“Tumult” von Herbert Grönemeyer

Bewertung: 4.5 von 5.

Herbert liebt man – oder man kann ihn und sein Sprechgesang kaum ertragen. Unberührt lässt er nur wenige.
Mich begleitet Grönemeyer seit 1984 (4630 Bochum) durch mein musikalisches und emotionales Leben – allerdings in den letzten 20 Jahren mit absteigender Tendenz.
Das hat sich geändert. Gestern. Denn da habe ich “Tumult” gehört.

Ja – ich halte dieses Album für ein Meisterwerk. Es ist stimm- und textgewaltig, musikalisch abwechslungsreich und unglaublich emotional intensiv.
Wenn man sich denn auf den Grönemeyer-Stil einlassen kann…

Auch in den politisch stürmischen Zeiten sind Beziehungen und Liebe die zentralen Themen. Dass es möglich ist, auch im 15. Studioalbum noch neue und kreative Formulierungen für Liebesgefühle zu generieren, gleicht einem sprachlichen Wunder.

Doch es werden auch andere Themen berührt (ausländische Sexsklavinnen, Depression und Verzweiflung, Mut und Aufbruch, unerfüllte Sehnsucht, … ) und es werden Zeichen im Bereich Migration  gesetzt: Das Album enthält ein zweisprachiges Lied (deutsch/türkisch) mit dem sinnigen Titel “Doppelherz”.

Gibt es auch etwas zu meckern?
Nun ja – an ein oder zwei Stellen hätte man sich den  schmalzigen Hintergrundchor vielleicht sparen können. Geschenkt!

Gibt es für mich in diesem Album so etwas wie eine zentrale Botschaft? Ja, vielleicht sogar zwei:
Es gibt keine Trennung zwischen privater Empfindsamkeit und gesellschaftlicher Wachheit. Wer sich in seinem Inneren wirklich spürt, ist auch nicht blind für die Dinge, die sich drumherum ereignen.
Auch wenn man seelische Abgründe, Zweifel und Apathie kennt und als Teil des Lebens akzeptiert – es gibt immer noch gute Gründe für Aufbruch, Kampf und Lebenslust. Für Herbert ist der zentrale Grund – wie könnte es anders sein – die Liebe (auch wenn eines der Lieder davon handelt, das sie zwar ersehnt wird, aber ausbleibt).

Hört es euch an – und wenn ihr Lust habt, schreibt eure Meinung!

Die Texte gibt es z.B.  hier.
(Ich schicke auch gerne ein PDF)

Ein paar Gedanken zum PLURALISMUS

Als Vorbereitung auf eine Diskussion unter Freunden habe ich ein paar Thesen aufgeschrieben, die ich auf diesem Weg etwas breiter streuen möchte.
Letztlich geht es dabei nicht nur um ein abstraktes Thema, sondern um die konkrete Frage, ob und wie unsere demokratisch-pluralistisches System angesichts der Bedrohung durch autokratische Tendenzen überleben kann.

1)  Unsere pluralistisch angelegte Gesellschaft bietet einen sicheren Rahmen dafür, dass unterschiedliche Interessen, Weltanschauungen und Wertesysteme nebeneinander stehen können und dürfen. Damit entsteht Raum für individuelle Freiheit bzw. Weiterentwicklung und Schutz vor Bevormundung und Unterdrückung.

2) Pluralistische Gesellschaften weisen aber auch Schwächen auf: Ihnen fehlt ein einigender Bezugspunkt, der Identität, Zugehörigkeit und Orientierung schafft (wie es z.B. Staaten bieten können, die ihre Basis in Tradition, Religion, Ideologie oder Nationalismus definieren und zelebrieren). Dieses Problem verschärft sich noch zusätzlich, wenn die potentielle gemeinsame Basis (Grundgesetz) nur abstrakt vorhanden ist und nicht auch emotional verankert wird.

3) Ein extrem ausgebildeter Pluralismus kann in eine Beliebigkeit führen. Dadurch, dass alle denkbaren Lebensvarianten quasi gleichwertig nebeneinander gestellt werden (und dabei auch noch Abweichungen und Minderheiten besonders beachtet bzw. geschützt werden), geht das Gefühl für das „Normale“ (vielleicht auch das „Richtige“) immer stärker verloren.

