10.04.2020

Corona – alles klar?

Es ist schon erstaunlich, besser gesagt höchst irritierend, dass die Einschätzungen zu der Corona-Pandemie noch in dieser Woche so stark auseinanderdriften.

Ich habe gerade mal die beiden LANZ-Sendungen der letzten zwei Tage nachbetrachtet.
Während Lauterbach vorgestern weiterhin darauf hinweist, dass wir noch monatelang mit einem hohen Risiko leben müssten (u.a. weil 99% der Bevölkerung noch keine Immunität hätten), stellten am Tag danach ein Hamburger Pathologe und ein Virologe dar, dass es praktisch keine Todesfälle ohne massive Vorerkrankung gäbe, die Immunität möglicherweise schon bei ca. 15% liegen könnte und die Sterblichkeit deutlich unter 1% liege. Was bedeuten würde: Eigentlich müsste sich kein halbwegs gesunder Mensch Sorgen um sich machen. Der Gipfel ist dann die Prognose, dass die Corona-Toten am Jahresende statistisch überhaupt nicht ins Gewicht fallen würden.
Und kurz vorher wurden riesige Massengräber in New York gezeigt.

Das soll nun der Wissensstand nach sechs bis acht Wochen intensivster Diskussion sein?
Lässt sich das noch auf eine gemeinsame “Wahrheit” zusammenführen?
Könnten denn – trotz all der dramatischen Bilder – immer noch diejenigen Recht behalten, die vor einer riesigen Dramatisierung warnen?

Ich habe eine Vermutung, wie sich diese Widersprüche irgendwann auflösen könnten. Letztlich wird es darum gehen, wen man als Corona-Toten zählt und wie man dann diese Zahl interpretiert.
Ich stelle mir das so vor: Würde man von den Sterbefällen alle die Menschen herausrechnen, bei denen der Corona-Virus sozusagen nur die letzten 10 oder 20 Prozent zu einem tödlichen Verlauf einer schweren Grunderkrankung “dazugetan” hat, wird man vermutlich zu weniger dramatischen Ergebnissen kommen.

Es ist denkbar, dass man irgendwann den Virologen und den Politikern vorwerfen wird, diese Zusammenhänge bewusst verschleiert zu haben, um den gesellschaftlichen Konsens herzustellen, der zur Durchsetzung der Einschränkungen notwendig war.
Ich bin gespannt auf diese Diskussion.

Thea Dorn hat auf ZEIT-online darauf hingewiesen, dass ein Teil der intensivmedizinischen Behandlung von alten Menschen wohl auch von dem fast “zwanghaften” Bedürfnis getragen werde, den Tod um jeden Preis aus unserem Leben zu verbannen. Oft bedeutet dies letztlich eine Verlängerung des Sterbens.

Ich sehe nicht zuletzt in der Diskussion um die Sterbehilfe (ein Grundsatzurteil ist vor wenigen Wochen ergangen) einen wichtigen Beitrag zu einer Veränderung.
Das Ziel könnte heißen: Sterben in Würde – auch wenn es ein paar Monate früher sein sollte, als es bei Einsatz aller Medizintechnik passiert wäre.

Wo sind die Interviews mit alten Patienten, die sich – im Falle einer Corona-Infektion – aus freien Stücken gegen eine Intensivbehandlung entscheiden würden? Gibt es diese Menschen nicht oder haben sie keine Lobby – weil die ganze Gesellschaft auf “Leben retten” gepolt ist?

Alles klar mit Corona? Offensichtlich nicht!

09.04.2020

Ostern

Ich bin ein sehr säkularer Mensch: Ich habe nichts geben Religionen oder Gläubigkeit; ich gehe nur recht selbstverständlich davon aus, dass die gelebte Religiosität eher im Privaten stattfindet – und eben nicht im öffentlichen Raum. Ganz einfach deshalb, weil wir einen weltanschaulich “neutrales” Gemeinwesen sind und die Zugehörigkeit zu christlichen Religionsgemeinschaften nicht (mehr) die selbstverständliche Normalität darstellt.

Das spricht natürlich nicht dagegen, dass an den höchsten christlichen Feiertagen auch in den normalen Nachrichtensendungen über die entsprechenden Rituale berichtet wird. Alles kein Problem.

Was mich irritiert: Dass ein – der Liberalität verpflichtetes – großes Wochenblatt wie Die ZEIT vor Ostern (genauso wie vor einigen Monaten anlässlich des Weihnachtsfestes) in Teilen zu einer Art Besinnungsblatt wird und so tut, als ob religiös-spirituelle Betrachtungen ein Teil des journalistischen Auftrages und Selbstverständnisses wären. Als würden sich die Leser – jeweils passend zu den Feiertagen – plötzlich an ihr christliches Erbe erinnern und in den Schoß von Mutter Kirche zurückkehren wollen.

