“Das amerikanische Trauma” von Mary L. Trump

Bewertung: 4 von 5.

Mary L. TRUMP, die Nichte des abgewählten Präsidenten, hat mit ihrem – halb privaten und halb fachlichen – Enthüllungsbuch „Zu viel und nie genug“ vielleicht die US-Wahl 2020 entschieden und der Welt eine zweite Amtszeit ihres Onkels erspart. Sollte das tatsächlich der Fall gewesen sein, hätte sie mit ihrer Familiengeschichte gleichzeitig Weltgeschichte geschrieben.

Mary Lynn Trump legt nun nach. Mit ihrem zweiten Buch schreibt sie diesmal eine spezielle Geschichte der Vereinigten Staaten.
Das aktuelle Buch ist daher deutlich mehr als eine Nachbetrachtung der Schluss- und Übergangsphase von Donald Trumps Präsidentschaft. Zwar prangert sie auch alle Fehlentwicklungen dieser Zeit in ihrer schonungslosen Klarheit an; ihr Anspruch geht aber weit über eine zweite „Trump-Abrechnung“ hinaus.
Die Autorin schlägt einen Bogen von der Unterdrückung und Ausrottung der indigenen Bevölkerung des nordamerikanischen Kontinents, über die Sklavenwirtschaft und ihre rassistischen Nachwirkungen, bis zu der aktuellen Zerrissenheit des politischen Systems, in dem sie eindeutig faschistoide Tendenzen wahrnimmt.

Und wiederum schafft Mary L. TRUMP durch die Verbindung zweier Perspektiven eine Art Alleinstellungsmerkmal: Während sie im ersten Buch ihre Insider-Erfahrungen als Familienmitglied mit einer fachlichen Analyse als Klinische Psychologin kombinierte (überwiegend persönlichkeits- und familienbezogen), benutzt sie jetzt die Konzepte „Traumatisierung“ bzw. „Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als Erklärungsschablonen für die ausbleibende Bewältigung der Geschichte und das drohende Scheitern des demokratischen Modells.

Es ist beeindruckend, mit welcher historischen Akribie sie vor allem das düstere Kapitel der Sklaverei und ihrer Folgen aufarbeitet. TRUMP hat sich zur Aufgabe gemacht, hinter den Nebel der offiziellen Geschichtsschreibung zu schauen und deckt ein Ausmaß von (ganz konkret belegbarer) fortgesetzter Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt auf, das sicher schon damals erkennbar schändlich war, aus heutiger Sicht kaum zu fassen ist.
Die Autorin macht immer wieder deutlich, dass sie in der Weigerung und Unfähigkeit, für die systematischen Verbrechen und Verfehlungen Verantwortung zu übernehmen, Reue und Scham zu zeigen und sich um Wiedergutmachung zu bemühen, ein ähnlich großes und folgenreiches Versagen sieht wie in den Taten selbst.
Sie meint das nicht nur politisch, sondern auch psychologisch: Sowohl Opfer wie Täter – so ihre Argumentation – können den Kreislauf der (Re-)Traumatisierungen nur durchbrechen, wenn dieses selbstreflektierte Innehalten, die klaren Bekenntnisse, das gemeinsame Trauern und eine echte Empathie endlich Raum bekämen. Dann könnte eine psychische und gesellschaftliche Heilung endlich beginnen – und diese würde dann auch antidemokratischen und spaltenden Populisten wie Donald Trump den Boden entziehen.

TRUMP sieht auch eine deutliche Verbindung zwischen dem exzessiven Individualismus, der mit seiner Ideologie vom „selbstbestimmten Schicksal“ eine grundsätzlich verachtende Haltung gegenüber Schwachen und Gescheiterten aufrechterhält und der Geschichte des Rassismus. Die Autorin versäumt es nicht, auch die „abgehängten“ Weißen zu thematisieren und zu erklären, warum sie in Donald Trump ihren Retter sehen und gegen ihre eigenen (wirtschaftlichen) Interessen wählen.

