“Von der Elbe zum Rhein – Binnenschifffahrtsgeschichte und Geschichten” von Werner MEYER-DETERS

Werner Meyer-Deters legt ein auf allen Ebenen gewichtiges Buch vor, das ihn – selbst im Rentenalter – in einer kaum zu übertreffenden Intensität mit dem Anfang seines Berufslebens verbindet. Der Autor, inzwischen ein in Fachkreisen bundesweit bekannter Fachberater im Bereich Kinderschutz/Täterarbeit, begann als 16-jähriger eine Lehre als Binnenschiffer und ist diesem Thema bzw. dieser Welt ganz offensichtlich innerlich mehr als treu geblieben. Das Ergebnis dieser lebenslangen Verbundenheit bringt mit seinen 340 dicht bedruckten und reich bebilderten Seiten 1,5 kg auf die Waage.

Keine Frage: Dieses Buch beleuchtet kein Mainstream-Thema und es ist auch nicht als niederschwellige Einstiegs-Information für Leute geeignet, die sich mal nebenbei ein grobes Bild über diesen Bereich machen wollen.
Es richtet sich an ein interessiertes Nischen-Publikum: an Menschen, die sich aus biografischen, beruflichen, historischen, technologischen oder verkehrspolitischen Gründen bzw. getrieben durch eine leidenschaftliche Liebhaberei der Binnenschifffahrt mit Herz und Verstand verschrieben haben.
Diesem Personenkreis wird eine geradezu grenzenlose Vielfalt und Intensität an Perspektiven und Eindrücken geboten. Schon nach der Hälfte des Textes scheint es kaum noch denkbar zu sein, dass irgendein – noch so winziger – Aspekt der Thematik unberührt bleiben könnte. Und wenn einem etwas sehr Spezielles einfallen sollte: Tatsächlich, auch das fantasierte Thema kommt – mit geradezu unumstößlicher Sicherheit (und wenn es die Sanitärsituation auf einem bestimmten Schiffstyp in den 40iger Jahren ist…)!

Meyer-Deters verschachtelt gleich eine ganze Reihe von potentiellen Einzelbüchern in diesem Potpourri von Aspekten und Sichtweisen:
– Er spannt einen biografische Bogen von seinen Lehrjahren als Binnenschiffer, über Kontakte zu bekannten Schiffern und gelegentliche touristische (Mit-)Fahrten bis zur heutigen semi-professionellen Aufarbeitung des Gegenstandes (die deutlich über eine reine Liebhaberei hinausgeht).
– Er beschreibt, erklärt und bebildert die technischen Aspekte der Entwicklung der Binnenschifffahrt in einer Akribie, die vermutlich auch für absolute Fachleute keine Frage offen lassen würde.
– Er zeichnet ein lebendiges und vielschichtiges Gesamtbild dieses Verkehrs- bzw. Transportmittels, in das auch wirtschaftliche, zeitgeschichtliche, politische und kulturelle Perspektiven verflochten werden.
– Durch die Bezugnahme auf andere Veröffentlichungen und diverses Quellenmaterial (z.B. aus Museen oder Privatarchiven) schafft der Autor nach und nach einen Überblick über ein weit verstreutes Dokumentations- und Erinnerungsnetzwerk rund um die Binnenschifffahrt (natürlich fehlen auch entsprechend systematische Übersichten im Anhang nicht).
– Als eine Art personalisiertes inneres Gerüst für die Gesamtdarstellung dient dem Autor die Geschichte einer (persönlich bekannten) Schifferfamilie, in der sich – über mehrere Generationen hinweg – technische und historische Faktoren biografisch spiegeln.

Meyer-Deters ist bei all dem kein neutraler Chronist. Es wird nicht nur immer wieder deutlich, dass sein Herz an der Binnenschifffahrt hängt. Der Autor hat einen besonderen Blick und eine spürbare Sympathie und Empathie gerade für die Menschen, die (bis vor wenigen Jahrzehnten) unter – heute kaum noch vorstellbaren – Bedingungen eine extrem harte, verantwortungsvolle und entbehrungsreiche Arbeit leisten mussten.
Er guckt auch hier genau hin: auf die wirtschaftlichen Zwänge und Abhängigkeiten der Schiffsführer bzw. -eigner, auf das harte Matrosen-Leben an Bord, auf die extrem schwierigen Rahmenbedingungen für Familienleben und die Erziehung und Schulbildung der Kinder.
Er gibt immer wieder Raum für persönliche Schilderungen von “Betroffenen”; der Autor greift dabei auch auf Veröffentlichungen anderer Autoren oder eher privaten Quellen zurück: Es ist ihm offensichtlich wichtig, möglichst vielen Menschen eine Stimme zu geben. Das hat ganz offensichtlich viel mit einer bewussten Erinnerungskultur zu tun.