Ich will das nicht zu groß machen; es ist nur eine Beobachtung (es betrifft ja auch nur einen kleinen Teil der Artikel).
Für mich macht es aber einfach einen Unterschied, ob über Kirche und Religion berichtet wird, oder ob der Leser direkt als “bekennender Christ” angesprochen wird.
Das kann man ja machen, in einer konfessionellen Zeitung.
In der ZEIT hätte ich es lieber etwas neutraler, weniger vereinnahmend.

08.04.2020

REZO

Die meisten werden sich an REZO erinnern, den You-Tuber, der im letzten Jahr die gesamte Politik durcheinandergewirbelt hat. Viele Millionen haben sein provokantes Video über die CDU-Klimapolitik angeschaut und vermutlich hat das auch Einfluss auf das Ergebnis der Europa-Wahl gehabt.

Was aus ihm geworden ist?
Er schreibt in unregelmäßigen Abständen Kolumnen auf ZEIT-online. Seine Texte sind durchweg anregend, nachvollziehbar argumentiert, differenziert und abgewogen. Natürlich ist es “Meinungs-Journalismus” (und keine neutrale Information), aber das wird ja nicht versteckt und das darf natürlich auch sein.
Es ist mit Sicherheit nicht der schlechteste Kommentator, der sich da aus der Alternativ-Ecke in ein seriöses Mainstream-Medium hervorgearbeitet hat.
Und es ist bestimmt nicht die schlechteste Idee der Zeit, sich in dieser Form zu öffnen.

Hier mal ein Beispiel (ich weiß nicht, wie lange dieser Link funktionieren wird…).

05.04.2020

Trump und Corona

Es ist schwer auszuhalten, was da in den USA passiert:
Da blamiert sich ein – sowieso mehr als peinlicher – Präsident vor der gesamten Weltöffentlichkeit durch seine unfassbare Ignoranz gegenüber der schon klar sichtbaren Bedrohung. Da entlarvt sich ein System, das der öffentlichen Infrastruktur nur eine minimale Bedeutung zumisst – weil alles Augenmerk dem privaten Reichtum gilt.
Da schnellen – folgerichtig – die Infektions- und Opferzahlen genauso in die Höhe wie die Arbeitslosenquote.

Und dann muss dieser Präsident nur eine paar martialische Sprüche loslassen, eine Art Kriegserklärung verkünden, an den Nationalstolz appellieren und Dollars verteilen. Und schon liegt ihm ein Großteil der amerikanischen Nation zu Füßen.
Dem Gegner, den er gerade noch als irrelevant verhöhnt hat, tritt er jetzt als größter Feldherr aller Zeiten entgegen und die Nation guckt gebannt auf den bösen Feind – und nicht auf die Schwächen des Systems und der Regierung.

Irgenwie erscheint es nicht wirklich schwer, dieses Land zu regieren. Selbst ein Trump scheint auf den ersten Blick dazu in der Lage zu sein.

Es ist schwer auszuhalten…

04.04.2020

Wie sich die Maßstäbe verschieben…

Man stelle sich mal vor, was vor einigen Wochen los gewesen wäre, wenn ein Vertreter der Führungsriege der AfD laut über eine Teilung der Partei nachgedacht hätte.
Die Talk-Show-Themen für mindestens eine Woche wären gesetzt gewesen. Jetzt bleibt es bei einem kurzen Aufhorchen…

Der Gedanke von Meuthen ist ja durchaus nachvollziehbar: Würde der rechte Rand der AfD eine separate Partei bilden, könnte sich der Rest als “bürgerlich-konservative” Ergänzung am rechten Rand der CDU etablieren und käme demnächst für Koalitionen in Frage. Die rechtsradikalen “Schmuddelkinder” wäre man auf eine elegante Weise los.
Wenn die AfD wirklich diese – selbst behauptete – “Bürgerlichkeit” hätte, müsste dieser Weg eigentlich sehr attraktiv sein.

So einfach ist es aber nicht:
Die ganz Rechten werden sich mit Zähnen und Klauen dagegen wehren, durch diese Trennung in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen.
Die halbwegs seriösen Konservativen müssten wohl damit rechnen, von der CDU/CSU aufgesogen zu werden. Sie könnten wohl ihren Wählern nur schwer vermitteln, warum man die Union schwächen sollte, um nur ein “bisschen” konsequenter konservativ zu sein.
Dazwischen vermute ich noch eine dritte, keineswegs kleine Gruppierung: Es sind genau die AfD-ler, die sich ganz bewusst nicht von den rechten Rändern distanzieren möchten – weil sie mit ihrer Ideologie sympathisieren und deren Polemik bzw. Demagogie für die Mobilisierung von Wählern weiter nutzen wollen.