4) Die Vielfalt und offensichtliche Beliebigkeit von Lebensentwürfen und Normen überfordert insbesondere Menschen mit eher geringen (intellektuellen, emotionalen) Ressourcen. Sie sind dann z.B. Einflussnahmen von Demagogen oder wirtschaftlichen Interessen ausgeliefert und werden so – unter dem Mantel einer vermeintlichen Autonomie und Freiheit – wirkungsvoll manipuliert (z.B. indem man die Neigung in Richtung Sensation und Extrem ausnutzt).

5) Angesichts der realen Menschheitsprobleme (Ressourcen, Klima, Migration, Rüstung…) können wir uns möglicherweise diese pluralistische Haltungen einfach rein objektiv nicht mehr leisten. So können z.B. unterschiedliche Vorstellungen zur Energieerzeugung oder zum Verkehrssystem dann nicht mehr dem freien Spiel pluralistischer Überzeugungen überlassen werden, wenn davon die Zukunft der Menschheit oder des Planeten abhängt.

6) Es wird sich in den nächsten Jahrzehnten vermutlich noch stärker als bisher erweisen, dass Gesellschaften, die weniger pluralistisch sind (insbesondere China und andere asiatische Staaten) effizienter, zielgerichteter und weitsichtiger handeln können und damit wirtschaftlich erfolgreicher sein werden.

7) Aus meiner Sicht läge die Lösung in einem „gebremsten“ Pluralismus. In so einem System, würden die Grundwerte der Gesellschaft (Verfassung, Menschenrechte, Gewaltfreiheit) viel stärker in das öffentliche und erzieherische Zentrum gerückt und dort auch emotional verankert. „Abweichungen“ würden zwar nicht unterdrückt, würden aber nicht mehr automatisch durch einen besonderen „Minderheiten-Bonus“ geadelt. Gewisse Basis-Tugenden (Anstand, Ehrlichkeit, Verantwortung für das Allgemeinwohl) würden im öffentlichen Raum nicht mehr ein unverbindliches Angebot bleiben, sondern zum gewollten Identitätskern des Zusammenlebens gemacht und verteidigt.
Inwieweit in diesem Zusammenhang auch der Einfluss der Medien auf die Entstehung von gesellschaftlich relevanten Wertsystemen zum Thema werden müsste, bedarf einer besonderen Diskussion.

 

“Der begrabene Riese” von Kazuo ISHIGURO

Ich wollte mich mal wieder der ernsthafteren Literatur zu wenden. Was kann man da besseres tun, als den  – immer noch aktuellen – Nobelpreisträger von 2017 zu wählen. Dachte ich.

Vor dem Schreiben dieser Rezension musste ich mich sehr beherrschen: war ich doch wirklich sehr neugierig darauf, wie wohl die vielen positiven Bewertungen (z.B. bei amazon) begründet werden.
Möglicherweise habe ich ja mit meinem mangelhaften literarischen Wissen die wesentlichen Stärken dieses Romans übersehen, womöglich gar nicht verstanden. Vielleicht war diese Geschichte aus längst vergangenen Zeiten voller Symbole und Allegorien, die einem halbwegs gebildeten Leser einen intellektuellen Genuss bereiten.
Ich werde es später nachlesen.
Jetzt sage ich erstmal meine Meinung.

Mir war und ist der Sinn und damit auch den Wert dieses Buches nicht zugänglich. Ich weiß nicht warum diese Geschichte geschrieben wurde und ich weiß nicht, warum man sie lesen (oder in meinem Fall “hören”) sollte.

Erzählt wird von einem Ehepaar, dass sich im Britannien des 5. Jahrhunderts auf die beschwerliche Reise zu einem Dorf machen, in dem sie ihren vor langer Zeit verschollenen Sohn vermuten. Erschwert wird diese Unternehmung nicht nur durch die Widrigkeiten des damaligen Lebens und Reisens, sondern auch durch einen ominösen Nebel des Vergessens. Wie sich später herausstellt, sorgt der Atem eines Drachens für diese Gedächtnisstörung.

