Wie umgehen mit AfD-Wählern?

Ich bin am Beginn dieser Ausführungen etwas unsicher, ob ich meine Gedanken so formulieren kann, dass sie sich für eine Veröffentlichung eignen. Ich will es versuchen.

Etwa ein Viertel der ostdeutschen Wähler steht hinter der AfD. Das kann man nicht mehr ignorieren. Was bedeutet das für einen links-liberal-grünen Akademiker aus der Psycho-Szene, der davon überzeugt ist, dass sein aufgeklärtes Weltbild den meisten anderen Sichtweisen überlegen ist, weil es sich auf Humanismus, Wissenschaft und Rationalität gründet?

Am Anfang eine grundsätzliche Frage: Darf man wirklich bedauern, dass durch die AfD jetzt eine Gruppe von Menschen ein Sprachrohr bekommen hat, die sich vorher kaum politisch artikuliert hat? Ist es nicht ein Zugewinn an Demokratie, wenn diese Meinungen und Haltungen jetzt sichtbar werden und dadurch ein (legitimes) Gewicht bekommen?

Mir fällt eine Antwort auf diese Frage nicht leicht. Ganz persönlich (emotional) empfinde ich es geradezu als eine Zumutung, jetzt permanent (insbesondere in den Medien) mit Aussagen und Einstellungen konfrontiert zu werden, die ich (aus meiner Perspektive) nur mit mangelnder Informiertheit, fehlender (kognitiver) Differenziertheit und/oder einem kaum tolerierbaren (rechten) Menschenbild zu erklären sind.
Ich gebe es zu: Am liebsten hätte ich, dass es diese Meinungen/Haltungen gar nicht geben würde. Weil alle Menschen über ausreichende Bildung, “echte” Informationen und ein menschenfreundliches (empathisches, solidarisches) Grundempfinden verfügen würden. Am liebsten hätte ich nur solche Menschen um mich, in diesem Staat, auf der ganzen Welt.
Es quält mich geradezu, dass das nicht so ist. Und ich erwische mich bei dem Gedanken, dass  – wenn es diese “anderen” Menschen schon so zahlreich gibt – sie dann wenigsten unsichtbar und ohne Einfluss bleiben sollten.

Meine ich wirklich alle Menschen, die andere politische Einstellungen und Ziele haben als ich?
Natürlich nicht!
Ich habe nichts gegen Mitbürger, die einem konservativ-traditionellem Familienbild nachhängen, die z.B. die Ehe nur als Verbindung von Mann und Frau betrachten und weiterhin zwei Geschlechter für ausreichend halten. Ich verstehe Menschen, die das mit der Gender-Sprache für übertrieben halten und es als störend erleben, dass Deutsch immer stärker verenglischt wird (ich spreche bewusst nicht von Anglizismen). Von mir aus dürfen Menschen sich für Traditionen und Gewohnheiten einsetzen, die mir mehr als überholt vorkommen.
Ich kann auch verstehen, dass Menschen ein hohes Sicherheitsbedürfnis haben; dass sie es aufregt, wenn ganze Straßenzüge zu (scheinbar?) rechtsfreien Räumen werden und blutjunge Migranten (vermutlich Drogendealer oder Zuhälter?) mit ihren aufgemotzten BMWs den Mini-Rentner von der Straße scheuchen.
Ich kann sogar nachvollziehen, dass Bezieher von Hartz 4, die sich vom Sozialamt gegängelt fühlen, sich maßlos darüber ärgern, das Flüchtlinge ohne Bleiberecht oft jahrelang aus öffentlichen Kassen finanziert werden, weil man sie (nach geltenden Regeln) nicht abschieben kann.

Genug der Beispiele.
Ich will sagen: Es geht mir nicht darum, eher “ungeliebte” Einstellungen (möglicherweise auch Vorurteile) zu entsorgen oder zu pathologisieren.
Ich kann nur nicht begreifen und tolerieren, dass solche (und ähnliche) konservative Sichtweisen scheinbar so problemlos ausfransen und sich mit einem rechts-ideologischen Welt- und Menschenbild vermischen, das einem manchmal den Atem raubt.
Wie kann es sein, dass der Weg scheinbar so kurz ist von dem “Bewahren” (traditioneller Werte) zu einer wut- und hasserfüllten Menschenfeindlichkeit gegenüber denen, die vermeintlich nicht dazugehören (wegen Abstammung, Hautfarbe, Religion, usw.)?
Wie kann es sein, dass Menschen ihren ganz persönlichen Anstand verlieren und es sie plötzlich nicht mehr stört, sich bei Rechtsradikalen und Neonazis einzureihen, die selbst vor offenem Rassismus und  einer Relativierung der Nazi-Gräuel nicht zurückschrecken?

Anständige Konservative gehen diesen Weg auch nicht!
Es muss also etwas anderes dazukommen als nur die Abgrenzung vom “grün-liberalen-intellektuellen” Mainstream.
Und das macht es schwierig.  Und so schwer zu bewältigen. Und so schwer auszusprechen.
Es gibt offenbar in unserer Gesellschaft – in einem weit unterschätzen Maße – einen Bodensatz von Haltungen, die zutiefst antidemokratisch, anti-aufklärerisch, autoritär, irrational, wissenschaftsfeindlich, unsolidarisch, extrem egoistisch, ignorant, gewaltbereit und inhuman sind. Die Menschen mit solchen Einstellungsmustern leben unter uns – in der Regel aber nicht in unseren (persönlichen) Kreisen. Wir nehmen sie im Alltag kaum wahr.
Auch (natürlich nicht nur) diese Menschen fühlen sich aber durch die AfD vertreten. Und genau das schmerzt und macht es so schwer, mit der AfD wie mit jeder anderen Partei umzugehen. Weil diese Menschen nicht zufällig oder ungewollt Teil der Wählerschaft sind, sondern sie – zumindest von einem Teil der Partei – nicht nur eingeladen, sondern geradezu ermutigt und hofiert werden.

Ich will nicht, dass diese Gruppe jetzt zum Ziel der Bemühungen der anderen Parteien – und damit letztlich noch bedeutsamer und einflussreicher – wird.
Solange sich die AfD nicht von diesen Menschen (und dem eigenen rechtsextremen Flügel) abgrenzt, muss man sich eben von der ganzen Partei abgrenzen. Das ist nicht die Schuld der ach so arroganten Altparteien, sondern liegt in der Verantwortung der AfD selbst.

Um die Eingangsfrage zu beantworten: Nein, ich möchte nicht, dass eine bestimmte Gruppe dieser “unanständigen” Rechten eine politische Vertretung hat. Sie soll möglichst keine Aufwertung und keinen Zulauf bekommen.
Ich hoffe, dass möglichst viele junge, gebildete, weltoffene und solidarische Menschen nachwachsen und dazu beitragen, dauerhaft ein sicheres Gegengewicht zu bilden.