“Die spürst du nicht” von Daniel GLATTAUER

Bewertung: 4 von 5.

Der aktuelle Roman des Wiener Journalisten und Autors GLATTAUER wirft ein sehr individuell gesetztes Licht auf die Situation von geflüchteten Migranten, die zwar in einem Wohlstands-Land (in dem Fall Österreich) gestrandet sind, die aber im gesellschaftlichen und privaten Leben nahezu unsichtbar bleiben.

Der Plot schafft einen entlarvenden Kontrast zwischen der etablierten akademischen Mittelschichts-Welt zweier einheimischer Familien und der prekären Lebenssituation einer von zahlreichen Schicksalsschlägen gebeutelten somalischen Flüchtlingsfamilie.
In einen Toskana-Urlaub darf die 14-jährige Tochter(Sophie Luise) der Hauptfigur (einer einer GRÜNEN-Politikerin) ihre somalische Mitschülerin mitnehmen; diese kommt dabei unter uneindeutigen Umständen ums Leben.
Der Roman beschäftigt sich mit den emotionalen bzw. moralischen Konflikten und den medialen, juristischen und politischen Folgen, die mit der Bewältigung dieser Situation für die Politikerin und ihre Familie verbunden sind.

GLATTAUER zeichnet nicht nur ein weitgehend stimmiges (wenn auch überzeichnetes) Psychogramm der beteiligten Personen (insbesondere der beiden Ehepaare, die gemeinsam in der Toskana waren), sondern lässt parallel den Wahnsinn der (sozialen) Medien in sein Buch einsickern: Auf jede Pressemeldung zum Fortgang der Ermittlungen wird eine Serie typischer Online-Kommentare und darauf bezogene Erwiderungen eingearbeitet: das pralle Social-Media-Leben in Bestform.
Auch der juristischen Aufarbeitung des Falles schenkt GLATTAUER seine Aufmerksamkeit – in Gestalt eines Kampfes zwischen David (einem Looser-Anwalt) und Goliath (einem unsympathischen Staranwalt).

Ein separater Handlungsfaden spinnt sich um die Sophie Luise, die sich in ihrem emotionalen Ausnahmezustand in einen mysteriösen Chat-Partner verliebt. Sie gerät in einen Strudel, in dem auch Drogen eine Rolle spielen. Querverbindungen zum Hauptthema des Buches sind nicht ausgeschlossen…

Ohne Zweifel wirkt die Geschichte ein wenig konstruiert; auch der moralistische Zeigefinger ist hin und wieder deutlich sichtbar. Die Nebenhandlung zwischen Tochter und ihrem “Freund” lässt die ein oder andere Frage unbeantwortet.
Trotzdem bietet der Roman eine Menge Stoff zum Mitfühlen und Mitdenken. Er analysiert sehr klar die unterschiedlichen Strategien im Umgang mit einer moralischen Herausforderung und legt wirkungsvoll und gekonnt den Finger in eine gesellschaftliche Wunde: Geflüchtete Menschen leben zwar unter uns, haben aber in den eingespielten Abläufen unseres Alltags und unserer Medien so gut wie keine eigene Stimme.

Ein lesenswerter Roman, der intelligente und tiefgründige Unterhaltung liefert.

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