“Being Human” von Lewis DARTNELL

Bewertung: 4 von 5.

Menschliche Geschichte aus verschiedenen Perspektiven heraus zu beleuchten, ist seit einigen Jahren sehr populär – wie insbesondere der sensationelle Erfolg von HARARIs Weltbestseller (Sapiens) unter Beweis gestellt hat. In diesem Fahrwasser bewegt sich der englische Hochschullehrer (für Wissenschaftskommunikation) und Astrobiologe mit diesem Buch. Diesmal wird die Weltgeschichte aus biologischer Sicht betrachtet.
Der Autor hat Antworten auf die Frage zusammengetragen, für welche der großen und weitreichenden historischen Entwicklungen sich ein direkter Bezug zu bestimmten Merkmalen, Bedürfnissen oder Fehlfunktionen des menschlichen Körpers finden lassen.

Da kommt einiges zusammen!
So betrachtet DARTNELL beispielsweise Auswirkungen der Vitamin-Mangelerkrankung Skorbut auf die militärische bzw. machtpolitische Dominanz der Briten im Zeitalter der Segelschifffahrt. Ausführlich werden die wirtschaftlichen und politischen Folgen der Neigung der Menschen analysiert, ihr internes Belohnungszentrum mit unterschiedlichen Genuss- und Suchtmitteln zu verwöhnen (von Kaffee bis Opium). Die Bedeutung der von den Kolonisten eingeschleppten Infektionskrankheiten für die indigene Bevölkerung beispielsweise auf dem Amerikanischen Kontinent kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden – hier hat die fehlende Immunität gegenüber unbekannten Erregern tatsächlich Weltgeschichte geschrieben. Auch die der Bluter-Krankheit zugrundeliegende Gen-Anomalie hat – angesichts der Neigung der europäischen Königshäuser zu Verwandtenehen – wahrhaft historische Spuren hinterlassen.

Der Autor nimmt sich für seine Darstellungen Zeit: Er taucht tief in die jeweiligen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und militärischen Gegebenheiten ein, richtet den Fokus auf oft übersehene Zusammenhänge und belegt seine Analysen mit oft beeindruckendem Datenmaterial. Aufgrund seiner flüssigen, journalistisch-orientierten Schreibweise folgt man ihm gerne auch in Detailebenen, die man in einem trockenen Geschichtsbuch vielleicht überblättert hätte.

Tatsächlich bekommt man als Lesende/r einen erweiterten Blick auf die Faktoren, die historische Prozesse beeinflusst, gelenkt oder gar ausgelöst haben. Wurde man – zumindest in früheren Jahrzehnten – im Geschichtsunterricht eher auf große Staatenlenker und Heeresführer aufmerksam gemacht, entsteht hier ein völlig anders Bild:
Geschichte besteht (auch) aus einer komplexen Mischung unzähliger “zufälliger” Einflussgrößen. Und ein nicht unbeträchtlicher Teil dieser Wirkmechanismen hat ohne Zweifel etwas mit der biologischen Beschaffenheit der Spezies Mensch zu tun.
Eigentlich banal und selbstverständlich – aber eben oft nicht im Blick.

Im letzten Teil des Buches befasst sich DARTNELL dann noch mit den Besonderheiten des menschlichen Geistes. Er stellt die – inzwischen sattsam bekannten – kognitiven Verzerrungen dar, die unser Urteilsvermögen und unsere Reaktionsweisen auf eine Art mitbestimmen, die oft nicht mehr in unsere moderne Zeit passen.
Es kann bezweifelt werden, ob dieser Abschluss-Schlenker dem Buch gutgetan hat. Er hat nicht die gleiche Tiefe wie die vorangegangenen Kapitel, wirkt ein wenig “angeklatscht”.
Eine Betrachtung, wie die geistige und psychische Bestimmtheit de Menschen sich auf seine Geschichte ausgewirkt hat, wäre wohl ein eigenes (und riesiges) Unterfangen; in dieses Buch passt es jedenfalls nicht so richtig hinein.

Was bleibt ist eine informative, unterhaltsame und detailreiche Lektion in Welt- und Alltagsgeschichte: Unsere Biologie hat sie mitgeschrieben – mehr als wir uns üblicherweise vorstellen können.

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