“Die Kinder hören Pink Floyd” von Alexander Gorkow

Bewertung: 4 von 5.

Der Schriftsteller und Journalist GORKOW war und ist mit diesem Stimmungsbild aus den 70iger Jahren sehr erfolgreich. Trotz des motivierenden Titels hat es ein paar Jährchen gedauert, bis sein Roman mich schließlich erreicht hat.

GORKOW berichtet so authentisch aus der Innensicht eines Kindes, dass der Verdacht einer autobiografischen Färbung nahe liegt. Sein Jahrgang (1966) lässt es problemlos zu, dass die Musik von Pink Floyd tatsächlich seine Kindheit begleitet hat. Allerdings ist der enge Bezug zu den unerreichbaren Stars, deren Musik und Texte im Roman als Ausdruck eines umfassenden gesellschaftlichen Umbruchs empfunden werden, der deutlich älteren Schwester zu verdanken. Einer lebensbedrohenden chronischen Erkrankung ist es zuzuschreiben, dass sie (meist “Kind Nummer 1” genannt) in dieser bürgerlichen Familie ihre extreme Lust an der – kulturellen und politischen – Provokation weitgehend unsanktioniert ausleben kann.
Auch die anderen Familienmitglieder werden durchweg in ihrer Funktion (“der Vater”, “die Mutter”) angesprochen und in ihren typischen Charakteren gezeichnet. Genau wie bei den anderen kindlichen und erwachsenen Figuren werden die Konturen (die kleinen und großen Macken) scharf herausgearbeitet. So ergibt sich der Eindruck, dass die Menschen dieser Zeit irgendwie markanter und eigentümlicher waren, dass es noch mehr echte “Originale” gab.

Das entscheidende Stilmittel dieser zeitgeschichtlichen Milieustudie aus dem Umfeld von Düsseldorf besteht darin, dass GORKOW den bruchstückhaften und ungeordneten Erlebens- und Verständnisfetzen eines 10jährigen Bewusstseins eine Stimme verleiht.
Wir bekommen dabei nicht nur vermittelt, wie sich die genuin kindliche (soziale und schulische) Welt für “den Jungen” darstellt, sondern – was noch viel spannender ist – wie sich die oft fremden und absurden Aspekte des Erwachsenenlebens in seinen Empfindungen spiegeln – und wie er sie zu ordnen und mit Sinn zu versehen versucht.
So entsteht für die Lesenden ein Kaleidoskop von Bildern, Verhaltens- und Sprachmustern, die sich insgesamt zu einem lebendigen und grell ausgeleuchteten Panorama zusammensetzen.

Immer wieder wird deutlich, dass GORKOW nicht nur eine Art “Sittengemälde” der Zeit zeichnen, sondern auch tief in die Kiste der Nostalgie greifen wollte. Genussvoll nennt er immer wieder die Marken typischer Alltagsgegenstände und vertraut darauf, dass diese bei der Leserschaft wohlige Erinnerungen hervorrufen. Das wirkt allerdings in der Häufung ein wenig sehr “gewollt”.
Es lässt sich wohl auch kaum übersehen (und sicher auch nicht vermeiden), dass sich oft in die vermeintlich authentisch-kindliche Wahrnehmung bzw. Bewertung doch die distanzierte rückblickende Reflexion mischt. Damit kann man gut leben.

Es ist ein erfrischender und liebevoller Text, der – eher assoziativ als chronologisch erzählt – ein Gespür auch für kleine Details hat und dabei gerne aus dem Vollem schöpft: Es geht insgesamt eher heftig und deftig zu, in dieser Welt des Übergangs und Umbruchs. So dürfen dann tatsächlich die jeweils neuen Alben von Pink Floyd sogar auf dem heiligen “Thorens” des Vaters abgespielt werden. Da zeichnet sich eine erste Öffnung in der ansonsten festgefügten (spieß)bürgerlichen Weltsicht.

Netterweise erfahren wir im Epilog, warum GORKOW ausgerechnet Pink Floyd die Rolle zugeschrieben hat, als roter Faden durch die Kindheit “des Jungen” zu führen: Der Autor hat sich zu einem extrem leidenschaftlichen Fan entwickelt und die Supergroup ist sogar eine Teil seines journalistischen Lebens geworden (bis hin zur persönlichen Bekanntschaft mit Roger Waters).

Es wurde Zeit, dieses Buch mal endlich zu lesen…

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