Zwischen Welten – Juli ZEH und Simon URBAN

Bewertung: 3.5 von 5.

Dieser Roman – ein garantierter Bestseller – schließt nahtlos an die letzte Veröffentlichung (“Über Menschen”) der Star-Autorin an. Auch in diesem Werk befassen sich ZEH und ihr Mitautor mit der vermeintlichen Spaltung in unserer Gesellschaft.
Damit unübersehbar wird, wie dicht die Autoren am Puls der Zeit schreiben, datieren sie die Beiträge ihrer beiden Protagonisten (Stefan und Theresa) chronologisch durch das Jahr 2022 (bis zum Oktober).

Der Text besteht tatsächlich ausschließlich aus Chat- und Maildialogen dieser beiden Personen; soweit Ereignisse oder Handlungen beschrieben werden, sind diese in die jeweiligen Botschaften eingewoben. Die Kommunikation zwischen Autoren/Erzählern und der Leserschaft erfolgt also “über Bande”.

Für Aussagekraft und Wirkung einer solchen Konstruktion – kontroverse gesellschaftliche Positionen zu personalisieren – ist natürlich entscheidend, welche beiden “Welten” da gegenseitig in Stellung gebracht werden.
Auf der einen Seite ist da ein erfolgreicher Journalist, der als Teil einer liberal-ökologisch-genderaffinen Szene (man nennt das heut “Blase”) damit beschäftigt ist, die Veränderungen in der Print-Medienwelt im Schatten der Social-Media-Kanäle zu gestalten und zu erleiden. Dabei steht das große Meta-Thema “Klimawandel” exemplarisch für die Grundsatzdebatte, wie der “seriöse” (neutrale) Journalismus mit der Forderung nach klaren Positionen und Haltungen umgehen soll – angesichts der Größe und Dramatik der aktuellen Herausforderungen. Kurz gesagt: Wie vertragen sich Aktivismus und Journalismus?
Ihm gegenüber steht eine Landwirtin, die sich nahezu rund um die Uhr und im Schweiße ihres Angesichts darum bemüht, einen in Brandenburg geerbten kleineren Hof durch all die Krisen zu steuern, denen sie sich durch wirtschaftliche, gesetzliche und bürokratische Zumutungen ausgesetzt fühlt.

Damit diese Kontrahenten ein ganzes Buch lang diskutieren und streiten können, muss es natürlich eine Verbindung geben: Die beiden hatten zusammen in Münster studiert und dort in einer Zweier-WG sehr vertraut (aber rein platonisch) zusammengelebt, sich dann aber wegen des plötzlichen Umzugs von Theresa aus den Augen verloren.
Während das am Anfang des Prozesses als Bindungsglied reicht, wird später noch ein (besonders bei Stefan) erwachendes erotisches Interesse als Stabílisierungelement eingeführt. Das führt dazu, dass sich die Inhalte der schriftlichen Dialoge in der zweiten Hälfte des Buches auf den privaten, emotionalen Bereich ausdehnen.

Während also die Leserschaft recht ausführlich mit Journalismus und Landwirtschaft in Kontakt kommt, findet parallel ein heftiger Schlagabtausch zu den Aufreger-Themen des Jahres 2022 statt: Gendern (er ja, sie nein), Ukraine-Unterstützung (er ja, sie skeptisch), Tierhaltung (er nein, sie liebt ihre Kühe), Klima-Engagement (er ausgeprägt, sie zunehmend genervt).
Die Autoren fokussieren immer wieder auf den Gegensatz zwischen “intellektuell-phrasenhafter Theoriewelt” und “bodenständiger Auseinandersetzung mit realen und handfesten Problemen”. Typischerweise schreibt Stefan in der Pause irgendeines “bedeutsamen” Meetings, während Theresa bereits die zweite Melk-Schicht hinter sich hat (die erste fand um 4:00 Uhr früh statt).
Es dauert nicht sehr lange, bis der Eindruck entsteht, dass die Sympathie der Autoren eher bei der “Frau der Tat” und ihren Mitstreitern liegt, als bei dem “intellektuellen Schwätzer” in der Hamburger Medien-Blase und den fanatischen AktivistInnen in seinem Umfeld.

Es gibt einige Punkte, die diesen Roman für mich zu einem sperrigen und manchmal auch ärgerlichen Leseerlebnis gemacht haben. Damit diese Rezension nicht endlos wird, will ich dies als Aufzählung darstellen:
– Beide Figuren erscheinen öfters so naiv oder werden so klischeehaft dargestellt, dass man sie in diesen Momenten kaum als “echte” Personen anzunehmen vermag.
– Es erscheint immer wieder wenig realistisch, dass die gemeinsame Vergangenheit auf Dauer in der Lage sein könnte, die zwischendurch stark eskalierenden Angriffe und spürbaren Entfremdungen auszugleichen.
– Das erwachende gegenseitige erotische und emotionale Interesse lässt sich nur schwer aus dem Verlauf der Kommunikation nachvollziehbar ableiten. Insbesondere Stefan steigert sich gegen Ende in einem Ausmaß da hinein, wie man es kaum einem etablierten Profi-Journalisten zutrauen würde.
– Warum sich am Ende des Buches plötzlich eine Action-Szene um die Bergung einer Leiche in das Buch verirrt, bleibt wohl das Geheimnis der Autoren (und des Lektorats).

Welche Botschaften bekommt nun die Leserschaft zu den beiden Welten und deren Verbindungsmöglichkeiten?
– Es ist offenbar möglich, selbst über gravierende Überzeugungsunterschiede im Gespräch zu bleiben (wenn man entweder einen sehr feste gemeinsame Basis hat oder sich gleichzeitig angezogen fühlt – am besten beides).
– Es droht scheinbar die Gefahr, dass maßlos-radikale AktivistInnen das Kommando über die Medien übernehmen und uns ihr moralischen aufgeladenen Meinungsdiktat aufoktroyieren.
– Den “einfachen Leuten” (exemplarisch den Kleinbauern) wird von lokalen Behörden, von Berlin und von Brüssel das Leben so schwer gemacht (eigentlich “zur Hölle”), dass man sich nicht wundern muss, dass aus der Verzweiflung heraus auch illegale (und rechtslastige) Protestformen entstehen.
– So richtig führt der versuchte Dialog letztlich nicht zusammen: Die (ideologischen) Ausgangslagen, die konkreten Lebenswirklichkeiten und die persönlichen Ziele sind und bleiben dann doch inkompatibel.

Wer sich mal in dieser speziellen Form mit den klassischen Argumenten der großen gesellschaftlichen Debatten befassen möchte, wird in diesem Buch fündig. Die beiden Autoren haben den jeweiligen Sprech drauf. Weniger geeignet erscheint dieser Roman als eine erhellende Beziehungs-Studie von zwei Menschen in zwei Welten zu sein – dafür sind die Prozesse zwischen den Dialogpartnern zu irritierend.
Juli ZEH hat jedenfalls ein weiteres Mal ihre Distanz und ihre Skepsis gegenüber einem “woken” Milieu zum Ausdruck gebracht, das sie eher mit Arroganz und Übergriffigkeit in Verbindung bringt als mit ehrlichem Engagement. Das mag in Teilbereichen nachvollziehbar sein; in Bezug auf die Klimafrage scheint es aufgrund ihrer Ausgestaltung des Themas eher zweifelhaft, ob sich die Autoren der realen Dramatik und des damit verbundenen Handlungsdrucks tatsächlich bewusst sind.


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