“Klara und die Sonne” von Kazuo ISHIGURO

Bewertung: 3.5 von 5.

Es ist ein wahrhaft literarischer Zugang zum Thema “KI in Menschengestalt”. Wir haben es hier nicht mit einem typischen Science-Fiction-Roman zu tun (bei dem oft die technische Seite ein große Rolle spielt). ISHIGURO legt eher ein sperriges Buch über die Interaktion der beiden Welten vor, das erobert werden möchte.
Das hat seinen Preis…

Die Geschichte wird aus Sicht einer Roboterin erzählt, die zunächst im Laden darauf wartet, ausgesucht und gekauft zu werden. Das verschafft dem Leser die Gelegenheit, die junge “Frau” kennenzulernen, bevor sie ihren bestimmungsgemäßen Einsatz hat.
Es handelt sich nämlich um ein weit entwickeltes KI-System, das auch Ich-Bewusstsein und Selbstreflexion zu seinen Kompetenzen zählen kann. Daran muss man sich ja erstmal gewöhnen…
Um die Menschenähnlichkeit etwas zu dosieren, baut der Autor einige Besonderheiten ein. So stößt man immer wieder auf die speziellen Wahrnehmung von optischen Strukturen und die extreme Affinität zur Sonne (die ganz offensichtlich noch mehr als eine energiespendende Bedeutung hat). Ebenfalls ist auffällig, dass der Protagonistin (also Klara) einige spezifische Aspekte ihrer menschlichen Umwelt nur mühsam zugänglich sind (das merkt man an den von ihr geprägten Kunst-Begriffen), während sie andere ganz selbstverständlich und perfekt beherrscht . So sind sie halt, die Menschen-Maschinen (oder Maschinen-Menschen?)…

Die eigentliche Geschichte spielt dann in einem – von der Umgebung ziemlich abgeschotteten – familiären Setting, das aus dem jugendlichen Mädchen (dessen Alltagsbegleitung Klaras Job ist) und ihrer Mutter besteht (eine ältere Schwester ist leider zu Tode gekommen). Bedeutsam sind aber auch die Nachbarn: Hier lebt – ebenfalls nur mit seiner Mutter – ein passender Junge, mit dem schon früh so etwas wie “ein Bund fürs Leben” geschlossen wurde.
Vermutlich wird sich niemand wundern, dass die Sache dann doch nicht so einfach ist…

Nun soll hier natürlich nicht die Story zusammengefasst werden. Wichtiger erscheint mir anzudeuten, auf welche Grundsatzthemen man sich bei diesem Buch einlässt.
Natürlich geht es irgendwie um das Zusammenspiel von programmierter “Persönlichkeit” und normalen Menschen. Das Ganze aus der fremden (Außen-)Perspektive zu beschreiben, schafft natürlich eine grandiose Chance, den Blick gerade auf solche menschlichen Eigenarten zu werfen, die dem eigenen Auge sonst (wegen ihrer Selbstverständlichkeit) verborgen bleiben.
ISHIGURO spielt dabei auch mit den Optionen zukünftiger Technologie und ihrer denkbaren gesellschaftlichen Auswirkungen; kaum jemand wird bezweifeln, dass dies mit warnender Absicht geschieht.

Woran man sich gewöhnen muss, ist der besondere Erzählstil des japanischen Nobelpreisträgers. Er schafft mit der Ausgangskonstellation eine faszinierende Grundlage für geradezu unendliche spannende und erhellende Verwicklungen. Statt aber solche Handlungsfäden zu spinnen, beißt er sich geradezu fest an einem Aspekt der inneren Klara-Welt, die eher seinem Bedürfnis nach symbolischen Bildern Rechnung trägt als der Erwartung der Leser.
ISHIGURO bleibt auf einmal gewählten Spuren und kostet sie – seien sie auch noch so speziell – mit einer manchmal sehr redundant wirkenden Gründlichkeit aus. Mit diesem Eintauchen in eher symbolische oder surreale (Neben-)Aspekte nimmt der Autor der Geschichte auf der einen Seite die realitätsbezogene Dynamik, gibt ihr andererseits natürlich eine literarische Eigenwilligkeit (die man gerne dann als “große Kunst” bewerten mag).

Mir hätte eine etwas gradlinigere Umsetzung der faszinierenden Grundidee wohl besser gefallen. Mit einer etwas anderen Form von Fantasie und Schreibstil hätte aus diesem Buch noch viel mehr werden können. Ein wenig wünsche ich mir, dass einige andere Autoren sich dieser Aufgabe widmen mögen.

“Denkt Mit!” von Harald LESCH und K. Kamphausen

Bewertung: 4 von 5.

(Wenn ich im Folgenden LESCH schreibe, meine ich seinen Co-Autor immer mit).

Der omnipräsente Wissenschaftsvermittler hat sich mal wieder zu Wort gemeldet. Mit ganz aktuellem Bezug: Natürlich geht es vorrangig um Corona bzw. die Rolle der Wissenschaft in der Pandemie. Auf dem Nebengleis fährt der Klima-Zug allerdings immer mit, denn LESCH lässt keine Gelegenheit aus, die beiden großen Herausforderungen aufeinander zu beziehen.

