“Schatten der Welt” von Andreas IZQUIERDO

Preußen am Beginn des 20. Jahrhunderts.
Die scheinbar unerschütterliche feudale Ordnung des Kaiserreichs gerät in den Strudel des 1. Weltkrieges, mit ihr die Lebensläufe von drei jungen Menschen, die in einer tiefen Jugendfreundschaft verbunden sind. Was als eine Art Schelmenroman beginnt, wird zu einem Kriegsdrama.

Einer der drei Protagonisten, ein Schneiderssohn, tritt als Ich-Erzähler auf, wechselt dabei immer wieder die Perspektive zwischen der unmittelbaren Beteiligung an den Begebenheiten und der berichtenden, wissenden und reflektierenden Außenperspektive.

Es geht in diesem historischen Roman um folgende Schwerpunktthemen:
– Freundschaft und Liebe
– Mut und Durchsetzung von Ideen
– himmelschreiende Ungerechtigkeit in einer Klassengesellschaft
– Unterdrückung des weiblichen Geschlechts
– Familiendynamiken (insbesondere eine anrührende Vater/Sohn-Beziehung)
– Wahnsinn des Krieges

Der Autor schafft Figuren, die man in sein Herz schließt und welche, die man rasch zu hassen beginnt. Gut und Böse sind sehr eindeutig definiert. Vielleicht ein bisschen zu eindeutig.
Am spannendsten gezeichnet ist wohl das Mädchen in dem Trio, Isi. Sie ist ein extrem mutiges und kämpferisches Mädchen, das schon sehr früh die Grenzen von traditionellen Normen und Rollenerwartungen überschreitet. Die Auseinandersetzung mit Ihrem Vater, der als Gegenspieler das unerbittliche Beton-Patriarchat vertritt, zieht sich durch das gesamte Buch.

Das alles hat bei mir zwei widersprüchliche Wirkungen entfaltet.
Die Ereignisse und die Erlebnisse der beteiligten Personen haben mich durchaus berührt, haben Identifikation und Emotionen ausgelöst.
Gleichzeitig waren da Aspekte von innerer Abwehr: Ist die Auftakt-Geschichte, in der die drei Jugendlichen zu plötzlichem Wohlstand kommen, nicht doch ein wenig zu sehr unrealistisch? Müssen Figuren wirklich so abgrundtief böse sein, um eine entsprechende Handlungsdynamik zu erzeugen? Wie wahrscheinlich sind bestimmte Begegnungen mit alten Bekannten in den Wirren eines Weltkrieges? Wäre der beschriebene Showdown zwischen Isi und ihrem Vater wirklich in dieser Form denkbar?
Ich weiß ja: So ein Roman braucht einen Plot und dafür muss man dem Schriftsteller auch ein paar Freiheiten einräumen; die Grenzen meiner Toleranz waren an einigen Punkten spürbar.

Historischen Romane leben davon, neben einer Handlung auch ein Stück Zeitgeschichte zu vermitteln. Das tut dieses Buch ohne Zweifel. Was Klassenunterschiede, was Armut und was Macht im preußischen Obrigkeitsstaat bedeutet haben, ist hier nachfühlbar gemacht worden. Dem Autor ist es gelungen, sowohl einen (zunächst) leichten, als auch einen schweren Roman zu schreiben. Er bedient sich dabei nicht der leisen Gefühle sondern holt immer wieder tief aus. Für mich hätte es manchmal etwas weniger sein dürfen.

So ist es ein niveauvoller, aufklärender und bewegender Roman geworden, der ganz sicher nicht langweilt. Wer sich durch gewisse Unwahrscheinlichkeiten nicht abschrecken lässt und es liebt, sich mit seinen Lieblingsfiguren (und ihrem Kampf gegen das Böse) zu identifizieren, der ist mit diesem Buch richtig gut bedient.

Ich hätte übrigens ein anderes Ende erwartet.

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