…. Autozeitschriften

Manchmal sitzt man irgendwo und hat keine Wahl. D.h. – eigentlich hätte man doch eine Wahl, denn man könnte ja irgendwas mit dem Smartphone machen. Das könnte man immer. Aber denke ich: “Du willst nicht zu den Menschen gehören, die immer und überall aufs Handy glotzen!”. Und dann nehme ich mir eine Zeitschrift…

Neulich in der Werkstatt war die Auswahl begrenzt. Es gab nur “Auto-Bild”. Ich fing an zu blättern. Und dann staunte ich.

Es kann doch unmöglich wahr sein – so dachte ich – dass hier die Zeit stehen geblieben ist. Befinde ich mich im Jahr 1968? Spiele ich noch Auto-Quartett?Dreht sich diese skurrile Welt hier wirklich noch um autoähnliche Geschosse, die über 600 PS in sich tragen? Wird hier über “fehlenden Fahrspaß” geschrieben, weil irgendein Familienauto mit 150 PS untermotorisiert wäre? Freut man sich kindisch, weil irgendein BMW-Sondermodell nochmal einen Meter länger ist als die normale 7-ner-Reihe?

Leben diese Menschen – die Redakteure und die Leser – wirklich in der gleichen Welt wie ich?

Es geht mir nicht darum, hier irgendeine moralisch-intellektuelle Überlegenheit zu zelebrieren. Aber ich begreife einfach nicht, wie Auto-Journalismus im Jahre 2018 noch mit der gleichen naiven Begeisterung über reinen Technik-Protz überleben kann. Es fällt mir wirklich schwer, dass Thema “Auto” aus dem Kontext des 21. Jahrhunderts zu reißen. Und dieser Kontext heißt: Klimawandel, Schadstoffe, Lärm, moderne Mobilitätskonzepte, lebenswerte Städte, Energiesparen, Sicherheit.

Ich will den Menschen nicht den Spaß am Leben nehmen. Nicht jede unserer Entscheidungen oder Handlungen muss den Umweltengel tragen. Aber ich erlaube mir die Frage: Wie lange sollen die PS-Dinosaurier noch wie Götzen angebetet werden? Darf sich das Bewusstsein einer Gesellschaft auch irgendwann mal weiterentwickeln? Haben wir vielleicht angesichts der dramatischen Veränderungen einfach keine Zeit, bis der Auto-Wahn auch aus den letzten Köpfen von selbst verschwunden ist?
Konkret: Muss man in irgendwelchen Autotests immer die hoch-motorisiertesten Varianten gegeneinander antreten lassen? Muss man irgendwelche verrückten und unbezahlbaren Extrem-Autos verherrlichen?

Genug aufgeregt. Eigentlich wollte ich mich ja nur wundern….

“Shape of Water” – ein Film von Guillermo del Toro

Dieser Film nimmt einen mit in eine längst vergangene (amerikanische) Welt; er ist auf eine liebenswerte und perfekte Art altmodisch.

Altmodisch, weil das Ambiente der 50iger/60iger Jahre wirklich detailverliebt umgesetzt wird.
Altmodisch, weil es sich um einen so klaren Kampf “gut gegen böse” handelt.
Altmodisch, weil die Liebe noch alle Grenzen überschreitet – selbst zwischen Mensch und einem einsamen Fantasiewesen.
Altmodisch, weil er sich traut, nichts als ein Märchen zu erzählen.
Altmodisch, weil hier Kino noch die gute alte Traumfabrik sein darf.
Altmodisch, weil es natürlich eine Art Happy-End gibt (das darf mal wohl bei einem solchen Film, bei dem es nicht wirklich auf die Handlung ankommt, sagen).

Darüber hinaus ist dieser Film auch ein Fest für Cineasten: Er spielt virtuos und gleichzeitig augenzwinkernd mit Versatzstücken aus Spionage-, Fantasy-, Musical- und Liebesfilm.
Natürlich ist auch die filmtechnische Umsetzung über jeden Zweifel erhaben – aber das ist eigentlich nicht so wichtig.

Und der Film zelebriert das Thema “Wasser” auf vielen verschiedenen Ebenen – mit z.T. genialen Bildern und Szenenübergängen. Ein Genuss für Freunde von visuellen Ideen jenseits der krachenden Computer-Effekten.