Es ist ein sehr umfassender Rundumschlag, der uns angeboten wird. Es geht nicht ums “Klein-Klein”, sondern um eine allgemeine Einordung des naturwissenschaftlichen Zugangs zur Welterkenntnis. Es geht ums Prinzip des empirischen Forschens und Experimentierens, um die Möglichkeiten und Grenzen der menschlichen Erkenntnis.

Mit LESCH spricht ein leidenschaftlicher Vertreter der Naturwissenschaft. Er wendet sich ausführlich der Abgrenzungsdebatte zwischen Natur- und Geisteswissenschaft zu und schlägt – natürlich – eine friedliche Zusammenarbeit vor. Es wird aber unmissverständlich deutlich, dass aus seiner Sicht der Forscher nicht still in seinem Labor vor sich hin werkelt und den Philosophen (Soziologen, Pädagogen, …) den öffentlichen Diskurs überlässt.
Im Gegenteil: Auch die Physiker, Biologen, Medizinern (u.a.) sieht er in der Pflicht, sich gesellschaftlich einzubringen, ihre Erkenntnisse zu erklären und auf Konsequenzen bzw. Risiken aufmerksam zu machen.
Es wird aber auch deutlich: Moralischen Maßstäbe oder ethischen Entscheidungen lassen sich nicht aus experimentellen Befunden ableiten.

Das alles ist informativ, nachvollziehbar und sympathisch, Und natürlich bleibt es nicht so abstrakt, sondern wird auf Corona und Klimawandel heruntergebrochen.
Man kann sozusagen ununterbrochen zustimmend nicken.
Aber es ist eben auch irgendwie alles erwartbar, vieles wurde an anderen Stellen schon gesagt und geschrieben. Dieses Buch wartet nicht mit besonderen Überraschungen auf; für informierte Leser bietet es eher eine Bestätigung als einen inhaltlichen Erkenntniszuwachs.

Entscheidet man sich für die Hörbuch-Fassung bekommt man auch die Stimme von Harald LESCH geboten. Wer ihn gerne – z.B. im Fernsehen – hört, wird das mögen.
Für andere wird sein eindringlicher Tonfall vielleicht gelegentlich eine Spur zu pastoral.
Das ist eindeutig Geschmackssache!

Unterm Strich erhält man mit diesem Buch ein gut lesbares (hörbares) Plädoyer – nicht nur für die enormen Leistungen und Fortschritte der wissenschaftlichen Methodik, sondern auch für eine aufgeklärte Gesellschaft: Diese sollte nämlich auf Basis einer guten naturwissenschaftlichen Allgemeinbildung in der Lage sein, Befunde und Erkenntnisse nicht nur zu verstehen, sondern auch kritisch einzuordnen.

In der Welt von LESCH haben Verschwörungstheoretiker und Wissenschaftsskeptiker keinen Platz. Es würde ihnen wohl auch ziemlich schwer fallen, sich argumentativ Raum zu verschaffen. Dass man manchmal das Gefühl hat, seine Weltsicht ist eine kleine Spur zu rund und glatt, ändert an der Gesamtsicht nichts.

“Der erste letzte Tag” von Sebastian FITZEK

Bewertung: 2.5 von 5.

FITZEK traut sich was!?
Er hat sich als Autor von geschickt konstruierten Thrillern eine große und treue Fangemeinde erschrieben. Leider hat er ein offenbar nie endendes Vergnügen daran, seine Stories mit brutalen bzw. sadistischen Gewaltschilderungen anzureichern – für mich ein klares No-Go. Um so größer fiel mein Interesse an seinem neuen Buch aus, das den ungewöhnlichen Untertitel trägt: Kein Thriller.
(Natürlich hatte diese Entscheidung für ihn kein Risiko: Seine Fans werden ihm auch dieses Buch geradezu aus den Händen reißen).

Die Geschichte wird aus der Perspektive eines werdenden Vaters erzählt, der auf dem Weg zu der Versöhnung mit seiner Partnerin einen Tag lang in ein Strudel von absurden Situationen gerät. Verantwortlich dafür ist eine Zufallsbekanntschaft, aus der sich wegen widriger Umstände eine Fahr- und damit Schicksalsgemeinschaft ergibt.

Das Buch beseht zu ca. 92% aus Darstellung der Situationskomik, die sich mehr oder weniger zwangsläufig aus den völlig abgedrehten Entscheidungen der jungen Frau ergeben, Der Rest kann als gut gemeinte Lebensweisheit abgebucht werden (“was im Leben wirklich wichtig ist…”).

Als Leser drängt sich mir der Eindruck auf, dass FITZEK das Prinzip der Situationskomik grundsätzlich missverstanden hat: Statt “normalen” Alltagssituationen eine Komik abzugewinnen, konstruiert der Autor am laufenden Band Absurditäten, die dann eine sehr “gewollte” Komik schon fest eingebaut haben. Das wirkt ziemlich banal und platt.
Noch nervender wird diese Strategie durch die angestrengt witzige Sprache, die in jeder Formulierung nach schenkelklopfenden Applaus schmachtet. Als ob mehr immer besser wäre.

