“Revolution der Träume” von Andreas IZQUIERDO

Bewertung: 3.5 von 5.

Es Handelt sich hier um die direkte Fortsetzung von “Schatten der Welt” – dem erfolgreichen Roman, in dem drei Protagonisten im Jugendalter eine unerschütterliche Verbindung eingingen, die sich dann in den Wirren des Ersten Weltkrieges verlor.
Zeitlich schließt der Autor unmittelbar an das Kriegsende an. Schauplatz ist Berlin und damit führt er uns mitten ins Zentrum der Auseinandersetzungen um die Zukunft des besiegten und durch die Kriegsfolgen demoralisierten Deutschlands.
Wird es eine sozialistische Revolution geben? Werden sich die Konservativen mit den rechtsgesinnten Militärs zusammentun? Oder werden die Sozialdemokraten einen reformorientierten Kompromiss hinbekommen?
Auf den Straßen wird demonstriert und gekämpft; es fließt auch Blut. Am Horizont zeichnet sich allmählich dunkel die “neue” Zeit ab

Auf diesem Hintergrund agieren die bekannten Figuren: Artur (durch eine Gesichtsverletzung entstellt, aber voller Kraft und – durchaus auch krimineller – Energie), Isi (geprägt durch eine unbändige und unkonventionelle Lebenslust) und Carl (eher vorsichtig und “bürgerlich” ausgerichtet, auch in seinem Beruf als Kameramann).
Zentral für die Handlungsverläufe ist die Karriere von Artur, der als Besitzer von beliebten Etablissements Kontakt sowohl zu den wohlhabenden und mächtigen Lebemännern und -frauen, als auch zur Ganovenwelt hat. In seinen Clubs treffen die Handlungsfäden der drei Protagonisten immer wieder zusammen; hier wird gesoffen und gekokst; hier werden Pläne geschmiedet.

Der eher unpolitische Carl nimmt uns mit in die aufstrebende Berliner Filmindustrie; parallel dazu lädt er sich ungeplant und plötzlich väterliche Verantwortung auf. Isi ist für revolutionäre Gedanken offen, gerät dann – spontan und radikal wie sie ist – in ein ganz anderes Milieu. Artur wird getrieben von der unerbittlichen Feindschaft zu einem Kontrahenten, der verantwortlich für sein persönliches Schicksal ist.Das alles wird temporeich erzählt. An Abwechslung mangelt es nicht, da sich die Handlungsfäden der drei Personen zu immer neuen Strickmustern finden.

Daneben ist jede Menge Raum für historische Hintergrundinformation: Man erfährt z.B. aus der Sicht des unmittelbar Beteiligtseins, wie brutal die Straßenkämpfe zwischen den unterschiedlichen politischen Lagern in dieser Zeit verlaufen sind. Dabei spielt das formal entmachtete und rechtslastige Militär eine besonders unrühmliche Rolle.

Warum hat mich der neue Roman von IZQUIERDO trotzdem nicht völlig überzeugt?
Es liegt wohl an der ziemlich unkritischen Darstellung des halbseidenen Milieus, in dem sich weite Teile des Romans abspielen. Das eindeutig kriminelle “Ganoventum” bekommt in dieser Geschichte eine Art folkloristischen Anstrich. Man lebt halt in unruhigen Zeiten – jeder holt für sich mit allen denkbaren Mitteln das Maximale heraus. Gewalt, Bestechung, Prostitution und Betrug sind ganz normale Methoden des Überlebens…
In dieser Welt bewegt sich Artur sehr gekonnt und weitgehend ohne Skrupel; die Abgrenzungen von Isi und Carl sind eher zögerlich und gelten nur so lange, bis persönliche Interessen ins Spiel kommen.
Mir waren es insgesamt einfach zu viele (fast euphorische) Beschreibungen von all der prallen Lebenslust, die durch Alkohol und Drogen getragen werden.
Ja, es gibt zwar ein Gegengewicht durch die Ernsthaftigkeit, mit der Carl seinen Beruf und seine Vaterschaft betreibt, aber insgesamt bleibt ein etwas schaler Eindruck.
Vielleicht muss man die exzessive Vergnügungslust dieser Jahre auf dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der Kriegstraumatisierungen beurteilen; vielleicht bin ich da zu streng…

“In die Arme der Flut” von Gerard DONOVAN

Bewertung: 4.5 von 5.

