Kandidaten-Auswahl

Ja, ich hatte mir ursprünglich Robert Habeck gewünscht. Für mich wäre es eine attraktive Perspektive gewesen, einen Intellektuellen (Schriftsteller, Philosophen) im Kanzleramt zu erhoffen.
Aber unter den gegebenen Bedingungen konnten die GRÜNEN wohl nicht anders entscheiden als für eine moderne, junge und sehr kompetente Frau als Gegenpol für zwei etablierte Herren.
Danken muss man der CDU/CSU für die perfekte Darbietung eines Kontrast-Programmes beim Auswahl-Verfahren.

Die Antritts-Rede hat mich inhaltlich und stilistisch überzeugt. Es hat mich auch emotional gepackt, weil ein Hauch von Geschichte zu spüren war, eine Art Mini-Obama-Gefühl. Heute könnte ein Kapitel aufgeschlagen worden sein, das sich prägend auf das ganze kommende Jahrzehnt auswirken könnte.
Das macht Hoffnung!

(Nachbemerkung: Dieser Beitrag ist der Auftakt zu einem neuen Schwerpunkt; weitere Infos hier: “Der GRÜNE Blog“)

“Pubertät ist voll nice – nur blöd, dass wir jetzt die Eltern sind” von Silke NEUMAYER

Bewertung: 3 von 5.

Nichts spricht dagegen, locker-leichte Bücher über die Tücken des Familienlebens zu schreiben. Humor ist eine bewährte Methode, Dinge zu verarbeiten oder zu ertragen, die man doch nicht ändern kann. Man lacht eben trotzdem – und es fühlt sich dadurch schon ein wenig erträglicher an. Das hat damit zu tun, dass Humor ein wenig Distanz zum Geschehen schafft; Abstand wiederum ist der erste Schritt hin zu einem Gefühl von Kontrolle.

Ohne Zweifel ist die Phase der Pubertät eine der größten Herausforderungen, die das Zusammenleben zweier Generationen zu bieten hat. Das gilt nicht für alle, aber doch für die Mehrzahl der Familien. Somit greift die Kommunikationswissenschaftlerin NEUMAYER, als deren inhaltliche Qualifikation “Fachfrau fürs Leben” genannt wird, ein dankbares und ergiebiges Thema auf.

Eines leistet dieser Bericht aus dem Innenleben eines Pubertäts-Haushaltes ohne Zweifel: Es nimmt – durch amüsante Übertreibungen und witzige Anekdoten – dem stressigen Thema die verbissene Ernsthaftigkeit. Bekannte Aspekte der Teenager-Jahre (z.B. Stimmungsschwankungen, Unzuverlässigkeit, Risikobereitschaft, Handysucht und Modewahn) werden so zu unvermeidbaren Absurditäten und Verrücktheiten umdefiniert. Die Botschaft “Regt euch nicht auf, da muss man einfach durch!” Wenn man dann in der Darstellung noch eine Schüppe drauflegt, erscheint die Realität schon fast harmlos. Und tatsächlich – wie ein Beispiel aus einer anderen Familie zeigt – es könnte ja alles noch viel schlimmer sein…

Selbst wenn man sich auf all das einlässt – und nicht mehr erwartet – gibt es doch etwas anzumerken: Es scheint in dieser Familie (die Autorin hat eine 16-jährige Tochter) absolut keine realen Grenzen für jugendliche Bedürfnisse und Vorstellungen zu geben. Ressourcen, vor allem materielle, stehen offenbar unbegrenzt zur Verfügung.
Das entspannt natürlich den ein oder anderen Konfliktbereich.