Natürlich gibt es auch in diesem “Nicht-Thriller” am Ende überraschende Wendungen. FITZEK ist schließlich FITZEK und muss einen Ruf verteidigen. Ohne diesen Schluss wäre wohl diese Story auch allzu peinlich gewesen; da hätte wohl irgendjemand auch einen Bestseller-Autor mal gestoppt.

Trotzdem ist es nur ein sehr begrenztes Lesevergnügen geworden.
Es macht eben einen Unterschied, ob der Stephen KING, der Meister des Horrors, das Genre wechselt – und immer noch ein genialer Erzähler bleibt, oder ob ein FITZEK etwas Ähnliches versucht – und grandios scheitert.

“Die 100 besten Eco Hacks” von Katarina SCHICKLING

Bewertung: 4.5 von 5.

Hier ist drin, was drauf ist!
Das handliche (und preiswerte) Taschenbuch verspricht alltagsbezogene Tipps für eine nachhaltige Lebensweise. Und die erhält man auch; nicht mehr, aber auch nicht weniger.

SCHICKLING legt einen praktischen Ratgeber vor, der wie ein Nachschlagewerk funktioniert. Hier wird kein Basiswissen über Klimawandel, Ressourcenverschwendung oder Artensterben vermittelt. Es geht klar und komprimiert zur Sache: Welche Alternativen haben welche Vor- und Nachteile?
Strukturiert wird in 100 Kurzkapitel, die den Themenbereichen Ernährung, Verpackung, Mobilität, Energie und Konsumgüter (Hygiene, Putzen, Recycling…) zugeordnet werden. Alles wird auf ein bis zwei Seiten so aufbereitet, dass eine Entscheidung möglich ist. Erreicht wird das durch einen thesenartigen Aufbau des Textes: die Aufzählungen ersparen Füll- und Zwischentexte. Hier sollen schließlich keine Geschichten erzählt werden.

Natürlich muss bei einer solchen Herangehensweise Komplexität reduziert werden. Aber genau darum geht es in diesem Buch. Nach einem kurzen Überblick kann man entscheiden, welche Variante für einen selbst in Frage kommt. Kein Mensch wird 100 Ökofragen ohne Kompromisse beantworten. Da schimpft dann übrigens auch niemand! SCHICKLING verzichtet in ihrem Ratgeber vollständig auf den moralischen Zeigefinger.
Die Grundmotivation in Richtung Nachhaltigkeit kann problemlos vorausgesetzt werden.

Zwar werden unter jedem Stichwort Antworten gegeben; es wird jedoch nicht der Eindruck erweckt, alle Detailinformationen liefern zu können. Stattdessen wird auf ein große Anzahl weiterführende Links verwiesen. Auch hier liefert die Autorin eine grobe Einordnung, so dass die weitere Recherche schon recht zielgerichtet vonstatten gehen kann.

Nur an wenigen Punkten hätte ich mir vielleicht noch klarere Empfehlungen gewünscht: So werden z.B. verschiedene Milch-Alternativen diskutiert – ohne die klar formulierte Aussage, dass Hafergetränke wohl deutlich gegenüber Soja- und Mandelerzeugnissen zu bevorzugen wären. Aber das sind kleine Nuancen, die den guten Eindruck nicht schmälern.

Dieses kleine Kompendium ist für jeden Haushalt zu empfehlen, in dem sich entsprechende Ratgeber noch nicht stapeln.
Es gibt nur eine Einschränkung: Das Lesen solcher Bücher macht unsere Welt und unser Handeln noch nicht nachhaltiger. Es geht also letztlich um die Umsetzung.
Auch da kann das handliche Format und der schnelle Themenzugriff sicher helfen: “Was wollte ich mir nochmal hinsichtlich des Stromverbrauchs vornehmen….?”

Diversität

Heute ist der offizielle Tag der Diversität. Damit wird auch ein Herzstück GRÜNER Politik thematisiert, denn keine andere relevante Partei verbindet wohl ihre eigene Identität in einem solchen Ausmaß an die positive Haltung zu Vielfalt und Buntheit in unserer Gesellschaft.
In den klassischen GRÜNEN Milieus stellt dieses Thema einen Selbstläufer dar. Der Kampf gegen Diskriminierungen wegen Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, Religion, Gesundheitsstatus, Alter oder sexueller Orientierung verbindet Alt- und Neu-GRÜNE, Realos und Fundies.

Mit der aktuellen Öffnung zur bürgerlichen Mitte kommt allerdings an einigen Punkten etwas Sand ins Getriebe: Nicht jede/r klimaengagierte potentielle Wähler/in ist so eindeutig mit allen Facetten der Gendersprache verschwestert, der ein oder die andere findet die Differenzierung in mehr als vier oder fünf sexuell-identitäre Subgruppen ein wenig mühsam.

