Warum es die SPD nicht schafft

Das Problem der SPD ist, dass sie schon so etwas wie ihre eigene Koalition ist. Sie versucht – nach dem alten Schema der Volkspartei – verschiedene Themen und Strömungen in sich zu vereinen. Sie will den Kompromiss schaffen zwischen Ökonomie, Ökologie, sozialer Gerechtigkeit, nationalen Interessen und internationaler Solidarität, usw. Das berühmte “sowohl-als-auch”.

Das ist vom Prinzip her gar nicht dumm und hat eine Weile funktioniert.

Aber: Die Gesellschaft hat sich polarisiert! Die Klimabewussten wollen grüne Politik, die Umverteiler wollen die Linken, die Wirtschaftsnahen wählen FDP oder CDU. Und die Frustrierten, Unzufriedenen, Nationalisten, Nörgler und Dummen sind schon bei der AfD gelandet.
Die Leute wollen ihre Überzeugung “pur” wählen.
Der Ausgleich der Interessen wird dann auf die Regierungsbildung, also auf Koalitionsverhandlungen verlagert.
Eine Partei, die den Ausgleich und den Kompromiss vorwegnimmt, ist wegen der eingebauten Konturlosigkeit nicht mehr attraktiv.

Das gilt vor allem, wenn diese Partei, die ja schon alles miteinander abgewogen und verbunden hat, dann selbst noch in eine Koalition eintreten muss – womöglich dann als Juniorpartner.
Das kann dann eigentlich nur noch schief gehen! Den eingebauten Kompromiss von allem mit allem dann noch in einer Koalition abgeschliffen zu bekommen – daraus ist nur noch schwer ein großes Versprechen an die Wähler zu machen.

Das ist irgendwie ungerecht. Aber schwer zu ändern!

Schade, Jens Spahn!

Ich bin ja nun im Allgemeinen kein CDU-Anhänger. Aber ich mag Politiker, die “heiße Eisen” anpacken. So wie es Jens Spahn mit seinen Vorschlägen zum Organ-Spenden getan hat.
Dafür habe ich ihm schon Respekt gezollt.

Auch die Finanzierung der Homöopathie hat der Minister öffentlich in Frage gestellt, ob wohl das alles andere als populär ist.
Jetzt ist er eingeknickt. Es lohne sich – wegen der vergleichsweise “geringen” Millionensumme – nicht, einen Grundsatzstreit vom Zaum zu brechen.

Schade. In einer Zeit des Durchlavierens hätte man gerne mal jemanden erlebt, dem die Sache um des Prinzips willen so wichtig wäre, dass er Konflikte mit Lobby-Gruppen eingeht und einen Teil der Wählerschaft verärgert.
So gewönne man Glaubwürdigkeit!

Also dürfen die Kasse weiter Mittelchen finanzieren, für die es – trotz aller Bemühungen – keinen Wirksamkeitsnachweis gibt (über den Placebo-Effekt hinaus).
Die einschlägigen Firmen dürfen ihren unwissenschaftlichen Humbug weiter ganz offiziell im Rahmen des Gesundheitssystems vertreiben – schließlich zahlen es ja auch die Krankenkassen (zumindest viele).

Klimaschutz-Paket

Es gab in den letzten Tagen eine Menge sehr treffender Analysen und Kommentare zum Gesetzes-Paket der GroKo auf den von mir bevorzugten Plattformen (ZEIT-online und SPIEGEL-online). So entstand bei mir zunächst der Eindruck, als ob sich eine eigene Stellungnahme erübrigen könnte.
Alles war so eindeutig.
Dann wurde mir klar, dass ich über den vielleicht naheliegensten Aspekt dort noch nichts gelesen hatte. Vielleicht ist die größte Absurdität tatsächlich niemandem aufgefallen.
Also habe ich jetzt doch einen Grund, ein paar Zeilen zu schreiben.

Beginnen wir mit der weichgespülten und auf Selbstkritik getrimmten Öffentlichkeitsarbeit.
Die beteiligten Politiker übertrafen sich in ihren Erklärungen mit der Wertschätzung gegenüber den Klima-Aktivisten von Fridays for Future (FfF). Diese hätten durch ihr nachdrückliches Engagement den entscheidenden Anstoß dazu gegeben, dass jetzt ein solch umfangreicher – geradezu historisch zu nennender – Maßnahmenkatalog auf den Weg gebracht werden konnte.
Was ist nochmal genau das – sehr wahrscheinlich so nicht zu erreichende – Ziel der Gesetzesentwürfe?
Ach ja – es ging um ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen zur Begrenzung der Erderwärmung durch Reduktion der CO2-Emissionen (Paris, 2015).

