“Du wirst diesen Tag überstehen. Und Morgen auch.” von Daniel HOWELL

Bewertung: 4 von 5.

Dies ist ein Lebenshilfe-Ratgeber der besonderen Art.
Der Autor kommt nicht aus der Psycho-Welt, sondern hat dieses Buch als Betroffener (mit einer schwierigen homosexuellen Biografie) geschrieben. Ein entscheidendes Motiv für dieses Projekt liegt aber wohl in der Popularität HOWELLs begründet: Er ist als YouTuber, Moderator, Comedian und Blogger in seiner Szene ein Star (über 6 Millionen Abonnenten bei YouTube) und nutzt diese Reichweite dafür, Krisenhilfe für ein Publikum verfügbar zu machen, für das übliche Ratgeber-Literatur zu altbacken oder spießig daherkommt.

Zunächst lässt sich festhalten, dass die beschriebenen Methoden und Strategien fachlich fundiert und seriös sind. Hier hat nicht irgendein Freak eine eigene Theorie entwickelt – vielmehr hat HOWELL etablierte Konzepte aus der “Kognitiven Verhaltenstherapie”, der “Akzeptanz- und Commitment-Therapie” und der auf Selbstfürsorge orientierte “Compassion-Focused Therapy” in seinen besonderen Kontext gestellt. auch Aspekte der “Positiven Psychologie” fließen ein.

Das zentrale Element dieses Buches ist die persönliche Ansprache seines Publikums. Die zentrale Botschaft: “Ich bin einer von euch. Ich bin nicht perfekt – ihr müsst es auch nicht sein. Ich habe das alles selber durchgemacht, kenne (fast) alle Tiefpunkte des Lebens. Aber es gibt Hoffnung und Hilfen.”
Schon durch die biografische Einleitung des Buches schafft der Autor eine sehr persönliche Atmosphäre und schafft so etwas wie eine Grundlage zur Solidarität. Damit erreicht er, dass sich kein Betroffener irgendwie klein oder minderwertig fühlen muss – egal ob es um Depressionen, Ängste, Identitätsprobleme oder Arbeitsstörungen geht.
Nicht zu vergessen: HOWELL ist Comedian und spielt daher auch die Karte des Humors – gerne durch ins Absurde überspitzte Formulierungen.

Inhaltlich gliedert HOWELL sein Buch nach der zeitlichen Perspektive: Zunächst geht es um Strategien, die eine akute Krise bewältigen sollen (“Dieser Tag”). Dann wird es schrittweise langfristiger: “Morgen” und “Die Tage danach”. Es geht um Dinge wie Atem- und Achtsamkeitsübungen, Entspannung, soziale Unterstützung, Aktivierung, Tagestruktur, Stimmungsbeeinflussung, Umgebungswechsel, Selbstfürsorge, usw.

Eingebettet werden die sehr konkreten Handlungsvorschläge in eine allgemeine Aufklärung über die grundlegenden Prozesse bzw. Mechanismen, die im Zusammenhang mit psychischen Symptomen oder Ausnahmezuständen stehen. Die wichtigsten psychischen Störungen und ihre möglichen Ursachen werden auf eine sachliche und deeskalierende Weise erklärt: Hier ist deutlich das Ziel zu erkennen, durch Sachinformationen (z.B. über Panik-Attacken) zu einer Beruhigung beizutragen.

Positiv ist anzumerken, dass der Autor alles versucht, negative Kreisläufe zu verhindern: Wo immer es geht, entlastet er seine Leserschaft von Selbstvorwürfen und Schuldzuweisungen im Zusammenhang mit den entstandenen Problemen. Immer wieder bietet er Alternativen zu “dysfunktionalen” (schädlichen/belastenden) Gedanken und Konzepten an. Er nutzt seine eigenen Erfahrungen, um daraus Zuversicht und Ermutigung abzuleiten. Vor allem aber redet er die Belastungen seiner Leser/innen nicht klein.
Und noch etwas zieht sich durch das gesamte Buch: HOWELL weist immer wieder auf die Möglichkeit und den Nutzen einer professionellen (therapeutischen) Unterstützung hin.

Natürlich sind die Grenzen von Selbsthilfe-Literatur auch in diesem Buch zu spüren: So schlau und alltagskompatibel auch immer die Vorschläge sein mögen (“Mach am besten das….”) – die Lücke zwischen Lesen und Umsetzen wird gerade in psychischen Krisen oft unendlich groß erscheinen. Irgendwann könnte sich dann – trotz aller Niedrigschwelligkeit – ein Gefühl von Hilflosigkeit und Versagen einstellen (“Ich krieg ja gar nichts davon hin…”).
Dem Autor sei aber zugestanden, dass er eine Menge dafür tut, dieser Gefahr vorzubeugen. Seine Ansprüche und Erwartungen an seine Zielgruppe sind sehr gemäßigt – niemand muss sich schämen, irgendetwas nicht gut genug zu sein. Auch die Aufforderung zu einem naiven “Positiven Denken” unterbleibt glücklicherweise.

Auch wenn man vielleicht eine andere Strukturierung vorgezogen hätte, man bestimmte Methoden vermisst oder den persönlichen Bezug manchmal etwas übertrieben empfinden sollte: Das große Verdienst dieses Buches ist es zweifellos, die psychologische Selbsthilfe einer speziellen Zielgruppe auf eine sehr sensible und motivierende Art nahe zu bringen.
Das bedeutet auf der anderen Seite allerdings auch, dass der auf seine Community ausgerichtete Stil für ein etwas älteres bzw. gesetzteres Mainstream-Publikum nicht gut passt. Aber das ist ganz sicher auch so gewollt.

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