Ach ja – da bleibt ja noch die Liebe: Zwei einsame und unverstandene Wesen finden – gegen jede Wahrscheinlichkeit und Vernunft – doch zueinander, weil sie sich in einem innersten Kern gegenseitig entdecken. Dabei spielt die Gemeinsamkeit der Stummheit eine entscheidende Rolle. In einer Zeit, wo vermeintlich alles gesagt werden kann und alles gesagt werden muss, finden zwei sprachlose Wesen eine ganz andere Verbindung.
Vielleicht kann man das als Metapher dafür betrachten, dass sich eine tiefere Seelenverwandtschaft nicht gleich an der Oberfläche zeigt und auch nicht von den üblichen Attributen einer Attraktivität abhängig ist.

Man kann und darf aber auch diesen Film einfach als eine amüsante und unterhaltende Auszeit aus der Elektronik- und Facebookwelt genießen. Man darf schmunzeln  – oder gerührt sein – und das Kino insgesamt bereichert verlassen.
Wer das möchte, trifft mit diesem Film eine gute Entscheidung.

“Leere Herzen” von Juli ZEH

Es geht um den neuesten Roman der angesagten Erfolgs-Schriftstellerin, erschienen im November 2017. Jeder, der sich ein wenig für Literatur interessiert, hat schon von dem Titel oder der Autorin gehört. Ich habe den Roman mal wieder als Hörbuch konsumiert und habe das mit großem Vergnügen und Gewinn getan. Warum, das will ich hier kurz begründen.

Natürlich bietet der Roman mehrere Betrachtungsebenen an.

Die Story hat krimi-artige Facetten; es gibt einen Spannungsaufbau und mehr oder weniger überraschende Wendungen. Es geht um Gefahren und Gewalt. Es gibt die eindeutig “Bösen”; bei den “Guten” sind die Verhältnisse nicht ganz so klar…
Letzteres hat damit zu tun, dass das Ganze in einem sehr speziellen Umfeld spielt: Es geht um eine sehr eigenwillige (und etwas schräge) Verbindung zwischen der therapeutischer Arbeit mit potentiellen Selbstmördern und der Organisation “terroristischer” Anschläge. Mehr soll hier nicht verraten werden.

Diese Handlung ist eingewoben in das Leben einiger Hauptpersonen. Dazu gehören zwei Ehepaare mit ihren Töchtern, ein Mitarbeiter der Selbstmord-Praxis und insbesondere eine potentielle Selbstmörderin. Wir bewegen uns in einem liberal-alternativen Milieu; die detailreich gezeichneten Figuren sind erstmal eher Sympathieträger, laden die Leserschaft zur Identifikation ein. Es handelt sich nicht um Abziehbilder, sondern um Personen mit Ecken und Kanten, mit biografischen Spuren.

Die dritte Ebene ist sicher die wichtigste; hier lauern ganz offenbar die zentralen Botschaften, die uns Juli ZEH vermitteln möchte. Ich würde sie mal als politische/gesellschaftliche Ebene bezeichnen.
Der entscheidende Clou des Romans ist nämlich, dass wir uns in der Nach-Merkel-Ära befinden, die  – man könnte es fast ahnen – eine AfD-Ära ist.
Natürlich heißt die Bewegung im Buch anders – aber es geht ganz eindeutig um die Darstellung der Veränderungen, die mit der Regierungsübernahme einer populistisch-nationalistisch-autoritären-rückwärtsgewandten Partei verbunden sein könnten.
Das Spannende und Lohnende daran ist, dass diese gesellschaftliche Klimaveränderung eher in leisen Tönen beschrieben und eher an unspektakulären Beispielen veranschaulicht wird. Das Faszinierende und Erschreckende ist die offenbar sehr rasch eingetretene Gewöhnung, die fortschreitende Normalisierung und Relativierung. Man arrangiert sich, zieht sich ins Private zurück, sucht nach den kleinen Lösungen. Den Glauben an die großen Ideale hat man aufgegeben; es herrscht Resignation. Die Mehrheit hat es ja offenbar so gewollt!