Das – bereits ältere Ehepaar (für damalige Verhältnisse) – ist aber nicht nur auf der Suche nach dem Sohn, sondern auch nach der gemeinsamen Paar-Geschichte, die ebenfalls weitgehend der Vergessenheit anheim gefallen ist.
Ebenfalls eine Rolle spielen die Erinnerungslücken für das nur notdürftig befriedete Zusammenleben zwischen Britannien und Angelsachsen.
Wie dünn das Eis ist, zeigen die Begegnungen mit einem alten Ritter und einem jungen Kämpfer dieser Volksgruppen – die sinnigerweise beide auch irgendwie mit der verantwortlichen Drachin zu tun haben.
Zu erwähnen bleibt noch eine mysteriöse Insel, auf die ein Fährmann ein Paar nur dann überschifft, wenn dies durch eine besonders innige und vertraute Liebe verbunden ist.

Aus diesem Stoff ist diese Erzählung gebastelt. Es gibt darin viele Dialoge, manche Kämpfe, die auch zu manchem Tod führen. Und ein plötzliches und offenes Ende.

Natürlich soll diese Geschichte für irgendetwas stehen; so ansatzweise literarisch gebildet bin ich schon. Vermutlich geht es um große Fragen des Menschseins: um Beziehungen, um Krieg und Frieden, um die Vor- und Nachteile des Vergessens, um Rache, Vergebung, Tapferkeit und Opfermut. Und vermutlich um vieles mehr – wenn man sich dann die Mühe macht, es aus dem Text zu erschließen.

Ich persönlich würde niemandem nahelegen, sich dieser Aufgabe zu unterziehen. Es gibt jede Menge Bücher, die all diese Themen in einer zugänglicheren Form anbieten. Vielleicht ist das dann nicht eine so große und nobelpreiswürdige Kunst. Mag sein; dann bin ich an diesem Punkt ein Ignorant.

PS.: Ich bin wirklich aufrichtig interessiert daran, von jemandem zu erfahren, der dieses Buch mit Genuss gelesen hat!
Und ich werde jetzt die positiven Kritiken lesen (und mich vielleicht ein wenig schämen….).

Richterwahl in den USA

Ich mache es diesmal kurz:

Was auch immer damals bei der Wahl von Trump passiert ist – man konnte sich damit herausreden, dass es ja nur ein Protest war bzw. dass man ja davon ausgehen konnte, dass sich dieser Provokateur als Staatsmann zivilisieren würde.

Jetzt wissen die Amerikaner und die Welt seit fast zwei Jahren, wessen Geistes Kind dieser Trump ist. Und es gelingt ihm tatsächlich trotzdem, einen umstrittenen erzkonservativen Richter auf Lebenszeit in das höchste Gericht zu drücken.

Ich finde es trostlos, dass es nicht zumindest einige republikanische Senatoren gibt, die bei dieser Gelegenheit ein Zeichen gegen Trump zu setzen bereit sind.

Wie ist es möglich, dass sich dieser Mann nach diesen unseligen zwei Jahren noch so bestätigt fühlen kann?

Ich kann nur fragen – Antworten finde ich gerade nicht.

“Einmal Schicksal und zurück” von Sandra PULS

Vorweg ein Warnung:
Ich bin hier erstmals als Rezensent nicht neutral, da eine persönliche Beziehung zur Autorin besteht. Das ist auch der Grund, warum ich dieses Buch schon einen Tag nach dessen Erscheinen besprechen kann: Ich kannte es schon vorher. Trotzdem schreibe ich hier natürlich meine “echte” Meinung.

Wie der Titel verrät, geht es um das Schicksal. Damit werden eine Menge – auch widersprüchliche – Assoziationen geweckt: Geht es um Vorsehung? Um die Rolle des Zufalls? Um esoterische Erkenntnisse? Oder ist jeder seines Glückes Schmied? Und warum “zurück”?

Das Buch speist sich aus zwei Quellen:
Die Autorin verarbeitet – wie sie auch auf ihrer Website verrät – ein eigenes Thema, nämlich die Erfahrung, dass sich das Unglück manchmal auf unfassbare Weise bei bestimmten Menschen bzw. Familien konzentriert.Aus dem Umgehen mit der Kontrasterfahrung – selber auf der Sonnenseite leben zu dürfen – entstand die persönliche Motivation für dieses Buch.
Darüber hinaus stellt dieses – für junge Menschen ab der Pubertät konzipierte – Werk einen unterhaltsamen und anregenden Einstieg in das Philosophieren dar.

