Lachs

Komischer Titel für einen Blogbeitrag von mir?

Ich habe heute eine 90-minütige Dokumentation über den Lachs als Lebewesen und die Lachsindustrie als Wirtschaftsfaktor gesehen. Das Ergebnis: Viel Information, differenzierte Aufklärung und emotionales Berührtsein.

Ich wusste schon von der Problematik der industriellen Lachs-Produktion – durch eine ZEIT-Titelgeschichte aus dem letzten Jahr. Auch das Lesen hat damals etwas ausgelöst: Ich war seitdem häufiger (fast immer) bereit, für “Bio-Lachs” deutlich mehr zu bezahlen.

Dieser Film macht die Zusammenhänge deutlicher und vor allem eindrücklicher. Es geht – wie so oft – um Maßlosigkeit, Wachstumsfetischismus und Verantwortungslosigkeit.
Beleuchtet werden viele Aspekte: Die Romantik der ursprünglichen Lachsfischerei, die sprunghafte Entwicklung der “Zuchtfarmen” in Norwegen (und inzwischen auch in Chile), die Umweltschäden und die unsäglichen Lebensbedingungen, die geplante Steigerungsdynamik für die nächsten Jahre.

Am meisten hat mich das Interview mit einem norwegischen Geschäftsmann (Exporteur) erschüttert, der schildert, wie stolz er über jedes Flugzeug ist, das mit ca. 30 Tonnen Lachs zu den wohlhabenden Kunden in Asien oder zu den Golfstaaten startet. Oder die Geschichte eines Norwegers, der es geschafft hat, den norwegischen Lachs in Japan (und dann weltweit) als Sushi-Spezialität einzuführen. Einfach ein Irrsinn!
Und diese Menschen spüren offenbar noch nicht einmal eine kleine Ambivalenz hinsichtlich ihres – jedem ökologischen Gedanken widersprechenden – Tuns.
Der ganze Wahnsinn solle sich in den nächsten Jahren noch verfünffachen.

Guten Appetit!
Ich glaube, ich kann jetzt auch auf Bio-Lachs (weitgehend) verzichten.

(Die Sendung lief auf ARTE).

Der langsame Abschied von den USA

Mein Verhältnis zu Amerika war nie kritiklos oder gar verklärt. Seitdem ich (politisch) denken kann, habe ich im “American Way of Life” immer auch Widersprüche, Doppelmoral, Rassismus, Zynismus, Imperialismus und grenzenlos egoistischen Individualismus gesehen (um nur ein paar Beispiele zu nennen). Die Betonung lag auf “auch”.
Es gab dazu ein ein gewisses Gegengewicht. Es gab das Amerika, dass uns von Hitler befreit hat. Es gab das glitzernde Wolkenkratzer- und Hollywood-Amerika. Es gab die Strahlkraft der Kennedys und von Martin Luther King. Es gab Woodstock und die Ostküsten-Intellektuellen. Es gab die Vielfalt und Weite der Landschaften, das Grenzenlose. Und zuletzt gab es mit Obama einen Präsidenten, der zwar politisch kein Heiliger war, dem man aber ohne jeden Zweifel Anstand und Charakter zubilligen kann, den man sich im persönlichen Freundeskreis hätte vorstellen können.

Wenn wir uns die heutige USA nach (fast) vier Jahren Trump anschauen, gucken wir auf ein anderes Land, letztlich auf eine andere Welt. Man muss die Einzelheiten hier nicht alle aufzählen; wir alle haben sie hunderte Male gehört und gelesen.
Was wirklich überrascht – auch noch nach den ersten drei Jahren – ist die Steigerungsdynamik, mit der Prinzipien, Maßstäbe und Werte aufgegeben bzw. in ihr Gegenteil verkehrt werden.
Wie konnte man ernsthaft glauben – auch etliche deutsche Kommentatoren haben das anfangs getan – dass ein durch und durch egomanischer, narzisstischer und charakterloser Mensch schon zu einem irgendwie brauchbaren Staatsmann werden könnte? Wenn so ein Mensch zum mächtigsten Mann der Welt werden kann, dann stimmt etwas Grundsätzliches nicht mit diesem Land! Das konnte man nie schönreden; man hätte sich die Versuche auch gut sparen können!