Auf diese – aus meiner Sicht schon sehr kunstvolle und feinsinnige – Analyse eines nahen gesellschaftlichen Zukunfts-Szenarios wird ganz am Ende des Buches noch eine Ebene draufgelegt. Hier gewinnt das Buch noch weiter an Format, denn es verbindet in diesem Finale die ziemlich verrückte Zuspitzung der Story mit einer sehr ersten und grundsätzlichen Aussage über die zulässigen Mittel der politischen Auseinandersetzung.
Da ich hier inhaltliche Vorwegnahmen (also ein Spoilen) vermeiden möchte, kann ich leider nicht konkreter werden; letztlich geht es um die alte Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt.
Ich finde die gegebene Antwort sympathisch und richtig – und ich sehe in dieser hier vorliegenden Aufbereitung dieses Konflikts eine tolle literarische Leistung.

Ein Roman besteht nicht nur aus Inhalt, sondern auch aus Sprache. Logischerweise. Juli ZEH benutzt immer wieder schöne Bilder, manche Formulierungen verdienen ein genussvolles Innehalten. Sie schreibt einen modernen Roman, ohne dass die Lesbarkeit durch eine übertrieben auf modern getrimmte Sprache leidet. Dadurch wird das Buch für ein breites Publikum attraktiv: Die thematische Einbettung spricht eher ein junges Publikum an, die sprachliche Umsetzung ist zeitlos.

Ein tolles Buch!

“Hologrammatica” von Tom HILLENBRAND

Wir befinden uns im Jahr 2088 und haben es vor allem mit folgenden Phänomenen zu tun:

  • Die ganze Welt ist von hologramm-artig projizierten Oberflächen überzogen, unter denen manchmal eine ganz andere reale Welt versteckt ist.
  • Menschen, die ihr Gehirn in eine kleine Metallkugel geladen haben, können zwischen verschiedenen Körperhüllen wechseln.
  • Es gibt Künstliche Intelligenz (KI), die von den Menschen mehr oder weniger in Schach gehalten wird.
  • Die Klima-Veränderung ist weit fortgeschritten; die beliebtesten und teuersten Siedlungsgebiete liegen in Sibirien und Nord-Kanada.
  • Es gibt einen direkten “Fahrstuhl” ins Weltall, mit dem Menschen und Rohstoffe transportiert werden können

Ansonsten ist die Welt geradezu befremdlich normal: Der Erzähler, eine Art Privat-Detektiv – trinkt Unmengen Kaffee und Whiskey, mag Sex (mit Männern) und verliebt sich sogar ein wenig. Man hat den Eindruck, dass sich der Autor ganz bewusst auf einige Zukunftsszenarien konzentriert und beschränkt hat – und den Rest einfach so gelassen hat. Das erleichtert dem Leser natürlich die Orientierung – weil vieles eben doch noch vertraut erscheint. Okay – das mit dem Kaffee ist doch ein bisschen breit ausgewalzt…

Die Story ist ziemlich komplex und abgedreht, letztlich aber doch irgendwie verstehbar. Menschen sind nun mal Menschen – auch wenn sie ihre Schwächen und Verrrücktheiten zukünftig noch in anderen Ebenen und Kanälen ausleben können. Es geht weiterhin um Familien-, Liebes- und Machtthemen. Und natürlich um maßlosen Reichtum und den Wunsch nach ewigem Leben.

Bis auf ein paar Durststrecken fand ich das Buch intelligent-unterhaltsam. Es ist aber kein Ausnahme-Werk, das ich jedem ans Herz legen würde.

“Der weite Weg der Hoffnung” von Loung UNG

Es geht um das Leben und Überleben in Kambodscha unter dem Schreckens-Regime der Roten Khmer. Die Autorin schildert Ihre Kindheit, die dadurch bestimmt war, dass sie urplötzlich aus einem behüteten Mittelschicht-Leben in ein jahrelanges Martyrium von Hunger, Unterdrückung und Zwangsarbeit geworfen wurde. Sie hat – anders als Millionen andere – überlebt.

Was kann man lernen aus diesem Buch?

