“Zukunft” von Florence GAUB

Bewertung: 4 von 5.

“Haben wir nicht schon genug Zukunftsprognosen?” So könnte die erste Reaktion auf den Buchtitel lauten. Das wäre aber ein grobes Missverständnis.
Die Politikwissenschaftlerin GAUB verfolgt mit ihrem Buch eine ganz andere Spur: Sie macht die Zukunft – insbesondere die “Zukunftsfähigkeit” – selbst zum Thema; wir erhalten also eine Meta-Betrachtung zu diesem Begriff. Die Autorin analysiert, wie die Zukunft in das Leben der Menschheit gekommen ist, von welchen Faktoren unsere Zukunfts-Offenheit abhängt und wie wir uns auf ein möglichst kompetentes Management unserer persönlichen und gesellschaftlichen Zukunft vorbereiten Zukunft könnten.

Nach einer einführenden Betrachtung über das Wesen, die Funktionen und unterschiedliche Reichweiten von Zukunft, macht GAUB auf das Risiko “Zukunftsvergesslichkeit” aufmerksam. Damit umreißt sie auch gleich ihr Anliegen: Wie will zu einem bewussten und aktiven Umgang mit der Zukunft ein laden – und kommt darauf im Schlussteil des Buches wieder zurück.

Als nächstes bekommen wir eine historischen Perspektive geboten: Wann und wie ist eigentlich die Zukunftsorientierung entstanden? GAUB macht deutlich, dass die heute für uns selbstverständliche Art des Umgangs erst ein paar hundert Jahre alt ist. Eine aktive Auseinandersetzung mit der Zukunft setzt nämlich voraus, dass da überhaupt etwas zu erwarten sein könnte, das sich von Gegenwart und Vergangenheit unterscheidet – also nicht sowieso durch Gott, Schicksal oder den festen Platz im gesellschaftlichen Gefüge determiniert ist. Auf dieser Wahrnehmung von denkbaren alternativen Zukünften konnte dann in einem weiteren Schritt die Idee aufbauen, dass man durch eigene Entscheidungen bzw. durch eigenes Tun sogar Einfluss auf das Kommende nehmen könnte. Das schuf nicht nur neue Perspektiven auf das eigene Leben, sondern auch für die gesellschaftlichen Verhältnisse.

Die Autorin erklärt immer wieder den Zusammenhang zwischen den drei zeitlichen Perspektiven: Während uns die Vergangenheit Material (Erfahrungen) liefert, besteht der Sinn einer Zukunftsorientierung darin, in der Gegenwart die richtigen Entscheidungen zu fällen.
Sie klärt uns in den weiteren Kapiteln über – insbesondere psychologische – Mechanismen auf, die Zukunftsbewusstsein fördern oder behindern können; dabei geht um die Fixierung auf aktuelle Krisen, um die Bedeutung der Kreativität, um Ängste bzw. Vermeidungsreaktionen, um die Rolle von Wahrscheinlichkeitsschätzungen, um Wunschdenken und bedenklichen Sicherheitsillusionen, um den Fortschrittsglauben und um fehlerhafte Zukunftsannahmen (wie sie sich z.B. im Aberglauben zeigen).

GLAUB spielt auch Szenerien durch, in den Zukünfte verloren gehen, weil sie nicht mehr gewünscht oder erreichbar sind. Sie macht deutlich, dass auf persönlicher Ebene der Verlust einer Zukunftsperspektive dramatische Folgen haben kann (z.B. bei einer Depression).
Sie schlägt eine Art Mini-Selbsthilfe-Programm vor, sich einen verloren gegangenen positiven Zukunftsbezug wieder neu zu erarbeiten.

Abschließend plädiert sie für eine aktive, mutige und zuversichtliche Haltung gegenüber der Zukunft – gegen den “Autopiloten”, gegen die Ohnmacht angesichts von Katastrophenfantasien, gegen eine eher träge Orientierung an vorgegebenen gesellschaftlichen Zukunfts-Skripten.
In der Akzeptanz von Veränderungen und der bewussten Auslotung des eigenen Möglichkeitsraums sieht die Autorin nicht nur für jeden einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes die größte Chance.

Mit ihrem Buch bietet GAUB eine ganze Reihe von informativen und anregenden Blickwinkel auf das Thema “Zukunft”; vielleicht sogar ein wenig auch eine “Bedienungsanleitung” (obwohl der anfängliche Vergleich mit einem Staubsauger nicht so überzeugend ausfällt). Spannend ist auf jeden Fall die Verbindung von historischen, kulturellen, psychologischen und politischen Aspekten.
Deutlich werden aber auch die persönlichen Haltungen der Autorin: Sie hat ganz offensichtlich ein sehr optimistisches Menschenbild, in dem die Möglichkeit zu selbstbestimmten, autonomen Entscheidungen eine zentrale Rolle spielt. Sie sieht den Menschen vorrangig als potentiellen Gestalter seiner Zukunft. Dabei tritt die Frage, wie weit diese Fähigkeit von biologischen und lebensgeschichtlichen Einflüssen und Prägungen bestimmt und beschränkt wird, deutlich in den Hintergrund. Die “Freiheit” zu solchen Entscheidungen wird (außerhalb von psychischen Erkrankungen) schlichtweg postuliert. Das wirkt sympathisch – aber ist es auch realistisch?

GAUB hat ein ohne Zweifel ein gut lesbares und anregendes populärwissenschaftliches Sachbuch vorgelegt. Gelegentlich allerdings erscheint der Bogen zwischen Wissensvermittlung, Denkanstößen und persönlicher Haltung bzw. Mission ein wenig breit gespannt und nicht ganz ohne Brüche. Auch muss man sich darauf einstellen, dass manche Thesen durch entsprechende Untersuchungen belegt werden, andere beruhen dann eher auf persönlichen Einschätzungen.
Eine lohnende und durchaus originelle Auseinandersetzung dem Zukunftsthema ist diese Publikation allemal.

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