Und deshalb – so vermute ich – wird es diesen möglichen “Beweis” für den bürgerlichen Kern dieser Partei (in Form einer Spaltung) nicht geben.

Aber das alles wird im Moment kaum jemanden interessieren.
Es gelten eben andere Maßstäbe…

02.04.2020

Ein echter Aufreger: Wer soll demnächst bevorzugt (bzw. benachteiligt) werden, wenn die Beatmungsgeräte knapp werden?

In der Theorie ist diese Frage eine tolle Spielwiese für Theologen, Moral-Philosophen, Medizin-Ethiker oder Verfassungsjuristen. Ich der Praxis geht es schlichtweg um Leben und Tod – durchaus mit einiger Wahrscheinlichkeit demnächst auch in Deutschlands Kliniken.

Was man nicht alles ins Feld führen könnte: Abstrakte Prinzipien (die sich durchaus widersprechen können), medizinischer Pragmatismus (der im Einzelfall als willkürlich hinterfragt werden könnte), den gesunden Menschenverstand (der oft hilfreich, manchmal aber auch gefährlich sein kann)…

Weil man sich vor lauter Widersprüchen, einem Ethik-Fundamentalismus und einer (potentiellen) juristischen Angreifbarkeit letztlich nicht traut, überhaupt eine Position zu beziehen, wird von einigen das Losverfahren vorgeschlagen.
Kann das richtig sein?!

Was würde das bedeuten? Weil man z.B. das Kriterium „Alter“ nicht anwenden dürfte (grundgesetzwidrig?), könnte der Konflikt zwischen zwei Patienten mit „vergleichbarer Prognose“ durchaus zu Gunsten eines 80-jährigen und zu Ungunsten eines 50-jährigen ausgehen – weil das Los so entschieden hat. Will man das? Will das eine Gesellschaft? Will das der 85-jährige?

Natürlich hoffen wir alle, dass es so weit nicht kommen wird. Aber das ist wirklich nur eine Hoffnung.
Habe ich denn einen Vorschlag, der besser ist als das Los?

Nun, ich bin absolut dafür, den Heilungschancen eine große Bedeutung einzuräumen. Es wäre unverantwortlich, wenn aus Angst vor Entscheidungen letztlich mit intensivmedizinischem Aufwand das Sterben von schwerkranken und sehr betagten Menschen verlängert würde und gleichzeitig Menschen mit Aussichten auf ein langes gesundes Leben dafür den Preis bezahlen müssten.

Meine Hoffnung: Vielleicht wird es ja überraschend viele Menschen geben, die bei einem dramatischen Engpass von Behandlungsmöglichkeiten selbst eine Entscheidung fällen. Was  spräche dagegen, dass diejenigen, die zu solchen Überlegungen noch fähig sind, ihre Patientenverfügungen in diesem Sinne aktualisieren? Will wirklich jeder vorerkrankte Mensch 80+, der das Pech einer Corona-Infektion und dadurch eine schwere Lungenentzündung hat, um jeden Preis eine extrem belastende mehrwöchige intensivmedizinische Beatmung in Anspruch nehmen? Selbst wenn im Zweifelsfall z.B. ein 20 Jahre jüngerer Mensch dafür sterben müsste? Sollte man sie nicht vorher fragen, Ihnen Selbstbestimmung zutrauen?

Darüber wird unsere Gesellschaft vielleicht in einigen Wochen (oder Monaten) sprechen müssen. Ich hoffe, das passiert auch. Besser Tabus brechen als unvorbereitet auf eine Tragödie zulaufen.

(Falls jemand denkt, ich weiß nicht wovon ich rede und stelle mir grundsätzlich das Leben von alten Menschen als nicht lebenswert vor: Meine Mutter ist 94 geworden und hat die überwiegende Zeit jenseits der 80 noch genossen).

01.04.2020

Heute war wieder einer dieser Tage, an denen ich Corona fast vergessen konnte, so ganz persönlich. Dann lade ich mir abends die neue ZEIT herunter und bekomme wieder die volle Dröhnung.

Was für ein Wechselbad!

Irgendwie schleichen wir uns alle durch eine Katastrophe, von der wir immer noch nicht wissen, wie dramatisch sie ausfallen wird und ob wir selbst betroffen sein werden (vermutlich etwa mit 50% Wahrscheinlich).

Was wir zumindest ahnen: Andere Teile dieser Welt werden sehr viel stärker leiden. Und es wird völlig unrealistisch sein, dort auch nur einen Bruchteil der Maßnahmen zu ergreifen, die hier doch vieles abfedern.

