Ich bin am Tag der sog. Unabhängigkeitserklärung des katalonischen Parlaments zufällig vor Ort, auf Besuch bei einer Freundin. In einem kleinen Dorf in der Nähe von Girona, der zweitgrößten Stadt Kataloniens.
Wir verfolgen den ganzen Tag gespannt die Nachrichtenlage. Dann passiert es: Die beiden Parteien fahren die größten Geschütze auf – ab sofort ist alles möglich. Der Zug hat sich in Bewegung gesetzt; besser: Zwei Züge nehmen Fahrt auf, aufeinander zu, auf einer eingleisigen Strecke.
Betrifft mich das? Werde ich wie geplant in der nächsten Woche nach Hause fliegen können? Wird meine Freundin das Land verlassen müssen, weil deutsche Jugendämter in dieser Situation keine Maßnahmen mehr verantworten können?
Was ist mit den Menschen hier? Gestern machte ich einen Spaziergang, eine Stunde nach Verkündigung der Ablösung von Spanien. Die Leute strichen ihre Haustüren und reparierten ihre Autos. Die katalonischen Fahnen hängen müde an manchen Häusern. War was?
Alle Leute verlassen sich darauf, dass ja nichts Ernstes passieren kann. Das Leben muss doch weitergehen. Der Alltag ist doch stärker als die Politik. Hat jemand ein Gefühl dafür, dass man gerade mutwillig eine insgesamt gute und friedliche Lebenssituation aufs Spiel setzt? Größtenteils, um einer vagen Idee, einem diffusen Freiheitsgefühl nachzujagen? Man vergleicht sich in einer naiven Realitätsverzerrung mit Situationen und Menschen, bei denen es wirklich etwas ging oder geht. Um Unterdrückung, Not, Perspektivlosigkeit.
Für mich ist es unverständlich. Und verantwortungslos. Ich freue mich, dass gerade die Sonne aufgeht. Ich hoffe auf den Sieg der Vernunft. Überall. Und ich hoffe auf eine problemlose Heimkehr in der nächsten Woche.