Heißt das etwa – man vermag es sich kaum vorzustellen – dass ohne die Massenproteste davon auszugehen gewesen wäre, dass man auch die Klimaziele für 2030 einfach ignoriert hätte? Kalt lächelnd?
Mussten Zigtausende tatsächlich auf die Straße gehen, um so etwas Revolutionäres zu erreichen, dass man sich jetzt zumindest überhaupt mal der eigentlich unverhandelbaren Herausforderung stellt?
Bedeutet das ernsthaft, dass es ohne FfF gar keine ernsthafte Absicht gegeben hätte, den selbst gesetzten Zielen gerecht zu werden?
Trauen sich unsere Politiker wirklich, uns das selbst vor laufenden Fersehkameras zu sagen und sich damit auch noch auf die Schultern zu klopfen – weil sie doch so einsichtig und lernfähig waren?

Ich weiß wirklich nicht, ob ich so etwas Selbstentlarvendes schon mal gehört habe.
Man lobt eine Protestbewegung dafür, dass sie so viel Druck aufgebaut hat, dass man irgendwann beginnen musste, sich selbst ernst zu nehmen.
Wozu genau braucht man dann eigentlich noch eine Regierung?
(Ich weiß, das ist polemisch).

Über die mutlose Halbherzigkeit der Vorschläge selbst ist schon alles gesagt/geschrieben worden…

Ich habe in meinen politischen Haltungen bisher immer Kompromiss und Augenmaß verteidigt, wollte auch dieser GroKo noch eine ernsthafte Chance geben.
Im Moment habe ich das Gefühl, dass diese Art Politik nicht nur den engagierten Teil der jungen Leute verliert…

“Der Gesang der Flusskrebse” von Delia OWENS

Ich stelle einen aktuellen amerikanischen Südstaaten-Roman vor.
Er erzählt die Geschichte einer sehr besonderen jungen Frau, die schon als recht junges Kind nach und nach von ihren Familienmitgliedern verlassen wurde und in weitgehender Isolation und eingebettet in unberührte Natur in einem Marschland an der Küste von South Carolina aufgewachsen ist.

Es geht zunächst um die Entwicklung dieses Mädchens zur jungen Frau unter Bedingungen, die man sich als verwöhnter Mitteleuropäer nicht ansatzweise vorzustellen vermag. Ihr Überleben beruht letztlich auf ein tiefes Eingebundensein in die umgebende Natur, deren ausführliche und emotionale Beschreibung einen Schwerpunkt der Darstellung bildet.

Zu den ganz wenigen Menschen, die in ihrem Leben eine Rolle spielen, gehören irgendwann zwei männliche Wesen, die im weiteren Verlauf viel mit ihrem Glück bzw. Unglück zu tun haben. Hier wird wird der Entwicklungs- bzw. Naturroman zum Liebesroman.

Wegen einem dieser Männer landet sie als Erwachsene schließlich vor Gericht, was dazu führt, dass diese Story sich – ziemlich überraschend – letztlich noch in Richtung eines Kriminal- bzw. Gerichtsromans entwickelt.

Soweit – in aller Kürze – die Fakten.
Ist es ein lesenswertes Buch?

Aus meiner Sicht eindeutig “ja”!
Die Autorin schafft es wirklich gut, ihre Leser in eine extrem fremde Welt eintauchen zu lassen. Wobei sich diese Fremdheit auf ganz verschiedene Ebenen bezieht: auf die sehr besondere Landschaft, auf die intensive Einbettung in die Natur und auf die geradezu unfassbaren Sozialisationsbedingungen eines jungen Menschen und deren psychischen Folgen.
Die bildreiche und emotionale Sprache spielt bei diesem “Einfangen” des Lesers sicher eine große Rolle. Wer sich davon – und den z.T. auch ausschweifenden Naturschilderungen – nicht abschrecken lässt, bekommt als Gegenwert einen echten Ausstieg aus dem bundesdeutschen Norm-Alltag.
Es ist eine echte Perspektiverweiterung.

Gibt es auch was zu meckern?
Ich war ein wenig überrascht (und vielleicht auch minimal enttäuscht), dass sich der Charakter des Buches in der zweiten Hälfte spürbar veränderte: Ging es zunächst scheinbar um eine ruhige und intensive Milieustudie über ein berührendes Einzelschicksal, mutierte der Roman dann doch eine wenig in “gewöhnlichere” Formen – bis hin zu einem eher krimitypischen Knaller am Ende.

Trotzdem: für mich ein besonderes Lese- bzw. Hörerlebnis!