“Aufklärung in Zeiten der Verdunkelung” von Philipp Blom

Bewertung: 3.5 von 5.

Philipp BLOM ist schon lange ein feingeistiger Betrachter und Kommentator der Zeitgeschichte. Er ist als Historiker in der Lage, detailversessen in feinste Prozesse einzutauchen und als eine Art geisteswissenschaftlicher Universalgelehrter vermag er die großen Linien der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen nachzuzeichnen.
In seinem aktuellen Buch nimmt er sich nicht weniger vor als die Skizzierung einer neuen Aufklärung in Zeiten existentieller Krisen.

BLOM will mit der “alten” Aufklärung nicht brechen – auch wenn er die Kritik an der Mainstream-Version dieser Geistesepoche zu großen Teilen nachvollziehen kann. Er sieht die Aufklärung in ihren zeitgeschichtlichen Bezügen gefangen und entschuldigt so bestimmte Schwächen: z.B. die Verabsolutierung der Vernunft (unter Vernachlässigung des Körperlichen), die Mentalität der Natur-Beherrschung (sich über die Natur stellen), die Inkonsequenzen und Widersprüchlichkeiten (in Bezug auf die “Gleichheit” von Frauen, Sklaven und Unzivilisierten). Der Autor vergisst aber nicht, darauf hinzuweisen, dass es von Beginn an auch radikalere Stimmen gab – z.B. die von SPINOZA und DIDEROT.

BLOMs Forderung nach einer neuen Aufklärung basiert auf einer Analyse verschiedener kulturellen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen. Im Zentrum stehen dabei die Klimakrise und der allgemeine Raubbau an der Natur, der Wachstums-Fetischismus unserer Hyperkonsum-Gesellschaft und die Infiltrierung unserer Gehirne durch die gleichgeschalteten Botschaften einer Werbe- und Unterhaltungsindustrie (deren Wirksamkeit gerade durch eine KI-Revolution noch einmal potenziert wird).

Wie sieht nun BLOMs Gegenmittel aus? Der Autor zieht zwei große Quellen für eine neue Aufklärung:
Einmal hält es BLOM für zwingend notwendig, die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften zu berücksichtigen. Inzwischen ist nämlich dort ein Paradigmenwechsel vollzogen worden, der (endlich) das systemische Zusammenspiel aller Naturkreisläufe in den Fokus nimmt. So kann es keinen Zweifel mehr geben an unserer unlösbaren Verstricktheit mit anderen Bio-Systemen – angefangen mit den Mikroorganismen in unserem Körper bis hin zu der großen weltumspannenden Abhängigkeit von der Artenvielfalt. Die Attitüde, sich als “Krone der Schöpfung” über die Natur und die Mitgeschöpfe zu stellen, hat – jenseits aller Moral – rein faktisch ausgedient.
Doch der rational-wissenschaftliche Blick kann es alleine nicht richten. Wir brauchen – so BLOM – darüber hinaus eine Rückbesinnung auf analoge, unmittelbare, sinnliche Erfahrungswelten. Wir müssen uns die Körperlichkeit zurückerobern, müssen uns anstrengen, unsere Grenzen spüren, Leidenschaft entwickeln und das Leben auch biologisch an uns heranlassen.
Auf dieser Basis – Wissenschaft und Lebendigkeit – könnten dann die neuen, rationalen und gespürten – Narrative wachsen und sich den aktuellen Gegnern von “Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit” entgegenstellen.

Das klingt vielleicht ein wenig nach einer logisch aufgebauten Argumentationslinie, durch die uns ein geschickter Didaktiker führt.
Doch BLOM ist in diesem Buch kein solcher Führer. Er schreibt eher einen assoziativ angelegten Essay als ein strukturiertes Sachbuch. Der Autor lässt seine Gedanken schweifen, umtänzelt die Themen mehr, als dass er sie systematisch bearbeitet.
Zu diesem Eindruck des freien Gedankenflusses träft auch der Aufbau des Buches bei: Die Anmerkungen stellen fast so etwas wie eine zweite Buch-Ebene dar. Wären die dort gelagerten Ergänzungen auch noch in den Haupttext integriert worden, hätte sich der Rote Faden wohl endgültig aufgelöst.

BLOM legt ein sehr kluges Buch voller nachvollziehbarer Analysen und anregender Schlussfolgerungen vor.
Wer sich mit ihm auf seinen – nicht immer streng systematischen – Gedankenfluss einlassen (und die darin liegende Freiheit zum Weiterassoziieren schätzen) kann, ist hier bestens aufgehoben.
Andere möchten vielleicht doch etwas stärker an die Hand genommen werden…

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