  • Es  wird an diesem Einzelschicksal deutlich, wie wahnwitzig die Vorstellung ist, eine “ideale” Welt durch das rücksichtslose Umsetzen einer Ideologie zu schaffen. Die Roten Khmer waren nämlich von der Idee besessen, dass jede Form von Bildung oder Kultur den Menschen von seiner wahren Bestimmung abbringt, ein einfaches Landleben in absoluter Gleichheit zu führen.
  • Während man das Mädchen und seine Familie durch die Stationen ihrer Odyssee begleitet,  bekommt man ein Gefühl dafür, was Menschen – auch Kinder – alles aushalten können, wenn es die Umstände erzwingen. Anpassungsfähigkeit und Überlebenswille sind offenbar extrem starke Kräfte, die für das Weiterbestehen unserer Art sicherlich sehr bedeutsam waren.
  • Gleichzeitig entsteht auch ein Zweifel, ob eine Übertragung auf unsere aktuelle Lebenssituation wirklich möglich wäre: Unter solchen Bedingungen überleben zu können, hatte sicher auch mit einer kulturspezifischen Haltung und Genügsamkeit zu tun und vor allem mit einem geradezu unauslöschbaren Familiensinn.
  • Fassungslos macht immer wieder das Fehlen von Empathie, Mitgefühl, Mitleid. Geschildert wird das nicht nur im Umgang zwischen ideologisch aufgepeitschten Soldaten und ihren Umerziehungsopfern, sondern auch zwischen den “einfachen” Menschen, die sich nur in kleinen Facetten voneinander unterscheiden. Ist die für “uns” (damit meine ich mein Umfeld) so selbstverständliche Mitmenschlichkeit vielleicht doch nur ein hauchdünner zivilisatorischer Umhang über dem “Biest” in uns? Was ist mit den kleinen Zipfeln von Solidarität, die hin und wieder auch unter den unmenschlichsten Bedingungen sichtbar werden?

So ein Buch ist eben doch mehr als nur die Geschichte eines Einzelschicksals. Es zu lesen, reißt einen doch ein wenig heraus aus der Komfortzone, die kaum größere Aufreger zu haben scheint als eine verzögerte Regierungsbildung.

Natürlich hätte man das alles auch in 200 statt in 300 Seiten packen können – aber auch die Ausführlichkeit und die eindringliche Art der Darstellung vermittelt etwas von dem Grundgefühl dieser schrecklichen Epoche.

Wie viele Beispiele brauchen wir noch, um zu begreifen, dass  Menschenverachtung kein Schritt auf dem Weg zu einer besseren Welt sein kann?!

“Patria” von Fernando ARAMBURU

Ein großer Roman. 750 Seiten. Ein Stück echte Literatur.

Inhaltlich geht es um den ETA-Terror im Baskenland, der in den 70iger Jahren Spanien in Atem hielt. Es wird beschrieben, wie sich aus dem Stolz, ein Baske mit eigener Kultur und Sprache  zu sein, allmählich der zerstörerische Wahn ausbildet, mit der Waffe gegen die vermeintlichen Unterdrücker kämpfen zu müssen. Und es wird erzählt, was danach möglich oder unmöglich ist beim Heilen der Wunden und im Prozess der Versöhnung.

In zwei – ursprünglich befreundeten – Familien stoßen scheinbar alle denkbaren Facetten und Widersprüchlichkeiten dieser Gemengelage aufeinander: zwischen Täter und Opfer gibt es eine ganze Reihe von Abstufungen quer durch die Familien – mit weitreichenden Folgen für die Lebensläufe der beteiligten Personen.

Der Autor schildert diese menschlichen Verstrickungen rund um den Terror mit einer bemerkenswerten Eindringlichkeit und  schafft es so, allen Personen einen nachfühlbaren, psychologisch stimmigen Charakter zu geben. Man versteht diese Menschen, weil man sie so von innen heraus kennen lernt. Ihr Verhalten scheint zwangsläufig – weil sie so sind, wie sie sind. Was nicht bedeutet, dass es kein “richtig” oder “falsch” gäbe: es gibt keinen Zweifel daran, dass der Autor den sich schleichend ausbreitenden Hass, der in zahlreichen Morden endet, für ein Krebsgeschwür hält. Aber er lässt verstehen, warum dieser Tumor der Unmenschlichkeit auch zwischen zwei eng befreundeten Familien seine zerstörerische Kraft entfalten kann.

Das gesamt Buch ist wie ein riesiges Puzzle zusammengesetzt aus extrem kurzen Kapiteln von durchschnittlich ca. fünf Seiten. Es handelt sich jeweils um kurze Momentaufnahmen und diese setzen sich nur ganz allmählich zu einem Gesamtbild zusammen. Dabei wird insgesamt ein Zeitraum von über 20 Jahren durchmessen – jedes Kapitel setzt an einem anderen Punkt an. Dabei werden zwei Spannungsbogen parallel aufgespannt: die der entscheidenden Mordtat und die des Aussöhnungsversuchs.