Wann – wenn nicht im Jugendalter – werden zum ersten Mal die großen Fragen des Lebens gestellt? Und wann – wenn nicht in dieser Entwicklungsphase – besteht ein Interesse an Freundschafts-/Liebesbeziehungen und spannenden Abenteuern in virtuellen Welten?
Was liegt näher – so dachte sich Sandra PULS – als diese beiden Bedürfnisse zusammenzuführen?

Der Autorin hat diese Aufgabe – wie ich finde – außergewöhnlich kreativ gemeistert. Sie erzählt die Geschichte eines jungen Paares (das sich natürlich gerade erst ganz vorsichtig findet): Der vom Glück verwöhnte Ben und die in einer vom Pech verfolgten Familie lebende Liv geraten bei einem Ausflug in digitale Spielwelten per Zufall in eine Parallelwelt, in der das Schicksal der Menschen geradezu bürokratisch verwaltet wird. Und beim Verwalten erweisen sich die “Wächter des Schicksals” als nur allzu menschlich…
Natürlich geht es bald um die entscheidende Frage: Können die beiden es schaffen, Liv und ihre Familie aus den Fängen der fehlgeleiteten Wächter zu befreien?

Doch auf einer zweiten Ebene geht es eben doch die ganze Zeit um die Grundfragen der Existenz. Wer oder was bestimmt denn nun das individuelle Schicksal? Gott, der Zufall oder das eigene Tun?
Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist so geschickt in die spannende Handlung eingewoben, dass keine Spur eines pädagogischen Anspruches zu spüren ist.
Das Ergebnis: Nachdenken und Philosophieren kann also Spaß machen!

Wie könnte es anders sein: Natürlich werden keine fertigen Antworten angeboten. Das Fragen und Denken sind die eigentliche Ziele.
Und doch gibt es eine Botschaft: Es lohnt sich auch in schwierigen Situationen, Gelegenheiten beim Schopf zu packen und auf die Unterstützung von wohlwollenden Mitmenschen zu vertrauen.

Ach ja: warum eigentlich “zurück”?
Vielleicht ist es schon klar geworden: Natürlich kehren die beiden Abenteurer von ihre Reise in den normalen Alltag zurück – und werden vermutlich noch eine Weile zusammen bleiben….

Fehlt noch ein Wort zur sprachlichen Seite: Der Stil des Buches ist locker und leicht verständlich; das Lesen verursacht keinerlei Mühe. Und doch wird deutlich, dass die Autorin die Sprache nicht nur als Mittel zum Zweck einsetzt. Sie “spielt” auch mit ihr. Immer wieder mal stößt man auf bestimmte Begrifflichkeiten, die man in dieser Zusammensetzung oder in diesem Kontext nicht erwartet hätte. Man spürt förmlich, dass sie diese eine spezielle Formulierung gebraucht hat, um ein bestimmtes Gefühl oder Bild zu vermitteln – dafür nimmt sie auch ein kurzes Stutzen des Lesers in kauf.

Ich empfehle dieses Buch uneingeschränkt für Jugendliche beiderlei Geschlechts ab ca. 14 Jahren. Es ist ein tolles kleines Geschenk, wenn man das Ziel hat, Denkanstöße zu geben und gleichzeitig Lesevergnügen zu bereiten. Dieses Buch verstaubt ganz sicher nicht ungelesen im Regal.

Weitere Infos findet ihr beim Verlag bzw. auf der Website der Autorin.

“21 Lektionen für das 21. Jahrhundert” von Yuval Noah HARARI

Ein neues Buch des israelitischen Historikers HARARI ist inzwischen ein vielbeachtetes kulturelles Ereignis. Der Autor hat es geschafft, sich mit seinen ersten beiden Veröffentlichungen (“Eine kurze Geschichte der Menschheit”, “Homo Deus”) mitten ins Zentrum des aktuellen Diskurses um die Zukunft der Menschheit zu schreiben. HARARI hat uns etwas zu sagen – und er wird gehört (bzw. gelesen).

Da ich inzwischen ein HARARI-Fan geworden bin (wenn man so etwas in meinem fortgeschrittenen Alter überhaupt noch sein darf), habe ich mich wenige Tage nach Erscheinen des Buches geradezu darauf gestürzt.
Die gemachten Erfahrungen teile ich jetzt mit euch.