Ein echtes Problem lässt sich auch orten: Die GRÜNEN befürworten einen Gesetzentwurf, in dem für (auch für) Jugendliche die Schwelle zu einer Geschlechtsanpassung massiv gesenkt werden soll. Frei nach dem Motto: “Jeder soll die Geschlechtsidentität frei wählen, verändern und leben dürfen, die dem eigenen Wunsch und Empfinden entspricht.

Das ist sicher erstmal gut gemeint und würde für eine kleine Gruppe von hochbelasteten jungen Menschen eine Entlastung bringen. Und natürlich entspricht es dem modernen Zeitgeist, sich von möglichst vielen Einschränkungen zu befreien, die einer freien Entfaltung der Individualität im Wege stehen.
Also weg mit bürokratischen Hemmnissen, her mit der Selbstbestimmung!?

Man darf da anderer Meinung sein! Denn es geht nicht nur um die (nachvollziehbare) Empathie mit der Leidensgeschichte von jungen Menschen, die sich schon sehr früh und sehr eindeutig “falsch” in ihrem Körper gefühlt haben. Es geht auch um einen Trend, um eine Mode, um einen Hype – rund um das Spiel mit sexueller Identität: da genügt ein Blick ins Internet. Und es geht auch um Menschen, die aus ganz anderen Gründen emotional beeinträchtigt sind und die in dem Transgender-Thema eine Art Anker zu finden meinen (man spreche mal mit – männlichen oder weiblichen – Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten).
Und ein bisschen geht es vielleicht auch um eine Machbarkeits-Ideologie, die in anderen Bereichen durchaus schon kritisch reflektiert wird.

Da sowohl hormonelle, als auch erst recht operative Eingriffe in die biologischen Grundlagen der Geschlechtlichkeit ganz bestimmt nicht mit Piercing, Tattoos oder Schönheitsoperationen zu vergleichen sind, verlangt dieses Thema Vorsicht, fachliches Abwägen und Differenziertheit. Hier kann und darf es nicht darum gehen, die Schwellen für entsprechende Behandlungen so niedrig wie möglich zu machen – selbst wenn das in der lauten bunt-diversen Szene noch so gut ankommen sollte.

Ich erwarte von “meiner” GRÜNEN Partei verantwortungsvolle Entscheidungen auch bei solchen Themen, die so eindeutig positiv besetzt sind wie die Diversität.
Sicher nicht nur aus wahltaktischen, sondern aus inhaltlichen Gründen.


Fairerweise ist anzumerken, dass es in dem aktuellen Gesetzentwurf vorrangig um die rechtlichen Aspekte der Bestimmung des eigenen Geschlechts (inkl. des Vornames) geht.
Trotzdem heißt es dort auch:
Das Recht auf freie Entwicklung der Persönlichkeit entsprechend der Geschlechtsidentität umfasst das Recht, über die Durchführung medizinischer Maßnahmen zur Modifizierung des eigenen Körpers im Hinblick auf Erscheinung und körperliche Funktionen bei vollumfassender vorheriger medizinischer Aufklärung und Einwilligungsfähigkeit selbstbestimmt zu entscheiden.


“Stay Away From Gretchen – Eine unmögliche Liebe” von Susanne ABEL

Bewertung: 4 von 5.

Die Autorin legt einen zeitgeschichtlichen Roman vor, der – wie viele andere solcher Geschichten – auf zwei Zeitebenen spielt. Das hat eine Reihe von Vorteilen: Als Bewohner der Gegenwartsebene fühlt man sich unmittelbar angesprochen, selbst wenn die Haupthandlung vor dem eigenen Erfahrungshorizont stattfand. Noch wichtiger für den Plot ist natürlich, dass durch den Zeitsprung die Auswirkungen früherer Geschehnisse einbezogen werden können. Der entscheidende Zugewinn liegt aber sicher darin, dass die Gegenwartsperspektive infolge der eingebauten Distanz ganz andere Einordnungen der historischen Ereignisse ermöglicht.
Der Roman über Gretchen macht sich alle diese Vorteile zu nutze. Während es zunächst einen wiederholten Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit gibt, werden – auch das ein beliebter erzählerischer Kniff – am Ende die Ebenen die Ebenen zusammengeführt.

Der smarte Chef-Nachrichtenmann eines großen Senders lebt ein hektisches, aber halbwegs zufriedenes Wohlstands-Single-Leben. Wenn da nur nicht die eigene Mutter (Gretchen) von der Alzheimer-Plage befallen wäre. Ausgerechnet in der Phase ihrer nachlassenden Gedächtnis- und Geisteskräfte stößt der Sohn auf das bisher geheime Vorleben seiner Mutter. Plötzlich bekommen bedrückende Kindheits-Erinnerungen an ihre depressive Grundstimmung eine völlig neue Erklärung.
Die Auflösung liegt in Heidelberg. Dort hat sich Gretchen unmittelbar nach dem Krieg in einen farbigen Besatzungs-Soldaten verliebt – so sehr verliebt, dass es nicht nur emotionale, sondern auch biologische Folgen hatte.
Es ist letztlich das Schicksal dieses Kindes (Marie), an dem das Kernthema dieses Romans exemplarisch aufgefächert wird. Als Leser erhalten wir einen tiefen Einblick in einen Aspekt deutsch-amerikanischer Nachkriegsgeschichte, der sonst nicht gerade im Brennpunkt des Interesses liegt. Es geht um Diskriminierung und Rassismus auf beiden Seiten des Atlantiks – vermittelt durch die (alles andere als rosarote) Brille einer betroffenen jungen Familie.

Der besondere Verdienst dieses gut recherchierten Romans liegt darin, die zum Himmel schreiende Widersprüchlichkeit auf beiden Seiten herauszuarbeiten: Die Amis retten Europa vom Rassenwahn der Nazis und stecken gleichzeitig selbst mittendrin in ihrem eigenen Rassismus. Die Deutschen hatten gerade erfahren, wohin die Herrenmenschen-Ideologie führt – und diskriminieren munter weiter die während der Besatzung gezeugten “Mischlings-Kinder”.

Damit keine falscher Eindruck entsteht: Dieser Roman macht nicht Politik oder Ideologie zum Thema, sondern erzählt sehr persönliche Schicksale. Eine Bewertung findet aus der Gegenwartsebene statt (s.o.).
Susanne ABEL geht den Weg der emotionalen Ansprache, der Identifikation, des Mitfühlens, der Empörung. Dabei zieht sie durchaus alle Register, die eine Geschichte üblicherweise anregend, anrührend und spannend machen. Es wird geliebt, es wird unterdrückt, es werden unmenschliche Entscheidungen gefällt, es wird gelitten.
Das Entscheidende ist dabei: Liebe und Glück werden verhindert, werden vorenthalten – durch Bedingungen und Entscheidungen, die auch ganz anders hätten sein können.

Auch in der Gegenwart spielen sich emotionale Dramen ab, allerdings eingebettet in eine System von Versorgung und Sicherheit. Hier ist dann Platz für das ein oder andere komische Element, das ein bisschen Erholung von der Anspannung schafft.

Wenn man will, findet man sicher auch in diesem Roman klischeehafte Erzählmuster. Wenn man als Autorin heftige Emotionen wecken möchte, passieren auch manchmal Dinge oder werden Dialoge geführt, die man bei nüchterner Betrachtung auch “kitschig” finden kann. Ja, es wird auch dick aufgetragen, in dieser Erzählung. Es gibt eine Meng Stoff für das “Herz”. Wem das zu “platt” ist, der/die ist hier verkehrt. Diesen Roman sollte niemand lesen, der/die sich nicht anrühren lassen möchte.

ABEL hat einen intelligenten und aufklärerischen Roman geschrieben, den man auf verschiedenen Leseebenen genießen kann. Es gibt keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Wissenserwerb und feuchten Augen.

“Skin In The Game – Das Risiko und sein Preis” von Nassim Nicholas TALEB

Bewertung: 1.5 von 5.

Dieses Buch ist eine Zumutung. Es pauschaliert, provoziert und polarisiert über alle gewohnten Grenzen hinweg. Der einzige Grund dafür, ihm trotzdem überhaupt Bewertungs-Sterne zu geben, ist die Tatsache, das da auch einen Menge kluger Dinge drin stehen.

Was bringt einen Menschen, einen Autor, dazu, so ein Buch zu schreiben? Ohne Zweifel ist TALEB (ein Finanzmathematiker und Börsenstatistiker), ein hochintelligenter (vermutlich auch hochbegabter) Mensch. Er hat Erfolge als Trader, als Wissenschaftler und als Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher vorzuweisen; ihm ist inzwischen offenbar in seiner Scene eine große Fangemeinde zugetan.
Vor allem aber hat TALEB eine geradezu unbegrenzte Gewissheit, dass seine Erfahrungen und Erkenntnisse über jeden Zweifel erhaben sind. Und er wird von der Mission getrieben, die Welt an seiner Weisheit teilhaben zu lassen.

Worum geht es eigentlich:
TALEB wertet in diesem Buch seine jahrzehntelangen Erfahrungen in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft und der Wissenschaft aus und fasst sie unter einem Motto zusammen: “skin in the game”. Er ist überzeugt davon, dass man nur Menschen ernst nehmen sollte, nur Akteuren trauen sollte, nur auf Systeme setzen sollte, bei denen es einen klaren Zusammenhang zwischen Entscheidungen bzw. Handlungen und dem Eingehen eines eigenen Risikos gibt. Nur das Eingehen eines tatsächlichen (in der Regel finanziellen) Risikos stellt seiner Meinung nach sicher, dass jemand mit vollem Einsatz, voller Überzeugung und mit Verantwortungsbewusstsein tätig ist.
TALEB ist also auf der Seite der Macher, der Entscheider, der Unternehmer, die einen eigenen Einsatz machen, die zu scheitern bereit sind. Solche Leute – so TALEB – bringen die Welt, die Wirtschaft und das eigene Vermögen nach vorne.
Natürlich ist TALEB einer von diesen Helden!

Wenn TALEB etwas mag und richtig findet, dann gibt es auch gegenüber ein klares Feindbild. Und Feinde sammelt der Autor so leidenschaftliche wie altgediente Generäle ihre Orden.
Es bereitet TALEB ein offenbar nie endendes Vergnügen, alle “irrelevanten” Berufsgruppen bzw. alle Anhänger von abweichenden Theorien bzw. Überzeugungen pauschal abzuwerten. Egal ob es “schwafelnde” Sozialwissenschaftler oder Psychologen, “überflüssige” Hirnforscher, “Bullshit produzierende” Journalisten oder Rezensenten, von seiner Lehre unbeleckten Statistiker oder einfach nur “ahnungslose und überflüssige” Angestellte in Verwaltung oder Firmen sind: Im Zweifelsfalle sind es es alle Idioten!

Dieser Kampf gegen die verhasste Welt der Mitläufer ohne unternehmerische Verantwortung geht so weit, dass es dem geneigten Leser immer mal wieder schwer fällt, vor lauter Geschützdonner und Pulverdampf noch der inhaltlichen Argumentation zu folgen.
Taleb deckt ohne Zweifel interessante Zusammenhänge und Widersprüche auf; manche davon sind vielleicht auch zu komplex für ein einmaliges lesen (oder hören). Letztlich bliebt aber den Eindruck, dass der Stil die Inhalte dominiert, geradezu erdrückt.
Die grenzenlose Selbstgewissheit des Autors als “ironischen-lockeren Schreibstil” zu bewerten (wie einige professionelle Kritiker das tun), ist schon ein echtes Kunststück.

Wenn der Autor seine Scharz/Weiß-Schablone (oder auch “gut/böse”) auf Bereiche anwendet, in denen man als Leser selbst eine gewisse Expertise hat, dann erscheint das vermeintliche Genie auf einmal ziemlich nackt: So macht sich TALEB z.B. über die Zunft der Hirnforscher deshalb lustig, weil sie – angeblich – nur die Funktionsweise einzelner Nervenzellen immer genauer erforschen wollten. Da traut man seinen Augen (Ohren) kaum!

Ich kann dieses Buch wirklich nur denjenigen empfehlen, die schon wissen, auf wen sie sich da einlassen. Vermutlich gibt es die passende Zielgruppe, der dieser selbstverliebte Tausendsassa aus der Seele spricht, wo man sich angesichts der rausgehauenen Beleidigungen vor Lachen auf die Schenkel klopft.
Ich fühle mich auf der “anderen” Seite wohler, in der Welt der Zwischentöne und des Abwägens.

Die Hörbuch-Bearbeitung des Sachbuchs ist außerordentlich gut gelungen. Der Vorleser (Steffen Groth) trifft den provokanten und selbstgefälligen Tenor des Buches so gut, dass man sich unschwer vorstellen könnte, den Autor selber zu hören. Respekt!

“Unzertrennlich” von Irvin D. YALOM und Marilyn YALOM

Bewertung: 3.5 von 5.

Das Liebes- und Ehepaar YALOM verabschiedet sich. Von einander, von einem großen Freundes- und Bekanntenkreis, von der internationalen Fachwelt, von Millionen treuer Leser und Anhänger. Anlass für diesen Abschied ist eine tödliche Krankheit von Marilyn, deren Verlauf und Folgen zunächst von beiden, nach dem Tod dann von Irving alleine beschrieben und reflektiert werden.
(Ich benutze im Text die Vornamen, weil es zu der extrem persönlichen Grundfärbung des Buches passt).

Der Name Irvin YALOM ist nicht nur in psychotherapeutischen Fachkreisen international bekannt; er hat eine Reihe von Romanen geschrieben, in denen er einem breiten Publikum grundsätzliche Erkenntnisse und Anregungen zu einem erfüllten Leben vermittelt hat.
Marilyn hat als feministisch-orientierte Literaturwissenschaftlerin ebenfalls seit Jahrzehnten eine öffentliche Präsenz.

Das Paar setzt mit diesem Buch in erster Linie der Beziehung selbst ein Denkmal. Hier haben sich zwei kreative und intellektuelle Persönlichkeiten schon im Jugendalter kennen- und lieben gelernt und es geschafft, sich bis ins hohe Alter auf eine Art zu begleiten, zu fördern, zu inspirieren, die für viele Menschen – sowohl im Umfeld als auch in weiten fachlichen und literarischen Kreisen – zu einem Modell einer Idealbeziehung geworden ist.

Das Buch setzt sich aus zahlreichen Facetten zusammen. Es beinhaltet:
– eine Art medizinisches Tagebuch über den Verlauf der Erkrankung, die Wirkung und Folgen der Behandlungsmaßnahmen,
– einen Einblick in die Gestaltung des Zusammenlebens in den letzten gemeinsamen Monaten,
– die Schilderung der Begleitung und Anteilnahme durch die Angehörigen und ein geradezu riesiges soziales Netzwerk,
– Rückblicke auf die Beziehungsgeschichte und Stationen eines extrem erfüllten gemeinsamen Lebens,
– die Darstellung der inneren Ambivalenz Marilyns zwischen dem Kampf um das Weiterleben (zuletzt mehr für Irving als für sich selbst) und ihrer wachsenden Bereitschaft, dem leidvollen und aussichtslosen Krankheitsprozess ein selbstbestimmtes Ende zu setzen,
– eher allgemeine Reflexionen (schwerpunktmäßig von Irvin) über das Alter, die Angst vor dem Tod, die Furcht vor der Einsamkeit des Zurückbleibenden) wobei der Autor zunehmend auch auf eigene frühere Werke zurückgreift),
– den schrittweisen Abschied von Irvin von seiner Berufung als Psychotherapeut (als Teil eines deutlich spürbaren Altersabbaus),
– die Beschreibung (und Reflexion) des Alltagslebens von Iriving in den ersten Monaten als Witwer).
Alle diese Themen sind durchzogen von immer wieder neuen Bekundungen des gegenseitigen Respekts, der gegenseitigen Bewunderung und der geradezu unendlichen gegenseitigen Liebe.

Was ließe sich Kritisches sagen zu einem Buch mit solch berührenden, existenziell-bedeutsamen Inhalten? Müsste man nicht einfach nur ergriffen und begeistert sein, weil man an den (Selbst-)Erkenntnissen von solch besonderen Menschen teilhaben darf?
Nun, außerhalb des echten Fan-Kreises (der sich ja stärker um Irvin gebildet hat) könnte man schon zu dem Eindruck kommen, dass es vielleicht doch von allem etwas zu viel ist. Einfach eine Schicht zu dick aufgetragen. So wird aus gelungener Liebe ein einzigartiges Monument, aus einer klugen, fürsorglichen und inspirierenden Frau fast eine Heilige, aus guten Sozialbeziehungen geradezu ein Meer von innigen Freundschaften.
Es gibt Stellen in diesem Buch, die so persönlich und detailliert sind (Medikamente, einzelne Freundschaftsbeziehungen), dass sie doch eher für ein persönliches Umfeld als für die breite Öffentlichkeit eignen.
Die Passagen, in denen Irvin beschreibt, wie hilfreich für ihn das Lesen seiner eigenen literarischen Werke ist, wirkt auch ein wenig selbstverliebt (“wie klug ich doch schon früher war”).

Zusammengefasst: Wer YALOM schon lange für sich als Quelle von tiefen Erkenntnissen oder fachlichen Anregungen entdeckt hat oder Interesse an dieser so fruchtbaren Ausnahmebeziehung hat, wird dieses Buch mit großem Genuss und tief bewegt lesen.
Auch für diejenigen, die sich mit der partnerschaftlichen Gestaltung des Lebensendes auseinandersetzen, bietet das Buch bedeutsame Anregungen (wenn man sich nicht dadurch irritieren lässt, dass alle Rahmenbedingungen bei den YALOMs so unfassbar optimal sind).
Für weniger “betroffene” Leser/innen könnte sicher auch der Eindruck entstehen, dass hier etwas eigentlich sehr Privates sehr öffentlich zelebriert wird.
Über das Ende ein (weitgehend) gemeinsames Buch zu schreiben, passt auf diese Personen und diese Beziehung sicher perfekt. Diese Möglichkeit, eigene Ängste und die eigene Verzweiflung in einer solchen Form – geradezu als Selbsttherapie – zu verarbeiten, steht sicherlich nur wenigen Menschen offen.

Es ist gerade so viel GRÜN hier…

Es knubbelt sich ein wenig, Es herrscht Aufregung. Die Themen überschlagen sich.
Eins sollte aber klar sein: Das alles ist nur ein Vorgeschmack!

Schon Anfang der Woche gab es einen Schocker: Die CDU hat das Wahlprogramm der GRÜNEN als heimtückischen Fliegenpilz entlarvt!
Da hat man doch – keiner konnte es ahnen – tatsächlich bei genauerem Studium herausgefunden, dass ein GRÜNES Programm auch GRÜNE Inhalte und Forderungen beinhaltet. Ein echter Skandal!
Da stehen tatsächlich Dinge drin, die nicht alle in der CDU/CSU toll finden!
Gut, dass sie jetzt die Bevölkerung warnen. Die hätte sonst vielleicht geglaubt, es handele sich um das als vermisst gemeldete Programm der Union…
Gemein ist außerdem: Die GRÜNEN bringen es offenbar fertig, völlig beliebig und unkonkret zu sein – und gleichzeitig Dinge zu fordern, die den Untergang des Abendlandes einläuten könnten. Das scheint ein verhexter Fliegenpilz zu sein! (Kein Wunder, bei dem Frauenanteil….).

Fertig mit Satire.
Habeck hat sich getraut, die Thema GRÜN/ROT/ROT anzusprechen. Der Knackpunkt ist natürlich die Regierungsfähigkeit der LINKEN, die sich insbesondere im Bereich der Außenpolitik entscheidet. An diesem Punkt geht es ums Eingemachte, weil die Strategie aller anderen Parteien sich darauf konzentrieren wird, die tiefe Abneigung des bürgerlichen Lagers gegenüber den LINKEN zu nutzen.
Das Ziel ist klar: Man will die Optionen der GRÜNEN so weit einschränken, dass die Leute aus Sorge vor einem Chaos bei der Regierungsbildung gleich etwas anderes wählen.
Fallen die LINKEN aus, bliebe (außer dem unsicheren Jamaika) nur GRÜN/Schwarz (oder Schwarz/GRÜN). Hier hat die CSU sinniger Weise heute die Zange von der anderen Seite angesetzt: Wenn die CSU sich nämlich weigert, in eine GRÜN geführte Koalition einzutreten, hoffen sie darauf, dass dann die Wähler lieber die CDU/CSU stark machen (was dann ja Schwarz/GRÜN ermöglichen würde). Das ist übrigens ziemlich ungeheuerlich: Eine Koalition davon abhängig zu machen, dass man der stärkere Partner wird. So macht man ein Land tatsächlich unregierbar!
Zurück zum Anfang: Die GRÜNEN können gar nichts anderes tun, als den LINKEN klare Bedingungen zu stellen (vielleicht sogar mit der klammheimlichen Hoffnung, dass diese nicht erfüllt werden…).

Bleibt Boris Palmer.
Ich will jetzt nicht darüber schreiben, wann Rassismus anfängt. Da bin ich vermutlich vom GRÜNEN Mainstream ein bisschen entfernt. Mir geht es eher um (Selbst-)Disziplin.
Kann man/frau nicht in einer solch politisch so bedeutsamen Situation erwarten, dass beteiligte Menschen sich auch dann zurücknehmen, wenn sie sich uneingeschränkt im Recht fühlen (und es vielleicht sogar in Teilaspekten auch sind)?
Geht es vielleicht gerade um größere Fragen!? Um die Chance, die deutsche Politik stärker zu prägen, als dies für viele bisher vorstellbar war!?
Man wird nicht jeden Widerspruch lösen können, man muss auch mal Ungereimtheiten ertragen, man muss auch mal was runterschlucken – zumindest öffentlich.
Palmer hat seiner eigenen Sache keinen Dienst erwiesen; er hat (durch geplante Provokation oder große Unbedarftheit) dafür gesorgt, dass die Fronten sich verhärten und sich auch die Leute mit der Parteiführung solidarisieren, die eigentlich eine differenzierte Meinung haben.
Schade, so geht eine mögliche Diskussionsebene leider verloren.

Unruhige Zeiten stehen bevor.

Die GRÜNEN und Deutschland

Es ist wohl die nackte Panik, die andere Parteien dazu treibt, sich schon im Vorfeld mit parteiinternen Änderungsanträgen zum Wahlprogramm zu befassen.

So gibt es jetzt tatsächlich eine ganze Reihe von Anträgen, den Begriff “Deutschland” aus dem Titel des Programms (“Deutschland – Alles drin”) zu streichen. Diese Tatsache wird jetzt als Beleg angeführt, dass es den GRÜNEN an einem klaren und positiven Bekenntnis zu ihrer Nation mangele.
Es wird dabei so getan, als sei jede Partei dazu verpflichtet, den Begriff “Deutschland” in der Überschrift zu nennen – und ein Abweichen von dieser “Norm” wäre eine grobe Verfehlung.
Für mich erstmal eine abstruse Haltung.

Nun kann man natürlich argumentieren, dass es schon eine Aussage machen würde, wenn man den einmal vorhandenen Begriff in Frage stellt bzw. streichen möchte.
Das stimmt natürlich: Es überrascht tatsächlich nicht, dass es in einer Partei, deren DNA für Internationalismus und gegen Deutschtümelei programmiert ist, kritische Stimmen gegen eine so plakative Hervorhebung der Nation laut werden.
Darüber kann und darf man streiten.

Taktisch klug ist dieser Konflikt sicher nicht. Aber in dieser Zeit, in der jeder Mucks in der Partei von den Rivalen darauf überprüft wird, ob er Wahlkampfmunition bietet, würde die alleinige Ausrichtung auf die Außenwirkung jede Diskussion verunmöglichen.

Persönlich halte ich das Wahl-Motto eher für klug und passend.
Es macht deutlich, dass die GRÜNEN den Begriff “Deutschland” nicht den anderen überlassen. Es macht tatsächlich auch inhaltlich Sinn, dem Motto der AfD (“Deutschland. Aber normal.”) das “Deutschland. Alles drin.” entgegenzusetzen. Es betont Vielfältigkeit, Integration, Zukunftsoffenheit, Chancen, Zuversicht.

Ich vermute, der Wahlparteitag wird sich für die Beibehaltung des Slogans entscheiden.
Dass darüber diskutiert und abgestimmt wird, ist kein Problem.
Ich vermute mal, dass in den Änderungsanträgen bei den Parteitagen der Mitbewerber spektakulärere und bedrohlichere Inhalte zu finden wären…