Dass nicht nur die Konstruktion des Buches sondern auch die sprachliche Umsetzung von hoher literarischer Qualität ist, versteht sich schon fast von selbst.

Das größte Kompliment für den Autor eines solchen Buches ist aber vermutlich, dass seine Botschaft gehört wird. Diese Botschaft wird auf eine eher leise, aber absolut unüberhörbare Weise vermittelt:
Die ganz normale alltägliche Menschlichkeit ist so viel wertvoller und bedeutsamer als jedes ideologisch aufgeblähte Ideal!

Der Roman von Aramburu macht Mut, weil sich die Humanität letztlich ihren Platz weitgehend zurückerobert. Aber er bietet auch mahnendes Anschauungsmaterial dafür, wie eine gesellschaftliche Verrohung im Dienste einer “großen Idee” um sich greifen kann. Gründe, einer solchen Gefahr auch aktuell entgegenzutreten, lassen sich nicht nur im heutigen Spanien finden….

“Unter der Drachenwand” von Arno GEIGER

Ein Kriegsroman, der die Zeit kurz vor dem Ende des 2. Weltkrieges beschreibt. Es geht um einen jungen österreichischen Soldaten, dem eine Verwundung ein Jahr Auszeit in einer ländlichen Umgebung ermöglicht.

Geiger spannt ein atmosphärisch dichtes erzählerisches Netz auf, in dem nicht nur der Ich-Erzähler sondern auch seine und die Familie seiner Geliebten und ein jüdisches Einzelschicksal zu Wort kommen. So ergibt sich ein vielschichtiges Bild vom “Leben und Leiden im Krieg”, das sich vor allem durch eine – manchmal fast übertrieben detailverliebte – Alltagsnähe auszeichnet.

Alle Figuren werden sehr plastisch gezeichnet; man lernt reale Menschen mit all ihren Widersprüchen kennen. Genau das macht die Qualität dieses Buches aus: Es sind mehr die leisen, unspektakulären Erlebnisse und Beobachtungen, die den Irrsinn des Nazi-Krieges spürbar werden lassen. Nicht überwiegend auf dem Schlachtfeld, sondern in der scheinbar beschaulichen Provinz. Auch die große Politik reflektiert sich an Einzelpersonen – und es werden durchaus auch Grauzonen sichtbar. Selbst beim Erzähler, der eine existentielle Entscheidung treffen muss.

Die eingewobene Liebesgeschichte zwischen dem Soldaten und einer verheirateten Frau und die solidarische Beziehung zu einem regimekritischen Nachbarn macht deutlich, dass Menschlichkeit auch in kriegerischen Zeiten möglich und lebbar ist. Insofern macht der Roman auch Mut: Auch unter schwierigen und bedrohlichen Umständen lohnt es sich, eine elementare Grundanständigkeit zu bewahren und den Spuren von Vertrauen und Zuwendung zu folgen.

Ein aufklärender und menschenfreundlicher Roman – der vielleicht an einigen wenigen Stellen doch ein paar Längen aufweist.

“Eine Idee erscheint (Die Ermordung des Commendatore 1)” von Haruki MURAKAMI

Ich habe in den letzten 6 Jahren von keinem Autor mehr Bücher gelesen/gehört als von Haruki Murakami; ich nannte ihn deshalb oft schon „meinen Japaner“. Er hat einen wirklich sehr individuellen Schreibstil entwickelt, der sicherlich nicht jedermanns Geschmack ist – aber ihn gleichzeitig seit Jahren regelmäßig auf die Kandidaten-Liste für den Literatur-Nobelpreis gebracht hat.

Der neue Roman reiht sich lückenlos in das bisherige literarisches Schaffen von Murakami ein, weist aber trotzdem eine Besonderheit auf: Er ist für sich alleine in keiner Weise abgeschlossen; endet sozusagen „mitten im Satz“. Daher wollte ich eigentlich den (zwingend notwendigen) zweiten Band abwarten, bevor ich meine Bewertung abgebe. Nun ist aber dieses Buch offenbar außerordentlich erfolgreich und schon weit oben in der SPIEGEL-Bestseller-Liste. Es wird also Zeit.