Um es kurz zu machen: HARARI erklärt uns die Welt! Nicht mehr und nicht weniger.
Natürlich lässt einen dieser Anspruch der Allzuständigkeit zunächst zurückschrecken. “Was für eine Hybris!”, denkt man instinktiv. Kann und darf man so anmaßend sein?
Vielleicht sollte man die Beantwortung dieser Frage an den Schluss dieser Betrachtungen verschieben.

Wie geht der Autor vor?
Nun, er betrachtet das Weltgeschehen aus einer Position der nüchternen Beobachtung, bündelt und interpretiert die Ereignisse und Entwicklungen in einigen grundlegenden Kategorien und leitet daraus “vernünftige” Schlussfolgerungen ab.
Er tut das insofern “neutral”, dass er sich an keine der gängigen ideologischen oder religiösen Überzeugungssysteme bindet. Seine Richtschnur ist in erster Linie ein wissenschaftlicher Weltzugang – ohne dass er blind gegenüber den Grenzen oder Fehlentwicklungen dieser Perspektive wäre.
Seine Neutralität ist natürlich in sofern relativ, als dass jede Strukturierung und Kategorisierung einen Eingriff darstellt: Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte der Realität und blendet – notwendigerweise – andere Aspekte aus.

HARARI hat seine Art der Weltbetrachtung als Historiker begonnen. Er ist es gewohnt, die großen Linien herauszuarbeiten, die Zusammenhänge. Genau so hält er das mit der Gegenwart und mit seinem Blick auf die Zukunft.
Das wirkt überzeugend und erleichtert es ungemein die Orientierung. Das Chaos der Gegenwartswelt ordnet sich in nachvollziehbare Muster. Dass es jetzt genau 21 Gliederungspunkte sind, schafft natürlich auch einen eingängigen Buchtitel…

Sollte ich vielleicht etwas über den Inhalt sagen?
In dem Buch geht es nicht um das “Klein-Klein”. Hier werden keine Ratschläge für einen ökologischen Alltag gegeben. HARARI schreibt nicht über Bio-Fleisch oder alternative Energiegewinnung.
Der Autor möchte, dass wir verstehen, wohin die Reise gehen könnte, wenn wir es schleifen lassen. Er sagt – wie alle relevanten Zukunfts-Autoren – dramatische Wandlungen voraus. Im Zentrum seiner Betrachtungen stehen die Verbindungen zwischen der Konzentration digitaler Datenmacht und den bevorstehenden biotechnischen Eingriffsmöglichkeiten in die Innenwelt des Menschen.
Seine Kernfragen lauten: Haben wir die Chance, den zukünftigen Manipulationsoptionen von Konzernen und Regierungen etwas entgegenzusetzen? Können wir noch verhindern, dass sich die Menschheit aufspaltet in eine bedeutungslose Masse von Abgehängten und eine Kaste der Super-Elite, die sich dank unbegrenzter Ressourcen und mithilfe digitaler und gentechnologischer Aufrüstung zu einer neuen Art von Über-Mensch entwickelt? Können wir Menschen im klassischen Sinne bleiben – als Personen, die mehr über sich und ihre inneren Gefühle und Gedanken wissen als Google oder Facebook?

Okay. Das hört sich an, als ob einem leicht schwindelig werden könnte beim Konsum dieses Buches. Das tut es aber nicht. HARARI schreibt klar und eingängig. Er wiederholt seine Grundthesen immer wieder und bietet so das Gerüst für seine Beschreibungen und Argumente. Man verirrt sich nicht.
Manchmal ist diese Form von Redundanz schon etwas nervig. Man weiß schon, was er meint – und trotzdem kommen noch zwei oder drei Beispiele. Der Autor geht auch gerne ins Detail. Er lässt uns wissen, dass er viel weiß. Über Kulturen, Ideologien, Religionen, Natur, ….
Natürlich hat das auch einen Vorteil: Er belegt seine Behauptungen.