Wer in diesem Buch als Mutter oder Vater tatsächlich Hinweise oder ernsthafte Anregungen für den schwierigen Weg zwischen Begleitung, Loslassen, Aushalten, Beeinflussen und Begrenzen sucht, wird leer ausgehen. Es gibt dieses Abwägen schlichtweg nicht. Die einzige Ausnahme betrifft die Ambivalenz hinsichtlich der ersten Jungen-Übernachtung; auch diese wurde natürlich überwunden.
Pubertät ist in der Lesart von NEUMAYER eine Art Krankheit, für die es keine Behandlung gibt – schließlich wird ja bekanntermaßen das Gehirn umgebaut. Über Reste von Erziehung nachzudenken, scheint völlig abwegig zu sein. In dem gesamten Buch gibt es ein einziges Beispiel für eine versuchte Grenzsetzung; ansonsten liegt die Macht zu 100 % beim Jugendlichen. Als Rechtfertigung für diese Kapitulation wird abwechselnd die Unabänderlichkeit des Geschehens und die Erinnerung an die eigene Jugend angeführt – wobei unterschlagen wird, dass die eigenen “Eskapaden” vermutlich gegen einen gewissen Widerstand erkämpft wurden.

Dieses Buch ist kein Ratgeber. Es ist ein amüsant geschriebener Einblick in den Alltag einer gutsituierten und liberalen Mutter, die eine offenbar ziemlich selbstbewusste und durchsetzungsfähige Tochter hat (das ist sicherlich kein Zufall).
So eine Lektüre kann ohne Zweifel gut tun. Der ein oder andere festgefahrene Konflikt kann vielleicht relativiert werden. Auf jeden Fall fühlt man sich in seinem Alltags-Wahnsinn nicht mehr alleine.
Hilfreich ist das Buch sicher für Eltern, die alles ein wenig zu verbissen sehen. Wer sowieso schon aufgegeben hat, fühlt sich möglicherweise in seiner Ohnmacht bestätigt. Ob das so positiv wäre, wage ich zu bezweifeln.

“Rawls in 60 Minuten” von Walther ZIEGLER

Bewertung: 5 von 5.

Menschen, die sich aus philosophischen oder politischen Gründen für Gerechtigkeitstheorien interessieren, stoßen ziemlich rasch auf den Amerikaner John Rawls. Sein Buch “Eine Theorie der Gerechtigkeit” ist eines der einflussreichsten Beiträge zu diesem Thema überhaupt.
Da nicht jede/r bereit ist, solche Grundlagenwerke im Original zu lesen, gibt es sog. Sekundärliteratur, die nicht nur kürzer ist, sondern oft auch Barrieren im Verständnis bzw. in der sprachlichen Zugänglichkeit abbauen. Einen solchen niederschwelligen Einstieg soll dieses Büchlein bieten.

Die geniale Grundidee von Rawls ist schnell beschrieben: Die Rahmenbedingungen für eine gerechte Gesellschaft würden sich dann – sozusagen von selbst – ergeben, wenn sie unter einer bestimmten Bedingung ausgehandelt würden: Die Beteiligten dürften nicht wissen, welche Position sie in dieser Gesellschaft selbst hätten. Dieser “Schleier der Unwissenheit” würde verbergen, ob sie arm oder reich, gesund oder krank, männlich oder weiblich, usw. wären.
Rawls legt dann in seinem Werk sehr überzeugend dar, welche Regeln bei einem solchen Prozess (höchstwahrscheinlich) herauskommen würden: Man würde die Alternative wählen, in der für die schwächsten Mitglieder am besten gesorgt und nur solche Unterschiede in der Verteilung von Reichtum akzeptiert würden, die auch den Schwächsten zugute kämen.

ZIEGLER gelingt es sehr gut, die Komplexität des Ursprungstextes in einer Weise zu reduzieren, die sowohl ein Grundverständnis ermöglicht, als auch weitergehende Aspekte thematisiert. Indem er auch kritische Einwände auf seine Theorie anspricht, führt er über Darlegungen von Rawls sogar hinaus und fördert die Einordnung in aktuelle politische Diskussionen.

Ohne Übertreibung lässt sich wohl sagen: Ein wirklich fundierter Diskurs über eine gerechte Gesellschaft ist ohne einen Bezug zu Rawls kaum denkbar – selbst wenn man seine Theorie aus bestimmten Gründen letztlich relativieren oder zurückweisen würde.
Der Text von ZIEGLER bietet einen gut strukturierten und und didaktisch klugen Einstieg. Viel mehr politisches Weltverständnis kann man für die hier aufgewandte Zeit und das investierte Geld (8 € als EBook) kaum erwarten.
Sollte man aus anderen Quellen allerdings schon mit den Grundgedanken von Rawls vertraut sein, dann könnte sich eher der Originaltext lohnen.


“Das Leben ist einfach, wenn du verstehts, warum es so schwierig ist” von Holger KUNTZE

Bewertung: 5 von 5.

Ein psychologisches Selbsthilfe-Buch zu schreiben, ist immer eine Herausforderung und vor allem eine Gradwanderung: Wie findet man den schmalen Weg zwischen niederschwelliger Ansprache und fachlicher Seriosität?
Um es vorweg zu sagen: KUNTZE ist da tatsächlich so etwas wie ein “großer Wurf” gelungen.
Aber um ehrlich zu sein: Der Autor hatte es bei mir anfangs nicht ganz leicht, weil ich ich gegenüber einer psychotherapeutischen Qualifikation auf Heilpraktiker-Basis eine gewisse Skepsis habe. Bei der Beurteilung des Buches verlor dieser Aspekt aber rasch an Bedeutung.

Das Buch hat ein klares Ziel: Es soll Menschen bei der Überwindung von Krisen helfen. Der Autor stellt sich auf diese Ausgangssituation in geradezu vorbildlicher Weise ein, indem er – diese Floskel sein erlaubt – die Leser/innen dort abholt, wo sie gerade stehen.
Gefühlt 50% des gesamten Textes bestehen darin, den Leser/die Leserin motivierend einzufangen. Der Mann weiß offensichtlich, welche Hemmschwellen und Vermeidungsstrukturen krisengeschüttelte Menschen haben. Es scheint kaum ein Einwand gegen das aktive Einlassen auf die Anregungen dieses Buches denkbar, der von KUNTZE nicht gesehen, thematisiert und argumentativ entkräftet wird. Es ist ohne Zweifel eine Hauptstärke dieses Autors, die “andere Seite” (die Bedürftigkeit, die Mutlosigkeit und den Zweifel der Betroffenen) mitzufühlen und mitzudenken.
KUNTZE wirbt unaufhörlich für sein Krisenbewältigungs-Angebot. Er ist ohne Zweifel überzeugt davon, etwas bieten zu können, was Hoffnung und Zuversicht verdient. Er versucht, fast ein persönliches Vertrauensverhältnis zu etablieren; dabei sind ihm – glücklicherweise – Guru-Allüren gänzlich fremd. Basis für das Vertrauen soll sein inhaltliches Konzept sein, für das er sowohl einen fachlich-wissenschaftlichen Hintergrund als auch seinen Erfahrungsschatz als Therapeut in die Waagschale wirft.

Woraus besteht nun das Selbsthilfe-Paket? Ist es ein Wundermittel oder alter Wein in neuen Schläuchen?
KUNTZE bietet einen roten Faden, ein Baukastensystem, das auf einer inneren Logik basiert. Das schafft schonmal eine konzeptionelle Kohärenz; der Autor will keine blinde Gefolgschaft, sondern aufgeklärte Anwender/innen, die Zusammenhänge verstehen.
Schauen wir uns die wichtigsten Bestandteile kurz an:
– Am Anfang steht so etwas wie ein Theorieteil. KUNTZE schafft einen Bezugsrahmen für die später folgenden praktischen Schritte. Im Kern erklärt er auf der Basis von evolutionären bzw. biologischen Prägungen und unter Einbeziehung der Funktionen unseres Gehirns, warum der Mensch konstitutionell dazu neigt, sich so stark auf Gefahren und Bedrohungen zu fixieren. Er macht deutlich, warum der tief verankerte “Gefahrenmodus” so schlecht dazu geeignet ist, die Heraus- und Überforderungen unseres modernen Lebens zu bewältigen.
Hier reicht es noch aus, dem Autor lesend zu folgen; es ist die Ruhe vor dem Sturm…
– In einem zweiten Teil werden therapeutische Erkenntnisse und Interventionen eingeführt, die Eingang in den Alltag des Fühlens, Denkens und Handelns finden sollen. Hier werden keine esoterischen Heilsbotschaften oder der platte “Everything-goes-Optimismus” der “Positiven Psychologie” verkauft. Zurückgegriffen wird auf – locker gemischte – Bausteine, die ihre Herkunft aus modernen verhaltenstherapeutischen Ansätzen und aus den humanistischen Therapien haben.
Spannend und kreativ wird das vor allem dadurch, dass KUNTZE ein Händchen dafür hat, therapeutische Wirkfaktoren derart geschickt in verdauliche Häppchen zu verpacken, dass man kaum merkt, was man alles schon intus hat. So bietet er z.B. mal eben in einem Kästchen zehn Akut-Interventionen an oder verpackt ein weitgehendes kognitives Umsteuern in 20 harmlose Begriffspaare.
Immer geht es darum, Erstarrung und Pessimismus hinter sich zu lassen, Denkblockaden zu lösen und auf die Seite des Tuns, der Aktivität und der Möglichkeiten zu gehen.
– Der letzte Teil des Buches ist dann endgültig ein Arbeits- und Übungsbereich. Hier dient das Lesen nur noch der Vorbereitung des Tuns. Aber KUNTZE wäre nicht KUNTZE, wenn er nicht auch diesen Teil akribisch und liebevoll vorbereitet hätte. Egal, ob es um Abschied, Ressourcen, Dankbarkeit oder Werte geht – es steht immer eine extrem breite Palette von Beispielen und Alternativen zur Auswahl. Hier findet sich wirklich jede/r wieder.

Wo bleibt das Aber?
Es ist nicht zu übersehen: Natürlich ist es ein Selbsthilfe-BUCH! Alles, was hier passiert (und passieren kann) ist über das Medium Sprache vermittelt. Viele (sehr viele) Übungen beinhalten verbale Differenzierungen oder Ausdrucksformen. Man kann es kurz halten: Wem der Umgang mit Sprache nicht vertraut ist oder schwer fällt, der sollte schlichtweg andere Wege der Hilfestellung suchen.
Anzumerken (nicht zu kritisieren!) ist auch, dass der Autor keine störungsspezifischen Hilfen anbietet. Der Gegenstand seiner “Behandlung” ist nicht eine gestörte (oder gar psychisch kranke) Person, sondern die Bewältigung von Krisensituationen – wie sie jedem Menschen im Laufe des Lebens widerfahren können (und es in der Regel auch tun).
Auch ist richtig , dass das Buch nicht alle sinnvollen und nützlichen psychologischen bzw. therapeutischen Ansätze aufzeigt oder gar nutzt. Ein solcher Anspruch könnte niemand ernsthaft erheben – und das liegt auch KUNTZE fern.

Meine Gesamtbewertung des Buches weist einen – bedeutsamen – Mangel auf: Ich habe es nur gelesen und nicht durchgearbeitet. Eine Wirksamkeit des angebotenen Weges kann ich deshalb weder bestätigen noch in Zweifel ziehen.
Bescheinigen kann ich diesem Buch jedoch einen vorbildlichen Zielgruppen-Bezug und eine sehr angenehme Form der persönlichen Ansprache und Motivierung. Mir erscheint das Vorgehen fachlich plausibel und seriös vermittelt. Es werden keine übertriebenen Erwartungen geweckt und keine Interventionen vorgeschlagen, die zu unerwünschten Nebenwirkungen führen könnten. Angenehm ist auch, dass hier kein “Trainer” auf Tempo und Konsequenz trimmt. Selbstfürsorge wird groß geschrieben; niemand muss perfekt sein oder werden.
Ein gelungenes Buch, dem ich vielleicht doch einen anderen Titel gewünscht hätte…