Man könnte jetzt vielleicht irgendwie schadenfroh sein, nach dem Motto “Das haben die bekloppten Amis jetzt davon… (z.B. mit Corona).”
Aber es geht nicht nur um all die vernünftigen Menschen, die ja auch dort leben (ca. 50%). Es geht um unser aller Zukunft.
Ich weiß nicht, ob wir es uns leisten können, dass die USA auf der Weltbühne in zunehmendem Tempo an Bedeutung und Einfluss verlieren. Ich bin davon überzeugt, dass die falschen Leute (in Peking, Moskau, Teheran, Ankara, usw.) sich gerade voller Begeisterung die Hände reiben.
Auch wenn die Erzählung (das Narrativ) vom “Freien Westen”, der Demokratie und Menschenrechte in der Welt verteidigt, (leider) immer viel mit Propaganda und Heuchelei zu tun hatte: Wie sehen die Alternativen aus? Welche wünscht man sich wirklich? Wen möchte man als neue Supermacht an den Schaltstellen sehen?

Ich sehe nur einen gangbaren Weg: Wir müssen Europa stärken und auf das Nach-Trump-Amerika hoffen. Aber – selbst wenn uns das gelingt – ein Abschied von der USA, die uns doch irgendwie vertraut war und uns – trotz aller Schwächen – ein wenig Stabilität geschenkt hat, dieser Abschied hat schon längst begonnen.
Schaffen wir es , diesem Entfremdungsprozess etwas entgegenzusetzen? Können und wollen wir noch differenzieren zwischen Trump und seinem Land? Was ist das für ein Land, wo es normal ist, dass man nur als Multimillionär Chancen hat, als Präsident zu kandidieren? In dem ein Großteil der Medien in rechten und extrem-klerikalen Händen liegt? In dem Waffen geradezu angebetet werden? In dem das dumpfe und geistlose Macho-Gehabe mehrheitsfähig ist?

Als Vorbild für die Welt taugt dieses Amerika schon lange nicht mehr. Müssen wir es endgültig abschreiben? Dürfen wir das tun?

“Die Zukunft nach Corona” von Matthias HORX

Es ist scheinbar die Zeit der kleinen bzw. dünnen Bücher. Das Buch von HORX ist geradezu winzig – es wäre sonst für ein Buch tatsächlich zu dünn. Von dem ebenfalls kurz gefassten Buch von BLOM war kürzlich die Rede.
Ich will nicht unterstellen, dass es um den “schnellen Euro” geht; bei HORX Corona-Buch geht es auf jeden Fall aber um die Aktualität: Autor und Verlag wollen das Thema offenbar so früh wie möglich besetzen. Von einem großen Interesse und damit von guten Marktchancen ist auszugehen.

Horx ist Zukunftsforscher. Daher ist es logisch, dass er nicht die bestehende Corona-Krise untersucht sondern die Zeit danach. Dass der Autor dabei ein erstaunliches Tempo an den Tag legt, hat er mit einem ersten kurzen Text zum gleichen Thema schon Mitte März (!) bewiesen. Damit hat er in gewisser Weise schon die Spur gelegt zu dem jetzt erschienenen Buch.
Auch marketing-technisch nicht ungeschickt.

Der Grundgedanke, der diesem Buch einen roten Faden verleiht, ist schnell erklärt, aber deswegen nicht weniger anregend und pfiffig: HORX lädt uns alle ein, selbst nicht nur Zukunfts-Forscher sondern auch Zukunfts-Gestalter zu werden. Die Methode dazu verbegrifflicht er – im Gegensatz zu der üblichen “Pro-Gnose” – als “Re-Gnose”.
Wenn wir uns nämlich als Gedankenspiel in eine vorgestellte nahe Zukunft (nach der Krise) versetzen und von diesem Punkt zurück auf den Corona-Umbruch schauen, könnte deutlich werden, welches bedeutsame Veränderungspotential in der Krise und deren Bewältigung stecken könnte. Diese innere Zukunftsschau – bzw. das staunende Zurückschauen aus der Zukunft – könnte dann genau die Kräfte mobilisieren oder stärken, die dazu beitragen, dass positiv die antizipierten Bilder (z.B. neue Prioritäten, weniger Hektik, mehr Nachhaltigkeit) auch zur Realität werden.
Sein Ansatz ist von der Zuversicht getragen, dass die Erschütterung produktiven Wandel und kreative Erneuerung auslösen kann.

Aber gehen wir mit HORX Schritt für Schritt vor.
Der Autor ist sich – im Gegensatz zu anderen schlauen Menschen (wie z.B. PRECHT) – sicher, dass Corona einen wirklich fundamentalen Einschnitt darstellt, eine “Tiefenkrise”. Ein solches “disruptives” Ereignis wirkt nachhaltig in die Zukunft, weil es eine neue Weltsicht, ein neues Narrativ mit Symbolkraft erschafft.
HORX geht davon aus, dass eine reale Herausforderung (wie Corona) Kompetenzen und Ressourcen der Überlebensmaschine Mensch mobilisieren kann. So finden sich ansonsten eher resignierte Zeitgenossen plötzlich – nach der ersten lähmenden Angstreaktion – in einem aktiven Bewältigungsgeschehen wieder und erfahren Selbstwirksamkeit.
HORX beschreibt die denkbaren positiven Überraschungen, die mit dem Lockdown verbunden sein konnten: Es geht um Besinnung auf das Wesentliche, die Fähigkeit zum Verzicht und zur Solidarität. Wir kennen das aus diversen Talkrunden.
Auch hier geht es um eine Rückschau: Das so andere (gebremste) Corona-Leben enthüllt sozusagen die Banalitäten und Absurditäten des Alltags (mit seinem Hyperkonsum und Kreuzfahrtwahnsinn), die wir bis vor wenigen Wochen als normal und alternativlos betrachtet haben.
Anhand eines aus der Psychologie entlehnten Modells beschreibt HORX die Chance, zwischen dem Abrutschen in ein Trauma und der leugnenden Ignoranz einen dritten Weg zu gehen: einen Zukunfts- oder Möglichkeitsraum zu betreten, in dem ein Wandel aktiv gestaltet werden kann.

Fairer Weise legt der Autor in einem nächsten Kapitel die Nähe seines Modells zum Prinzip der “Positiven Psychologie” selbst offen: Es geht darum, die (positiv) imaginierte Zukunft als Kraft und Orientierung zu nutzen – statt passiv im Problem-Modus steckenzubleiben.
Auch das Prinzip der “Kognitiven Dissonanz” und das “Re-Framing” (Umdeuten) wird genutzt, um die Möglichkeiten einer produktiven Krisen-Nutzung zu untermauern. Dabei unterscheidet er (offene) Visionen von (eher blockierenden) Konstrukten.

Dann lädt HORX seine Leser doch noch ein in eine neugierig-tastende Annäherung an die Zukunft im Sinne einer Pro-Gnose; natürlich in einer “holistisch-systemischen” Betrachtungsweise:
– Aus einer Globalisierung wird eine GloKALisierung
– Effektivität wird wichtiger als Effizienz
– Es entwickelt sich eine “Donut-Ökonomie” (in der es einen Ausgleich zwischen öffentlichen und privaten Interessen gibt)
– Demokratien gewinnen an Wertschätzung und Bedeutung
– Die Arbeitswelt wird flexibler
– Die Digitalisierung wird sinnvoller eingebunden
– Kulturelle Werte und Umgangsformen passen sich an
– Bösartigkeit verliert an Attraktivität
– Der Umgang mit (körperlicher) Nähe verändert sich durch neue “Ekel-Schwellen”
– Die Kreuzfahrt-Industrie verschwindet für immer
– Das Gesundheitssystem und seine Arbeitskräfte werden aufgewertet
– Der Trend zur Nachhaltigkeit wird verstärkt

HORX beendet seine Ausführungen mit einer vergleichenden Betrachtung von “alter” und “neuer” Normalität und einem letzten Glaubensbekenntnis zur Macht der “selbstkonstruierten” Zukunft.

Und was halte ich nun von dem Ganzen?
Je länger ich darüber nachdenke (und das Schreiben dieser Rezension hat mich schon einige Stunden gekostet), desto skeptischer werde ich bzgl. des Gewinns, den man durch das Lesen dieses Büchleins mitnehmen kann.
Ich will meine Kritikpunkte mal so zusammenfassen:
– HORX überbewertet die Bedeutung und die Auswirkungen von Corona; ich glaube eher nicht an einen epochalen Einfluss dieses Ereignisses
– Er betrachtet (einseitig) die möglichen positiven Folgen (vielleicht weil er in einer Umgebung lebt/e, in der es eher um Verlangsamung und Besinnlichkeit ging, nicht um Stress und Existenzangst)
– Sein “Trick” mit dem Perspektivwechsel (aus der Zukunft zurückschauen) ist ja als Idee ganz nett; ob er ein tragendes Gerüst für so ein solches Buch darstellt, ist mir etwas zweifelhaft

HORX wollte schnell sein, schneller als andere. Das ist ihm ohne Zweifel gelungen.
Das Buch ist auch weder schlecht noch überflüssig; es ist ein Beitrag zur Diskussion.
Es ist nur – meiner bescheidenen Meinung nach – kein großer Wurf.

Corona-Paket

Es hätte schlimmer kommen können!
Man muss sich freuen, dass die Koalition sich letztlich nicht getraut hat, all die Menschen restlos zu enttäuschen, die auf ein Nachhaltigkeits-Zeichen gehofft haben.
Das Symbol war die Auto-Prämie (für Verbrenner); das Symbol wurde vermieden.
Und sonst?

Die Mehrwertsteuer-Kürzung ist echt teuer für den Staat, bringt aber dem Einzelnen nicht wirklich etwas Spürbares ein. Ich verstehe die Logik nicht wirklich. Und ich verstehe es ebenfalls nicht, warum nicht irgendeine Lenkung eingebaut wurde: Für bestimmte Ziele, Produkte oder Wirtschaftsbereiche. Warum die Gießkanne?
Vermutlich weil die Auto-Ministerpräsidenten jetzt sagen können: “So bekommt auch das Dinosaurier-Modell von Daimler, Porsche, BMW oder Audi noch seine Prämie” (bei 70.000 € immer hin noch 2100 €).

Über die restlichen Punkte kann man sicher lange diskutieren.
Eine Diskussion darüber, dass uns mehr Konsum und Wachstum langfristig nicht schützt sondern massiv gefährdet, steht sowieso noch an.
Was wohl passieren muss, um diese in gang zu setzen?

Echter Aufbruch sieht jedenfalls anders aus.

“Soziale Arbeit als Dienstleistung?” von Silvia

Dies ist ein sehr grundsätzliches Statement zur Ausgestaltung von Sozialer Arbeit (vor allem in der Jugendhilfe). Er basiert auf den jahrzehntelangen Erfahrungen von Silvia und wurde aktuell motiviert durch einen Artikel über die Jugendhilfe in der ZEIT (Nr. 23/2020).

Vor mehr als 45 Jahren wünschten sich meine Eltern, dass ich doch bitte eine Banklehre machen sollte. Sie sorgten sich um mein Seelenheil und hatten ebenfalls im Blick, dass ich mit meiner Berufswahl sehr geringe Chancen haben würde, Reichtum anzuhäufen. Aber mein Entschluss stand fest. Ich wollte etwas bewegen in dieser Welt und die Erwachsenen erschienen mir nicht sehr geeignet dafür, ihre Komfortzone zu verlassen und neue Wege zu beschreiten.

Mein Weg durch unterschiedlichste soziale Bereiche begann und ließ mich wachsen und reifen. Ich war eine „Überzeugungstäterin“ und bin es bis heute, nach über 45 Jahren sozialer Arbeit. Neue Konzepte kamen und gingen, wiederholten sich, widersprachen sich und der Kern meiner, unserer Arbeit blieb doch immer gleich. Es galt und gilt, Menschen jeglichen Alters neue Wege aufzuzeigen und ihnen Mut zu machen, diese auch zu beschreiten.

Ja, es veränderte sich vieles, auch zum Guten. Während ich zu Beginn in einer katholischen Einrichtung erleben musste, dass Kinder gedemütigt und geschlagen wurden, dass es Schlafräume mit 20 Betten gab, auf denen morgens Kuscheltiere drapiert wurden, um die Armseligkeit des alltäglichen Umgangs mit den Kindern zu verschleiern, wandelten sich in einem doch bemerkenswerten Tempo die äußeren Bedingungen in der Heimerziehung und auch in anderen sozialen Einrichtungen. Viele differenzierte Angebote wurden ins Leben gerufen. Sie sollten die Chancen der Kinder, der Jugendlichen und der Eltern verbessern. Mehr und mehr wandelte sich auch die Haltung gegenüber der Arbeit, gegenüber den Kindern und Jugendlichen.

Zwei Ereignisse ließen mich aufhorchen, sensibilisierten mich für das große Ganze und läuteten eine Zeit ein, in der ich einen schleichenden, aber gravierenden Wandel in der sozialen Arbeit erlebte.
Eines Abends saß ich mit Freunden am Tresen meiner Lieblingskneipe, da tickte mir jemand von hinten auf die Schulter und sagte leicht süffisant: “ Na, hallo Mutter Theresa!“
Kurz darauf erlebte ich, wie mir morgens bei meiner Ankunft im Büro ein Ordner zum Qualitätsmanagement überreicht wurde. Ich war in der freien Wirtschaft angekommen. Die Arbeit sollte überprüfbarer werden, strukturierter, effektiver. Das alles mit Blick auf den einzelnen Sozialarbeiter, Betreuer, Erzieher, im Heim, im Amt, in der offenen Jugendarbeit. Diese Entwicklung erlebte ich als fatal. Leidenschaft und Liebe zu dem Beruf, Gefühle, Empathie und Hilfsbereitschaft wurden Kriterien untergeordnet, die datenmäßig erfasst werden konnten. Ziele für die Betroffenen, die unsere Hilfe suchten, konnten teilweise mit Zahlencodes wiedergegeben werden. Wer sich dem nicht unterordnete, erschien schnell unprofessionell.

Mit der Zeit konnte ich feststellen, dass sich der Krankenstand erhöhte, Burnout und Kündigungen gehörten mehr und mehr zum Alltag in Ämtern und sozialen Einrichtungen. Jugendamtsleitungen kamen aus dem Verwaltungsbereich und Stechuhren wurden angeschafft, um die Kontrolle der Sozialarbeiter zu verbessern.
Ungesagt möchte ich nicht lassen, dass ich in all diesen Jahren immer wieder auf Ämter, Teams und Einzelne gestoßen bin, die sich diesem gesellschaftlichen Trend erfolgreich widersetzten. Erfolgreich heißt für mich, dass ihr eigenes Wohlbefinden in der Arbeit spürbar war, dass sie mit ihren Möglichkeiten der Kommunikation und der Selbstfürsorge den Hilfesuchenden eine Plattform bieten konnten, auf der diese langsam ihr Misstrauen ablegen und Hilfe annehmen konnten.

Die Geschichte der sozialen Arbeit hat eine lange Tradition und spiegelt in allen Zeiten die Haltung der Gesellschaft wieder. In der heutigen Zeit, die in unseren Breitengraden geprägt ist von den Göttern des Konsums und der schnellen Befriedigung aller sich ständig verändernden Bedürfnisse, werden die Handlungen der Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten, auch immer deutlicher daran gemessen, wie effektiv sie dies eigentlich tun. Und der Maßstab dafür ist weit entfernt von den Bedürfnissen, die eigentlich das Miteinander von Hilfesuchenden und Helfern prägen sollte.

Gerade in den letzten Tagen steht mal wieder das Jugendamt in der öffentlichen Kritik. Anerkennend muss ich sagen, dass auch die Überbelastung der Mitarbeiter zum Thema wird, aber das ist meiner Meinung nach nicht der Kern des Problems. Der Kern ist, dass Kreativität, Phantasie, Intuition, menschliche Wärme, Empathie und der Mut, Grenzen benennen und durchsetzen zu dürfen und zu können, erstmal keine Voraussetzungen sind, die statistisch überprüfbar scheinen. Aber diese Fähigkeiten gehören dazu, wenn man erfolgreich sein will in unserem Beruf.

Ich hätte schon einige sehr klare Veränderungswünsche und Vorschläge. Sie betreffen zum Beispiel die Ausbildungssituation, die Einsatzorte, die Haltung gegenüber Menschen, die sich für Menschen engagieren, Gesetze, die die Eigenverantwortung der Menschen stärken und, und, und. Es ist ein weites Feld, so differenziert und vielschichtig, wie jeder Einzelne.

Warum ich nach all den Jahren noch immer aus Überzeugung im sozialen Bereich arbeite, werde ich manchmal gefragt. Es ist ganz einfach. Es ist eine Aufgabe, die meinen Fähigkeiten entspricht, in der ich ständig lernen kann, die mich mit Freude erfüllt und mich mit mir selber konfrontiert. Und wie bei jedem anderen Beruf kann ich sagen, dass Leidenschaft die Voraussetzung dafür ist, dass man etwas Gutes bewirken oder erschaffen kann. Fachlichkeit ist mit Sicherheit eine unentbehrliche Grundlage, aber sie muss eingebettet sein in eine Struktur, die die Lebendigkeit menschlicher Begegnungen zur Grundlage hat.

Und von dem „Mutter Theresa Quatsch“ lass ich mich bis heute nicht beirren.

“Das große Welttheater” von Philipp BLOM

Ich schreibe hier über ein ganz aktuelles Büchlein, das eher ein Essay als ein Sachbuch ist.

Das Lesen dieses Textes hat mir sowohl ein literarisches Vergnügen bereitet als auch einen inhaltlichen Gewinn hinterlassen.
Das will ich kurz begründen.

BLOM habe ich bereits schätzen gelernt: sowohl als Autor eines Sachbuches (in der großen Nachhaltigkeit-Thematik), als auch als Erzähler eines Romans.
Der aktuelle Text ist eine kulturhistorische Betrachtung, in dessen Zentrum ganz klar die unabdingbare Notwendigkeit einer Transformation unseres gesamten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens steht. Die Gründe für diesen Veränderungsdruck sind hinlänglich bekannt. BLOM fasst die Ausgangslage nur ganz kurz zusammen. Auch das gelingt ihm in einer beeindruckenden Klarheit und Konsequenz. In wirklich sehr eindrücklicher Weise wird z.B. dem Leser vor Augen geführt, welch winzigen historischen Ausschnitt des menschlichen Lebens auf diesem Planeten wir gerade als Maßstab für Wohlstand und Konsum betrachten.

Die eigentliche Leistung des Textes – sein Alleinstellungsmerkmal – liegt  jedoch an einem anderen Punkt: Er besticht durch den besonderen Zugang zum Thema und die inhaltliche und sprachliche Ausgestaltung. Dieser Essay ist – ganz unabhängig von der Thematik – ein eigenes Sprachkunstwerk!

BLOM präsentiert seine Ausführungen auf der der Bühne der Kultur. Das macht nicht nur der Titel deutlich, dass zieht sich durch den gesamten Text. Der Autor schöpft aus einem großen Fundus von Literatur und Drama und bezieht (poetische) Zitate und künstlerische Grundthemen auf seine große Argumentationslinie.  Dieser – sowieso schon beeindruckende und intelligente – Bogen von Kulturgeschichte zu Gegenwartsproblemen wird noch angereichert durch ein biografischen Anker-Bild, das den Begriff Welttheater noch lebendiger macht. Ziemlich genial!

Die Kernthese des Essays ist zwar nicht neu, wird hier aber auf eine einzigartige und geradezu elegante Art hergeleitet: Gesellschaften orientieren sich an sinnstiftenden Erzählungen (heute nennt man sie Narrative), die dem Leben und Wirtschaften eine Struktur, ein Ziel und eine Legitimation geben. Umbruchphasen – wir erleben ohne Zweifel gerade eine davon – sind dadurch gekennzeichnet, dass ein altes Gesellschafts-Modell nicht mehr funktioniert, es aber noch kein neues, verbindendes Narrativ als Leitlinie für die anstehende Transformation gibt. Nachhaltigkeit ist zwar ein bedeutsamer und passender Begriff, der aber noch nicht in eine tragende und auch emotional verankerte Erzählung eingewoben ist.
Es ist anrührend, dass in diesem hochgeistigen Text ausgerechnet Greta mit ihrem Klimastreik-Plakat als einziges Beispiel einer Blaupause für ein Zukunfts-Narrativ genannt wird.

Gibt es etwas zu kritisieren?
Man muss zunächst akzeptieren, dass BLOM hier einen Text vorlegt, der sich wohl eher an das klassische Bildungsbürgertum richtet als an den Nachhaltigkeits-Mainstream. Wie schon gesagt: Es ist ein anderer Zugang.
Was dazu passt: Der Essay wird hier sozusagen zweitverwertet. Es handelt sich ursprünglich um eine Art Auftragsarbeit zum 100. Jubiläum der Salzburger Festspiele. Das erklärt sicher auch die besondere Affinität zur literarischen und darstellenden Kultur.
Darf man so einer Publikation vorhalten, dass 18 € für knapp zwei Stunden Lesezeit viel Geld ist? Das muss wohl jeder selbst entscheiden. Es geht hier nicht um Gebrauchs-Literatur, die man nach Seitenzahlen bemisst, zumal man diesen Text sich gerne ein zweites Mal liest.

Mein Schlussurteil:
Gelegentlich hat man in den Feuilletons der letzten Jahren darüber geklagt, dass Deutschlands Intellektuelle sich nicht mehr so kraftvoll zu Wort melden würden wie in den guten alten Zeiten von Grass und Böll. Ich kann nicht beurteilen, ob das jemals so gestimmt hat. BLOM gehört mit diesem Text jedenfalls ganz eindeutig zu den Intellektuellen, auf die dieses Kulturland stolz sein kann.

“Die Knochenuhren” von David MITSCHELL

Dieser Leser passte nicht zu mir. Schade!
Dabei hat sich mein Autor so dolle angestrengt.

In mir werden gleich sechs verschiedene Geschichten erzählt, mit unterschiedlichen Grundthemen und aus verschiedenen Zeiten.
Es geht um eine wichtige Entwicklungsphase eines jungen Mädchens, um snobistische Studenten, einen engagierten Kriegsreporter und einen frustrierten Schriftsteller.
Dann wird in einem meiner Kapitel erklärt, wie das alles zusammenhängt: Der Kampf zweier übersinnlicher Bruderschaften ist nämlich auf geheimnisvolle Weise mit dem Schicksal einiger Menschen, von denen ich berichte, verbunden.
Und zum Schluss (das Mädchen vom Anfang ist inzwischen richtig alt) wird in mir ich sogar noch einen Blick in die – alles andere als rosige – Zukunft der Menschheit geworfen.

Der Typ, der mich geschrieben hat, versteht wirklich sein Handwerk. Er hat eine irre Fantasie und kann wirklich gut mit Sprache umgehen.
Wie muss man drauf sein, um davon nicht begeistert zu sein?!

Also dieser Leser war tatsächlich schwierig. Für ihn war das gar nicht so attraktiv, dass er eigentlich gleich sechs ganz verschiedene Buchsorten auf einmal bekam. Er sah darin nicht so einen großen Gewinn. Weil er nämlich gar nicht alle diese Varianten mag.
Dabei war es gar nicht so, dass ihn alle meine Themen unberührt ließen. Die Sache mit dem Irakkrieg fand er durchaus relevant, die Literaturszene und die drohenden Zukunftsrisiken interessierten ihn auch. Aber dann störte er sich plötzlich an einer angeblichen Weitschweifigkeit oder Redundanz.

Besonders bei den Dingen, die über den normalen Horizont hinausgehen, ist er viel zu kritisch und engstirnig. Wenn man schon die Realität verlässt – so denkt er – dann sollte man daraus irgendeinen Nutzen (eine Erkenntnis?) für das echte Leben ableiten können. Als ob man nicht auch einfach mal ein bisschen rumfabulieren könnte – so aus Spaß an der Freud.
Komischerweise nerven ihn besonders sämtliche Varianten von Kampfbeschreibungen: In diesen Höhepunkten, wo jeder normale Leser vor Spannung zittert, langweilt er sich fast zu Tode. Wo man doch bis zuletzt nie weiß, ob die Heldin – gegen jede Wahrscheinlich – überlebt. Ein seltsamer Mensch…

Ich habe wirklich andere Leser verdient. Solche, die sich einfach auch mal einlassen können, die eben mal abschalten wollen von der schnöden Alltäglichkeit und der nüchternen Rationalität. Die nicht immer nach dem Nutzen suchen oder nach der Botschaft.
Zum Glück gibt es jede Menge solcher Leser. Und richtige professionelle Kritiker finden mich übrigen auch toll. Es ist nämlich modern, so querbeet durch die Genres hüpfen.

Soll der Typ doch einfach was anderes lesen!

Öko-Europa?

Wir sind echt nahe dran!
Die EU-Kommission hat gerade einen Plan aufgelegt, der – auf dem Hintergrund eines Corona-Hilfspaketes – eine ökologische Erneuerung einleiten könnte, von der man in dieser Größenordnung noch vor kurzer Zeit kaum hätte träumen können.
Es wäre wohl kaum übertrieben, diese Initiative als weltweit einmalig und vorbildlich zu bezeichnen.

Es könnte sich also etwas bewegen – denn immerhin ist dieser Plan schon so etwas wie “offizielle” Politik. So weit waren wir also tatsächlich noch nie!

Ein kleiner Haken: Die Umsetzung geht nicht ohne Zustimmung der Mitgliedsstaaten. Und hier gibt es kleinkariertes Gerangel um die Art der Unterstützung für die ärmeren Länder.

Es wäre mehr als bedauerlich, wenn jetzt eine große Chance vertan würde.
Es wäre ein Rückschlag, der in den nächsten Jahren kaum aufgeholt werden könnte – denn so große Finanzpakete werden nicht alle Jahre geschnürt.

Wenn Merkel diese Initiative in dem anstehenden EU-Vorsitz (zweite Jahreshälfte) über die Bühne bekommen sollte, wäre ihr der Platz in meinem persönlichen Geschichtsbuch sicher.

“Bei Sturm am Meer” von Philipp BLOM

Der Autor hat mich vor einiger Zeit mit einem aktuellen gesellschaftlichen Sachbuch sehr überzeugt. Daraufhin hat es mich einfach interessiert, wie so ein Historiker und Philosoph wohl einen Roman schreibt. Wird er versuchen, seine Themen und Botschaften in das andere Genre zu übertragen? Oder zeigt er eine völlig andere Seite seiner literarischen Begabung?

Die Antwort fällt für mich eindeutig aus: Blom zeigt sich hier als reinrassiger Erzähler – nicht mehr und nicht weniger. Denkbar ist natürlich, dass er den zeitgeschichtlichen Kontext seines Romans auch mit einer fachlichen Perspektive als Historiker begleitet hat; zu spüren ist das jedenfalls nicht.

Blom schreibt einen sehr persönlichen Roman. Es geht um eine Drei-Generationen-Geschichte zwischen Hamburg und Amsterdam.
Als Rahmen wählt der Autor eine besondere Situation: Ben wartet auf die – auf dem Postweg verloren gegangene – Urne seiner Mutter. Diese paar Tage nutzt er, um seinem noch sehr jungen Sohn einen Brief zu schreiben, den dieser 40 Jahre später (also im aktuellen Alter von Ben) lesen soll. Dieser Brief besteht aus einer kaleidoskopartigen Mischung zwischen der bereits bekannten Familiengeschichte und den überraschenden Erlebnissen bzw. Erkenntnissen, die Ben in diesen Tagen selbst noch dazu gewinnt. Durch diese “live” aufgedeckten Familiengeheimnisse bekommt der Plot eine deutlich gesteigerte Dynamik.

Es geht überwiegend um dramatische und tragische Entwicklungen bei den Protagonisten, die sich überwiegend in der Eltern- und Großelterngeneration von Ben abspielten. Thematisch berührt wird die linke Protest- und Medienszene der frühen 70iger Jahre. In weiten Teilen stehen aber auch sehr persönliche (Generations-)Konflikte und leidvolle Erfahrungen rund um Einsamkeit und gescheiterte Lebensträume im Vordergrund.

Ungewöhnlicher Weise wechselt immer wieder die Erzählperspektive: Manchmal wird über Ben erzählt, manchmal ist Ben ein Ich-Erzähler. Dieser Wechsel ist nicht dadurch zu erklären, dass ich Ich-Perspektive den Inhalt des Briefes wiedergibt. Mich hat dieser Kunstgriff nicht gestört; er hat eher eine zusätzliche Betrachtungs-Ebene erzeugt.

Blom schreibt sehr eindringlich. Er kann ganz eindeutig professionell mit Sprache umgehen. Schildert er z.B. Träume oder Situationen von Verwirrung, drücken Tempo, Rhythmus und Begrifflichkeiten diese Zustände sehr gekonnt aus .
Der Autor schafft immer wieder eine hohe emotionale Dichte, ohne auch nur im Leisesten in Richtung Kitsch abzudriften.

Insgesamt ein zwar kurzer, aber kunstvoll konstrurierter und sprachlich anspruchsvoll ausgestalteter Roman.
Lesenswert.

Kleinlichkeit und Egoismus statt mutigem Gestalten

Wir befinden uns in einer wirtschaftlichen Ausnahmesituation, in der viele Grundsätze auf einmal keine Gültigkeit mehr haben. Wir erleben eine Krise, in der der Staat und seine schützenden und helfenden Finanzen plötzlich im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens stehen. Für eine kurze Zeit scheint mal wieder der Staat stärker als die Wirtschaft und ihre Mächtigen zu sein.
Ganz plötzlich – unter dem Druck des unbekannten Virus – war der Mut und die Kraft vorhanden, vermeintlich “unmögliche” Entscheidungen innerhalb weniger Tage zu treffen.
So weit, so – vermutlich – gut.

Wie schön wäre es gewesen, wenn aus dieser unerwarteten Zäsur noch etwas mehr entstanden wäre als das Ersetzen von Verdienstausfällen und der Gewährung von massenhaften Kurzarbeiter-Geld.

Vier Chancen (mindestens) hätte es gegeben (theoretisch gibt es sie natürlich immer noch):

  • Man hätte ein großzügiges Zeichen europäischer Solidarität geben können (was nach einigen Anlaufschwierigkeiten jetzt von Macron und Merkel versucht wurde und wohl auf dem Altar der europäischen Prinzipienreiter geopfert werden wird).
  • Man hätte alle unternehmensbezogenen Hilfsgelder mit der notwendigen Umsteuerung zu einem nachhaltigen Wirtschaften verbinden können (Lufthansa lässt grüßen).
  • Man hätte die lange überfällige Entschuldung der klammen Kommunen in Angriff nehmen können (wie jetzt von Scholz vorgeschlagen und erwartungsgemäß von den reicheren Ländern bzw. CDU und FDP abgelehnt).
  • Man könnte die Gelegenheit nutzen, um den völlig überforderten armen Ländern nicht nur kurzfristig, sondern auch längerfristig zu helfen (durch einen angemessenen Schuldenschnitt – der gerne an soziale und ökologische Bedingungen geknüpft sein dürfte).

Prioritäten und Initiativen solcher Art hätten das Zeug gehabt, die Krise nicht nur zu bewältigen, sondern sie für überfällige (aber bisher schwer durchsetzbare) Zielsetzungen zu nutzen.

Doch da ist inzwischen wieder der triste, zaudernde und partei-ideologische Alltag ausgebrochen.
So werden denn vermutlich die vielen Milliarden ausgegeben, ohne die echten Zukunftsprojekte zu berücksichtigen.
Schade!