Der Roman spielt in der Nähe von Tokio und ist natürlich in die japanischen Kultur und Lebensweise eingebettet; der Autor ist aber immer international aufgestellt. Diesmal spielt klassische Opernmusik aus Österreich und Deutschland eine große Rolle; es gibt auch Bezüge zur Machtergreifung der Nazis.

Der Ich-Erzähler ist (Portrait-)Maler und berichtet über eine Episode aus seinem Leben, die mit der plötzlichen Trennung seiner Frau beginnt. Dieser Einschnitt bringt ihn in eine neue Umgebung und damit in Berührung mit sehr ungewöhnlichen und skurrilen Ereignissen.
Man erfährt viel über Malerei, über Opern, über besondere menschliche Beziehungen.

Was macht nun das Buch so anders?
Murakimi schafft immer wieder eine sehr besondere Atmosphäre, in dem er eine einzigartige Verbindung schafft zwischen zwei „Welten“: Auf der einen Seite schildert er in einer unglaublich unauffälligen Selbstverständlichkeit normale Alltagssituationen bzw. -abläufe; er lullt den Leser so durch entsprechende Wiederholungen (mit hoher Redundanz) geradezu in eine fast meditativ wirkende Banalität ein. Es geht dabei z.B. oft um Alltagsverrichtungen wie Kochen und Hausarbeit. Diese geradezu langweilige Normalität dient dann Basis für die Entwicklung völlig skurriler und phantastischer Inhalte, die den normalen Realitätsrahmen oft weit hinter sich lassen. Weil diese Geschichten aber in dem gleichen „Tonfall“ und einer unveränderten – im Prinzip sehr einfachen – Erzählstruktur dargeboten werden, gelingt es dem Autor tatsächlich, den Leser mit in diese Alternativwelten zu nehmen und die sonst zu erwartenden Widerstände zu überwinden. Ein toller Trick, der immer wieder wirkt – auch wenn man ihn kennt.

Man kann nach Murakami süchtig werden oder ihn als einen verrückten Spinner zur Seite legen.
Ich jedenfalls warte auf den zweiten Band (der für April angekündigt ist). Dass man so – durch die Aufteilung in zwei Bände – deutlich mehr Gewinn erzielen kann als durch ein entsprechend dicken Einzelband, sei hiermit verziehen. Es ist halt mein Japaner. Und er wird den Nobelpreis noch bekommen. Früher oder später….

(s. a. “1Q84“)

“Future Love” von Matthias HORX

Es ist eine echte Herausforderung, eine Rezension über ein neues Beziehungs-Buch zu schreiben, wenn man selbst – zusammen mit einer Co-Autorin – seit über zwei Jahren an einem solchen Buch schreibt (vermutlich werden es letztlich zwei Bücher nach drei Jahren).

Ich muss unumwunden einräumen: Das Buch von HORX ist zu ziemlich das Beste, was ich zum Thema „Liebesbeziehungen“ jemals gelesen habe; es ist facettenreich, anregend, kreativ, visionär.

Das Buch spannt den Bogen von den Anfängen der Menschheitsentwicklung bis zu den antizipierten Zukunftstrends des mittleren 21. Jahrhunderts. Der Autor bedient sich einer sehr besonderen Mischung zwischen wissenschaftlicher Aufarbeitung und persönlichen Bezügen zu seiner eigenen Biografie – die er immer wieder zur Illustration seiner Thesen heranzieht.

Es wird schnell deutlich, dass sich HORX nicht gerne im Mainstream aufhält: Er kennt scheinbar nur irgendwie exzentrische und leicht ausgeflippte Menschen – entsprechend breit gefächert ist seine Sichtweise auf die Variationen der menschlichen Liebe. Diese sehr offene und tolerante Haltung gegenüber allen Spielarten kommt auch dem Blick in die Zukunft der Liebe zugute: Auch hier lässt der Autor kaum eine denkbare “Verrücktheit” außen vor. Er hat offensichtlich ein gewisses Vergnügen an den Extremen, die er genüsslich darstellt, um sie dann aber letztlich doch kritisch zu hinterfragen und zu relativieren.

