“Geister” von Nathan HILL

Bewertung: 4.5 von 5.

Auch das kommt vor: Da ist man von einem aktuellen Buch restlos begeistert (“Wellness“), schaut nach, was der Autor sonst noch geschrieben hat – und merkt plötzlich, dass man auch seinen ersten großen Roman schon gelesen (gehört) hat. Die nur noch schwache Erinnerung war ein Anlass, es nochmal zu tun. Eine gute Entscheidung!
HILLs Erstlingsroman (2016) ist gleich ein “großer” geworden: groß im Umfang, groß in der Themenvielfalt, groß in der erzählerischen Handwerkskunst.

Erzählt wird eine Familiengeschichte (bestimmt von Verlassenwerden und Verlust), die Geschichte einer Protest-Generation (die amerikanischen 68iger), die Geschichte vom aktuellen politischen Populismus (der an Trump erinnert) und ganz viele Geschichten von den Absurditäten und Perversionen des – von Zynismus, Gier, Einsamkeit und Sensationsjournalismus bestimmten – “American Way of Life”.

Das Verbindungsglied all dieser Perspektiven ist der Literatur-Dozent, Schriftsteller und Gamer Samuel, in dessen Lebensgeschichte sich die Handlungsfäden nicht nur kreuzen, sondern auch heftig verwirren. Seine früh aus seiner Kindheit verschollene Mutter (Faye) tritt als eine des Terrorismus angeklagte Mediengestalt wieder in sein Leben und führt ihn zu einer sehr persönlichen Achterbahnfahrt durch ihre Biografie.
Diese Konstruktion erlaubt es dem Autor, die amerikanische Zeitgeschichte über zwei Generationen hinweg facettenreich zu spiegeln – und dabei weder politische, noch persönliche Lebensthemen auszulassen.

Es sind keine makellosen oder kraftstrotzenden Figuren, die uns durch dieses prall gefüllte Universum führen – es sind Menschen mit Schwächen und lebensgeschichtlichen Brüchen, dem Scheitern meist näher als dem Erfolg. Genau das macht diesen bis zum Bersten mit Erfahrungen und Emotionen gefüllten Text zu einem intensiven und niveauvollen Leseerlebnis. HILL nimmt sich die Ruhe, einige Nebenfiguren mit der gleichen Sorgfalt und Sprachgewalt zu zeichnen wie seine Protagonisten. Sein Sprachgefühl lebt von dem Feeling für Details, seine Begrifflichkeiten sind intensiv, seine Formulierungen expressiv.
Nur einmal schwächelt Autor: Bei der Schilderung eines für die Mutter zentralen Ereignisses – der Polizeigewalt gegenüber der großen 68iger Demonstration in Chicago – verliert HILL ein wenig das Maß und verliert sich schwelgerisch in Details.

Wer große, perfekt gewebte und sprachlich ergreifende Erzählungen mag, die ihre Menschenfreundlichkeit in der Empathie für realistische, zwiegespaltene Charaktere beweisen, wird diesen Roman nicht nur mögen, sondern lieben.

Kategorien-

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert