“Youth To Power – Eine Anleitung zum Handeln” von Jamie MARGOLIN

Die inzwischen weltweit bekannte junge Aktivistin (Mitbegründerin der Klimabewegung “Zero Hour”) hat ein Buch für diejenigen jungen Leute geschrieben, die sich ebenfalls aufmachen wollen, um die Welt nach ihren eigenen Vorstellungen zu verändern.
Es ist eine Art Handbuch geworden, in dem sie ihre – inzwischen breitgefächerten – Erfahrungen in strukturierter Form darstellt und so konkrete Tipps und Handlungsanleitungen verfügbar macht.

JAMIE (der Vorname passt besser zum Stil des Buches) spricht ihre Zielgruppe direkt an, sie betrachtet sich dabei als gleichgesinnte Freundin mit einem Erfahrungsvorsprung, keineswegs als ein leuchtendes Vorbild oder gar als Heldin.

Es geht ihr nicht darum, für eine bestimmte Sache zu werben – auch wenn die Richtung natürlich klar ist: Alle Beispiele drehen sich um Klima, Anti-Rassismus, Anti-Diskriminierung, Transgender, soziale Gerechtigkeit. Die Autorin behandelt in ihrem Aktivisten-Leitfaden aber nicht den Inhalt, sondern die Struktur des politischen Handelns. Es handelt sich daher NICHT um ein Klima-Buch oder um die Sensibilisierung für Alltags-Diskriminierung.
Ausgangspunkt aller Überlegungen ist die eigene Erfahrung, die empfundene Ungerechtigkeit oder das persönliche Veränderungsziel. Die Frage nach dem persönlichen “Warum” (also nach dem Motiv für das Aktivwerden) steht daher am Anfang.

Dann geht es ans Eingemachte: JAMIE behandelt die Wege und Methoden der politischen Einflussnahme mit bewundernswerter Akribie und Systematik: Wie finde ich gleichgesinnte Jugendliche? Wie schreibe ich einen Leserbrief? Wie nehme ich Kontakt zu meinem Abgeordneten auf? Wie mobilisiere ich die Presse? Wo finde ich Bündnispartner und Mentoren in der Erwachsenenwelt? Wie organisiere ich ein Event? Was muss ich über juristische und finanzielle Aspekte eines Projektes oder einer Demo wissen? Wie nutze ich die sozialen Medien? Welche Stolpersteine lauern in der internen Gruppendynamik? Usw., usw…

So eindeutig sich die Autorin auch zu der Notwendigkeit bekennt, dass die junge Generation ihre Interessen mit voller Kraft selbst vertreten muss – so klar definiert sie auch die Risiken und Grenzen eines solchen Engagements.
Es gehört eindeutig zu den größten Stärken dieses Buches, dass JAMIE nicht nur auf die Gefahren einer Selbstüberforderung und auf die Notwendigkeit hinweist, sich “normale” Lebensbereiche zu erhalten; sie nimmt sogar eindeutig Stellung, wenn es um den Vorrang der eigenen Ausbildung und die Berücksichtigung familiärer Bezüge geht.
Hier stachelt an keiner Stelle eine radikale Aktivistin andere Jugendliche auf, sich ohne Rücksicht auf Verluste ganz einer Sache hinzugeben und diesem Ziel alles andere unterzuordnen. Hier hetzt auch niemand gegen die “böse Erwachsenenwelt”; im Gegenteil: Es wird immer wieder dazu ermutigt, sich dort Mitstreiter/innen zu suchen und auch die eigenen Eltern nicht außen vor zu lassen.

Die Autorin lebt in Amerika und das hat natürlich auch dieses Buch geprägt. So ist das Thema “People of Color” (und damit rassistische Diskriminierung) an jeder Ecke spürbar. Aber JAMIE ist international vernetzt und sie unterstreicht diese Globalität der Jugendbewegung, indem sie am Ende jedes Kapitels eine Aktivistin aus anderen Teilen der Welt zu Wort kommen lässt.
An Selbstbewusstsein fehlt es der Autorin und ihren Mitstreiterinnen dabei sicher nicht. Sie ist überzeugt davon, dass Jugendliche besonders geeignet sind, sich den drängenden Zukunftsfragen zuzuwenden, weil sie noch nicht durch wirtschaftliche Interessen oder Abhängigkeiten vereinnahmt sind.

Vor dem Kauf des Buches sollte man wissen, worauf man sich einlässt. Es geht hier nicht um ein gelegentliches Mitmarschieren bei “Fridays for Future”. Thema sind die konkreten, mühsamen und langfristig ausgerichteten kleinen Schritte der politischen Einflussnahme – aus der Perspektive von Jugendlichen, die selbst noch keine Wähler/innen sind, sich aber mutig und selbstbewusst einmischen wollen, um die Zukunft in ihrem Sinne zu gestalten.

Für diese Zielgruppe bietet dieses Buch geradezu eine Füllhorn an praktischen und alltagsnahen Anregungen. Man könnte ohne Übertreibung sagen: Dieses handliche und preiswerte Buch könnte ein unverzichtbares Standardwerk für die internationale Jugendbewegung werden.

“Bewusstsein – Bekenntnisse eines Hirnforschers” von Christof KOCH

KOCH ist ein international renommierter Wissenschaftler, der an den besten Forschungseinrichtungen der Welt mit den klügsten Experten gearbeitet hat. Das weiß er, und das zeigt er auch.
Überhaupt ist dieses Sachbuch, das sich an ein interessiertes und vorgebildetes Publikum wendet, zugleich ein sehr fachliches und sehr persönliches Buch. Dieser Mensch nimmt auch sich und seine Biografie wichtig – tut das aber nicht (nur) aus Eitelkeit, sondern schafft damit einen Bezugsrahmen für die Themen, die in bewegen und für die Auswirkungen seiner Erkenntnisse auf seine private Weltsicht.

Wie macht unser Gehirn das Bewusstsein? Lohnt es sich überhaupt, diesem Geheimnis auf die Spur kommen zu wollen? Wie weit führt die Entzauberung des Menschen, wenn ich selbst seine höchsten geistigen Leistungen, seine Entscheidungen und seinen Willen als Ergebnis von physiologischen (elektro-chemischen) Vorgängen betrachte? Haben vielleicht schon Tiere ein Bewusstsein – und was würde das bedeuten? Welchen Platz haben bei all dem noch traditionelle Menschenbilder oder gar der göttliche Einfluss?

KOCH ist dem inneren Antrieb gefolgt, den Fragen nach der Quelle für das Bewusstsein ohne Tabus nachzugehen. Er hat dabei viel gewonnen, aber auch etwas verloren, u.a. den Glauben an einen persönlichen Gott. Es wird deutlich, dass sein Leben dadurch nicht an Sinn, Erfüllung oder Tiefe verloren hat. KOCH sucht und findet auch intensive Erfahrungen außerhalb der Labore.
Doch in erster Linie sind es die gewonnenen Erkenntnisse über die unglaubliche Komplexität der neuronalen Funktionen und Netzwerke, die sein Leben bereichert haben. Und genau das versucht der Autor, uns in diesem Buch mitzuteilen, indem er uns auf eine Reise durch sein Leben mitnimmt.

Im Buch wechselt die Perspektive zwischen einer persönlichen, einer eher grundsätzlichen Betrachtungsebene und der akribischen Darstellung von Experimenten und Befunden. Dieser Perspektivwechsel macht es dem Leser leichter, sich auf die Zumutungen der wissenschaftlichen Details einzulassen. Nach und nach führt KOCH tiefer in das Innere des Gehirns und seiner Funktionen und vergrößert damit auch die Komplexität der angebotenen Information – bietet aber immer wieder erklärende und einordnende Begleitung an.
Man erfährt viel über die Aussagekraft von Träumen, Tierexperimenten und spezifischen Verletzungen und Erkrankungen des menschlichen Gehirns. Eindrucksvoll wird belegt, wie viel in unserem Nervensystem passiert, ohne dass wir uns dessen bewusst wären – zum Glück, denn ohne Filterung und Voranalyse wären wir hoffnungslos überfordert und völlig lebensunfähig.

Auch philosophisch höchst interessant sind KOCHs Betrachtungen zum Determinismus und zur Willensfreiheit. Natürlich findet auch KOCH, der bis in die Unschärfe der Quantenphysik eintaucht, nicht die Wahrheit zu diesen Menschheitsfragen; er schlägt aber pragmatische Lösungen bzw. Umgangsweisen vor, die sich von vielen anderen eher oberflächlichen Thesen angenehm unterscheiden. Er traut sich, bis an die Grenze des Denkbaren zu denken, und geht dann wieder einen halben Schritt zurück – damit es sozusagen lebbar bleibt. Respekt!

Gegen Ende stellt der Wissenschaftler eine schon fast metaphysische Sichtweise des Bewusstseins zur Diskussion, in Form eines in aller Materie bzw. im gesamten Kosmos angelegten Ur-Bewusstseins. Natürlich wird auch die Frage diskutiert, ob und ab welcher Komplexitätsstufe auch künstliche Systeme Bewusstsein entwickeln können oder unvermeidbar werden.
Das alles ist intellektuell anregend; man muss sich dabei nicht jeden Gedanken zu eigen machen.

Am ehesten findet sich die ultimativ-vorläufige Antwort auf die Frage nach dem Bewusstsein letztlich im Prinzip der integrierten Information. Er stellt ein (gedankliches und mathematischen) Modell vor, dass sogar schon eine konkrete Anwendungsmöglichkeit gefunden hat: So können unterschiedliche Bewusstseinszustände bei schwerkranken Patienten auf dieser Grundlage offenbar recht zuverlässig unterschieden werden.

Falls noch jemand zweifelt: Unser Bewusstsein verschwindet (spätestens) mit unserem Tod. Bis dahin können wir allerdings (u.a.) noch viel über uns und die Welt erfahren und lernen – z.B. aus solchen faszinierenden Büchern wie diesem.

“Der EGO-Tunnel” von Thomas METZINGER

Der etwas fetzige Titel könnte täuschen: Es geht hier nicht um einen Science-Fiktion-Thriller, sondern um ein inhaltsschweres Sachbuch. Der Untertitel klärt das dann aber auf.

Meine ungebremste Begeisterung für dieses Buch lässt sich – natürlicherweise – nicht von meiner Vorgeschichte und damit von meiner Motivation trennen. Die Frage, wie Gehirn und Bewusstsein zusammenhängen, beschäftigt mich seit Jahrzehnten – psychologisch, philosophisch und immer stärker auch neurowissenschaftlich.

Im Rahmen der Fortschritte der Hirnforschung (bildgebende Verfahren, Computersimulationen, usw.) hat die uralte philosophische Frage, wie der Geist (vor allem das Ich-Bewusstsein) in die physikalischen und biologische Welt kommt, einen ganz anderen Drive aufgenommen. Für immer mehr geistige und psychische Zustände konnten inzwischen physiologische Korrelate nachgewiesen werden – und doch wurde das Bewusstsein selbst von vielen als ein letztes Geheimnis betrachtet, dem man möglicherweise nie auf die Spur kommen könnte.

Zwar gab es schon eine Weile auf beiden Hauptseiten, der Neuro-Wissenschaft und der Bewusstseins-Philosophie, eine Tendenz zur Interdisziplinarität. Mir ist aber tatsächlich verborgen geblieben, dass der Philosoph METZINGER diese Zusammenschau der Perspektiven schon seit einigen Jahren in seiner Person vereinigt – und das auf allerhöchstem fachlichen Niveau.

Der EGO-Tunnel stammt ursprünglich aus dem Jahre 2009, wurde teilweise 2014 überarbeitet. Das erscheint in diesem turbulenten Forschungsbereich schon ein bedenklich langer Zeitraum zu sein. Aber: METZINGERs Buch kann ohne Einschränkungen auch im Jahre 2020 noch als Standardwerk betrachtet werden und reicht mit seinen sehr grundsätzlichen Fragestellungen und Perspektiven noch weit in die Zukunft.

Der Zugang Thema (Gehirn und Bewusstsein) unterscheidet sich auf eine sehr prinzipielle Art von allem, was ich bisher darüber gelesen habe. METZINGER verbleibt nicht bei vagen Andeutungen und Hinweisen auf noch notwendige Forschung. Der Autor bietet ein konsistentes Modell zur Beschreibung und Erklärung des extrem komplexen Zusammenspiels zwischen dem, was in unserem Gehirn abläuft und unserem subjektiven Erleben. Das Tunnel-Modell soll veranschaulichen, dass wir grundsätzlich keinen direkten Kontakt mit der (echten) Außenwelt haben, sondern unser Gehirn uns eine Repräsentation anbietet, die das Ergebnis extrem komplexer Berechnungen und Konstruktionen darstellt. An diesem Prozess arbeiten neuronale Netze mit Milliarden von Verschaltungen, die dann in einem bestimmten zeitlichen Muster miteinander interagieren.
Die Grundthese ist: Bewusstsein entsteht dann, wenn das Gehirn sich sozusagen mit der Repräsentation dieser Repräsentation befasst, was wiederum einen besondere Form der abgestimmten Oszillation der Netzwerke voraussetzt.

Das klingt in dieser Komprimierung nach hohlen Begriffsformeln, wird aber von METZINGER sehr faktenreich und anschaulich abgeleitet. Er führt dabei Beobachtungen und Erkenntnisse aus ganz verschiedenen Bereichen an, so dass der der Eindruck entsteht, dass sein Modell wirklich eine Integration vieler Sichtweisen und Befunde darstellt. Dabei ist durchaus überraschend, dass sich der Autor auch ausführlich mit (insbesondere luziden) Träumen, psychodelischen Drogen, außerkörperlichen Erfahrungen und psychiatrischen Erkrankungen befasst. Im Mittelpunkt stehen jedoch zielgerichtete Experimente an Tieren und Menschen, die u.a. deutlich machen, dass Bewusstsein durchaus etwas ist, was eine stufenweisen evolutionären Entwicklung durchlaufen ist. Geraden die verschiedenen (Vor-)Stufen des Ich-Bewusstseins schaffen ein Verständnis davon, wie eben doch alles logisch aufeinander aufbaut – ganz ohne einen “Göttlichen Funken”.

METZINGER ist kein Wissenschaftler im Elfenbeinturm; ganz im Gegenteil!
Im letzten Teil des Buches beschäftigt er sich mit den weitreichenden gesellschaftlichen Folgen der sich gerade vollziehenden Revolution der Bewusstseins-Wissenschaften. Dabei geht es nicht nur um die zu erwartenden Anwendungen und Risiken (Werbung, Medizin, Militär, Bildung, Selbstoptimierung, usw.), sondern auch sehr grundsätzlich um die Auswirkungen, die die “Entzauberung” des Bewusstseins für das Selbstbild des Menschen haben könnten. METZINGER hält es einerseits zwar für unvermeidbar und auch wünschenswert, dass sich eine rationale, naturalistische Sichtweise des Mensch-Seins entfaltet, sieht es aber auch als notwendig an, die “überholten” Konzepte (Gott, Seele, Leben nach dem Tod) durch etwas anderes zu ersetzen. Sein Ziel ist nicht ein kruder sozialdarwinistischer Nihilismus, sondern eine Bewusstseinskultur, die größtmögliche Autonomie und Redlichkeit beinhaltet und den Zugang zu einer säkularen Spiritualität ermöglicht (z.B. durch Meditationsunterricht in den Schulen).

Ein grandioses Buch, von dem man lange zehren kann.
Inhaltlich, sprachlich und didaktisch ein Meisterwerk.

YouTube macht klug

Für viele Digital-Kritiker (insbesondere aus meiner Generation) ist diese Aussage eine mittlere Provokation. Haben diese aufgeklärten Menschen doch inzwischen mitbekommen, welch kruder Schwachsinn und welche brandgefährlichen Inhalte in diesem größten Videokanal der Welt dargeboten werden. Spätestens wenn man erfahren hat, dass manche grell-geschminkten Teenies (sog. “influencer”) Millionen damit verdienen, dass sie Pakete mit bestimmten Kosmetik-Artikeln oder Textilien vor der Kamera auspacken, sollte man ja mit diesem Medium fertig sein – so die Schlussfolgerung.

Perspektivwechsel.
Als technik- und medienaffiner Mensch habe ich inzwischen so etwas wie eine persönliche Geschichte mit der Plattform “YouTube”.

Angefangen hat es wohl im Musik-Bereich. Während ich noch darüber nachdachte, wann ich wohl meine auf VHS-Bändern gesammelten Aufzeichnungen von irgendwelchen Rock-Konzerten digital archivieren könnte (das “Wie” war mir natürlich längst bekannt), stieß ich bei YouTube auf ein fast grenzenloses Angebot aus allen Epochen der 50-jährigen Rockgeschichte. Wahnsinn!
Dazu kam, dass bestimmte Musikstücke, die ich auf kleinem anderen Medium mehr finden konnte, oft auf YouTube präsent waren – einfach hinterlegt zu irgendeinem Standbild (meist dem Plattencover).

Deutlich später nahm ich dann zur Kenntnis, dass YouTube eine nahezu unendliche Quelle für lebenspraktische Informationen ist. Ein Tipp kam von meinem Sohn, indem er mich darauf hinwies, dass man in seiner Welt das korrekte Knüpfen eines Krawatten-Knotens nicht mehr von seinem Vater sondern aus einem YouTube-Video lernen würde.
Seitdem habe ich mir immer mal wieder etwas demonstrieren lassen, was ich selbst nicht auf Anhieb verstanden bzw. hinbekommen habe (kleine Reparaturen, technische Funktionalitäten, usw.).

Natürlich wollte ich dieses Medium nicht nur passiv nutzen. Für jemanden, der seit Jahrzehnten private Videos (in gefühlt 12 verschiedenen Formaten) herstellte, lag es nahe, auch mal etwas Eigenes hochzuladen und dann als Teil des World Wide Web zu bestaunen. Das führte übrigens zu meiner ersten (und einzigen) Abmahnung, weil ich eine kurze Szene auf Langlauf-Skiern mit einem (recht unbekannten) Song unterlegt hatte.

YouTube bekam dann irgendwann auch die Funktion einer riesigen Mediathek, in der ich verpasste oder früheren TV-Inhalte wiederfand – bevor die offiziellen Mediatheken der Sendeanstalten zum selbstverständlichen Standard wurden.

Durch das Wiederaufleben meines Schlagzeug-Spielens (nach nur 40 Jahren Pause) wurde das mit der Musik und dem Erklären der Welt auf einmal sehr konkret: Ich konnte – total fasziniert – entdecken, dass für fast jeden halbwegs bekannten Songs Lehr-Videos zu finden waren, in denen Drummer ihr “Mitspielen” dokumentiert hatten (teilweise mit mehreren Kameras zum Nachvollziehen jeder Hand- und Fußbewegung). Irre!
Natürlich sind auch jede Menge didaktisch aufbereitete Unterrichtseinheiten zu finden.
(Wenn ich das mit 16 gehabt hätte, wäre vielleicht heute eine Sammlung von Goldenen Schallplatten an meiner Wand).

Jetzt komme ich zur Gegenwart und damit zum Thema:
Zwar wusste ich schon länger, dass sich Schüler/innen komplexe Unterrichtsinhalte (vorrangig Mathe) lieber von YouTubern als von ihren Eltern oder Geschwistern erklären lassen. Aber die ganz persönlichen Erfahrung der letzten Tage war doch sehr viel beeindruckender:
Ich habe mich (mal wieder) meinem Lieblings-Thema zugewandt: dem Zusammenhang zwischen Gehirnaktivitäten und Bewusstsein. Bei meinen Recherchen (z.B. auf Amazon – wo ich natürlich nur noch selten kaufe) stieß ich auf bestimmte Namen von Buchautoren. Auf Wikipedia fand ich dann Links zu Veröffentlichungen und zu Vorträgen, die – welche Überraschung – natürlich auf YouTube abgelegt sind.
Seitdem bewege ich mich in einer bisher verborgenen akademischen und wissenschaftlichen Welt und höre den besten Forschern und Hochschullehrern zu. Ich nehme Platz in Uni-Hörsälen und in Auditorien von wissenschaftlichen Kongressen. Und bei jedem Klick auf ein Video tauchen rechts Hinweise auf ähnlich interessante Beiträge auf.
Wo soll das enden?

Ja, ich weiß: YouTube ist auch voller Dummheit, billigem Kommerz und Hass.
Mich macht es aber gerade (ein wenig) schlauer.
Damit ich selbst Übersicht bewahren und für andere ein paar gezielte Anregungen geben kann, werde ich in nächster Zeit auf einer neuen Seite dieses Blogs eine kommentierte Übersicht meiner Lieblings-Videos posten und dann kontinuierlich pflegen.

Und was ist mit Corona?

Vor einigen Monaten war die Corona-Pandemie ein wesentlicher Grund dafür, dass es mir sinnvoll erschien, täglich einen Blogbeitrag zu posten: Wie sollte man sonst hinterherkommen, das alles erfassen und bewältigen?
Schon dieser kleine Rückblick macht deutlich, wie sehr sich die Situation und die Wahrnehmung derselben verändert hat.

Corona hat seinen unmittelbaren Schrecken verloren, es ist kalkulierbar geworden, man kennt die Parameter, mit deren Hilfe man es managen kann. Die Berichte und Kommentare beziehen sich kaum noch auf das Virus und seine Eigenschaften, sondern auf die unterschiedlichen Schutzmaßnahmen bzw. die damit verbundenen Konflikte und auf die wirtschaftlichen Folgen bzw. die Versuche deren Linderung.

Kann sich noch jemand an die Tage erinnern, in denen man durchaus ernsthaft darüber nachdenken konnte, wie weit wohl der Zusammenbruch von Versorgungssystemen gehen könnte? Für welchen älteren Menschen ist noch das unmittelbare Bedrohungsgefühl präsent, das von den ersten Schätzungen der Todesraten ausging?

Wir haben inzwischen eine Situation, in der wieder deutlich mehr Kontrollgefühl besteht. Viele Menschen verringern ihr Infektionsrisiko auf eine selbstverständliche und ganz leise Art: Sie meiden Menschenmengen und überhaupt Kontakt zu (fremden) Menschen in (engen) Räumen, tragen Masken und halten Abstand (ja, sie waschen auch noch die Hände; aber das ist vergleichsweise nebensächlich).
Im Gegensatz zu dem social distancing der ersten Wochen haben die meisten inzwischen erweiterte Bezugsgruppen gebildet, innerhalb derer sie sich wieder halbwegs normal bewegen – wenn auch vielleicht mit weniger direktem Körperkontakt. Das kann die erweiterte Familie sein, die engsten Freunde oder vertraute Arbeitskollegen. Dabei gilt oft eine unausgesprochene Hoffnung bzw. Erwartung: “Wir sind ja alle vorsichtig und verhalten uns auch in unseren anderen Bezügen verantwortlich.”

Für diese Gruppe von Mitbürgern ist Corona sicher auch lästig und manchmal auch eine Zumutung – aber eine zumutbare Zumutung: “Wenn das der Preis dafür sein sollte, dass wir die Intensivstationen und Friedhöfe weitgehend schonen können, dann haben wir doch letztlich Glück gehabt!”
Genau dieser Gruppe von (eher älteren) Menschen haben wir es alle zu verdanken, dass die Zahlen so sind, wie sie sind. Und dass einige andere sich den Luxus leisten können, etwas leichtsinniger zu sein.

Anfangs erschien es so, als ob der Virus die ältere Generation extrem benachteiligen würde, wegen des höheren Risikos schwerer Verläufe. Heute könnte man sagen: Es gibt so etwas wie einen Ausgleich. Von den (immer noch bestehenden) Einschränkungen sind nämlich junge Leute (im Durchschnitt) deutlich mehr betroffen: bei Veranstaltungen und Konzerten, beim Ausgehen, beim Daten, beim Reisen.
Man kann es wirklich nicht bestreiten: einem 60- oder 70-jährigen Menschen fällt in der Regel ein corona-konformes Alltagsleben deutlich leichter als einem 25-jährigen.

Was zu meiner persönlichen Bilanz am Ende dieses Corona-Sommers führt: Ich bin dankbar und recht zuversichtlich bzgl. der eigenen Situation.
Zu den politischen und gesellschaftlichen Tendenzen äußere ich mich demnächst.

“Die Pest” von Albert CAMUS

Eine schwierige Aufgabe! Ein Werk der Weltliteratur (1947), das durch die Corona-Pandemie eine enorm gesteigerte Aktualität und Beachtung erfahren hat. Es wäre inzwischen ein unmögliches Unterfangen, beim Lesen und bei der Würdigung dieses Textes keine Gegenwarts-Bezüge herzustellen.

Ich werde erst gar nicht versuchen, etwas zu der literarischen Bedeutung dieses berühmtesten CAMUS-Romans zu sagen. Das kann man sich an vielen anderen Stellen von sehr viel berufeneren Menschen holen.
Meine kleine Bewertung wird daher eine rein persönliche sein.

Der Ausbruch der Pest führt zu einer Art Belagerungszustand in einer Algerischen Hafenstadt, deren Verbindung zur Außenwelt ca. für ein Jahr gekappt wird. Der Roman beschreibt den Verlauf dieser todbringenden Seuche aus der Perspektive einiger Hauptfiguren, die in unterschiedlicher Form mit dem Versuch befasst sind, die Folgen dieser Heimsuchung für sich und andere zu bewältigen.

Der Text ist nahe an den beteiligten Person; am Ende gibt sich der im Mittelpunkt stehende Arzt als Verfasser dieser Chronik sozusagen offiziell zu erkennen. Es werden also subjektiv gespiegelte Ereignisse und Prozesse dargestellt. Dem anonymen Massensterben wird so das Schicksal und das Empfinden konkreter Personen gegenübergestellt, die ganz bewusst als Zeitzeugen auftreten. Inszeniert wird also eine persönliche Geschichtsschreibung.

Vieles an diesem Text erscheint aus heutiger Sicht altmodisch, z.B. die Förmlichkeit des Umgangs auch in sehr vertrauten Beziehungen und die – heute kaum noch vorstellbare – Einschränkung in der Kommunikation mit der Außenwelt. Natürlich merkt man auch der Sprache selbst an, dass sie aus der Mitte des letzten Jahrhunderts stammt.
Andere Aspekte sind zeitlos:
– die typische Abfolgen von emotionalen Reaktions- und Bewältigungsmustern hinsichtlich einer neuen Bedrohung,
– Beschwichtigung und Verantwortungsdiffusion bei Verwaltung, Experten und Politik,
– menschliche Größe in Form von Solidarität, Pflichtgefühl und grenzenlosem Engagement bis zur Selbstaufgabe,
– die Bedeutung von kleinen vertrauten Netzwerken, ohne die das Elend unerträglich wäre.

Letztlich sind die in diesem Buch literarisch kunstvoll dargestellten menschlichen Erfahrungen und Handlungsoptionen auf jede Form von extremer Bedrohung oder unkontrollierbarem Leid anwendbar. So wurde gelegentlich vermutet, dass CAMUS die Pest als Parabel für die Unmenschlichkeit des Krieges benutzt hat.

Man muss diesen Roman sicher nicht deshalb lesen, um die aktuelle Corona-Pandemie besser zu verstehen bzw. einzuordnen. Das wäre auch eine unzulässige Degradierung dieses hochgelobten Werkes.
Doch wenn man literarisch und philosophisch interessiert ist und sowieso eine Motivation verspürt, einige der ganz großen Werke endlich mal selbst zu lesen, dann ist genau jetzt sicher ein sehr geeigneter Zeitpunkt für CAMUS.

Das Ende der Sommerpause (in eigener Sache)

Einige werden fragen: “Welche Sommerpause? Wir sind doch von Rezensions-Links förmlich überschwemmt worden!”

Das stimmt, ich habe viel gelesen. Aber es sind viele Wochen ins Land gegangen, ohne dass ich mich zu gesellschaftlichen oder politischen Themen geäußert habe. Noch nicht mal zu Corona! Kaum jemand wird das vermisst haben (das ist für mich vielleicht ein wenig traurig – aber wahr).

Meine Motivation, jetzt wieder einzusteigen, kommt von innen. Sie hat damit zu tun, dass dieser Blog auch so etwas wie ein Tagebuch des Zeitgeschehens darstellt. Ich bin kein Journalist, ich werte keine irgendwie versteckten Quellen aus, ich weiß nicht mehr als andere, die sich in den Mainstream-Medien (von der neuen Rechten und aktuellen Demo-Elite auch gerne “Lügenpresse” genannt) auf dem Laufenden halten.

Was mich trotzdem umtreibt, sind vor allem folgende Bedürfnisse:
– Ich drücke meine Meinung gerne schriftlich aus (weil sie dann klarer und konturierter wird).
– Ich zeige mich und meine Überzeugungen gerne und mich reizt die Möglichkeit, andere (euch) von bestimmten Sichtweisen zu überzeugen oder Rückmeldung (am besten kritische Bestätigung) zu erfahren.
– Ich finde es spannend, durch den Filter meiner subjektiven Perspektive auf vergangene Ereignisse zurückzuschauen (“so hast du das also damals zu Beginn gesehen”).

Einige von euch haben mir die Erlaubnis gegeben, auf meine Posts jeweils mit einem Link hinzuweisen. Ich werde das in einem Umfang tun, wie ich es einigermaßen stimmig und vertretbar empfinde. Ich werde also filtern – inhaltlich und quantitativ. Wem es zuviel wird, möge sich bei mir melden (oder die Links einfach ignorieren); wer öfters was von mir hören möchte, kann sich gerne auch selbst auf meinem Blog umsehen; in der Regel ist dort mehr zu finden als es in den von mir gesendeten Links zum Ausdruck kommt).

Soweit die Vorrede; morgen geht’s dann los. Vermutlich mit Corona…

“Blutige Nachrichten” von Stephen KING

Zum Glück habe ich eine KING-Begeisterte in meinem Nahumfeld – so brauche ich nie zu entscheiden, ob ich für diesen sehr besonderen Erzähler mein Geld investiere. Zeit zu investieren, fällt mir – trotz großer Ambivalenz und sehr unterschiedlicher Erfahrungen – meistens nicht schwer. In der Regel siegt meine Neugier (wenn nicht gerade ein blutrünstiger Horror-Roman angekündigt wird).

KING legt ein Buch mit vier Geschichten vor, die alle vom Umfang deutlich über das Kurzgeschichten-Format hinausgehen. Während drei Stories ganz für sich alleine stehen, wird in der titelgebenden Erzählung ein früherer Roman (“Der Outsider”) weitergesponnen. Auch diese Geschichte lässt sich natürlich losgelöst von der Vorgeschichte lesen und verstehen.

Für mich boten die drei neuen Geschichten ein großes Lese- bzw. Hörvergnügen. Die erzählerischen Fähigkeiten des Erfolgs-Autors kommen voll zur Geltung, ohne durch exzessive bzw. sadistische Gewaltdarstellung oder abstruse Ausflüge in alternative
Fantasy-Welten getrübt zu werden. Man spürt den typischen KING-Stil heraus, wird schnell in die Geschichten eingewoben und kommt den Figuren nah.
In den freundlichen Jungen aus der ersten Geschichte verliebt man sich ganz schnell; sie ist auf eine liebenswerte Art altmodisch.
Im zweiten Plot, der sehr ungewöhnlich beginnt, wird letztlich die Einzigartigkeit eines Einzelschicksals demonstriert und sogar ein wenig philosophisch betrachtet. Sinngemäß heißt es: “In jedem Menschen entsteht im Laufe seines Lebens eine ganze Welt – und genau die geht mit seinem Tod auch unter.”
In der letzten Story macht KING mal wieder das Schriftsteller-Handwerk selbst zum Thema, mit allen Höhen und Tiefen. Auch wenn der Verlauf ein wenig vorhersehbar ist, liest man doch gerne und gespannt zu Ende.
Unterhaltung vom Feinsten!

Den Outsider-Nachfolger hätte ich nicht gebraucht. Mich interessieren solche fiktiven Alternativ-Wesen nicht. Wer sich an solchen Monster-Figuren nicht stört, wird auch hier auf eine spannende Weise unterhalten.

Kurz gesagt: Der KING zeigt keine Altersschwäche. Aus meiner Sicht eines seiner besten Bücher. Auch wenn der Titel blutig klingt – der Schwerpunkt liegt eindeutig auf dem Erzählen und nicht auf den Schocker-Effekten. So kann es gerne weiter gehen.

“Unsere asiatische Zukunft” von Parak KHANNA

Dieses Buch verdient uneingeschränkten Respekt. Hat man es gelesen, betrachtet man die Welt mit anderen Augen. Versprochen!

Es ist kaum in wenigen Worten zu beschreiben, welches Füllhorn an Daten, Informationen, Perspektiven und Prognosen der (aus Indien stammende) Autor hier ausbreitet. Man spürt förmlich auf jeder Seite die jahrelange Recherche-Arbeit, die in diesem Werk steckt. Man könnte es wohl ohne Übertreibung als Kompendium des modernen Asiens bezeichnen.

KHANNA bietet wirklich alles Erdenkliche auf, um die Rolle des asiatischen Kontinents in der aktuellen und zukünftigen Weltordnung verstehbar zu machen. Er beginnt mit einer kompletten alternativen Menschheitsgeschichte aus asiatischer Sicht, beschreibt die Vielfalt und Differenziertheit der verschiedenen Nationen und analysiert schließlich die kulturellen, gesellschaftlichen und vor allem wirtschaftlichen Trends, die er für zukunftsprägend und -weisend hält.
Das Ganze vollzieht sich auf einem extrem hohen Niveau: keine Behauptung, die nicht durch einen Wust von Fakten untermauert wird, keine Einschätzung, die nicht nachvollziehbar abgeleitet wird.

Dieses Buch hat nichts gemein mit dem – seit Jahrzehnten bekannten – reißerischen Sensations-Journalismus im Stile “Die Chinesische Gefahr” oder “Der Chinesische Drachen wird uns alle verschlingen”. Der Ton in diesem Buch ist sachlich. Der Autor ist ein Meister des Differenzierens, Abwägens und Perspektivwechsels.

Was lernt man aus diesem Buch? Unglaublich viel!
Ein paar Beispiele: Man lernt, dass …
– Asien eben nicht China ist (sondern es eine sehr vielfältige Landschaft von konkurrierenden Zentren, die durchaus nicht gewillt sind, sich einer Chinesischen Hegemonie unterzuordnen),
– die weltweiten Verflechtung der asiatischen Handels-, Bildungs- und Finanzbeziehungen schon ein riesiges Ausmaß angenommen haben,
– der Kontinent sich gleichzeitig in steigendem Umfang und sehr selbstbewusst auf die eigenen Potentiale besinnt,
– in vielen Bereichen inzwischen asiatische Experten aus Wirtschaft, Technologie und Administration weltweit die Standards setzen.

Es wundert nach drei Jahren Trump nicht (das Buch wurde 2019 veröffentlicht), dass der Machtwechsel zwischen einem isolationistischen Amerika und einem weltoffenen Asien schon am weitesten fortgeschritten ist. Es ist faszinierend zu lesen, auf wie vielen Gebieten sich die asiatischen Wirtschaftszentren inzwischen von der Führerschaft der USA befreit haben.

Aus politischer Sicht kommt das Spannendste zum Schluss: KHANNA macht unmissverständlich deutlich, dass das Modell der Westlichen Demokratie durch die erfolgreichen Technokratien Asiens auf eine Weise herausgefordert wird, die den meisten Amerikanern und Europäern noch nicht ansatzweise bewusst geworden ist.
Am Beispiel Singapurs wird facettenreich dargestellt, dass ein auf effektive und effiziente Zielerreichung getrimmtes System der pluralistischen Parteien-Demokratie rein objektiv überlegen ist. Nicht in Bezug auf die individuellen Freiheitsrechte, aber wohl bzgl. der Umsetzung gesellschaftlicher Ziele. Und das wird – anders als im Westen oft geschildert – nicht nur von irgendwelchen machthungrigen Eliten so gesehen, sondern durchaus auch von einer aufgeklärten Zivilgesellschaft und Experten.
Auch hier argumentiert der Autor aber keineswegs platt oder einseitig; seine Perspektiverweiterung ist aber extrem anregend.

