“Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen” von J.B. MacKINNON

Bewertung: 5 von 5.

Dieses Nachhaltigkeits-Sachbuch ist in einer Weise klug, tiefgründig, unaufgeregt und informativ, dass sich bei mir tatsächlich so etwas wie echte Begeisterung eingestellt hat.
Ich stelle hier eine uneingeschränkte Leseempfehlung vor.

Der Autor, ein preisgekrönter kanadischer Journalist, geht in diesem Buch der Frage nach, was eigentlich wirklich passieren würde, wenn es einen deutlichen Einbruch (um ca. 20%) im Konsumverhalten unserer kapitalistischen Welt (bzw. einzelner Länder) geben würde.
Dass wir eine solche (kräftige, aber letztlich doch maßvolle) Umkehr unserer Wachstumswirtschaft brauchen, um den großen ökologischen Herausforderungen auch nur halbwegs gerecht zu werden, steht für ihn (und für viel andere Experten) völlig außer Frage.
Das Problem ist nur: Es gibt kaum realistische Rezepte oder gar Modelle für eine solche radikale Umsteuerung. Die kapitalistische Wachstumslogik ist so unlösbar mit unserer Art so wirtschaften, Wohlstand zu erschaffen bzw. zu verteilen und mit unserem gesamten Lebensgefühl verwoben, dass der oft zitierte Spruch: “Man kann sich eher das Ende der Welt vorstellen, als das Ende des Kapitalismus” kaum übertrieben erscheint. Statt “Kapitalismus” könnte man auch “Konsumieren” sagen.
Selbst Bürger und Entscheider, die sich eine Schrumpfung vorstellen, wünschen und diese sogar für unverzichtbar halten, verzweifeln angesichts der zu erwartenden Aussichten auf Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Wohlstandsverlust.
Wir scheinen in einer ausweglosen Sackgasse zu stecken.

MacKINNON lässt sich davon nicht abschrecken. Er nimmt die Spur auf und erkundet das Gelände Schritt für Schritt. Als Ausgangspunkt bietet sich dabei die Corona-Pandemie mit ihren weitgehenden Lockdown-Phasen an: Zum einen hat es tatsächlich einen sehr plötzlichen Einbruch des Wirtschaftslebens und Konsumverhaltens gegeben, zum anderen ist aber auch für viele Menschen ein unmittelbarer Eindruck entstanden, welche positiven Erfahrungsmöglichkeiten mit einem Abbremsen verbunden sein könnten: Ein blauerer Himmel, leere Straßen, mehr Zeit für Familie, Freunde, Hobbies und Muße. Viele haben die Unterbrechung des Hamsterrades von Arbeit und Konsum als Chance zur Selbstbesinnung erlebt.

Der Autor spricht mit Fachleuten, besucht Produktionsstätten, Aussteiger und besondere Orte, in denen sich bereits eine – meist unfreiwillige “Schrumpfung” vollzogen hat.
Vertiefende Einblicke erhalten wir z.B. in die skandalöse Fehlentwicklungen der Wegwerf-Mode, der abstrusen Klimatisierungs-Standards und der extrem gesteigerten Lichtüberflutung unserer Zivilisation.
MacKINNON führt uns das Leben in Ecuador vor, weil dieses Land ziemlich genau das Wohlstandsniveau hat, das sich die Menschheit im Durchschnitt leisten könnte, um im Gleichgewicht mit den Ressourcen unseres Planeten zu leben.
Besonders informativ und ermutigend sind Beispiele von Unternehmen, die sich bereits von selbst (aus Tradition oder aus Klimabewusstsein) von der Wachstumslogik verabschiedet haben, und sich auf langlebige, hochwertige Produkte konzentrieren.

Es ist ein extrem facettenreiches Bild, das vom Autor gemalt wird. Das betrifft nicht nur die inhaltlichen Themen, sondern auch die Art der Vermittlung. MacKINNON ist kein Fanatiker, er missioniert nicht, er schwingt nicht die Moralkeule (die ja von so vielen Leuten gefürchtet wird). Er wägt ab, guckt sich beide Seiten der Medaille an, verschweigt nicht die Probleme und Risiken einer Umsteuerung. Sein Schreibstil ist ruhig und klar; er nimmt sich Zeit.
Auch die psychische Seite des Konsums bzw. des Konsumverzichts wird betrachtet: Werden Menschen wirklich bereit sein, sich für andere Aspekte von Lebensqualität zu öffnen, wenn sie ihren Selbstwert und ihren Lebenssinn nicht mehr so stark materiell definieren können? Kann man darauf vertrauen, dass die Transformation freiwillig erfolgen wird – oder braucht es die großen strukturellen Vorgaben?

Es gelingt dem Autor in diesem Buch sehr gut, die anfängliche emotionale Reaktion der meisten Leser: “Das geht sowieso nicht, mit dem Verzicht auf den Konsum” zu relativieren. Nach und nach wird deutlich, dass es nicht um ein “Alles oder Nichts” gehen muss, sondern um ein Zurückdrehen der Wachstums-Exzesse der letzten Jahrzehnte. Aus dem unvermeidbar erscheinenden “Zusammenbruch der Zivilisation” entwickelt sich allmählich ein Bild der Neubesinnung auf ein “menschliches” Maß, in dem bewusster, weniger, nachhaltiger und im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft konsumiert wird. Wir werden eingeladen, uns ein neues Gleichgewicht von Bedürfnissen und Konsum vorzustellen: Zufriedenheit könnte sich einfach dadurch einstellen, dass man lernt, weniger zu wollen – statt sich von einer Multimilliarden-Werbeindustrie immer neue Bedürfnisse einreden zu lassen.

Gegen Ende wirft MacKINNON einen Blick auf eine Jäger/Sammler-Gesellschaft, die ein extremes Gegenmodell zu dem aktuellen Wachstumswahn darstellt.
Doch das ist nur ein Denkanstoß.
Die besondere Qualität dieses Buches liegt gerade darin, dass es nicht um Utopien oder einen Kulturbruch geht. Der Autor holt die ökologische Notwendigkeit der Transformation in eine Post-Wachstums-Welt aus dem Abstrakten ins Konkrete. Und sich auf diesen Prozess einzulassen, tut überhaupt nicht weh – macht aber nachdenklich und ganz sicher auch klüger.
Ein fantastisches Buch, das mit Sicherheit nachwirkt…

2 Antworten auf „“Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen” von J.B. MacKINNON“

  1. Das “hört” sich sehr anregend an. Ich werde dieses Buch und deine Besprechung liebend gerne weiterverarbeiten. Danke für dein “Vor-Lesen”!

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