Es werden sich noch viele Fragen stellen, in den nächsten Monaten und Jahren. Auch nach der Verteilung von Reichtum und Ressourcen. Fragen, die schon immer ihre Berechtigung hatten, jetzt aber eine unüberhörbare Aktualität bekommen werden.

Vielleicht sind wir urplötzlich in die dynamischte Phase der jüngeren Geschichte geraten. Anders als erwartet weder wegen der Klimakrise (die man ja so gut verdrängen konnte) noch wegen der Digitalisierung. Es wird der Virus sein, der alles kräftig durcheinander schüttelt.

Wir erleben Geschichte – live und in Farbe. Und wir spielen alle mit. Die Rollen sind noch nicht alle verteilt. Aber eins ist klar: Wir sind alle Statisten!

“Nemesis” von Philip Roth

Einer der ganz großen amerikanischen Autoren hat etwas über eine Epidemie geschrieben. Nein, kein Grippe-Virus. Es geht um Kinderlähmung (Polio), die während des 2. Weltkrieges u.a. in den USA wütete. Damals gab es noch keinen Impfstoff.
Sind das nicht genug Gründe, sich diesem Werk mitten in der Corona-Krise zu widmen?! Und das Ganze für deutlich unter 10 € (als E-book)!

Es ist kein kompliziert gewebter Plot, der da ausgebreitet wird. Ein junger engagierter Lehrer betreut während der Sommerferien den Sportplatz einer Großstadt. Es ist unerbittlich heiß. Die Kinder mögen ihn und er mag die Kinder.
Aber die Idylle währt nicht lange: ein – oft auch tödlicher – Virus breitet sich aus und bringt die Kinderlähmung speziell in das betreffende Stadtviertel.
Beschrieben wird die unglaubliche Trauer, Wut und Verzweifelung, die das tragische Geschehen bei dem Protagonisten auslöst.
Der Lehrer hat auch ein Privatleben, ein hoffnungsvolles zudem. Und doch führt gerade diese – vermeintliche – Glücksperspektive letztlich zu schicksalhaften Verstrickungen, aus denen er sich nie wieder befreien kann…

Natürlich steht die konkrete Geschichte letztlich nur exemplarisch für einige (existentielle) Grundthemen, die nicht nur Roth umtreiben, sondern sehr viele Menschen zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Kontexten:
– Kann man jemanden (z.B. Gott) verantwortlich machen für das so offensichtlich sinnlose und ungerechte Leid?
– Wie weit geht die individuelle Verantwortung und moralische Pflicht zur Hilfeleistung (und wann darf man seinem persönliches Glück die Priorität einräumen)?
– Kann und darf man sich selbst verzeihen, wenn man Schuld auf sich geladen hat (oder das zumindest nahe liegt)?

Dem Schreibstil von Roth merkt man die Schwere dieser Themen kaum an.
Er schreibt geradeheraus, in einer einfachen Sprache. Er ist nahe an den Figuren, nahe am Alltag. Es liest sich irgendwie unspektakulär, wie das normale Leben.
Und trotzdem (oder gerade deswegen?) fesselt einen dieses Buch nach wenigen Seiten. Das Buch bleibt nicht lange liegen, man will es zu Ende lesen.

Für der Wirkung des Buches spielt es überhaupt keine Rolle, dass es in längst vergangenen Zeiten spielt. Alles ist nachvollziehbar, nachfühlbar.
Man spürt vielleicht, dass es mehr Förmlichkeit, mehr Prinzipien, mehr Disziplin gab.
Aber die menschlichen Grundfragen bleiben gleich.
Deshalb veraltet gute Literatur nicht; deshalb ist es letztlich egal, ob die Geschichten in historischen oder Zukunftsszenarien spielen.

Nein, Nemesis es ist kein Corona-Buch. Aber es gibt Bezüge. Auch wir haben in diesen Zeiten Anlass, uns Fragen zu stellen, die über unseren Alltags-Tellerrand hinausgehen.
Roth lädt uns dazu ein. Auf eine vielleicht etwas “altmodische” Weise. Aber er berührt uns.

Was will man mehr?!


31.03.2020

In eigener Sache

Meine neuer Blog ist (erstmal) fertig; endlich!
Das muss für heute reichen; mehr Bildschirm-Arbeit ist nicht sinnvoll.

Infos zu den Veränderungen gibt es hier. Neu ist nicht das Erscheinungsbild, wohl aber der Aufbau und die Nutzbarkeit. Schaut mal bei den Büchern oder bei der Politik.
Die meisten von euch haben dazu auch eine separate Nachricht bekommen