Was könnte einen stören an einem solchen Buch?
Nun: jeder, der eine feste ideologische oder religiöse Grundüberzeugung hat, wird sich irgendwann ärgern über die selbstverständliche Klarheit bestimmter Aussagen. HARARI ist da nicht zimperlich: Wenn für ihn z.B. unzweifelhaft klar ist, dass alle Religionen menschliche Erzählungen sind und die daraus abgeleiteten Gebote und Dogmen nichts mit der Frage zu tun haben, wie irgendwann dieser Kosmos entstanden ist, dann sagt er das auch so. Es ist für ihn einfach logisch zwingend. Natürlich mindert es nicht seinen Respekt gegenüber Menschen, die gläubig sind.
Man kann sich über HARARIs Selbstgewissheit aufregen – man kann aber auch geradezu begeistert darüber sein, wie klar er Dinge bennent und in überzeugende Zusammenhänge bringt.

Damit sind wir bei der Antwort auf die oben gestellte Frage angekommen:
Ich finde HARARIs Stil eher erfrischend und anregend, manchmal etwas gebetsmühlenartig. Ja – der Mann ist von sich überzeugt. Aber er hat auch eine Menge zu bieten.
Ob man nach dem aufmerksamen Studium von “Homo Deus” dieses neue -Buch allerdings wirklich noch unbedingt braucht, ist eine schwierigere Frage. Wenn ich nicht so interessiert und begeistert wäre, hätte ich da vielleicht doch meine kleinen Zweifel…

Aber: Ich freue mich auf jede zukünftige Diskussion über dieses Buch.
Schon allein deshalb solltet ihr es lesen (oder hören)….

Gefühlte Politik im September 2018

Ja, es war nie so richtig gut. Man hatte immer was zu meckern. Deutsche Parteipolitik war immer auch ärgerlich – weil widersprüchlich, ungerecht, lobby-beeinflusst, inkonsequent, zu wenig nachhaltig, usw.
Aber: Was man in den letzten ein bis zwei Jahren erlebt, erscheint doch irgendwie unfassbar.

Ich spüre eine steigende Sehnsucht nach so etwas wie Respekt. Ich möchte eine gewisse Grundachtung haben vor den Menschen, die unsere politischen Geschicke bestimmen – selbst wenn sie nicht meine ganz persönlichen politischen Ziele verfolgen. Ich wünsche mir einen gewissen Standard: im operativen Bereich, in der Form der Auseinandersetzung, im Stil.

Ich habe vor einigen Monaten sehr auf die Medien und die aufgeregte öffentliche Meinung geschimpft, die scheinbar jeden Politiker (speziell der SPD) zu Fall bringen wollten.
Aktuell verstehe ich die miese Stimmung und die zynischen Kommentare.

Mir geht es nicht um eine konkrete Entscheidung. Ich denke nicht, dass man die GroKo um jeden Preis beenden sollte. Aber das Gewurschtele hält man wirklich nicht mehr aus.

Ich mache mir Sorgen wegen der fast täglich wachsenden Politikverdrossenheit. Können die beteiligten Menschen (und natürlich denke ich zuerst an Seehofer; auch an Lindner, der Jamaika vermasselt hat) nicht ein Minimum Verantwortung für das Ganze übernehmen? Muss wirklich innerhalb eines Jahres eine politische Stabilität, die über Europa hinaus modellhaft war, in dieser Rücksichtslosigkeit zerstampft werden?

Man schaut sich das an und denkt: “Schlimmer kann es ja nicht mehr kommen.” Aber sicher ist man sich inzwischen nicht mehr…

Ganz konkret fällt mir nur ein Ausweg ein: Wenn sich die CSU nicht von Seehofer trennen kann, dann sollte die Koalition mit den Grünen fortgesetzt werden. Noch ist Zeit bis zu den nächsten Wahlen…

“Das Cafe der Existentialisten: Freiheit, Sein und Aprikosencocktails” von Sarah BAKEWELL

Ja, es ist mir klar. Diese Buchbesprechung zielt nur auf eine sehr umgrenzte Zielgruppe. Ich schreibe sie trotzdem. Weil es mich schon ganz für mich alleine reizt, meine Meinung zu einem Buch zu verschriftlichen.

Man kann sich auf mehreren Ebenen mit philosophischen Strömungen auseinandersetzen: Man  informiert sich bei Wickipedia, liest Überblickswerke (z.B. von Precht) oder setzt sich mit den Originaltexten namhafter Philosophen im Original auseinander.
Eine vierte Möglichkeit bietet das hier rezensierte Buch: Es wendet sich der Thematik ausführlich zu, bietet dabei einen deutlich tieferen Einblick als ein Lexikonartikel oder eine Philosophiegeschichte – anders als das Studium der Primärquellen jedoch mit dem Service eines angleiteten und strukturierten Zugangs.