Nicht zuletzt zeigt sich der Autor auch als politisch denkender und moralisch fühlender Mensch, indem er auch Auswirkungen von Krieg, wirtschaftlicher Ausbeutung und politischen Fehlentwicklungen nicht nur beschreibt, sondern sie auch wertend einordnet. So ist es kein Zufall, dass er Aspekte wie die Situation der Binnenschifffahrt im III. Reich, den Einsatz von Zwangsarbeitern und die Beteiligung an der Kriegswirtschaft mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet.
Aber auch für den professionellen Stolz und das besondere Lebensgefühl an diesem so besonderen Arbeitsplatz hat der Autor einen sensiblen Blick. Nicht zuletzt scheint dies auch ein Grund dafür zu sein, dass es ihn immer mal wieder auf eines der Schiffe treibt.

Wie könnte es anders sein: Natürlich plädiert der Autor auch engagiert und argumentativ überzeugend für eine größere Rolle der Binnenschifffahrt innerhalb der gesamten Verkehrspolitik – nicht zuletzt aus der immer bedeutsamer werdenden ökologischen Perspektive. (Ein entsprechendes Konzept der “Initiative System Wasserstrasse findet sich im Anhang).
Auch die touristische Perspektive bekommt am Ende des Buches ihren Raum – genauso wie ein Blick auf die beruflichen Zukunftsaussichten (die im Rahmen der zunehmenden Automatisierung auch das “führerlose” – also ferngesteuerte) Binnenschiff umfasst).

Meyer-Deters hat sich – wie schon angedeutet – dafür entschieden, die Einzelperspektiven in einer bunten Abfolge zu mischen. Zwar gibt es eine grobe chronologische Abfolge (sowohl zeitgeschichtlich, als auch bzgl. der Referenz-Familie); durch die vielen Einschübe, Themenwechsel und ergänzenden Erläuterungen entsteht aber eher der Eindruck eines Kaleidoskops, das einen immer wieder neue Blickwinkel eröffnet.
Die Leserschaft wird in so in diesem vor Details überquellenden Buch zum Blättern und zum Schmökern eingeladen; das ist kein Buch, das man in wenigen Tagen Seite für Seite durchliest.
Für ein auf Systematik gepoltes Publikum (erst die Technik, dann die persönlichen Geschichten) könnte es den ein oder anderen Themensprung zu viel geben.

Sicher hätte das Buch ein noch großzügigeres Layout verdient: Man hätte sich deutlich abgehobenere Abschnitte, großzügigere Zwischenüberschriften und vielleicht auch einen breiteren Rand gewünscht. Die Augen haben einfach viel zu tun, wenn sie auf zwei dicht bedruckte DIN-A 4 Seiten schauen…
All das hätte das Buch jedoch noch voluminöser und damit noch teurer in der Herstellung gemacht; es erscheint sowieso wie ein kleines kalkulatorisches Wunder, dass diese beeindruckende Publikation für unter 30 € zu haben ist.

In Anbetracht eines fehlenden spezifischen Sach- und Erfahrungswissens kann ich den Umfang und die Tiefe der in diesem Buch dargebotenen Informationen und Perspektiven letztlich nur “von außen” einschätzen. Dabei entsteht allerdings ein klares Gefühl des Respektes vor der Gründlichkeit bzw. dem Einsatz, mit dem sich der Autor dieser riesig wirkenden Herausforderung gestellt hat. Ein solches Projekt tut man sich wohl nur an, wenn es sich um ein echtes “Lebensthema” handelt.
Genau das wird in diesem besonderen Buch sichtbar.

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Eine Antwort auf „“Von der Elbe zum Rhein – Binnenschifffahrtsgeschichte und Geschichten” von Werner MEYER-DETERS“

  1. Dem kann ich als totaler Fachlaie, aber durch den Autor – und nicht zuletzt durch sein Buch – herangeführter neugieriger Interessierter an der Binnenschifffahrt, nur zustimmen. Sehr lesenswert und Wissensvermittlung. Besonders der Bezug zur Schifferfamilie Jahn, bei denen ich als Gast eine Tour auf ihrem neuen Schiff mitfahren durfte, sowie der lokale Bezug zur Schifferstadt Aken, im Umfeld meiner jetzigen Wahlheimat gelegen, haben mich sehr tief in dem Buch versinken lassen und mir viele neue Eindrücken und Informationen vermittelt. Großen Dank an Werner Meyer-Deters für diese intensive Fleissarbeit. Ein tolles Buch! Torsten Kettritz

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