Ja, TRUMP fährt harte begriffliche Geschütze auf: Für Sie sind bestimmte Entwicklungen der republikanischen Partei und die Regierungsführung von Donald Trump und seiner Administration nicht nur eindeutig undemokratisch und rassistisch, sondern nichts weniger als faschistisch.
Sie weiß vermutlich genau, welche Zumutung dieser Begriff für die politischen Gegner darstellt (vermutlich kann sie sich nicht ganz vorstellen, wie das für europäische Ohren klingt). Doch sie sieht gerade in der Verleugnung und Verharmlosung von historischen und aktuellen Ereignissen und Haltungen die Ursache dafür, dass sich die unheilvollen Muster von Jahrzehnt zu Jahrzehnt erhalten konnten.
Sie nimmt in kauf – und das kann man durchaus kritisch sehen – dass sie damit die Gräben zwischen den beiden politischen Welten der USA noch unüberbrückbarer machen könnte. TRUMP ist eine kluge Analytikerin, sie ergreift ganz eindeutig Partei (insbesondere für die nicht-weißen Mitbürger) – aber sie ist sicher keine Frau der Mäßigung und des Brückenbauens. Das hat damit zu tun, dass in ihrer Logik das Beschönigen und Zukleistern den Kern – also die Dynamik der genrationsübergreifenden Traumatisierung nicht auflösen kann.

Man kann Trump vorwerfen, dass sie zu wenig über wirtschaftliche Machtverhältnisse und Interessen spricht; man kann kritisieren, dass sie eine mögliche Mitverantwortung der von Rassismus und Diskriminierung Betroffenen überhaupt nicht thematisiert (noch nicht einmal um sie auszuschließen). Ja, manch redundante Stelle wäre vielleicht auch verzichtbar gewesen.

TRUMP hat ein durch und durch kämpferisches Buch geschrieben. Aus dem von ihr dargestellten Blickwinkel bleibt von dem so selbstverliebten „God`s Own Country“ nur ein kranker und verlogener Scherbenhaufen zurück. Sicher: Sie will nicht vernichten, sondern
wachrütteln; aber: Wer hört ihr außerhalb der eigenen „Blase“ zu?
Das Buch ist ganz sicher ein engagierter und faktenreicher Beitrag zur Diskussion über die Zukunft der amerikanischen Gesellschaft. Ob dabei der zentrale Begriff des „Traumas“ im engen psychopathologischen Sinne durch die Jahrhunderte trägt oder eher als eine Metapher für ein ganzen Bündel von sozialpsychologischen Dynamiken steht, ist letztlich zweitrangig.

Corona-Impfung: Precht und Wagenknecht auf dem Holzweg?

Ich bin selbst überrascht, dass mich das Corona-Thema nochmal aufrüttelt. Aber ich ärgere mich gerade – über die aktuelle Impf-Diskussion und wie einige Menschen sie führen. Dabei geht es mir nicht um die Ignoranten und Spinner (da kann man sowieso nichts machen), nicht um einzelne Promi-Sportler (die interessieren mich persönlich nicht), sondern um öffentliche Personen, die durch ihr politisches oder intellektuelles Wirken eine gewisse öffentliche Orientierungs-Funktion gewonnen haben.
Grundlage für meine Ausführungen sind der Auftritt von Sarah Wagenknecht bei Anne Will (am 31.10.) und der Lanz/Precht-Podcast (vom 29.10.).

In beiden Auftritten wird ein “öffentlicher Druck” beklagt, der in steigendem Umfang auf Impf-Unwillige ausgeübt werde. Dies sei (hauptsächlich) aus folgenden Gründen inakzeptabel:
– es gäbe keine rechtliche Grundlage für eine Verurteilung dieser Menschen
– die Entscheidung betreffe nur das eigene Gesundheitsrisiko
– die Ungewissheit bzgl. der Langzeitfolgen neuer Impfmethoden sei nachvollziehbar

Der erste Punkt ist schnell abgearbeitet: Es gibt keine Impfpflicht; wer sich nicht impfen lassen möchte begeht keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit. Fertig.