Das Thema ist hier der Existentialismus, am engsten verknüpft mit dem Namen “Sartre”.
Warum wollte ich hier in die Tiefe gehen? Nun, ich bin bei Audible zufällig auf dieses Buch gestoßen. Es hatte gute Kritiken. Und ich fand es spannend, mich mit der philosophischen Richtung auseinanderzusetzen, die das Konzept der individuellen Freiheit geradezu grenzenlos zelebriert.
Übrigens gerade, weil ich am Konzept der Willensfreiheit schon seit Jahrzehnten meine Zweifel habe und weil diese Zweifel durch jüngste Erkenntnisse der Hirnforschung immer weitere Kreise ziehen.

Was erwartet einen nun in diesem Buch?
Auf jeden Fall eine Unmenge von Detailinformationen über eine ganze Gruppe von namhaften Vertretern der (eher deutschen) Phänomenologie und des (eher französischen) Existentialismus. Es geht – neben Sartre – um Denker und Autoren wie Edmund Husserl,  Martin Heidegger, Simone de Beauvoir, Albert Camus, Emmanuel Levinas, Maurice Merleau-Ponty – um die wichtigsten zu nennen.

Das Besondere dieses Buches ist der personen- und beziehungsspezifische Zugang: Die Darstellung orientiert sich nicht vorrangig an den Konzepten und Ideen, sondern stellt die agierenden Personen und ihre Beziehungen und Verknüpfungen in den Mittelpunkt. Man erfährt, wer mit wem in welchen Settings einig bzw. uneinig, verbunden oder zerstritten war. Man kommt nicht nur in Kontakt mit den Biografien der Denker sondern erhält auch einen sehr plastischen Eindruck von den Lebenswelten, in denen sie sich jeweils bewegt haben.

Das alles findet mit einer manchmal geradezu zwanghaften Akribie statt. Dabei wird man immer wieder mit Details (aus einzelnen Begegnungen oder Ereignissen) überschüttet, die realistischer Weise kein Mensch braucht.
Das ermüdet auch manchmal  – zudem durch einige Schleifen im Ablauf spürbar sind – und es hat mich zwischendurch an meinem Vorhaben zweifeln lassen.

Trotzdem war ich am Ende meiner Hör-Reise (das Buch wird wirklich perfekt vorgelesen) mit dem Text versöhnt. Kurzfristig flammte sogar der Gedanke auf, ob ich nicht jetzt, wo mir die Zusammenhänge klarer sind, nicht noch einmal von vorne anfangen sollte…
Ich habe mich stattdessen für einen Roman von Sartre entschieden (“Der Ekel”). Auch das kann man als eine Art Erfolg des Buches von BAKEWELL ansehen.

Meine Bilanz:
Wer ein größeres Interesse an dieser Philosophie-Epoche hat und sich einmal  – in allen Facetten – wirklich einlassen möchte auf die Hintergründe der daran beteiligten Personen, der sollte sich dieses Buch gönnen. Es strotzt wirklich vor Detailwissen und ist von dem spürbaren Bestreben getragen, den Lesern ein möglichst lebendiges Bild von Zeitgeist und Personen zu vermitteln. Man taucht ein – mit Haut und Haaren (Kopf und Bauch).
Als philosophisch interessierter Mensch kann man sich eigentlich nur wünschen, dass es zu jeder Denk-Epoche ein vergleichbares Werk gäbe.

Ach so – ich habe ja gar nicht geschildert, was Existenzialismus nun eigentlich bedeutet. Das stimmt!
Vielleicht dazu dann doch kurz bei Wickipedia nachschlagen….

Unser Verfassungsschutz

Ich bin ja wirklich ein extrem staatstragender Mensch. Bevor ich ernsthafte Zweifel am Funktionieren unserer Verfassungsorgane bekomme, muss schon einiges passieren. Für die üblichen Verschwörungstheorien oder platten Marxismus (“der ganze Staat ist sowieso nur ein Büttel des Kapitals”) bin ich nicht zu haben.

