“Kompass für die Seele” von Bas KAST

Bewertung: 2.5 von 5.

Was würde wohl auf das sensationelle Erfolgsbuch “Ernährungskompass” folgen?
Das fragte sich wohl mancher Beobachter des Sachbuch-Marktes. Ich selbst habe mich vor einigen Monaten dabei erwischt, gezielt nach einer Neuerscheinung des Autors zu suchen.
Jetzt ist es soweit – und die Spannung war groß.

Ausgehend von einer depressiven Krise, die – ausgerechnet(?) – kurz nach dem kometenhaften Aufstieg zum Bestseller-Autor einsetzte, hat sich KAST (wie auch beim ersten Buch) aus eigener Betroffenheit auf den Weg gemacht. Diesmal mit dem Ziel, ganz verschiedene Verfahren und Methoden zu untersuchen, die das Potential in sich tragen, psychische Beeinträchtigungen zu lindern bzw. das Risiko solchen Belastungen präventiv zu vermindern.
Das Kriterium für Auswahl der geschilderten Ansätze war dabei subjektiv: Zwar hat KAST das Feld wohl wieder mit der ihm eigenen Gründlichkeit beackert (durch Sichtung von zahlreichen Studien); in das Buch geschafft haben es aber nur die 10 Bereiche, von deren Wirksamkeit sich der Autor selbst überzeugen konnte (bzw. wollte).

Schon die Grobgliederung in drei Schwerpunkt-Teile lässt aufhorchen: Da gibt es einmal die körperbasierten Elemente (wie Ernährung, Bewegung, Schlaf, Naturkontakt), dann die psychischen Aspekte (Meditation, stoische Lebenseinstellung, Sozialkontakte) und am Ende – Überraschung! – den Einsatz psychedelischer Substanzen (insbesondere MDMA und Psilocybin).
Wow! Ein bekannter Bestseller-Autor schreibt für ein Millionen-Publikum einen “Kompass für die Seele”, in dem zwar der Begriff “Psychotherapie” mehrfach fällt, diese etablierteste Methode zur Behandlung von psychischen Störungen (wie die von ihm genannten Depressionen und Traumafolgen) selbst aber gar nicht zum Thema wird. Statt dessen bekommen Ecstasy und sog “Zauberpilze” ein ausführliches eigenes Kapitel, gespickt mit geradezu euphorischen Erfahrungsberichten, differenzierten Empfehlungen (und eher zaghaften Warnungen).
Gab es schonmal etwas Vergleichbares? Ich glaube kaum!

Doch fangen wir vorne an.
Mit Ernährung kennt sich KAST aus; das ist keine Überraschung. Doch auch in den anderen Kapiteln im Bereich “Körper und (psychische) Gesundheit” beweist der Autor seine Stärken: Umfassende Recherche des aktuellen Forschungsstandes, gut nachvollziehbare Schlussfolgerungen und eine motivierend-eindeutige Art der Vermittlung. Man will am liebsten schon während des Lesens (oder Hörens) das Olivenöl aus dem Schrank holen , Omega-3-Pillen bestellen, durch den Wald joggen und seine Einschlaf-Routine neu ordnen.

Dann kommt die Psyche und man beginnt sich zu wundern: Wo man als Lesender vordringlich kompetent aufbereitete Informationen (und Erfahrungen) zu unterschiedlichen Ansätzen aus Psychotherapie, Beratung und Coaching (inkl. deren Wirksamkeit und Grenzen) erwartet, fährt KAST genau zwei Möglichkeiten auf, die Psyche aus der Krise zu helfen oder einer solchen vorzubeugen: die Praxis der Meditation und die Prinzipien der philosophischen Stoiker.
Bei allem Respekt vor den Potentialen dieser beiden Ansätze: Diese Betrachtung fällt gegenüber der Darstellung der körperbasierten Faktoren doch ziemlich stark ab.

Überraschend ist dann – wie schon angedeutet – das Gewicht der dritten Perspektive: der Einflussnahme auf psychische Befindlichkeit und Gesundheit durch psychoaktive Substanzen. Hier hat sich KAST offenbar voller Eifer und Experimentierfreude eingelassen und so eindrückliche Erfahrungen gemacht, dass seinen Ausführungen schon fast etwas Missionarisches anhaftet.
Sicher spricht nichts dagegen, über die erstaunlichen therapeutischen Effekte von MMDA und Psilocybin im Bereich von Depression und Traumafolgen zu berichten. Im Gegenteil: Das ist ganz sicher ein hochinteressantes Thema und die Konsequenzen für die zukünftige psychiatrische und psychotherapeutische Arbeit könnten durchaus erheblich sein.
Die Anwendung solcher Substanzen aber zum jetzigen Zeitpunkt einem breiten Publikum quasi als Eigentherapie alternativ zu Meditation, Sauna oder Ernährungsumstellung anzubieten, erscheint doch ein wenig abwegig (um es zurückhaltend auszudrücken).

Sollte jemand, der – wie in einem SPIEGEL-Gespräch bestätigt – keine eigenen Erfahrungen mit Psychotherapie gemacht hat (und sich daher diesem Thema nicht näher widmet), wirklich einen “Kompass” für den Erhalt bzw. die Wiederherstellung der psychischen Gesundheit schreiben? Wirkt das nicht ein wenig so, als ob man über die Unterwasserwelt schreibt, ohne jemals selbst einen Tauchkursus absolviert zu haben?
Es fällt auf, dass KAST (fast) ausschließlich Methoden anführt, die man (auch) ganz für sich alleine durchführen kann. Hier genau liegt der Unterschied zu dialogischen Verfahren, in denen Therapeuten, Beraterinnen oder Coaches eine Prozessbegleitung, eine Außenperspektive, Rückmeldungen und Korrekturen bieten. Warum soll das alles ungenutzt bleiben?

Selbst wenn seine Hinweise und Ratschläge im ersten Teil noch so sinnvoll und gut begründet sind und seine Darstellungsweise überzeugend rüberkommt – in diesem Buch wird ein extrem einseitiges und in keiner Weise repräsentatives Bild der psychosozialen Versorgungslandschaft und ihren Methoden gezeichnet.
Man sollte sich schon entscheiden: Entweder schreibe ich von meinen persönlichen Erfahrungen (und nenne das dann auch so), oder ich offeriere einen “Kompass” – und damit ein halbwegs realitätsgetreues Abbild des untersuchten Bereiches.

Sieht von von dieser schwerwiegenden Einschränkung ab, kann man den ersten Teil des Buches uneingeschränkt empfehlen, ebenso die informativen und motivierenden Ausführungen über den Nutzen von Meditations-Übungen..
(Die Hörbuch-Version dieses Buches ist übrigens sehr gut gelungen; der Sprecher gibt die Intentionen des Autors glaubhaft weiter).

(Zu weiteren Tages-Gedanken)

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