Die zweite These kann so nicht stehen bleiben.
Einmal ist es erwiesen, dass eine geimpfte Person auch im Falle einer Infektion weniger ansteckend für andere ist. Damit ist der persönliche Schutz auch ein Akt der Solidarität.
Das Risiko einer eigenen Erkrankung nicht durch eine Impfung zu minimieren hat aber noch viel weitergehende gesellschaftliche Auswirkungen: Die Covid-Behandlungen verursachen täglich enorme Kosten (von denen kaum jemand spricht), belasten die Mitarbeiter/innen in den Krankenhäusern bis an die Schmerzgrenze und verhindern die angemessene und zeitnahe Behandlung andere Krankheitsfälle. All das wäre vermeidbar!
Sich dagegen zu sperren, stellt m.E. eine beklagenswerte Übersteigerung eines individuellen Freiheitsbegriff dar – der sich selbstverständlich darauf verlässt, dass andere (die Allgemeinheit) die Folgen tragen.
Es stimmt, wir lassen es auch zu, dass Menschen auf anderen Wegen ihre Gesundheit ruinieren und damit das Gesundheitssystem belasten. Aber es gibt einen qualitativen Unterschied zwischen individuellem Fehlverhalten (beim Essen, Trinken und bei der Bewegung) und dem Verhalten in einer Pandemie: Der liegt in der klaren Abgrenzung zwischen ja und nein. Es geht nicht um die Komplexität einer individuellen Lebensführung, sondern um einen Piks.

Kommen wir zu den Langzeitfolgen.
Es ist erschreckend, dass ein Berufs-Logiker wie Precht auf einem Auge blind ist. Zwar führt er an, dass man ja kurz nach der Einführung einer neuen Impfstoff-Technik späte Schädigungen vom Prinzip her nicht ausschließen könne. Er tut aber so, als ob die Wissenschaft keine Ahnung davon hätte, was da alles durch die neue Methode im menschlichen Körper passiert bzw. passieren könne. Er hat offensichtlich nicht verstanden, dass der mRNA-Wirkstoff nur deshalb funktioniert, weil man dessen Funktionsweise eben ganz genau kennt – und eben auch dessen Verhalten und Auswirkungen nach der Impfung (der Stoff wird nämlich – genauso wie die natürlich vorkommende RNA – kurzfristig abgebaut). Das, was da mit dem Virus passiert, weiß man, plant man, sieht man.
Es erscheint wie ein magisches Denken, eine Art grundsätzliche Wissenschaftsskepsis zu sein, alles was irgendwie “genetisch” ist, mit einem Misstrauen zu versehen. Wenn aufgrund der (gründlich) erforschten und verstandenen Prozesse klar ist, dass die Erbinformationen auf der DNA nicht verändert werden (können) – warum sollte man das mehr bezweifeln als alle anderen High-Tech-Medizin (der man sich bei Bedarf gerne anvertraut)?
Precht sagt (mehrfach), dass er Kinder nicht impfen lassen würde, weil deren Immunsystem ja noch “im Aufbau” wäre. Hat er sich wirklich damit befasst, was ein mRNA-Wirkstoff mit der generellen Entwicklung eines Immunsystems zu tun hat? Ich bezweifle das sehr.

Kurz gesagt: Mich ärgert, wenn Menschen mit einem öffentlichen Renommee sich anmaßen, ihre persönliche Meinung mit einer (zweifelhaften) medizinischen Argumentationen zu vermischen und zu begründen. Auch die bekundete relative Gewichtung von individueller Freiheit und gesellschaftlicher Solidarität/Verantwortung finde ich bedenklich.
All das ist natürlich erlaubt – so wie fast alle Meinungsäußerungen. Aber es ist für mich enttäuschend.