorstellen konnte. Und gegen die Benennung von kritischen “Klima-Kipp-Punkten” zu wettern, weil dies seiner Ermutigungs-Strategie nicht in den Kram passt, zeugt auch nicht gerade von Toleranz und Weitsicht.

Welzer ist – wie gesagt – ein leidenschaftlicher Kämpfer für die gute Sache. Ihm sei daher verziehen, dass dazu auch eine Portion Selbstgewissheit gehört. Vermutlich ist das eine seiner Energiequellen. Geschenkt!

Das Buch ist voller Anregungen und guter Beispiele. Manchmal provozierend, immer engagiert. Keiner – auch Welzer nicht – erwartet, dass es ein Programm enthält, dass buchstabengetreu umgesetzt werden kann.

07.02.2020

Ich verfolge die bundesdeutsche Politik – altersbedingt – schon eine geraume Weile. Mich bedrängt aktuell der Eindruck, dass ich etwas Vergleichbares wie im letzten Jahr insgesamt und in den letzten Tagen speziell noch nicht häufig erlebt habe.

Was in den letzten 48 Stunden in und um Thüringen passiert ist, hätte in früheren Zeiten alleine ausgereicht, mehrere SPIEGEL-Titelgeschichten, lange Dokumentationen und – zeitverzögert – einen mehrteiligen Fernsehfilm zu füllen.

Heute kommen selbst die hyperaktiven Online-Redaktionen nicht mehr hinterher und schalten schon fast ganztägig auf Live-Ticker um. Es bleibt ja kaum Zeit, die Nachrichten zu Artikeln zu verdichten.

Wie lange können wir alle das so durchhalten? Wann sind wir übersättigt oder abgestumpft? Merken wir dann überhaupt noch, wenn es wirklich mal dramatisch wird?

Es sind hektische Zeiten. Und doch leben wir im Vergleich mit weiten Gebieten des Planeten in beneidenswerter Stabilität.

06.02.2020

Ein Tag voller Aufregung. Je nach Sichtweise kann man die Angelegenheit als Gefahrenzeichen für unsere Demokratie oder als Bestätigung für deren Stärke interpretieren.

Noch funktioniert eine rasche Selbstkorrektur. Aber sie war auch bitter nötig.

Ich empfehle für Interessierte die heutige Sendung von Maybrit Illner.