Wirtschaft ist das zentrale Thema für KHANNA. Aber zu seinem Anspruch gehört es, wirklich jeden denkbaren Aspekt des gesellschaftlichen Lebens wenigstens kurz zu beleuchten. Das schließt z.B. auch Tourismus, Bildung, Mode, Literatur, Musik und Kino mit ein.
Vermisst habe ich ein eigenes Kapitel über Klimawandel, Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Die Themen werden zwar kurz behandelt, aber nicht in den Fokus genommen – so wie es in einem aktuellen Buch angemessen wäre.

Auf einer persönlichen Ebene hat das Buch bei mir zu einer Art kulturellen Bescheidenheit beigetragen. Man kann sich als Mitteleuropäer schlichtweg nicht mehr als Zentrum der Welt fühlen, wenn man diese Dosis an Relativierung geschluckt hat.

Sollen nun alle schnell dieses wunderbar kluge Buch lesen?
Das wäre unrealistisch! Es ist eher ein Buch für Menschen, die beruflich mit den aktuellen Mega-Trends zu tun haben, also für Journalisten, Wirtschaftsleute, Politiker, Gesellschaftswissenschaftler. Für den (interessierten) Laien ist die Informationsdichte schlichtweg erschlagend.
Auch ich muss eingestehen, dass ich nicht jede einzelne Seite vollständig gelesen habe; insbesondere den Parforceritt durch die asiatische Weltgeschichte habe ich nur sehr grob überflogen. Kein Mensch kann das alles aufnehmen, geschweige denn behalten.
Andererseits: Was man hier für 24 € geboten bekommt, ist im Vergleich zu anderen Publikationen in diesem Preissegment wirklich bemerkenswert.
Wem dieser Preis und etliche Stunden Lebenszeit das wert sind, der sieht danach die Welt tatsächlich mit anderen Augen.

“Die Geschichte des Wassers” von Maja LUNDE

Zweiter Versuch: Die Geschichte der Bienen habe ich abgebrochen, das Wasser habe ich durchgehalten. Das ist doch mal ein Anfang.

Die Norwegerin Maja LUNDE hat sich offenbar darauf spezialisiert, ökologische Themen in Romanform zu bearbeiten. Dabei generiert sie mehrere (diesmal zwei) Geschichten, die zu unterschiedlichen Zeiten spielen (diesmal 2017 und 2041) und so den Verlauf der jeweiligen Umweltkrise von einer höheren Warte aus nachvollziehbar machen. So kann die in die Zukunft projizierte Handlung die Folgen der in der Gegenwart getroffenen (bzw. vermiedenen) Entscheidungen nachfühlbar machen.

Die Autorin wählt Figuren und Plots nach dem Schema “je extremer und emotionaler, desto besser”. Sie will offensichtlich die Leser durch Identifikation mit den leidvollen Schicksalen der Protagonisten aufrütteln und so eine Motivation schaffen, die – so offenbar ihre Annahme – durch durch eine sachliche Darstellung der Problematik nicht zu wecken wäre.
Anders formuliert: “Ich zeige dir an dramatischen Einzelbeispielen, wohin Klimawandel und Umweltzerstörung führen kann, und du kapierst endlich, dass es Zeit zum Handeln ist.”

Natürlich könnte man die Familien- und Paargeschichte der norwegischen Umweltaktivistin und das Leiden der Teilfamilie unter sengender südeuropäischer Sonne auch für sich als separate, sehr bewegende Stories betrachten. Ihren Zusammenhang und damit den Clou bekommen sie auf der einen Seite durch den Bezug zum Meta-Thema Wasser, zum anderen durch eine geschickt aufgebaute faktische Verbindung der Handlungsstränge.

Als relevantes Nebenthema lässt sich der Konflikt zwischen persönlichem Vorteil bzw. Glück und konsequentem Umwelt-Engagement nennen. Dieser Spannungsbogen zerreißt in der norwegischen Idylle Ehen, Familien und ganz Dorfgemeinschaften.

Mir ist dieser Weg, über fiktive Schicksale Umweltbewusstsein zu erzeugen, durchaus sympathisch. Von mir aus könnte es viel mehr solcher Bücher geben, die gerne den endlosen Reigen von blutrünstigen Thrillern und ewig gleichgestrickten Fantasy-Epen ablösen könnten.

LUNDE versteht es durchaus, emotionale Intensitäten zu erzeugen. Ob man das so braucht, ob man es ein wenig dolle und klischeehaft empfindet, ist letztlich Geschmackssache. LUNDE produziert Unterhaltungsromane, keine ernsthafte Literatur.

Der Titel “Die Geschichte des Wassers” erscheint mir ein wenig vermessen zu sein. Man erfährt etwas über norwegische Gletscherflüsse, über die Kraft des Meeres und über die Folgen der Trockenheit (wenn auch die Meerwasserentsalzung versagt). Mit etwas Fantasie hätte man sich in einem solchen thematischen Roman noch ein paar mehr Informationen über eines der größten Zukunftsthemen der Menschheit vorstellen können.
Letztlich sind es zwei – im Wechsel erzählte – persönliche Geschichten, die sich um unseren Umgang mit dem zentralen Lebenselement drehen. Nicht mehr und nicht weniger.

Mein Gesamturteil: lesenswert, wenn man keine zu hohen Erwartungen hat und sich gerne auch mal durch altbewährte Stilmittel anrühren lässt.