“Sprich mit mir” von T.C. BOYLE

Bewertung: 4 von 5.

Nicht zuletzt die moderne Hirn- und Bewusstseinsforschung haben dafür gesorgt, dass die Grenzen zwischen Mensch und Tier deutlich unschärfer geworden sind. Einigen Tierarten werden inzwischen erstaunliche kognitive und soziale Kompetenzen zugeschrieben; ergänzend dazu sind die Spuren unserer biologischen Abstammung in unserem Fühlen und Denken immer deutlicher zu belegen. Da liegt es natürlich nahe, nach den “Berührungspunkten” zwischen uns und den nächsten Verwandten zu schauen, den Schimpansen. Das wird in der Verhaltensforschung auch gemacht, auch in Bezug auf die Möglichkeiten der (“sprachlichen”) Kommunikation.
Genau an diesem Punkt setzt BOYLE an: Was könnte alles passieren – so fragt er sich in diesem Roman – wenn bei einem Experiment zur Aufzucht in einer menschlichen (familiären) Umgebung eine tiefe emotionale Beziehung entstehen würde – über die Grenzen der Arten hinweg?

Als (eine mögliche) Antwort liefert der Autor eine lebendige, spannende und durchaus auch tiefgründige Romanhandlung, die das Thema in einer Intensität und Konsequenz auslotet, die den Leser/die Leserin immer wieder an Grenzen der Nachvollziehbarkeit führt. Es scheint das Ziel von BOYLE gewesen zu sein, genau diese Grenzen auszuloten und mit ihnen zu spielen.
Jede/r wird in dieser Tier/Mensch-Beziehungsgeschichte “Ausstiegs-Stellen” finden, an denen man nicht mehr folgen kann oder will. Die meisten allerdings werden höchstwahrscheinlich trotzdem weiterlesen; hier liegt wohl das Geheimnis dieses Romans.

BOYLE bedient sich eines geschickten Mix verschiedener Genres: er schreibt gleichzeitig eine Liebesgeschichte, einen Krimi, einen Wissenschafts- und ein Tierschutz-Roman. So sorgt er dafür, dass jede/r einen Motivationsanker findet.
Eine durch und durch sympathische Figur bietet der allerdings Autor nicht an – nicht einmal der Affe (Sam) ist ohne Fehl und Tadel. Dafür gibt es aber den klassischen Bösewicht, den man zur Gegen-Identifikation, also als Feindbild, nutzen kann. Das kann man ein wenig klischeehaft finden (muss es aber nicht).
Lässt man sich lange genug auf die Story ein, wird es irgendwann fast egal, ob man den grundlegenden Ausgangsbedingungen (die hohe sprachliche Intelligenz des Schimpansen und die Intensität der Mensch/Tier-Beziehung), für realistisch hält. Ab diesem Punkt trägt einen die Geschichte als Selbstläufer weiter.

Einer Auseinandersetzung mit der kontrovers diskutierten Frage der Tier-Ethik kann man als Leser/in dieses Romans nicht ausweichen. BOYLE setzt dabei auf drastische Details, lässt die Geschichte für sich sprechen und verzichtet auf intensivere Grundsatz-Dialoge zu diesem Thema. Man kann davon ausgehen, dass der Autor den Extrem-Fall “Sam” nutzen will, um generell für die Problematik der Tierversuche zu sensibilisieren. Ob das der richtige Weg ist, muss wohl jede/r selbst entscheiden.

Letztlich wird hier ein gut lesbarer und unterhaltsamer Roman angeboten, der es dem Publikum überlässt, auf welcher Ebene es sich ansprechen bzw. berühren lässt.
Vielleicht ist das nicht das Schlechteste, was man über ein Buch sagen kann.

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