Aber was soll man denn nun davon halten, dass unser Verfassungsschutz offenbar von einem Menschen geleitet wird, der eine gewisse Neigung zu AfD-nahen Sichtweisen nicht nur in sich trägt, sondern diesen auch in seinen offiziellen Funktionen Raum gibt?

Wie kann man es zulassen, dass in einer Zeit, in der mit dem Vorwurf der “Fake-News” an den Grundfesten der Presse gerüttelt wird, ohne jeden Beweis über eine möglicherweise manipuliertes Video schwadroniert wird. Vom Verfassungsschutz-Präsidenten – abgestimmt mit seinem Innenminister!

Ist es wirklich inzwischen wegen der politischen Abhängigkeit von der CSU möglich, dass hier jemand einen Posten behalten darf, der zumindest den Eindruck erweckt, den Schutz unserer Verfassung auf der Grundlage einer eher rechten Gesinnung zu betreiben?

Was haben wir für einen Innenminister, der das mitträgt – oder gar inszeniert?
Der den Regierungschef von Ungarn, dem gerade von dem EU-Parlament das Misstrauen ausgesprochen wurde, auf CSU-Treffen als guten Freund willkommen heißt?

Verschwimmen da gerade alle Maßstäbe?
Wo bleiben die anständigen Konservativen – die es zum Glück ja in der CDU in großer Zahl gibt?

Ich habe keine Lust auf die nächste Regierungskrise; ich will kein Ultimatum der SPD. Das soll bitte die CDU selbst lösen.
Tauscht endlich in der GroKo die CSU gegen die Grünen aus – damit das Land anständig regiert werden kann.

 

Chemnitz und das “wirsindmehr”-Konzert

Ja, es war gut, dass dieses Konzert stattgefunden hat und dass es so viele friedliche Besucher hatte. Und ich finde es auch kleinkariert, unseren Bundespräsidenten dafür zu schelten, dass er sich nicht vorher jede Textzeile durchgelesen hat, die von den dort auftretenden Gruppen jemals gesungen wurde.

Trotzdem wurde meinem Gefühl nach in Chemnitz eine Chance vertan.

Ein solches Konzert hätte ein viel stärkeres Signal für Integration und Solidarität senden können, wenn es ein breitere musikalisches und politisches Spektrum abgedeckt hätte. In der dargebotenen Form hat es ganz sicher die wichtigen Menschen, die weder rechts noch links fest verankert sind, genau nicht erreicht.
Es war ein Fest zur Selbstvergewisserung einer links-alternativen Szene. Das ist nicht verwerflich – aber ich hätte mir etwas anderes gewünscht. Ich hätte mir ein Konzertereignis gewünscht, bei dem auch Künstler/innen des gesellschaftlichen Mainstreams aufgetreten wären. Wäre das geschehen, hätte man eindrucksvoll unter Beweis stellen können, das “wirsindmehr” eben nicht bedeutet, dass es mehr linke Punk-Fans als Rechtsradikale gibt, sondern das sich eine breites gesellschaftliches Spektrum gegen einen menschenverachtenden Mob stellt.

Mir schein mehr und mehr das Problem zu sein, dass die Grenzen bzw, Unterschiede zwischen Unzufriedenheit, Sorgen, Abstiegsängsten und sozialen Problemen auf der einen und “Rechts-Sein” auf der anderen Seite zunehmend verschwimmen. Gegen etwas sein, bedeutet scheinbar im Moment für immer mehr Menschen, rechte Positionen einzunehmen oder sich zumindest dort mit anzusiedeln. Weil man sich da besonders gehört fühlt, weil es den Etablieren dort besonders wehtut.
Wir sollten Kontakt mit denen behalten, die diesen Weg (nach rechts) eigentlich nicht gehen wollen. Lasst uns im Gespräch bleiben mit den vielen Menschen, die tatsächlich ganz anders denken als wir, ohne deshalb gleich “unanständig” zu sein. Es sind viel mehr als wir dachten….

Mir ist nicht bekannt, ob sich die Veranstalter von Chemnitz um andere Darbietungen bemüht haben. Ich weiß nicht, welche etablierten Künstler (außer den Toten Hosen) so spontan gekommen wären.
Dass ein solcher breitere Rahmen nicht stattgefunden hat, finde ich jedenfalls bedauerlich.