Dies ist eine Rezension über ein Buch, das mich schon während des Lesens veranlasste, mir auf der Stelle zwei ältere Werke dieses Autors zu bestellen. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich den brandaktuellen Roman von DONOVAN in zwei Tagen verschlang.
Damit ist eigentlich alles gesagt…

In einem fulminanten Auftakt von ca. 50 Buchseiten zieht uns der Autor ohne Vorwarnung in eine auf allen erdenklichen Ebenen aufgewühlte Situation. Es ist ein Start wie ein Finale, ein Einstieg wie ein Show-Down.
Sprachgewaltig bis zum Bersten schildert uns DONOVAN eine innere (psychologische) und äußere (naturhafte) Aufruhr: Ein Mann (der Protagonist “Luke”) steht auf einer Brücke und nähert sich millimeterweise dem beschlossenen Selbstmord. Parallel zum emotionalen Strudel wird die Dynamik des 35 Meter darunter gurgelnden Wassers und die aufziehende Nebelwand auf eine Art sprachlich dramatisiert, die einem den Atem nimmt.
Wie von Zauberhand gelingt es dem Autor, in diesen fast unerträglichen Spannungsbogen noch die ersten Fäden des erzählerischen Kontextes unterzubringen.
Kann man so eine Dichte über ein ganzes Buch halten?

DONOVAN kann. Zwar gibt es ruhigere Passagen in dem Text – aber die elementare Wucht der sprachlichen und erzählerischen Dynamik holt einen immer wieder ein.
Am Ende des Buches spürt man eine fast körperliche Erschöpfung.
Es geht viel um die Kraft des Wassers, in diesem Roman. Auch als Leser/in hat man das Gefühl, abwechselnd auf einer Welle zu reiten oder in die Tiefe gezogen zu werden. Am Ende wird man an den Strand gespült und muss sich erstmal erholen.

Das Buch ist ein Psychogramm und ein Soziogramm zugleich.
Es handelt von verletzen Seelen, von fehlenden Bindungen, von Todessehnsüchten. Man begegnet gescheiterten Menschen in tragischen Verstrickungen. Kunstvoll werden dabei aktuelle und frühere Geschehnisse miteinander verwoben.
Eingebettet sind diese Schicksale in einen sozialen und wirtschaftlichen Rahmen von Niedergang und Hoffnungslosigkeit. Die Brücke ist ein Symbol für das Scheitern – denn sie hat keine andere Funktion als immer wieder Schauplatz für Suizide zu sein.
Dass in dieser depressiven Grundstimmung auf einmal ein Heldentat vollbracht wird, schlägt ein wie ein Blitz. Die Menschen und die Medien wollen eine Lichtgestalt zelebrieren und sich in dessen Glanz sonnen. Doch Luke eignet sich nicht als Ikone – auch diese Chance endet letztlich tragisch.

Das alles wäre für einen 300-Seiten-Roman, der sich an erster Stelle durch seine Sprachkunst auszeichnet, schon mehr als genug. Doch DONOVAN leuchtet weitere Facetten aus: Die Scheinwerfer werden auf die chronisch überdrehte mediale Vermarktung und auf die skrupellose politische Instrumentalisierung der Ereignisse gerichtet.
Der Autor arbeitet mit beißender Konsequenz heraus, wie gleichgültig beide Maschinerien den tatsächlichen menschlichen Hintergründen gegenüberstehen. Die damit verbundene Verantwortungslosigkeit führt unaufhaltsam zu weiterem Unheil…

Es mag der Eindruck entstanden sein, dass dieses Buch die Leser/innen eher “runterzieht”. Tatsächlich gibt es wenig Grund zu Hoffnung und Leichtigkeit in dem Leben der Romanfiguren. Auch die Einblicke in die medialen und politischen Systeme verbreiten nicht gerade Optimismus.
Trotzdem vermittelt dieser “starke” Roman eine große Portion Lesegenuss. Er ist das krasse Gegenteil von seichter Lektüre. Intensität ist sein Markenzeichen.
Ein energiegeladenes Meisterwerk!