Die Stärke des Buches ist in gewisser Weise vielleicht auch seine Schwäche: Der „Normalo“ mit seinen ganz alltäglichen Beziehungsproblemen findet sich nicht unbedingt wieder in diesem Kaleidoskop von Trends und Utopien. Manchmal hilft dann nur ein irritiertes Kopfschütteln…

HORX greift auf eine solide Basis von Literatur-Quellen zurück, findet auch dort sehr spezielle Angebote: So scheint er ein besonders Faible für solche Liebes-Forscher zu haben, die ihre Erkenntnisse auch in mathematische Formeln übersetzen. Manchmal entsteht der Eindruck, dass nicht alle aufgeführten Theorien und Aspekte in ausreichendem Umfang auch in den Gesamtzusammenhang integriert werden. So wird z.B. die Bindungsforschung kurz auf einigen Seiten referiert, aber nicht weiter argumentativ genutzt.

Von solchen Kleinigkeiten abgesehen: ein tolles Buch für die Leser, die sich besonders für die schillernden „Ränder“ der Liebeskultur interessieren und die aktuellen Trends gerne mal in die Zukunft weiterdenken (lassen). Jede Menge Stoff zum Denken und Diskutieren!

“Rettet die Wahrheit” von Claus KLEBER

Ich mag das heute-journal und ich mag dort besonders Claus KLEBER.
Ich fühle mich durch diese Sendung durchweg erstklassig und niveauvoll informiert und sehe mich immer wieder in dem Eindruck bestätigt, dass dafür eine besonders engagierte journalistische Haltung der Macher verantwortlich ist.
Auf diesem Hintergrund hat mir ein aufmerksamer Mensch dieses Büchlein geschenkt und damit für meine positive Einstellung die perfekte Untermauerung geschaffen.

Claus KLEBER schafft es auf knapp 100 Taschenbuchseiten, nicht nur einen Einblick in den spannenden Arbeitsalltag der Redaktion zu vermitteln, sondern ein leidenschaftliches Plädoyer für unabhängigen und aufklärerischen Journalismus und die öffentlich-rechtliche Medienlandschaft insgesamt zu liefern.

Natürlich wäre KLEBER nicht KLEBER, wenn er das ohne Bezug zu den aktuellen gesellschaftlichen, politischen und medialen Herausforderungen tun würde. Es geht daher zwangsläufig um Trump, um fake-news, um die sozialen Netzwerke und den Einfluss von Macht und Geld auf die Meinungsbildung.
Facebook und Co werden dabei nicht verteufelt – aber auch an deren Beispiel wird überzeugend deutlich gemacht, wie unverzichtbar ein unabhängiger, nur den eigenen Maßstäben verpflichteter Qualitätsjournalismus für eine demokratiekonforme Informationsvermittlung ist.

Zugegebenerweise sind die medien- und gremienpolitischen Feinheiten um die umstritterne Wiederbesetzung des ZDF-Chefredakteur-Posten im Jahre 2009 nicht für jeden Leser ein spannender Stoff. KLEBER macht diesen etwas trockenen Exkurs, um zu demonstrieren, dass zwar auch Deutschland nicht frei von Versuchen politischer Einflussnahme auf öffentliche Medien ist – letztlich aber die Sicherungen und Kontrollen zuverlässig funktioniert haben.
Er macht glaubhaft, dass es in seinem gesamten Berufsleben keinen Versuch gegeben hat, seine journalistische Freiheit einzuschränken oder auch nur zu lenken.

Diese Form von gelebter Pressefreiheit mag uns demokratie- und rechtsstaatverwöhnten Deutschen wie eine pure Selbstverständlichkeit vorkommen, ist aber tatsächlich auf diesem Planeten eine seltene Ausnahmeerscheinung. Wer glaubt, seine Nachrichten genausogut von einem kontrollierten Staatsfernsehen oder von einem ideologisch verpeilten Medienzaren beziehen zu können, sollte vielleicht mal in Russland, China oder in den USA in die Glotze gucken. Und wer ernsthaft meint, dass facebook und twitter einen seriösen und professionellen Journalismus überflüssig machen würde, der spielt mit den Grundlagen unserer Demokratie.

Vielleicht hilft ja ein Blick in dieses kleine Büchlein – nach einer ca. zweistündigen Lesezeit ist man vielleicht überzeugt.

Ich jedenfalls halte unsere öffentlich-rechtlichen Medien für eine große Errungenschaft, die man gegen Zweifel und Angriffe verteidigen sollte.
Genau dies gelingt KLEBER in diesem Buch.